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Freiheit verteidigen!

oder: Notstandspolitik ohne Notstand?

Aktualisierte Fassung der Thesen zu den innenpolitischen Konsequenzen aus den Anschlägen in den USA
Von Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion

Nach den Anschlägen in New York und Washington hat die PDS mit Blick auf die NATO-Strategie eine Politik der Deeskalation eingefordert. Dies muss auch für die Innenpolitik gelten. Die Angst, die viele Menschen jetzt verspüren, ist verständlich. Sie darf aber nicht in Hysterie umschlagen. Wer erinnert sich noch an den "Deutschen Herbst" 1977, als fast hinter jedem Baum ein Terrorist vermutet wurde? Unter den Nachwirkungen, nämlich dem Aufbau eines umfangreichen Repressionsapparates und der massiven Einschränkung von Bürgerrechten durch Sondergesetze, leiden wir heute noch. Die Ängste der Menschen dürfen nicht noch weiter geschürt werden. Die Innenpolitik darf nicht die Sorgen instrumentalisieren, um schon lang gehegte und bisher nicht umsetzbare Pläne zum Abbau von Bürgerrechten und zum Ausbau des Überwachungsstaates zu verwirklichen.

 

1. These: Ein liberaler Rechtsstaat bewährt sich in der Krise. Gerade jetzt müssen Menschen- und Bürgerrechte bewahrt, verteidigt und ausgebaut werden. Terrorismusbekämpfung muss mit der Bekämpfung von Ursachen beginnen.

Es ist nicht der Zeitpunkt, den Notstand auszurufen oder so zu tun, als sei er bereits eingetreten. Die entsprechenden Bestimmungen gehen von einer ganz konkreten, unmittelbar drohenden oder bereits eingetretenen, schwerwiegenden Bedrohung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland aus. Diese Lage ist nicht gegeben.

Terrorismus und Verbrechen bekämpft man nur erfolgreich, wenn man ihre Ursachen bekämpft – nicht durch Repression. Gerade jetzt gilt es, die gesellschaftlichen Grundwerte – Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität – zu bewahren und zu verteidigen. Bundespräsident Johannes Rau hat auf der Kundgebung am 14. September in Berlin die folgenden beachtlichen Sätze gesagt: "Wer den Terrorismus wirklich besiegen will, der muss durch politisches Handeln dafür sorgen, dass den Propheten der Gewalt der Boden entzogen wird. (...) Der beste Schutz gegen Terror, Gewalt und Krieg ist eine gerechte internationale Ordnung. Die Frucht der Gerechtigkeit wird der Friede sein."

Militär und Polizei sind strikt voneinander zu trennen. Und die Verfolgung von Terroristen wie von anderen Straftätern ist eine polizeiliche Aufgabe, nicht eine des Militärs oder eines Geheimdienstes. Sie hat ausschließlich auf rechtsstaatlicher Grundlage zu erfolgen.

Auch den Menschen moslemischen Glaubens gilt unsere Solidarität. Selbst wenn es sich bewahrheiten sollte, dass islamistische Fanatiker hinter den Anschlägen standen: Terrorismus ist kein Kennzeichen des Islam. Alle Menschen sehnen sich nach Frieden – unabhängig von ihrem Glaubensbekenntnis.

Deshalb kann die Konsequenz aus den Anschlägen auch nicht eine Verschärfung des Ausländerrechts sein. Unsere Gesellschaft muss sich als ein offenes Gemeinwesen verstehen und dieses Selbstverständnis auch verteidigen. Gegen Verbrechen hilft das Strafrecht. Das Zuwanderungsrecht ist hier das falsche Betätigungsfeld.

Liberalität beruht auf Selbstbewusstsein. Und Grundrechte bewähren sich gerade in der Krise. Weder den Terroristen noch denjenigen, die die Anschläge für ihre Zwecke auszubeuten versuchen, sollten wir erlauben, die Bürger- und Freiheitsrechte bis zur Unkenntlichkeit einzuschränken. Wie sagte der Vater der amerikanischen Verfassung, Benjamin Franklin: "Der Mensch, der bereit ist, seine Freiheit aufzugeben, um Sicherheit zu gewinnen, wird beides verlieren."

 

2. These: Die von Bundesregierung, Länderregierungen und CDU/CSU in Windeseile geschnürten "Sicherheitspakete" haben mit Terrorismusbekämpfung im eigentlichen Sinne nichts zu tun. Entweder handelt es sich um aktionistische Schnellschüsse oder um uralte Vorschläge, die nun schnell aus der Mottenkiste geholt worden sind. Sie gaukeln vor, mehr Sicherheit zu schaffen, führen jedoch allenfalls zu gravierenden Einschränkungen von Menschen- und Bürgerrechten.

