LabourNet Germany Dies ist das LabourNet Archiv!!! Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Home Über uns Suchen Termine

 

Es bleibt hoher Diskussionsbedarf

Zum Bericht der Kommission Rechtsextremismus des DGB

 

Im März 2000 hat die Kommission Rechtsextremismus des DGB einen Bericht zu gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Handlungsperspektiven gegen Rechtsextremismus vorgelegt. Sie setzte sich aus VertreterInnen unterschiedlicher gewerkschaftlicher Ebenen zusammen, ihre Arbeit geht auf einen Beschluss des Bundeskongresses 1998 zuruck. Zum Ausgangspunkt wird vermerkt: "Zur Umsetzung des handlungsorientierten Auftrages der Kommission ... war eine Auseinandersetzung mit empirischen und theoretischen Forschungsergebnissen unerlässlich, zumal das Thema sowohl begrifflich als auch in Bezug auf die Ursachenanalyse als uneindeutig zu verzeichnen ist.

Die durch die Medien oftmals fokussierte, d.h. verengte und mit Vorurteilen aufgeladene Betrachtungsweise, in der Rechtsextremismus als Jugend- oder ostdeutsches Problem erscheint, legt zudem eine komplexe Annäherung an das Phänomen Rechtsextremismus nahe." (Bericht der Kommission Rechtsextremismus im Auftrage des DGB-Bundesvorstandes, S, 4. Zugrunde gelegt ist ein maschinenschriftliches Exemplar des Berichts, da die gedruckte Fassung noch nicht vorlag.))

Der Bericht ist in drei Schwerpunkte untergliedert:

 

Die Erscheinungsebene

Die Erscheinungsebene wird unter vier Gesichtspunkten untersucht: rechtsextremes Einstellungspotential, Wahlbereitschaft und -verhalten, Rechtsextremismus als Jugendproblem und rechtsextreme Orientierungen von Gewerkschaftsmitgliedern.

Schon die Eingangsthese offenbart indes nahezu totale Geschichtslosigkeit als einen wesentlichen Mangel. Anfang der neunziger Jahre, so heißt es, habe sich der Rechtsextremismus in Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen "in die politische Kultur des wiedervereinigten Deutschland eingebrannt." Nicht ein unseliges Kapitel deutscher Geschichte sei zurückgekehrt, vielmehr habe die Geschichte ein neues Kapitel aufgeschlagen, das mit der Begrifflichkeit "Rechtsextremismus" vielleicht nur ungenau überschrieben sei: "Er folgt keiner einheitlichen Ideologie, sondern umfasst unterschiedliche, miteinander konkurrierende Sichtweisen und Zielsetzungen, was sich hierzulande auch in der organisatorischen Zersplitterung der extremen Rechten widerspiegelt." (Kommissionsbericht, S. 4.)

Dazu ist mit Nachdruck zu bemerken: Rechtsextremismus hat (in historisch unterschiedlicher Ausprägung) in beiden Teilen Deutschlands eine weitaus längere Geschichte als von der Kommission geschildert. Ideologische und organisatorische Traditionen sind für eine zutreffende Analyse von erheblicher Bedeutung. Insofern ist die Betrachtung von Kontinuitäten sowohl auf der ideologischen als auch auf der organisatorischen Ebene unerlässlich. Eine Begründung für das Ausblenden all dessen, was vor 1990 war, wird dennoch nicht geboten.

