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Forum Menschenrechte
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An die Vorsitzenden der im Bundestag vertretenen Fraktionen
An die Mitglieder des Innen- und Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages

22.11.2001

Gesetzgebungsvorhaben zur Inneren Sicherheit

Sehr geehrte Damen und Herren,

seit dem 11. September 2001 werden in atemberaubender Geschwindigkeit Vorschläge zur Erhöhung der Inneren Sicherheit diskutiert. Das Plenum des Forum Menschenrechte, eines Netzwerks von über 40 Nichtregierungsorganisationen, die sich den Menschen- und Bürgerrechten im In- und Ausland verpflichtet fühlen, hat sich auf seiner Sitzung am 16. November mit den aktuell debattierten Vorschlägen befasst. Es herrscht große Besorgnis, dass im Rahmen der Terrorismusbekämpfung die Bürger- und Menschenrechte und der Rechtsstaat schwer beschädigt werden. Hat doch nicht irgend jemand, sondern der Bundestagsvizepräsident a.D. Dr. Burkhard Hirsch seinen Beitrag in der Süddeutschen Zeitung vom 2. November 2001 überschrieben mit "Abschied vom Grundgesetz. Otto Schilys Weg zum Überwachungsstaat." Auch wir haben schwerwiegende Bedenken.

1. Wir bitten Sie, für ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren zu sorgen. Am 7. November hat das Bundeskabinett das sog. Terrorismusbekämpfungsgesetz beschlossen, am 15. November ist das 80-seitige Gesetzespaket (zuzüglich Begründung) im Bundestag in 1. Lesung eingebracht worden, am 30. November soll eine Anhörung durch den Innen- und Rechtsausschuss stattfinden.

Wie sollen denn Experten in dieser kurzen Zeit fundierte Stellungnahmen erarbeiten? Noch in der ersten Hälfte Dezember sollen die Gesetze verabschiedet werden. Diese Gesetzgebungshektik – man ist versucht zu sagen: Hysterie – entspricht nicht den schwerwiegenden zu lösenden Problemen. Wenn Änderungen am Rechtsstaat und an den Bürger- und Menschenrechten erforderlich sein sollten, dann muss dies in Ruhe diskutiert und abgewogen werden. Und wenn die Gesetzesbegründung (unter B) behauptet, die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen seien für eine entschlossene und wirkungsvolle Bekämpfung des internationalen Terrorismus "dringend erforderlich", so teilen wir die grundlegenden Zweifel der Stellungnahme des Bundesjustizministeriums vom 17. Oktober 2001 an der Erforderlichkeit, der Verhältnismäßigkeit und insbesondere auch der Geeignetheit – alles drei Prüfungsmaßstäbe, an denen von Verfassung wegen die Gesetzesvorschläge zu messen sind.

2. Konstitutiv für die Sicherheitsarchitektur nach dem Grundgesetz ist das verfassungsrechtlich abgesicherte Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten. Gestapo und Stasi haben gezeigt, wohin es führen kann, wenn die Schleusen zwischen Polizei und Nachrichtendiensten geöffnet werden. Das Sicherheitspaket II will erklärtermaßen einen Informationsverbund zwischen diesen nicht miteinander kompatiblen Sicherheitsbehörden schaffen. Und dies alles mit dem Argument der Terroristenbekämpfung – hätte denn etwa der Anschlag vom 11. September 2001 verhindert werden können, wenn die deutschen und amerikanischen Nachrichtendienste und Polizeibehörden ihre nicht vorhandenen Erkenntnisse ausgetauscht hätten. Insbesondere hier finden die Befürchtungen von Dr. Burkhard Hirsch und anderen vor dem Weg in den Überwachungsstaat ihre Grundlage.

3. Die alte Kronzeugenregelung ist zu Recht zum 31. Dezember 1999 ausgelaufen, weil sie keine einzige Straftat zu verhindern mochte und lediglich in einem einzigen Fall zur Aufklärung beitrug. Der hessische Generalstaatsanwalt hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die Kronzeugenregelung auf der anderen Seite zu einer Vielzahl von Aussagedelikten geführt hat, denn wenn der Staat mit dem Verbrecher einen Deal eingeht, verleitet dies letzteren natürlich dazu, alles Gewünschte auszusagen, wenn er nur dadurch seinen eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen kann. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, erneut über eine (wenn auch vielleicht abgeschwächte) Kronzeugenregelung nachzudenken.