Die Sicherheitsapparate agieren mit Rasterfahndung und anderen Maßnahmen, als sei bereits der Notstand ausgerufen worden. Die Bundesregierung hat mit den Ländern bereits wenige Tage nach den Anschlägen ein ganzes Paket neuer Sicherheitsgesetze und -maßnahmen in Angriff genommen. Dazu gehören Gesetze, die schon lange vor den Anschlägen fertiggestellt bzw. geplant worden waren, wie die Abschaffung des Religionsprivilegs im Vereinsrecht und der neue § 129b StGB.

Auch auf EU-Ebene haben die Innen- und Justizminister mit Billigung der Regierungschefs ein ganzes Paket von Maßnahmen vereinbart, die in den nächsten Tagen und Wochen näher konkretisiert und rasch umgesetzt werden sollen. Dies ist auch ein Weg, um Opposition im Bundestag gegen die Sicherheitspakete zu umgehen.

Gleichzeitig haben CDU und CSU-regierte Länder weitere Verschärfungen gefordert. Die Fachbeamten für Verfassungsschutz in Bund und Ländern beraten über ein sogenanntes "31-Punkte-Papier", das schon vor New York in den Schubladen der Schlapphüte gelegen haben soll und erhebliche Ausweitungen der Kompetenzen für die Verfassungsschützer propagiert.

Nur ein geringer Teil der vorgeschlagenen Maßnahmen hat überhaupt etwas mit einem Schutz gegen eine Wiederholung dieser oder vergleichbarer Anschläge, mit der Minimierung etwaiger Folgen und der Ergreifung der Täter zu tun (etwa die Verschärfung der Passagierkontrollen oder der Ausbau des Katastrophenschutzes). Von Ursachenbekämpfung im Umgang mit Terrorismus ist derzeit ohnehin nirgends die Rede.

Der mit Abstand größere Teil der nun aufgelegten "Sicherheitspakete" wird einzig und allein zu mehr Machtmitteln und Vollmachten für Polizei, Geheimdienste und Militär führen und zu einem Abbau von Bürgerrechten.

Hier der Versuch einer Übersicht über die wichtigsten Teile der derzeitigen Planungen und meine Position dazu.

 

Bundeswehreinsatz im Innern

Bayerns Regierungschef Stoiber und Bundesinnenminister Schily haben unmittelbar nach dem Anschlag erklärt, die Bundeswehr müsse notfalls auch im Innern zur Sicherung von Flughäfen oder herausgehobenen Einrichtungen eingesetzt werden. Dies ist klar verfassungswidrig. Verfassungsfeindlich ist auch der Vorschlag des SPD-Verteidigungsexperten Helmut Wieczorek, Einheiten von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz in Zusammenarbeit mit den Nachrichtendienst zu einer "neuen Art von Nationalgarde" zusammenzufassen. In einem Rechtsstaat haben Soldaten bei polizeilichen Aufgaben nichts zu suchen. Die Aufhebung der Trennung von Polizei, Militär und Geheimdiensten führt zu einer neuen "Geheimen Staatspolizei".

Trotzdem hat die Konferenz der Innenminister am 18.9.2001 beschlossen: "Verstärkter Einsatz der Bundeswehr zum Schutz militärischer Einrichtungen einschließlich der Prüfung der rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen für eine Unterstützung durch die Bundeswehr einschließlich der Prüfung der rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen für eine Unterstützung durch die Bundeswehr im Objektschutz an weiteren gefährdeten Objekten für den Fall, dass eine erhebliche Verschärfung der Sicherheitslage eine Dauerpräsenz durch die Länderpolizeien und den Bundesgrenzschutz unmöglich erscheinen lässt." (Presseerklärung des Landesinnenministeriums Sachsen-Anhalt zu den Ergebnissen der Tagung, Magdeburg, 18.9.2001)

Das ist eine Politik, die den Notstand vorbereitet und herbei redet, ohne dass dieser durch den Bundestag erklärt worden wäre.

