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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Argumente zum "Krieg gegen den Terror" von Winfried Wolf Der 11. September 2005 ist der vierte Jahrestag der Terroranschläge von New York und der vierte Jahrestag eines "Krieges gegen Terrorismus", den US-Präsident George W. Bush verkündete und dem sich die Regierungen der westlichen Welt anschlossen. In diesen vier Jahren hat sich die Welt dramatisch verändert. Es gibt eine neue Welle der Aufrüstung. Es gab zwei weitere große Kriege - gegen Afghanistan und im Irak. Es droht ein neuer Krieg - gegen den Iran. Es gibt einen weitreichenden Abbau demokratischer Rechte. Es gibt weltweit einen Umverteilungsprozess von unten nach oben und einen Abbau sozialer Scherungen, womit Aufrüstung und Kriege finanziert werden. Was es nicht gab, war ein Rückgang des Terrorismus. Im Gegenteil. "Der Krieg kommt zu uns", urteilt Tariq Ali anlässlich der Bombenanschläge in London (siehe neue ZgK 21, Seite 12). Welche Argumente zur Rechtfertigung im "Krieg gegen den Terror" gibt es und wie sind sie zu beantworten? Argument 1 Man kann sich vor den Terrorakten nicht schützen, wie sich bei den Anschlägen von Madrid und London zeigte. Die Attentäter entsprechen meist gerade nicht den Kriterien von "fundamental-islamistischen Terroristen". Viele von ihnen kamen aus der Mittelschicht, waren sozial integriert und nicht - oder nur begrenzt - religiös. Menschen, die bereit sind, sich bei dem Attentat selbst zu töten, fürchten sich nicht vor verschärften Haftbedingungen oder drakonischen Strafen. Die gewählten Anschlagsorte sind eher beliebig und nicht umfassend überwachbar. Mit den meisten debattierten Gegenmaßnahmen sind oft noch größere Gefährdungen als durch das mögliche Attentat verbunden. Bereits seit September 2004 gilt hierzulande das "Luftsicherheitsgesetz", wonach der Verteidigungsminister anordnen kann, ein entführtes Passagierflugzeug durch Kampfflugzeuge abschießen zu lassen. Wird der Rechtsgrundsatz der "Verhältnismäßigkeit der Mittel" dann vom Flugzeugtyp mitbestimmt? Abschuß einer Cessna - soweit nicht Schrempp an Bord ist - ja, Abschuß eines Großraum-Airbus´ A380 mit 600 Personen an Bord wohl eher nicht? Als nach dem Absturz eines Kleinflugzeugs nahe dem Berliner Reichstag der Einsatz von Kampfhubschraubern gefordert wurde, stellte Verkehrsminister Manfred Stolpe die eher unerwartet gute Frage: "Etwa ein Luftkampf über der Friedrichstraße"? Argument 2 Die meisten Religionen enthalten repressive Elemente. Kehren wir vor der Tür des Abendlandes. Selbst wenn die massenhaften Verbrechen des Christentums im Mittelalter - mit der Ermordung zehntausender Menschen, vor allem Frauen, auf Scheiterhaufen und mit bestialischen Metzeleien der Kreuzritter im Nahen Osten - nur gestreift werden, so gibt es auch beim Christentum der Moderne eine vielfache Missachtung von Demokratie und Geschlechtergleichheit - damit zusammenhängende Verbrechen inbegriffen. Die tausendfachen Kinderschändungen, die Mitglieder des Katholischen Klerus in den letzten Jahrzehnten begangen haben und die in Ländern wie Irland, Australien, USA, Kanada, Österreich und Portugal (dies ist eine Auswahl!) bekannt geworden sind, stehen unzweifelhaft in einem Zusammenhang mit der Sexualfeindlichkeit dieser Kirche. Die Gleichheit von Mann und Frau wird durch das Zölibat unzweideutig negiert. Im Zentralkomitee der Katholiken sind (noch) weniger Frauen vertreten als im ehemaligen ZK der SED präsent waren. Unter den 500 größten Konzernen der Welt haben nur vier eine Frau als Boss. Kanzler Schröder sprach von "Frauen und solches Gedöns". Paul Kirchhof, der zukünftige Finanzminister unter Maggy A. Merkel, erklärt, die "traditionelle Familie verteidigen" zu wollen, wonach "die Frau ihre Karriere in der Familie macht". Die Einrichtung von