Und vor dem nunmehr geplanten § 129 b StGB, der auch früher schon diskutiert wurde, hat der seinerzeitige Generalbundesanwalt dringend gewarnt, weil es schlicht über die Möglichkeiten der bundesdeutschen Justiz hinausgeht, festzustellen, welche Organisation in der weiten Welt eine legitime Freiheitsbewegung und welche eine terroristische Organisation ist. Es sei an Politiker wie Nelson Mandela, Begin und Arafat erinnert.

4. Denselben Bedenken begegnet, dass im Gesetzentwurf etwa in § 47 Abs. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 Ausländergesetz Gewalt und Terrorismus gleichgesetzt werden. Hier wird Unvergleichbares vermischt. Es besteht die Gefahr, dass selbst nicht-gewalttätige Unterstützer von Gruppierungen, die sich für die Beseitigung menschenrechts-verletzender Regime in ihren Herkunftsländern einsetzen, getroffen werden und exilpolitische Tätigkeit einem Terrorismusverdacht unterliegt. Nach diesem Gesetzentwurf wäre es möglich gewesen, Unterstützer von Nelson Mandela und des ANC während des Apartheidregimes auszuweisen.

Schlicht nicht hinnehmbar ist auch der faktische Ausschluss gerichtlichen Rechtsschutzes nach § 72 Abs. 1 AuslG. Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz gilt nicht nur für Deutsche, sondern für jeden.

Wir teilen die Bedenken des Justizministeriums bezüglich der Änderung von § 51 Abs. 3 Ausländergesetz, diese sei "rechtssystematisch verfehlt". Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen können nicht den Anwendungsbereich der Genfer Flüchtlingskonvention ändern. Zu Recht hat auch der UNHCR Kritik geübt und unter anderem darauf hingewiesen, dass eine entsprechende Regelung in das Asylverfahrensgesetz gehört.

5. Die vorgesehene umfassende Datenübermittlungspflicht vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und den Ausländerbehörden an den Verfassungsschutz gefährdet die Grundlage eines fairen Asylverfahrens. Die Änderungen im Bundesverfassungsschutz (§ 18 Abs. 1) sind eine Generalklausel für eine schrankenlose Datenübermittlung. Dabei besteht das Risiko, dass wesentliche Inhalte aus Asylverfahren auf Geheimdienstkanälen in den Verfolgerstaat gelangen können.

6. Ausländer werden in dem Gesetzentwurf unter Generalverdacht gestellt. In einer Vielzahl von Vorschriften werden bei ihnen Maßnahmen vorgesehen, die man bei Deutschen – noch – sich nicht zu fordern traut. Im Ausländerzentralregister soll (freiwillig) die Religionszugehörigkeit erfasst werden (weil man offenbar meint, Muslime seien potentielle Terroristen). Erkennungsdienstliche Daten Asylsuchender sollen mit dem Tatortspurenbestand der Polizeibehörden abgeglichen werden. Von allen Asyl- und Ausländerbehörden sollen ohne weitere Voraussetzung die Daten an die Verfassungsschutzämter weitergegeben werden. Die Rasterfahndung mit Daten aus dem Ausländerzentralregister wird nicht nur der Polizei, sondern auch ohne konkrete Gefahr sämtlichen Geheimdiensten erlaubt. Ausländer werden so als potentielle Straftäter behandelt. Die Deutsche Vereinigung für Datenschutz bezeichnet in ihrer Erklärung vom 16. November 2001 diese Regelungen "verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar".

Darüber hinaus beachtet das Terrorismusbekämpfungsgesetz nicht die auf der UN-Weltkonferenz gegen Rassismus, rassistische Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz getroffenen Vereinbarung.

Bitte bedenken Sie auch, dass der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) das Gesetzespaket als "unsinnig und wirkungslos" bezeichnet und "eine kritische Fachdiskussion und keine politische Kraftmeierei" gefordert hat. Das Bundesministerium der Justiz hat im Hinblick auf den Titel "Terrorismusbekämpfungsgesetz" gefordert, "den Gesetzentwurf auch tatsächlich auf Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu beschränken".

In diesem Sinne bitten wir Sie darum, das Gesetzespaket grundlegend zu überarbeiten.

Mit freundlichen Grüßen


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