Ausbau des Bundesgrenzschutzes

Bundesinnenminister Otto Schily hat angekündigt, den Bundesgrenzschutz um mehrere Hundertschaften verstärken zu wollen. Hierfür gibt es allerdings keinen akzeptablen Grund. Die über 38.000 Beamten und Angestellten des Bundesgrenzschutzes sind mehr als ausreichend für Aufgaben wie den Objektschutz oder die Sicherung des Flugverkehrs. Wenn Schily mehr Beamte für diese Aufgaben benötigt, dann soll er diese von anderen Aufgaben abziehen, zum Beispiel von der sicherheitspolitisch völlig überflüssigen Schleierfahndung an Bahnhöfen gegen Flüchtlinge. Seit Jahren sind zahlreiche BGS-Beamte einzig und allein damit beschäftigt, an Bahnhöfen und in Zügen die Papiere von Flüchtlingen zu kontrollieren und diese zu schikanieren. Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen kritisieren diese rassistischen Kontrollen schon lange und fordern deren Aufhebung. Wenn diese BGS-Beamten also zu vernünftigen Aufgaben abgeordnet würden, wäre damit allen gedient. Für einen dauerhaften Ausbau des Bundesgrenzschutzes, wie ihn Schily betreibt, gibt es dagegen keinen Grund. Zumal mit der kommenden EU-Osterweiterung die Grenzsicherungsaufgaben für den Bundesgrenzschutz weiter abnehmen werden.

Flugsicherung

Hier wird über den eigentlich naheliegenden Vorschlag, das Cockpit abzuschließen, um jedes Eindringen aus dem Passagierteil unmöglich zu machen, fast gar nicht diskutiert. Die Airlines müssten dafür nämlich umbauen, die Cockpits vergrößern, den Passagierteil verkleinern, hätten also sinkende Erlöse und steigende Kosten.

Kurz nach dem Anschlag haben Schily und Verkehrsminister Bodewig statt dessen eine Verschärfung der Gepäck- und Passagierkontrollen und eine intensive Sicherheitsüberprüfung des Personals vereinbart. Das halte ich alles im Prinzip für vertretbar und akzeptabel.

Die Bundesregierung hat aber Ende September dem Bundesrat den Entwurf einer Verordnung "zur Regelung des Verfahrens der Zuverlässigkeitsüberprüfung auf dem Gebiet des Luftverkehrs" vorgelegt (Bundesratsdrucksache 726/01), der zu einer enormen Ausschnüffelei und Repression gegen viele Tausende Beschäftigte und zu einem ebenso enormen Machtzuwachs der Nachrichtendienste führt. Die Länderkammer hat dennoch der Verordnung im Prinzip zugestimmt, aber weitere Verschärfungen gefordert. Wenn die Bundesregierung sie aufnimmt, kann die Verordnung bald in Kraft treten.

Alle im Zusammenhang mit Flughäfen und Luftverkehr beschäftigten Menschen werden dann jährlich (im Regierungsentwurf war noch ein Abstand von fünf Jahren vorgesehen) einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Dazu gehören Regelanfragen bei allen Nachrichtendiensten und sogar bei der Stasi-Behörde in Berlin.

Wer innerhalb der letzten zehn Jahre wegen einer Straftat verurteilt wurde oder bei einem der Nachrichtendienste als "extremismus-verdächtig" galt, soll als "unzuverlässig" eingestuft und entlassen werden. Tausende von Beschäftigten im Luftverkehr werden damit einer Totalausforschung unterworfen, wie sie sonst nur in extrem sicherheitsrelevanten Sektoren üblich ist. Ebenso gut könnten alle Reinigungskräfte dieser Republik einer solchen exzessiven Sicherheitskontrolle und Ausforschung durch die Nachrichtendienste unterworfen werden, wenn irgendwo ein als Reinigungskraft getarnter Attentäter eine Bombe in einem Hochhaus deponiert.

Trotzdem und obwohl Datenexperten bereits darauf hingewiesen haben, dass die Datenmenge, die nun bei den Sicherheitsdiensten und Luftverkehrsfirmen hin- und hergeschoben werden wird, kaum zu überschauen sein dürfte geschweige denn auszuwerten ist, muss damit gerechnet werden, dass die Verordnung schon bald in Kraft tritt. Die Nachrichtendienste bekommen damit Zugriff auf alle Beschäftigtendaten im Luftverkehr. Zugleich ist zu befürchten, dass Daten der Nachrichtendienste mit denen privater Firmen im Luftverkehr vermischt werden.

Diskutiert wird derzeit noch über die Einführung von. "Luftmarshalls", also bewaffneter Begleiter in den Flugzeugen. Die Airlines wollen hierfür, wenn überhaupt, eigene Sicherheitsleute einsetzen, um die Kosten niedrig zu halten. Problem: Damit kommen genau die Waffen an Bord, die eigentlich aus Sicherheitsgründen aus den Flugzeugen ferngehalten werden sollten - mit allen damit verbundenen Risiken.