Richtigerweise untersucht der Bericht die Frage, ob Rechtsextremismus ein Jugendproblem sei und warnt davor, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt als Ausdrucksformen von Entwicklungsproblemen und Sozialisationsdefiziten oder als neue Form des Jugendprotestes zu behandeln: "... die Täter verstehen sich als diejenigen, die entschlossen etwas ausführen, wovon die Erwachsenen immer nur reden." (Bericht, S. 9.) Die daran anknüpfende Frage nach der Verbreitung rechter Bewusstseinsstrukturen und Deutungsmuster in der Gesellschaft wird indes nicht gestellt, allein Jugendliche bleiben Gegenstand der Betrachtung. Zudem verliert sich die weitere Diskussion dieses Themenkomplexes zunehmend in Kategorien, die der Gefährlichkeit des Rechtsextremismus nicht gerecht werden: "Fremdenfeindliche oder rassistische Straftaten werden in der Regel von oder aus informellen Gruppen heraus begangen, die schwach organisiert und instabil sind. Selbst bei schweren Delikten findet keine längerfristige Planung statt... Die gewaltbereiten Subkulturen ... existieren nicht als das Ergebnis einer geplanten Strategie und sind nicht von oben gesteuert..." (Bericht, S. 10f.) Dies alles unterschlägt den hohen Grad an gemeinsamer Ideologie der TäterInnen, ihre zunehmende Vernetzung und ihre informellen Strukturen. Gleiches gilt fur die Beschreibung des "Rechtsextremismus ostdeutscher Prägung" als "schwach organisiert, spontan und besonders aggressiv." (Bericht, S. 11) Auch dies ist verharmlosend: Die rechte Szene im Osten Deutschlands folgt ebenso wie die westdeutsche einer gemeinsamen Ideologie, auch sie agiert längst organisiert, wenn auch nicht immer in sofort erkennbaren Formen. Der Verfassungsschutzbericht 1999 beschreibt für die östlichen Bundesländer die wachsende gegenseitige Durchdringung von Skinhead-Szene und neonazistischen Gruppen bzw. rechtsextremen Parteien. Dieser Prozess funktioniert über Einzelpersonen, die sich verstärkt politisch betätigen, denen Mitglieder der bisherigen Clique folgen, ohne ihr bisheriges subkulturelles Milieu zu verlassen. Zumindest zum Teil wird dies von Parteien wie der NPD organisiert. (Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz 1999, S. 29f.) Auch wenn dies eine erst begonnene Entwicklung ist, so ist es doch fahrlässig, sie nicht einzubeziehen.

Leider wird auch die Frage rechtsextremer Orientierungen von Gewerkschaftsmitgliedern nur mit empirischen Daten aus dem Jugendbereich behandelt. Aus dem Blick geraten dadurch Fragen, die sich auf das Bewusstsein anderer Gewerkschaftsmitglieder beziehen. Auch wird nicht danach gefragt, inwiefern gewerkschaftliche Forderungen und Positionen selbst ungewollte Anknüpfungspunkte für rechte Politikmuster bieten und Gewerkschaften dadurch rechtsextremen Deutungsmustern Vorschub leisten. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Standortort- und Globalisierungsdebatten, in denen Gewerkschaften häufig die Verteidigung nationaler Wirtschaftsinteressen und deutscher Arbeitsplätze proklamieren, ohne die Konsequenzen des internationalen Verdrängungswettbewerbes für andere Völker und Kontinente zu kritisieren. Natürlich ist dies nicht gleichbedeutend mit der bekannten DVU-Forderung "Deutsche Arbeitsplätze zuerst für Deutsche", doch können rechte Ideologen ohne weiteres an eine Logik gewerkschaftlicher Argumentation anknüpfen, die es versäumt, auf die Unteilbarkeit der Menschenrechte und der Forderungen nach sozialer Sicherheit für alle Menschen, ungeachtet ihrer Herkunft und Hautfarbe hinzuweisen.

