Von Hans Konanz
Das Ergebnis einer Wählerstudie, derzufolge ausgerechnet junge Gewerkschaftsmitglieder besonders anfällig für Rechtsextremismus sein sollen, hat den ÖTV-Bezirk Hessen alarmiert. In einer "Fachnacht" im Oberurseler DGB-Bundesjugendbildungszentrum suchten Gewerkschafter nach "unbequemen Ant-worten".
OBERURSEL. Am Anfang stand die Ratlosigkeit. Wie ist es möglich, daß gerade unter jungen Gewerkschaftsmitgliedern so viele Sympathisanten rechtsextremer Parteien zu finden sind? Eine Studie des Westdeutschen Rundfunks war im Herbst 1998 zu dem Ergebnis gekommen, daß sich 32 Proozent der 18- bis 24jährigen im DGB organisierten Mitglieder "vorstellen können", ihre Stimmen rechtsextremen Parteien zu geben. "Getan" haben es der Studie zufolge tatsächlich elf Prozent. Bei der Hessenwahl im Frühjahr schien sich die Tendenz zu bestätigen: Die "Republikaner" bekamen von jungen Gewerkschaftsmitgliedern 4,4 Prozent, von Nichtmitgliedern derselben Altersgruppe lediglich zwei Prozent.
"Die Lage ist ernst", glaubt die Kölner Journalistin Claudia Dammann, Teilnehmerin der Oberurseler "Fachnacht". Sie sieht eine "latente Gefahr für die Demokratie", denn rechtsextremes Potential könne in politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Krisensituationen mobilisiert werden. Besorgniserregend empfand Dammann, wie sie der FR sagte, die Reaktion von Teilen des Deutschen Gewerkschaftsbundes auf die Studie, Das unbequeme Thema werde verharmlost und tabuisiert, und es gebe gar - wohl aus Angst vor Mitgliedsverlust - "immer wieder Äußerungen von Funktionären, daß rechte Jugendliche besser seien als gar keine Jugendlichen".
Dammann weiß auch von Funktionären, die, wohl aus gleichem Beweggrund, junge Gewerkschafter unter Druck setzten, die sich gegen Rassismus stark machten. Wohltuend und "mutig" hingegen nennt sie, was der DGB-Vorsitzende Dieter Schulte zur WDR-Studie sagte: Sie sei ein "Glücksfall", weil sie zeige, wie gefährdet die Gewerkschaften von rechts außen seien und weil sie bestätige, daß die Bildungsangebote ganz offensichtlich nicht ausreichten. Nachsatz der Journalistin: "Kurz danach wurde der Haushalt des DGB für Bildungsprogramme von 300 000 auf 180 000 Mark zusammengestrichen."
45 junge ÖTV-Mitglieder, überwiegend aus Hessen, aber auch aus neuen Bundesländern, hatten sich im "Haus der Gewerkschaftsjugend" in Oberursel zusammengefunden, dessen Existenz bedroht ist, weil der Gewerkschaftsbund über einen Verkauf der Liegenschaft "nachdenkt". Kein Thema jedenfalls in dieser "Fastnacht" im Karl-Marx-Saal, zumal die Euro-Bank als potentielle Käuferin soeben offenbar ihr Interesse verloren hat.
Um den "Abschied von bequemen Antworten" ging es der ÖTV, die sich als erste Einzelgewerkschaft mit Rechtsextremismus in ihren Reihen beschäftigt. Gefunden freilich wurden eher unbequeme Fragen: Ist der Deutsche Gewerkschaftsbund vielleicht "zu deutsch" oder gar "völkisch", wie ein Teilnehmer mutmaßte. Gibt es tatsächlich eine vergleichbare Organisationsstruktur hier wie rechts außen, nämlich in beiden Fällen "autoritär, zentralistisch, patriarchalisch"? Stimmt es, daß sich in der Kapitalismus-Kritik Sprache und Inhalte gleichen? Welche Folgen hat der "Standortnationalismus", den eine Teilnehmerin als "Virus" bezeichnete?
Schwierige Antwortsuche in Arbeitskreisen. Was kann gewerkschaftliche Bildungsarbeit überhaupt leisten, kommt die rechtsextreme Zielgruppe denn zu Seminaren? Stellung beziehen, ja - aber wo, wie und auf welchen Ebenen? Konsens in vielen Punkten: Keine Ausgrenzung nach dem Schema "Wir und Die". "Laßt die Leute aus vermeintlich rechtem Spektrum ihre Positionen darlegen", fordert der ÖTVler aus Brandenburg.
Kontroversen Dialog über politische Themen vermißt er, die Gewerkschaftsarbeit werde doch bestimmt von "tarif-, arbeits- und sozialrechtlichen Geschichten und von gut bezahlten Funktionären". "Arbeitnehmerbewegung statt Tarifmaschine" stand am Ende in fetten Buchstaben auf der Pinnwand.
Die hessische ÖTV-Jugendbildungsreferentin Cornelia Kröll und ÖTV-Bundesjugendsekretär Steffen Kühirt bezeichnen das Oberurseler Treffen als Auftaktveranstaltung für eine Vielzahl von Arbeitskreisen und Seminaren zu diesem "besorgniserregendem Thema". Die Wertediskussion müsse wieder geführt werden im DGB und zunächst "im eigenen Laden", lautet ihre Erkenntnis.
Die Düsseldorfer Zentrale selbst will keineswegs kneifen, heißt es dort. Das Thema "Rechtsextremismus und Gewerkschaften" sei lediglich verschoben worden ("wegen Kosovo"), stehe aber auf der Tagesordnung der nächsten Hauptvorstandssitzung.
aus: Frankfurter Rundschau vom 12.07.1999