Neuer § 129b StGB

Unmittelbar nach den Anschlägen hat Schily angekündigt, einen neuen § 129b ins Strafgesetzbuch einführen zu wollen, angeblich um "terroristische Vereinigungen", die ihren Sitz im Ausland haben, besser verfolgen zu können. Inhalt der Bestimmung ist, dass die Vorschriften der berüchtigten §§ 129 und 129a StGB auch auf die "Werbung" für terroristische Vereinigungen ausgedehnt werden soll, die nicht im Inland aktiv sind.

Ein erster Vorstoß Schilys und des Justizministeriums in dieser Richtung war Anfang letzten Jahres noch am Widerstand der Grünen gescheitert. Diese sind jetzt wieder einmal eingeknickt und leisten kaum noch Widerstand. Der Entwurf der Bundesregierung zur Einführung des neuen Strafparagrafen ist bereits in den Bundesrat eingebracht worden (Bundesratsdrucksache 725/01). Die Länderkammer hat auf ihrer Sitzung am 27. September 2001 dem Vorhaben im Prinzip zugestimmt Allerdings fordert der Bundesrat weitere Gesetzesänderungen mit dem Ziel, dass alle Bestimmungen, die derzeit in Bezug auf inländische kriminelle oder terroristische Vereinigungen gelten, künftig auch kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland erfassen. Dies hätte etwa eine Zuständigkeitskonzentration beim Generalbundesanwalt und die Durchführung von "Lauschangriffen" auch gegen ausländische Vereinigungen zur Folge.

Schon der seit 1976 bestehende berüchtigte § 129a StGB wird von Strafverteidiger/innen, Menschenrechtlern und anderen zu Recht abgelehnt, weil er in der Praxis zu breitflächigen Repressionen gegen Linke geführt hat. Weniger als ein Zehntel aller Ermittlungen nach §129a StGB führen zu einem Gerichtsverfahren. Der Rest wird nach monatelangen Observationen, Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen irgendwann sang- und klanglos eingestellt. Bei gewöhnlicher Kriminalität führt etwa die Hälfte aller Ermittlungen zu einem Prozeß.

Wer von deutschem Staatsgebiet aus Aktionen plant, die "terroristisch" sind oder den Frieden stören, kann auch nach geltendem Recht schon jetzt verfolgt werden. Darum geht es bei dem neuen § 129b also nicht. Die Regelung soll vielmehr die Verfolgung von Menschen erlauben, die sich hier keiner einzigen Straftat schuldig gemacht haben und diese auch gar nicht beabsichtigen, die aber eine von anderen Staaten als "kriminell" oder "terroristisch" definierte Vereinigung in irgendeinem anderen Land der Welt unterstützen.

Die Sicherheit der hier lebenden Menschen wird damit keinen Millimeter verbessert. Dafür wächst die Möglichkeit anderer Staaten, mit Hilfe deutscher Staatsorgane künftig hier lebende Oppositionelle zu verfolgen und einzuschüchtern. Es steht zu erwarten, dass zum Beispiel die Militärs in der Türkei nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes gleich eine dicke Mappe von Verbotswünschen gegen kurdische und andere Gruppierungen schicken werden, die nun auch verfolgt werden sollen.

Wer definiert künftig, welche Vereinigung in Pakistan, Iran, Irak, Afghanistan, Burma, Sri Lanka, Algerien oder sonstwo "terroristisch" ist? Welcher deutsche Polizist oder Staatsanwalt entscheidet künftig, dass irgendwo auf der Welt eine Gruppe, Verein oder Partei die Grenzen berechtigter Gegenwehr gegen staatliche oder nichtstaatliche Repression überschritten hat und "terroristisch" ist?

Angesichts der sattsam bekannten jahrelangen Zusammenarbeit gerade der deutschen Politik mit repressiven Regimen wie den Militärs in der Türkei und anderswo in der Welt befürchte ich schlimme Folgen des neuen Gesetzes für bei uns lebende Flüchtlinge und Oppositionelle aus diesen Ländern und Unterstützungsgruppen.

Das 31-Punkte-Paket der Verfassungsschützer

Der sogenannte "AK-4" der Innenministerkonferenz, das sind die Fachbeamten der Innenministerien für die Verfassungsschutzämter, berät über ein 31-Punkte-Papier, das wohl schon lange vor New York von den Schlapphüten ausgearbeitet worden war. Jetzt wird anscheinend die Gelegenheit für günstig gehalten, um alles durchzupeitschen.