Auch in der gegenwärtige Debatte um die Einführung von "green cards" für ausländische IT-Spezialisten bieten die gewerkschaftlichen Argumente entsprechende Anknüpfungspunkte: Die stellvertretende DGB- Bundesvorsitzende Ursula Engelen-Kefer bspw. warnte Anfang April 2000 wörtlich vor einem "zu großen Öffnen der Schleusen" und forderte klare "Abgrenzungskriterien". An einer gesetzlichen Arbeitsmarktprüfung und dem Vorrang inländischer Arbeitskräfte müsse ebenso festgehalten werden wie an einer Prüfung der Qualifikation und der Begrenzung der "green card" auf Hochqualifizierte. (Presseerklarung des DGB vom 7. April 2000.) Bereits einen Monat zuvor hatte sie sich "gegen eine generelle Öffnung der Grenzen für ausländische Arbeitnehmer" ausgesprochen (Frankfurter Rundschau vom 6. März 2000). So richtig es ist, dass in diesem Zusammenhang auf die Ausbildungsversäumnisse der Vergangenheit ebenso hingewiesen wird wie darauf, dass viele Unternehmer ausländische Spezialisten wohl nur in der Hoffnung auf Lohndumping und ungeschutzte Arbeitsverhältnisse anwerben wollen, so wenig sollten gewerkschaftliche Äußerungen sich an Nützlichkeitskriterien und einer Ausgrenzung Nicht-Deutscher orientieren. Stattdessen könnte die Diskussion um "green cards" Anlass zur Darstellung (und Weiterentwicklung) gewerkschaftlicher Positionen zum gegenwärtigen Ausländer- und Asylrecht ebenso wie zum Arbeitsverbot für Flüchtlinge durch das SGB III sein.

 

Zur Frage der Ursachen

Bei der Frage nach den Ursachen stellt die DGB-Kommission zunächst eine "erhebliche analytische Unschärfe des Rechtsextremismus-Begriffs" ebenso fest wie die Tatsache, "dass es keinen Konsens über Begriffe, folglich auch nicht über den Forschungsgegenstand gibt." (Bericht, S. 15.) Dann werden vier wissenschaftliche Theorien näher dargestellt, die mögliche Wege des Individuums zum Rechtsextremismus zum Gegenstand haben. Die Frage nach gesellschaftlichen Ursachen und Verantwortungen wird allein für die ehemalige DDR thematisiert: "Die DDR war ein nationalistischer und ethnozentristischer Staat, der trotz internationalistischer Lippenbekenntnisse den Interessen und dem Wohlbefinden seiner Bürger absoluten Vorrang einräumte." (Bericht, S. 22.) Nur: Warum wird nicht nach der Verantwortung bundesdeutscher Politik und Gesellschaft der neunziger Jahre für den Rechtsextremismus gefragt? Immerhin zitiert die Kommission doch einen Aufsatz Christoph Butterwegges, der vor einer Reduzierung der Analyse auf individuelle Ebenen warnt und die Einbeziehung gesellschaftlicher Versäumnisse fordert. (Christoph Butterwegge: Rechtsextremismus bei Jugendlichen, in: Jens Mecklenburg, Hrsg.: Handbuch deutscher Rechtsextremismus, Berlin 1996, S. 755.) Dazu liefert Butterwegge Stichpunkte: die Beschneidung demokratischer Grundrechte, die Schürung von Ängsten vor "Überflutung" und "Überfremdung" im Rahmen der Asyldiskussion zu Beginn der neunziger Jahre, die Refunktionalisierung des Krieges als eines scheinbar "normalen" Mittels der Politik, den Kampf um ökonomische Einflusssphären, Leistungsdruck und Verdrängungswettbewerb im Inneren. Ihre Diskussion im Kommissionsbericht als Gesamtkomplex gesellschaftlicher Versäumnisse aber unterbleibt, Butterwegge wird lediglich unter dem Stichwort "politischer Kultur" betrachtet.

Zurück zum Bericht. Er stellt am Ende einer Darstellung unterschiedlicher Forschungsrichtungen zur Ursachenanalyse fest, dass sie bisher weitgehend unverbunden nebeneinander standen, obwohl jedes Modell Bausteine zu einer allgemeinen Theorie beinhalte. Eine Synthese sei möglich, wenn sich die jeweilige Forschungsrichtung von ihrem Erklärungsmonopol verabschiede. Hier darf indes zum einen bezweifelt werden, dass die aufgeführten Theorieansätze tatsächlich für sich ein Erklärungsmonopol reklamieren, zum anderen dass eine solche Synthese tatsächlich weiterhelfen würde.