Militärgeistlichen, die ja auch in den modernen, völkerrechtswidrigen Kriegen Trost und Segen spenden, stellt Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen und Terror dar. Argument 3 Die meisten Maßnahmen, die im "Krieg gegen den Terror" propagiert und praktiziert werden, verletzen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, teilweise stellen sie den Rechtstaat grundsätzlich in Frage. Die US-Regierung hat seit 2001 in der Welt ein System von mehr als einem Dutzend geheimer Gefängnisse eingerichtet. Des Terrorismus verdächtige Personen werden gekidnappt, entführt, in einen solchen Knast gebracht, oft gefoltert und ermordet. Diesen Personen werden alle Grundrechte verweigert. Dieses System ("Rendition") untersteht keiner parlamentarischen Kontrolle. Der US-Präsident nickt die Namenslisten pauschal ab, der Pentagon-Chef kontrolliert und organisiert die Menschenjagd im Konkreten. Typisch USA? Möglich. Doch die Bundeswehreinheit KSK "arbeitet" seit zwei Jahren ebenfalls außerhalb jeglicher parlamentarischen Kontrolle und betreibt in Afghanistan offensichtlich Menschenjagd (ohne Gefangene zu machen). Folter stellt per definitionem die Verletzung von Rechtsstaats-Prinzipien dar. Sie wurde nicht nur in Abu Ghraib praktiziert, sondern bei der Bundeswehr (Kaserne Coesfeld) geübt. Inzwischen sind in vielen westlichen Staaten flächendeckende Lauschangriffe, Hausarrest von "Gefährdern", die Überwachung des Leseverhaltens von Bibliotheken-Benutzern und neue Berufsverbote möglich - alles Verletzungen von Rechtsstaats-Grundsätzen. Seit Mai 2004 haben US-Behörden direkten Zugriff auf Daten von Fluggästen, die von einem Flughafen in der EU in die USA fliegen. Übermittelt werden hochsensible Daten wie Reiseverlauf, Hotelbuchungen, Bonusmeilen, Kreditkarten, Telefonnummern, Krankheiten, spezielle Essenswünsche ("moslem meal"?). Auch dies ist ein eklatanter Verstoß gegenüber Rechtsstaatsprinzipien. Wobei hinzu kommt, dass der EU-Rat und die EU-Kommission, also die Exekutive, dieses Abkommen mit den USA schlossen, obwohl das EU-Parlament, die Legislative, Nein gesagt hatte. Argument 4 Das Verblüffende - und dann wieder Verständliche - an der Debatte über Terrorismus und den "Krieg gegen Terrorismus" ist, dass kaum jemand das Naheliegende sagt - das, was die britische Autorin A.L. Kennedy nach den Terrorakten in London äußerte: "Niemand erwähnt, dass die Zahl der Opfer, so schrecklich sie war, in Bagdad an den meisten Tagen als recht gemäßigt gelten würde. Niemand erwähnt, dass Blair mit seinem Entschluß, unsere Soldaten für Profite in den Krieg zu schicken, auch sein Land in Gefahr gebracht hat. Niemand erwähnt, dass unsere Aktionen die Häufigkeit und Intensität der Terroranschläge nur erhöht haben. Niemand erwähnt, dass wir selbst das Foltern von Gefangenen mit der Behauptung gerechtfertigt haben, dadurch könnten Anschläge wie diese verhindert werden. Niemand erwähnt, dass für weite Teile der Welt wir die Terroristen sind." Man kann viel tun und man muß das Entscheidende tun: Erkennen, wohin der "Krieg gegen den Terror" geführt hat und wohin er noch führen muß: auf eine schiefe Ebene, die zu flächendeckender Militarisierung der Gesellschaft und zum umfassenden Abbau von Demokratie - und in neue Diktaturen - führt. Vor allem schaffen die modernen westlichen Kriege die Voraussetzungen für neue Terrorakte. Der einzige wirksame Kampf gegen Terror ist die Bekämpfung des Unrechts und des Terrors, die mit diesen Kriegen und mit den Besatzungsregimes im Irak, in Afghanistan und auf dem Balkan verbunden sind. Die Forderung nach Abzug aller Bundeswehreinheiten aus dem Ausland ist moralisch richtig. Als Nebeneffekt stellt sie auch einen wirksamen Beitrag zur Reduktion von Terror dar. Dieser Beitrag erscheint in ZgK - Zeitung gegen den Krieg - Nr. 21
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