Geplant ist nach Presseberichten unter anderem, dass künftig auch die Daten von 14-jährigen Kindern erhoben und gespeichert werden sollen. V-Leute des Verfassungsschutzes sollen sich künftig auch an "schwereren" Straftaten beteiligen dürfen. Postdienstunternehmen sollen verpflichtet werden, jede "auffällige" Brief- oder Paketsendung an die Nachrichtendienste zu melden. Die Sanktionen bei "terroristischen Straftaten" sollen verschärft, die Ausweisung noch mehr erleichtert werden. Die G-10-Verfahren, mit denen den Nachrichtendiensten das Abhören von Telefonen erlaubt wird, sollen noch mehr beschleunigt werden, der Einsatz technischer Mittel beim Lauschangriff auf Wohnungen ausgeweitet werden.

Schon jetzt ist die Bundesrepublik Weltmeister beim Abhören. Geholfen gegen irgendeinen der nun verdächtigten Attentäter von New York und Washington hat das offensichtlich überhaupt nicht. So bedeutet auch dieses Paket der VS-Schlapphüte am Ende nur mehr Überwachungsstaat, aber keineswegs mehr Sicherheit.

Rasterfahndungen gegen alles, was islamisch ist oder sein könnte

In mehreren Bundesländern schon angelaufen sind zudem Rasterfahndungen. Dabei handelt es sich um einen Abgleich großer Massen von persönlichen Daten unschuldiger Menschen durch Polizei und Geheimdienste, angeblich, um auf diese Weise sogenannte "Schläfer" oder andere Verdächtige zu finden. Zahlreiche Hochschulen wurden aufgefordert, alle Daten von Studierenden aus islamischen oder mehrheitlich islamischen Ländern oder mit islamischem Glauben an die Polizei weiterzureichen. Dies bedeutet einen Generalverdacht gegen alle islamischen Menschen. Die massenhafte Weitergabe ihrer Daten an Polizei und Geheimdienste verstößt ganz eindeutig gegen den Datenschutz und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Unter der demagogischen Parole "Datenschutz darf kein Täterschutz sein" versuchen Schily und Kollegen, diese Praxis trotzdem überall durchzuziehen.

Verstärkte Befugnisse der Sicherheitsbehörden

Die Kompetenzen der Sicherheitsbehörden, besonders des Verfassungsschutzes, des Bundeskriminalamtes und des Bundesgrenzschutzes, sollen nach den Anfang Oktober 2001 bekannt gewordenen Plänen des Bundesinnenministeriums für ein zweites "Sicherheitspaket" stark ausgeweitet werden.

So soll der Bundesgrenzschutz die verdachts- und anlassunabhängigen Kontrollen ("Schleierfahndung") nicht mehr nur in einer Zone von 30 km von der Grenze entfernt durchführen können, sondern die Kontrollzone soll auf 50 km verbreitert werden.

Die Banken sollen grundsätzlich zur Auskunft gegenüber dem Bundeskriminalamt verpflichtet sein (siehe dazu den Abschnitt "Bankgeheimnis"). Auch die Überwachung der Kommunikation im Internet sowie über Funkleitungen soll gesetzlich erweitert werden.

Alle diese Pläne machen deutlich: Es geht nicht um konkrete Maßnahmen zur Verhinderung drohender Anschläge. Sondern um den Ausbau des Überwachungs- und Repressionsapparates.

Kronzeugenregelung

Der Bundesinnenminister will die Kronzeugenregelung, die 1999 wegen der zahlreichen rechtsstaatlichen Bedenken auslief, für "Terroristen" wieder einführen. Eine Person, die schwerer Straftaten beschuldigt wird, könnte sich dann mit Aussagen gegen Mittäter zumindest einen erheblichen "Strafnachlass" erkaufen.

Die früheren Kronzeugenregelungen sind jedoch aus gutem Grund nicht entfristet worden. In Berlin wird derzeit noch in einem Strafverfahren, dem so genannten RZ-Verfahren, nach dem alten Recht verhandelt. Wer den Prozess beobachtet, kann feststellen, dass Kronzeugen nicht immer die Wahrheit sagen. "Sie stehen unter dem Druck, ihre Aussage durch die Belastung anderer aufzuwerten; sie verfolgen eigene Interessen, die eine Wahrheitsfindung systematisch behindern" (Heiner Busch).

Verschärfungen in der Überwachung von Ausländerinnen und Ausländern

In den verschiedenen "Sicherheitspaketen", die derzeit von der Bundesregierung geschnürt werden, sind besonders zahlreiche Repressionsmaßnahmen gegen Migrantinnen und Migranten vorgesehen. Dazu zählen unter anderem (siehe auch "Tagesspiegel" vom 7.10.2001: "Schilys Vollprogramm"):

Entsprechende Vorschriften aus dem umstrittenen Referentenentwurf für ein Zuwanderungsgesetz sollen nach den Plänen der Bundesregierung vorgezogen werden, obwohl gar nicht klar ist, ob es in dieser Legislaturperiode ein Zuwanderungsgesetz geben wird.

Der Kurs, den Otto Schily und die Bundesregierung in der Zuwanderungspolitik fahren, wird jetzt besonders augenfällig: Repression jetzt – Integration am Sankt-Nimmerleins-Tag! Einwanderinnen und Einwanderer haben keine Rechte, sondern sind auf Gedeih und Verderb staatlicher Repressionspolitik ausgesetzt. Anders kann man es nicht mehr nennen, wenn von Visa-Antragstellern aus "Problemstaaten" Fingerabdrücke genommen und der Verfassungsschutz auf Asylsuchende angesetzt werden sowie Sicherheitsbehörden sich nach Belieben aus den Datenbeständen des Ausländerzentralregisters bedienen können sollen.

Die Pläne aus dem Hause Schily sind unsinnig. Will man wirklich jedem Touristen, der die Loreley besuchen will, vorher die Fingerabdrücke nehmen? Die deutsche Tourismus-Industrie sollte da gut aufpassen. Es könnte sein, dass viele Leute sich einer solchen erniedrigenden Prozedur nicht unterziehen wollen und statt dessen nicht in Deutschland, sondern in einem anderen Land Urlaub machen. Und umgekehrt: Was werden wohl deutsche Touristen sagen, wenn sie vor Antritt einer Fahrt auf dem Nil erst einmal bei der ägyptischen Botschaft ihre Finger aufs Stempelkissen drücken müssen?

Menschenrechtswidrig ist der geplante Umgang mit Asylsuchenden: Opfer von Verfolgung, die mit Müh und Not dem Repressionsapparat ihrer Herkunftsstaaten entronnen sind, werden ausgespäht, überwacht, kontrolliert. Menschenrechte gelten in den Augen der Bundesregierung offenbar nur noch für Deutsche. Der Plan, auch anerkannte Asylberechtigte alleine beim Vorliegen eines bloßen Straftatverdachts abzuschieben, würde die Unschuldsvermutung für Flüchtlinge außer Kraft setzen. Eine solche Regelung würde im übrigen gegen Völker- und Verfassungsrecht verstoßen.

Ob es jemals ein Einwanderungsgesetz geben wird, weiß niemand. Das ist der Bundesregierung inzwischen egal. Hauptsache, die Repression wird Gesetz. Terroristen kann man dadurch nicht abschrecken. Aber man stempelt eine ganze Bevölkerungsgruppe zu Kriminellen und schafft damit in der Öffentlichkeit das gewünschte Klima, um Einwanderinnen und Einwanderer zu rechtlosen Objekten staatlichen Handelns machen zu können.

Deutsche Polizei in die Moscheen?

In die gleiche Richtung geht die schon eingeleitete Abschaffung des sogenannten "Religionsprivilegs" im Vereinsrecht. Faktisch läuft dieser Schritt auf Verbote gegen islamische Vereine nach dem Muster des PKK-Verbots und mit allen von da bekannten Folgen hinaus - bis dahin, dass am Ende deutsche Polizei in den Moscheen die Einhaltung des Verbots kontrolliert.

Bei dem sogenannten "Religionsprivileg" handelt es sich um die Regelung in § 2 Abs. 2 Nr. 3 des Vereinsgesetzes, wonach Religionsgemeinschaften und andere weltanschauliche Vereinigungen nicht unter das Vereinsgesetz fallen (dasselbe Privileg gilt auch für Fraktionen des Deutschen Bundestages). Nach Aussage Schilys ist die Abschaffung dieses Privilegs notwendig, um radikal-islamistische Organisationen besser verbieten zu können. Auch die Grünen stimmen der Abschaffung dieser Bestimmung bereits zu. Der Bundesrat hat gestern den Regierungsentwurf zur Änderung des Vereinsgesetzes bereits in erster Lesung beraten, jetzt kommt die Sache in den Bundestag.

In dieser Frage gibt es auch in der PDS verschiedene Meinungen. Ich bin gegen die Abschaffung des Religionsprivilegs. Zum einen stellt die Maßnahme alle Religionsgemeinschaften unter den Generalverdacht, etwas mit Terroristen zu tun zu haben. Aus diesem Grund ist zumindest zu prüfen, ob sich das vereinsrechtliche Religionsprivileg nicht zwingend aus dem besonderen Schutz für Religionsgemeinschaften nach Art. 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung ergibt.

Zum anderen erweckt die Maßnahme den Eindruck, dass "der Islam" ein geradezu mörderisches Glaubensbekenntnis darstelle.

Sofern es sich um offensichtlich politisch motivierte und nur religiös getarnte Vereine handelt, können diese auch bisher schon verboten werden.