Ein letzter Abschnitt der Ursachendiskussion fragt noch einmal gesondert nach den Gewerkschaftsmitgliedern: "Die Erkenntnis, dass fremdenfeindliche und rassistische Einstellungen auch unter Gewerkschaftsmitgliedern virulent sind, ist weder neu noch sonderlich überraschend. Gewerkschaften existieren nicht im luftleeren Raum, sie atmen die gleiche, mit Vorurteilen und fremdenfeindlichen Parolen angereicherte Luft wie die übrige Gesellschaft... Insofern liegen die fremdenfeindlichen Einstellungen der Gewerkschaftsmitglieder gewissermaßen im Trend..." (Bericht, S. 24.) In Richtung auf die Gewerkschaftspolitik wird gefragt, ob sie nicht die Konfliktpotentiale einer multiethnischen Gesellschaft ebenso unterschätzt hatten wie die aushöhlende Wirkung von Modernisierungsprozessen auf Solidarstrukturen und kollektive Identität der Mitglieder. Und: Sie hätten durch den Wandel zu modernen Dienstleistungsorganisationen die Mitgliedermotivation von Gemeinschaftsgefühlen auf Nutzenkalküle umgestellt, was wiederum in Krisenzeiten zu Diskriminierung und Ausgrenzung ausländischer Arbeitnehmer führen könne.

Dies alles greift zu kurz: Natürlich ist längst bekannt, dass sich Gewerkschaftsmitgliedschaft und Fremdenfeindlichkeit nicht ausschließen. Dennoch muss kritischer analysiert werden: Die Gewerkschaften begreifen sich seit ihrer Entstehung als Bestandteil einer internationalen Emanzipationsbewegung, sie setzen sich sehr praktisch für die Aufhebung von Konkurrenz- und Leistungsdenken ein. In ihrer Programmatik und in vielerlei öffentlichen Äußerungen werden Rassismus und Rechtsextremismus verpönt, wird auf die antifaschistischen Traditionen des Widerstandes und der Verfolgung Bezug genommen. Hierauf gründeten sich auch die gewerkschaftlichen Programme 1945. Dies gibt schon einen besonderen Hintergrund dafür ab, dass ein Teil der Mitglieder rassistischen und nationalistischen Thesen zustimmt, rechtsextremen Parteien bei Wahlen sogar seine Zustimmung gibt, wie dies in der Tat bereits vor Jahren durch eine Studie aus Tübingen nachgewiesen wurde, ohne dass es seitdem eine breite gewerkschaftliche Diskussion darüber gegeben hatte. (Josef Held u.a.: Politische Orientierungen von jugendlichen ArbeitnehmerInnen, Tübingen 1994.) Diese Erkenntnisse dürfen nicht als normal oder alltäglich hingenommen, sondern müssen als Politikaufgabe für die Gegenwart definiert werden. Hier stellt sich noch einmal die Frage nach Ansatzpunkten für rechte Deutungsmuster in der Gewerkschaftspolitik selbst: Das Eintreten für einen starken "Standort Deutschland" im internationalen Konkurrenzkampf ohne die Thematisierung internationaler Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse und ihrer Folgen für die Menschen außerhalb der kapitalistischen Wirtschaftszentren ist ein ungewolltes, aber gleichwohl vorhandenes Scharnier für die rassistische Ideologie rechter Gruppen und Organisationen: "Arbeit zuerst für Deutsche". Eine kritische Diskussion über die Rolle der deutschen Ökonomie im internationalen Verdrängungswettbewerb, über ihre Verantwortung für weltweite Flüchtbewegungen und über politische Alternativen dazu ist vonnöten, auch in den Gewerkschaften selbst. Dies gilt gleichermaßen für eine Debatte über den Umgang mit Flüchtlingen im eigenen Land und in den eigenen Organisationen.

