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Updated: 18.12.2012 15:51
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Neue Willkürparagraphen Bundesregierung plant Ausweitung der Antiterrorgesetze  

Von Nick Brauns (*)

»Jedes Herz eine Revolutionäre Zelle!« war eine Losung der gleichnamigen Westberliner Stadtguerilla. Dies scheint auch die Befürchtung der Bundesregierung zu sein: So prüft das Justizministerium die Ausweitung des sogenannten Antiterrorparagraphen 129 a (»Bildung einer terroristischen Vereinigung«) auf Einzeltäter. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktionsabgeordneten Ulla Jelpke hervor (BT-Drucksache 16/5547).

Die Notwendigkeit zur Einführung der Zusätze 129 c und 129 d begründet die Regierung mit den angeblich geplanten Anschlägen auf zwei Regionalzüge in Dortmund und Koblenz im Juli 2006. Gegen einen der mutmaßlichen Attentäter hat die Bundesanwaltschaft dieser Tage Anklage wegen versuchten Mordes und versuchter Herbeiführung eines Sprengstoffanschlages erhoben. Der Vorwurf der »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« fehlt hingegen zum Erstaunen der Presse. Es konnte kein dritter Täter ermittelt werden, so die Bundesanwaltschaft. Zur Bildung einer terroristischen Vereinigung sind allerdings mindestens drei Personen notwendig. Zwar ist auch Mordversuch strafbar, doch offenbar wünscht sich die Bundesregierung, die Sonderbefugnisse des Paragraphen 129 a auch bei Einzeltätern ausnutzen zu können. Untersuchungshaft und die umfassende Überwachung des Telekommunikationsverkehrs könnten dann problemloser angeordnet, Verteidiger aus dem Verfahren ausgeschlossen werden.

Als »terroristisch« verfolgen will die Bundesregierung auch Einzeltäter für die bloße Planung möglicher Anschläge etwa durch die Verbreitung von Bombenbastelanleitungen oder das Beschaffen von Waffen. Bislang konnte dies lediglich als Verstoß gegen das Waffengesetz oder ähnliche minderschwere Straftaten verfolgt werden. Auch hier will die Regierung der Bundesanwaltschaft künftig das umfassende Instrumentarium des Terrorismusparagraphen zur Verfügung stellen. Wann die angebliche Vorbereitung eines Anschlages beginnt, ist dann wieder reine Auslegungssache der Staatsanwaltschaften. Einschlägige Erfahrungen gibt es genug. Bekanntlich horten Neonazis Waffen nur aus Prestigegründen oder zur Erinnerung an Opas Stalingradfeldzug, während bei Linken schon ein leerer Bierkasten und ein Reservekanister im Kofferraum als potentielles Bombenlabor ausgelegt wurde.

Nach einer Meldung der Tageszeitung Die Welt soll zwischen Bundesinnenminister Schäuble (CDU) und Bundesjustizministerin Zypries (SPD) bereits Einigkeit über die generelle Linie der geplanten Paragraphen 129c und 129d bestehen.

Gefragt hatte die Fraktion Die Linke auch nach bisherigen Erfahrungen mit dem Paragraphen 129 b, der sich gegen im Ausland tätige »terroristische Vereinigungen« richtet. Dieser Passus war nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eingeführt worden. 77 Ermittlungsverfahren seit Bestehen des §129b nennt die Bundesregierung, verweist aber darauf, daß weitere Verfahren nicht aufgeführt seien, da sie einer "besonderen Geheimhaltung" unterliegen.