In der Öffentlichkeit beruft sich Schily bei seinem Gesetzentwurf bisher im wesentlichen auf das Verfahren vor dem OLG Düsseldorf gegen den in Köln residierenden islamisch-extremistischen Kaplan-Verband. Dieser Verband mit etwa 1.500 Mitgliedern (so der VS-Bericht 2000) will einen "Kalifatstaat" errichten und propagiert das wohl auch ziemlich offen. Der Vorsitzende des Verbandes ist im November 2000 vor allem wegen Mordes zu 4 Jahren Haft verurteilt worden und sitzt im Gefängnis. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, mit einer Entscheidung des BGH ist bald zu rechnen. Wichtig ist aber: In der Urteilsbegründung wird entgegen Schilys Darstellung keineswegs die Forderung nach Aufhebung des Religionsprivilegs im Vereinsrecht erhoben. Dort finde ich nur den Vorwurf des Gerichts, die Behörden hätten bei den Umtrieben dieses Verbandes zu lange weggeschaut, und die Forderung nach besseren Ermittlungsvollmachten für die Staatsanwaltschaften im allgemeinen und die Generalbundesanwaltschaft im besonderen.

Im Visier der Staatsschützer ist auch der Verband "Milli Görüs" mit ca. 27.000 Mitgliedern laut VS-Bericht. Das ist der Verband der hier lebenden Anhänger der islamischen früheren "Wohlfahrtspartei" und heutigen "Tugendpartei" in der Türkei. Hier drängt vor allem das Regime in der Türkei schon lange auf härtere Verfolgung, wegen ihrer allgemeinen Repressionslinie gegen den "Fundamentalismus". Der deutsche Staatsschutz sagt bisher, man könne keine Verbindungen von Milli Görüs oder Teilen des Verbands zu terroristischen Aktivitäten beweisen, Sprecher von Milli Görüs bestreiten auch solche Verbindungen immer wieder heftig.

Gerade an diesem Beispiel wird jedoch die Problematik deutlich, die sich durch ein Streichen des "Religionsprivilegs" ergeben kann. Zu einem Verbot eines Vereins nach dem Vereinsgesetz reicht schon aus, dass die Organisation gegen "erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland" verstößt. Dazu können auch außenpolitische Interessen gehören. Es besteht also die ganz konkrete Gefahr: Sobald das Religionsprivileg abgeschafft ist, werden von den türkischen Generälen in Ankara die Verbotsforderungen gegen Milli Görüs auf den Tisch kommen und die deutschen Behörden die Organisation, obwohl eine Verbindung mit dem Terrorismus nicht nachgewiesen ist, aus außenpolitischen Interessen auflösen.

Soweit Straftaten vorliegen, greift das Strafrecht. Bei einem Vereinsverbot aber werden grundlegende Menschenrechte wie das auf Religionsfreiheit tangiert, es muß damit gerechnet werden, dass zur Durchsetzung dann Polizei in die Moscheen geschickt wird. Das können wir nicht wollen. Das wäre auch kontraproduktiv. Am Ende wären fundamentalistische Strömungen nicht geschwächt, sondern vermutlich gestärkt. Gegen extremistische Religionen hilft nur Aufklärung, Aufklärung und immer wieder Aufklärung.

Vor diesem Hintergrund hat auch der Direktor des Hamburger Orientinstituts, Udo Steinbach, das Vorhaben Schilys als "beachtlichen Schritt in die falsche Richtung" (FR, 19.9.2001) kritisiert. Der Berliner Erzbischof Sterzinsky hat ebenfalls davor gewarnt, "zu schnell das Religionsprivileg im Vereinsrecht zu streichen, ohne die ganze Tragweite recht zu bedenken." (Tagesspiegel, 22.9.01)

Aufhebung des "Bankgeheimnisses"

Die Bundesregierung will auch das "Bankgeheimnis" aufheben lassen. Damit sollen die Finanzierungsströme der Terroristen unterbrochen werden, um den "finanziellen Sumpf des Terrors auszutrocknen." Deshalb solle § 30a der Abgabenordnung abgeschafft werden. Dagegen kann man kaum etwas einwenden ... Nur: Es gibt gar kein "Bankgeheimnis"!

§ 30a der Abgabenordnung regelt den Schutz der Bankkunden und stellt in Absatz 1 das Prinzip fest, dass bei Ermittlungen "die Finanzbehörden auf das Vertrauensverhältnis zwischen den Kreditinstituten und deren Kunden besonders Rücksicht zu nehmen" haben. Wenn es jedoch um Straftaten geht, ist jede Bank oder Sparkasse natürlich verpflichtet, die Staatsanwälte mit den erforderlichen Informationen über seine Kunden zu versorgen. Auf ein Zeugnisverweigerungsrecht, wie es etwa für Anwälte oder Priester besteht, können Banker sich nicht berufen.