 

Handlungsfelder

Den Abschluss des Berichtes bilden Vorschläge für künftiges Handeln gegen Rechtsextremismus, die in folgende Ebenen untergliedert sind: Betrieb, gewerkschaftliche Bildungsarbeit, Schule/Berufsschule, Medien/Öffentlichkeit sowie Politik.

Einleitend wird mit Recht darauf verwiesen, dass differenzierte Antworten gefragt sind und dass die Verortung der Auseinandersetzung mit rechtsextremistischem Denken und Handeln als strategische Zukunftsaufgabe, die auf allen Organisationsebenen in Angriff genommen werden muss, eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiches Handeln sei. (Bericht, S. 28.) Gegenüber allen Überlegungen, Gewerkschaftspolitik künftig auf sogenannte Kernaufgaben zu reduzieren und gesellschaftspolitische Gestaltungsansprüche anderen zu überlassen, wird hier ein Anspruch formuliert, der der gesellschaftspolitischen Bedeutung von Gewerkschaften gerecht werden würde.

Leider verschwimmt dieser Anspruch wenig später, wenn die Kommission das Ziel formuliert, die Gewerkschaften sollten an der Herstellung eines gesellschaftlichen Klimas mitwirken, "in dem sich Demokratie und Toleranz besser entfalten können. Das bedeutet, dass das Konkurrenz- und Leistungsprinzip mit den demokratischen Grundwerten Gleichheit, Toleranz, Solidarität und Selbstbestimmung in Einklang stehen muss." (Bericht, S. 28.) Wie dies konkret aussehen soll, darüber schweigen die Autoren mit gutem Recht, denn hier sollen Prinzipien und Werte miteinander in Einklang gebracht werden, die schlechterdings unvereinbar sind. Eine kapitalistische Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft unterdrückt immer die Selbstbestimmung der einzelnen Menschen, unterdrückt auch Solidarität und Toleranz. Das Wissen darum gehört zu den Grundlehren der organisierten Arbeiterbewegung. Notwendig ist stattdessen eine Diskussion darüber, wie Gewerkschaften heute das Konkurrenz- und Leistungsprinzip aufheben wollen, eine Utopiediskussion, die seit zehn Jahren ruht, aber dringend notwendig ist.

Insgesamt sind die Einzelabschnitte dieses Teils eher halbherzig und unsystematisch. Bisherige Erfahrungen und Diskussionen werden selten aufgenommen, konkrete Handlungsvorschläge mit vagen und zum Teil inhaltsleeren Appellen umgeben. Für die Schulen und Berufsschulen wird mit Recht ein hoher Stellenwertreklamiert: "Denn Schule ist der Ort, den alle Kinder und Jugendlichen durchleben und wo sie bis zum Ende ihrer Schulpflicht einen Großteil ihrer Zeit verbringen; es ist zugleich der Ort, der ... nach wie vor prägenden Einfluss auf die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen ausübt." (Bericht, S. 35.) Die auf dieses Handlungsfeld gerichteten Vorschläge aber bleiben unkonkret: Kinder und Jugendliche sollen hier auf das Zusammenleben in einer multiethnischen Gesellschaft vorbereitet werden: Was heißt das konkret? Sie sollen als politische Subjekte im Unterricht ernstgenommen werden, doch die dazu nötige Aufhebung eingefahrener Hierarchien und Strukturen an den Schulen bleibt ebenso unausgesprochen wie die Notwendigkeit einer entsprechend systematischen Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern.