Die Ermittlungsverfahren nach 129 b Strafgesetzbuch hätten sich als effizient erwiesen, teilte das Justizministerium mit. »Die Betroffenen stehen unter erheblichem Verfolgungsdruck. (...) Die ausländischen Partner registrierten ebenfalls sehr aufmerksam, daß organisationsgebundene Terroristen in Deutschland nunmehr keine strafrechtlichen Freiräume in Anspruch nehmen können.« Bei der Verfolgung von Vereinigungen außerhalb der Mitgliedsstaaten der EU nach §129b muß das Bundesjustizministerium die Genehmigung erteilen, nachdem das Bundeskanzleramt, das Auswärtige Amt und das Innenministerium benachrichtigt wurden. "Nach der deutschen Rechtssprechung verleiht das Ziel, völker- oder menschenrechtlich anerkannte Rechtspositionen durchzusetzen, jedenfalls nicht ohne weiteres die Befugnis zum gewaltsamen Vorgehen. (.) Vereinigungen, die solche Ziele verfolgen, könnten deshalb gleichwohl als kriminell oder terroristisch im Sinne der erweiterten §§129, 129a StGB eingestuft werden, wenn sie zum Mittel der Gewalt greifen", heißt es in der Gesetzes-Begründung (BT-Drucksache 14/8893). In der Praxis sei es bislang in keinem Fall strittig gewesen, ob eine zu verfolgende Gruppierung tatsächlich als terroristisch einzustufen sei, so die Bundesregierung in ihrer Antwort an die Linksfraktion. Tatsächlich hängt es von außenpolitischen Interessen der Bundesregierung und den Einschätzungen ihrer "Partner" ab, wer als Terrorist und wer als Freiheitskämpfer gilt.

So richtete sich ein Ermittlungsverfahren nach 129 b gegen die Hamas, die bei den palästinensischen Parlamentswahlen die Mehrheit der Stimmen erhielt, von Israel, den USA und der EU jedoch als terroristisch eingeschätzt wird. 13 Ermittlungsverfahren wurden gegen die marxistisch-leninistische Revolutionäre Volksbefreiungspartei/Front DHKP/C aus der Türkei eingeleitet, die auf türkischen Wunsch in die EU-Antiterrorliste aufgenommen wurde.
Gegen Al Qaida wurden lediglich fünf Ermittlungsverfahren nach 129 b eingeleitet, zwei weitere richteten sich gegen andere islamistische Gruppierungen.

Zum umfassenden Testfeld für den seit Mitte 2002 geltenden Strafrechtsparagraphen 129b scheint die im Nordirak aktive kurdische Gruppierung Ansar al Islam zu werden. 44 Ermittlungsverfahren richteten sich gegen die Ansar al Islam, in fünf Fällen kam es zur Anklage und in einem Fall zur Verurteilung. Mit zwei weiteren Verurteilungen in einem seit einem Jahr in München laufenden Verfahren gegen mutmaßliche Unterstützer und Geldsammler der Gruppe ist in diesen Tagen zu rechnen. Bei den übrigen §129b-Verfahren gegen andere Gruppierungen scheint dagegen keine Anklage wegen Terrorismus erfolgt zu sein. Hier diente der §129b - so wie in der Regel schon der 129 und 129a - als reines Ermittlungswerkzeug.

Für die Erprobung des §129b scheint Ansar als Islam aus mehreren Gründen geeignet. So wird diese Organisation im Gegensatz etwa zur Hamas auch vom UN-Sicherheitsrat als terroristisch eingestuft. Zudem geht die Islamistengruppe nicht nur bewaffnet gegen die US-Besatzungstruppen und deren irakische und kurdische Kollaborateure vor, sondern ist auch für Terroranschläge gegen Zivilisten und die Errichtung eines Taliban-ähnlichen Regimes in mehreren irakischen Dörfern verantwortlich. Daher ist die Ansar al Islam, der Verbindungen zur Al Quaida nachgesagt werden, auch unter den anderen irakischen Widerstandsgruppierungen weitgehend isoliert und dürfte kaum über größere Sympathien unter Antiimperialisten verfügen.

*) Es handelt sich um eine für das LabourNet Germany überarbeitete und ergänzte Fassung eines Beitrags von Nick Brauns für die junge Welt vom 25.6.07


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