Allerdings, und daran stören sich wohl die Streiter wider das Bankgeheimnis, dürfen Finanzämter und Strafverfolger bei den Banken nicht einfach "ins Blaue hinein" ermitteln. Hier ist es wie beim Datenschutz: Wenn Informationen angefordert werden, müssen sie präzise umschrieben sein und einem klar definierten Zweck entsprechen. In diesem Rahmen macht das "Bankgeheimnis" sehr wohl Sinn.

Es ist in Ordnung, wenn man Steuerhinterziehung, Waffenhandel und Drogenschmuggel auch durch Kontrolle der Finanzströme unterbinden will. Jedoch sollte man aufpassen, dass hier nicht Maßnahmen "draufgesattelt" werden, die mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nichts mehr zu tun haben.

Anti-Terror-Pläne auf EU-Ebene

Nach den jüngsten Minister- und Gipfeltreffen der EU liegt hier ein ganzes Paket auf dem Tisch. Dazu gehören die Einführung eines EU-weiten Haftbefehls und der Aufbau einer Anti-Terror-Abteilung bei Europol: alle von den EU-Staaten als "terrorismus-relevant" eingestuften Daten sollen bei Europol zentralisiert werden. Bis Mitte Oktober sollen Experten der nationalen Staatsanwaltschaften über eine engere Zusammenarbeit beraten, von einigen Regierungen wird bereits die Einführung einer EU-Staatsanwaltschaft propagiert.

Schließlich soll ein neues EU-weites Rahmenabkommen beschlossen werden, das Grundlage für schnellere Auslieferungen, den europäischen Haftbefehl und andere Vereinbarungen sein soll. Die im Entwurf zu diesem Rahmenabkommen enthaltene neue Definition von "Terror" ist - laut Presse auf britisches und spanisches Betreiben - extrem weitgehend und zugleich extrem vage. Eine "terroristische Gruppe" beginnt damit bereits bei zwei Personen - der deutsche Anti-Terror-Paragraf §129a StGB verlangt mindestens drei Personen. "Als "Terror" gelten dabei selbst Straftaten wie einfacher Diebstahl, "unerlaubte Inbesitznahme öffentlicher Einrichtungen, öffentlicher Transportmittel, von Infrastrukturen, öffentlicher Orte und Güter oder die ihnen zugefügten Schäden", weiter die einfache "Gefährdung von Menschen", die "Störung oder Unterbrechung der Versorgung mit Wasser, Elektrizität oder anderen Grundgüter" usw., selbst die einfache Drohung mit solchen Taten, wenn sie begangen werden "gegen ein Land oder mehrere Länder, ihre Institutionen oder ihre Bevölkerung mit dem Ziel, die politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Strukturen zu bedrohen und stark zu beeinträchtigen ...".

Wo endet bei solchen Definitionen künftig die erlaubte politische oder gewerkschaftliche Gegenwehr gegen staatliche Politik oder Unternehmen, wo beginnt künftig der Terror? Gelten damit künftig Streiks in der Strom- oder Wasserwirtschaft, Sitzblockaden vor Kasernen oder Kernkraftwerken, Blockaden zur Verhinderung der Abschiebung von Flüchtlingen als "Terror"? Wo legitime Politik und Gegenwehr gegen autoritäre, repressive Politik und Regime aufhört und Terror anfängt, ist seit vielen Jahren aus vielen Gründen umstritten. Das EU-Rahmenabkommen würde den Spielraum für legale politische Gegenwehr beträchtlich einschnüren, der Spielraum für staatliche Repression würde dagegen enorm ausgeweitet.

Schon am 6./7. Dezember wollen sich die Innen- und Justizminister der EU-Mitgliedsstaaten wieder treffen und das Rahmenabkommen dann eventuell schon verabschieden.

Ergebnis: Die "Sicherheitspakete" bringen keine Sicherheit, sondern sind wie die Büchse der Pandora. Wenn die in ihnen enthaltenen Pläne Wirklichkeit werden, dann haben wir einen Überwachungsstaat wie noch nie in der Geschichte dieses Landes, dann sind schlimmste Befürchtungen aus den Zeiten des Streits um die Notstandsgesetze Wirklichkeit geworden. Dem müssen wir nach besten Kräften gemeinsam mit anderen demokratischen Kräften, mit Menschenrechtlern, Datenschützern, Flüchtlings- und Asylgruppen, MigrantInnen und vielen anderen entgegenwirken.


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