Der Abschnitt zur gewerkschaftlichen Bildungsarbeit wiederum benennt richtigerweise die Begrenztheit ihrer Reichweite, beschreibt aber zumindest einzelne wichtige Prinzipien, die davor schützen sollen, selbst rechtsextremistischen Orientierungen Vorschub zu leisten, wie z.B. dass die Selbstverständlichkeit, mit der Minderheiten diskriminiert und ausgegrenzt werden, ins Blickfeld der Bildungsarbeit (damit auch der Referenten) gerückt werden muss. Die gewerkschaftliche Diskussion um eine entsprechende Bildungsarbeit indes ist schon weiter: Seit Jahren liegt vom DGB-Bildungswerk in Thüringen ein "Baustein nicht-rassistischer Bildungsarbeit" vor, der die Diskussion systematischer führt und beispielhafte Vorschläge für die Seminardiskussion enthält. Seine Vorschläge und Erfahrungen aus seinem Einsatz in gewerkschaftlicher Bildungsarbeit hätten diesen Abschnitt konkreter gemacht.

Der Bericht mündet schließlich in das Handlungsfeld Politik. Insbesondere wird dafür geworben, das Thema "Deutschland ist ein Einwanderungsland" auf die politische Tagesordnung zu setzen, um eine Normalisierung des Verhältnisses zwischen den Bevölkerungsgruppen herbeizuführen. Unerklärlich ist, warum in diesem Zusammenhang auf die Formulierung gewerkschaftliche Anforderungen für eine solche Diskussion verzichtet wird.

Vor allem aber setzt dieser Abschnitt auf die Realisierung des Koalitionsvertrages der Bundesregierung, der die Bekämpfung des Rechtsextremismus zu einem Schwerpunkt erklärt und die Bildung eines Bündnisses für Demokratie und Toleranz angekündigt hatte. Die Unterstützung bereits bestehender Bündnisse durch die Gewerkschaften wird unterstrichen: "Für die Gewerkschaften ist die Mitarbeit bzw. die Koordinierung von Netzwerken zur Unterstützung der eigenen Positionen auf den verschiedenen politischen Ebenen wichtig." (Bericht, S. 40/41.) Auffällig ist die starke Orientierung an Vorhaben und Absichten der Bundes- und einzelner Landesregierungen. Dafür bleibt eine andere Ebene ausgeblendet: die des gewerkschaftlichen Verhaltens dort, wo Neonazis Hegemonie aufbauen bzw. bereits aufgebaut haben, dort, wo tätliche Angriffe auf Flüchtlinge und/oder Andersdenkende ebenso zum Alltag gehören wie neonazistische Aufmärsche. Der Bericht hatte diese Fragen stellen dürfen, denn viel zu oft wird vor Ort aus unterschiedlichen Gründen zur Zurückhaltung gegenüber dem Auftreten rechter Gruppen und Organisationen gemahnt, obwohl Gewerkschaften sowohl aus ihrer Geschichte als auch aus ihrem Selbstverständnis heraus eine Pflicht zum Handeln hatten.

Fazit: Es ist von hoher Bedeutung, dass der DGB die Kommission eingesetzt hat. Das erste Mal in den vergangenen fünfzig Jahren haben sich die Gewerkschaften in dieser Form des Themas angenommen. Aber: Der vorliegende Bericht darf nicht Schlusspunkt der Diskussion sein, sondern Auftakt. Zu viele Fragen sind offen geblieben oder gar nicht gestellt worden. Insoweit gibt es noch viel Diskussionsbedarf. Die Kommission Rechtsextremismus hat die Einrichtung einer Projektgruppe vorgeschlagen, um die weitere Entwicklung zu beobachten, bisherige gewerkschaftliche Aktivitäten zusammenzufassen und Informationsmaterialien zu entwickeln. Der Aufgabenkatalog dieser Projektgruppe sollte offener gestaltet werden, zudem sollte sie ihre Arbeit stärker mit ortlichen Erfahrungen vernetzen, als dies der Kommission offenbar gelungen ist.

Michael Ebenau

Dieser Artikel ist erschienen in der Zeitschrift Sozialismus 7/8 vom Juli/August 2000

Home
LabourNet Germany: http://www.labournet.de/
LabourNet Germany: Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch
The virtual meeting place of the left in the unions and in the workplace
Datei:
Datum: