Andersdarstellung: zu Timo Thais Artikel

 

Da ist also einer angetreten um den Großkopferten der hbv den Kopf zu waschen - daher wohl der Name "Timo Thai", der verdächtig an ein Shampoo erinnert, welches aufgrund seiner irozentrischen Werbekampagne ganz schwach nach IRA und dem Angstschweiß von Widerstandskämpfern riecht.

Hübsch, wenn David per Pseudonym maskiert seine Steine aus der sicheren Distanz der virtuellen Welt gegen Goliath schwingt, aber gleichermaßen grotesk, weil David und Goliath in der Auseinandersetzung "Citibank vs. Menschenrechte" gegen einen gemeinsamen Feind kämpfen. Da ist die lokalpatriotische Rache des Kanalarbeiters eher kontraproduktiv selbst dann, wenn sie sich an Fakten orientiert. Auf die Auslegung kommt es an: zwar mag es stimmen, daß die hbv über die Urheberrechte der Streik- und Kampagnenbewegung hochmütig hinweggeht, aber dies ist - und daran erkennt man, daß Kollege Thai nicht eben versiert auf dem Gebiet der Kampagnenarbeit ist - im Rahmen von Netzwerken, in denen sich verschiedene Interessengruppen zusammenschließen, legitim und normal.

Die Beteiligung von Interessengruppen hat immer auch Gründe, die mit den jeweiligen individuellen Zielen der Netzwerkpartner zu tun hat. Im Rahmen der Kampagnenarbeit werben die Netzwerkpartner für sich und ihre eigenen Ziele: dabei wird jeder Partner die durch die Kampagne angestrebte öffentliche Resonanz auch für sich selbst nutzen wollen. Netzwerkpartner im Rahmen von Image-Kampagnen stehen abgesehen von der gemeinsamen Stoßrichtung gleichwohl in einem Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Daß dabei jede beteiligte Gruppe ihre Rolle in dem Netzwerk nach außen hin als besonders prägnant und wichtig darstellt, ist im Kontext der gerade bei Gewerkschaften notwendigen Imagepflege als starker, progressiver, engagierter und innovativer Interessenvertreter ganz normal und wünschenswert - gerade angesichts schwindender Mitgliederzahl.

Die hbv macht mittels der Kampagne auf sich aufmerksam: und die Beteiligung an dieser Kampagne ist an sich schon ein beachtlicher Versuch, das enge, noch aus Bismarcks Zeiten stammende Korsett der Sozialpartnerschaft wenn auch nicht zu sprengen, so doch zu erweitern. Das Engagement der hbv in einer Image-Kampagne ist gerade vor dem Hintergrund der Megafusion zu Ver.di ein ambitioniertes und heikeles Unterfangen: indem die hbv sich an einer Image und Boykott-Kampagne gegen eine weltweit agierende Bank beteiligt, fungiert sie als Weichensteller für eine nicht nur global ausgerichtete, sondern vor allem konfliktbereite Gewerkschaftsarbeit und zwingt Ihre Ver.Di-Partner Stellung zu beziehen.

Der "internationale Call-Center-Aktionstag" war zwar ein Schritt in Richtung globale Gewerkschaftsarbeit, doch die Kampfansage gegen die Citibank ist noch ein ganz anderes Kaliber - sie bedeutet die Einleitung einer globalpolitischen Auseinandersetzung ersten Ranges, berücksichtigt man die engen Verflechtungen politischer und Bankenmacht vor allem in den USA.

Es dürfte jedenfalls den regelmäßigen labournet-Besuchern nicht entgangen sein, wie gut sich Citibank und die amerikanische Regierung verstehen. Da nimmt es nicht wunder, wenn Robert Rubin, ein hohes Tier im amerikanischen Finanzministerium im Anschluß an eine Gesetzesänderung, die überhaupt erst die Fusion von Travelers und Citicorp ermöglicht, in die Chefetage der Citigroup wechselt (vgl. DIE ZEIT, Nr. 7, S. 34: "Halb voll oder halb leer? - US-Präsident Bill Clintons positiver Wirtschaftsbilanz stehen schwere soziale Versäumnisse gegenüber").

Es ist zweifelhaft, ob eine andere Gewerkschaft als die von Thai gescholtene, sich in dieser Weise an einen solchen Gegner herangewagt hätte. CitiCritic - Thai deutet es an - wäre ohne die Beteiligung der hbv sicher nicht derart in der Presse und den Medien plaziert. Da die Vorsitzende der hbv im übrigen stellvertretende Vorsitzende von UNI (Unions Network International) ist, ist ein Transfer des nur vordergründig lokalen Konfliktes auf die globale Bühne rasch möglich. Sollte es noch ein WTO-Treffen in den USA oder sonstwo geben, finden möglicherweise Boykott-Aufrufe vor Citibank-Filialen an vielen verschiedenen Orten der Welt statt. Gerade die etwas ärmliche Gestaltung der web-site von Citi-Critic läßt erhebliche Zweifel daran aufkommen, ob Citi-Critic ohne hbv derartige Perspektiven hätte. In jedem Fall ist die maßgebliche Beteiligung der hbv an dieser Kampagne eine Initialzündung von nicht zu unterschätzender Tragweite.

Der DGB, der die Fusion zu ver.di sicher mit Argusaugen beobachtet, hat entsprechend reagiert und sich bereits hinter die Kampagne gestellt. Daß der Kreisvorsitzende des mächtigen DGB Dortmund, Eberhard Weber, sich aktiv am Boykott-Aufruf beteiligt, sollte als Signal nicht übersehen werden (Vgl. Ruhr-Nachrichten Dortmund, Nr. 40, 17.Februar 2000, "Gewerkschaft kritisiert Citibank-Management").

Vor diesen Hintergründen erscheint die Perspektive Timo Thais lokalpatriotisch verengt, wo eigentlich Genugtuung angezeigt sein müßte ob des Vorpreschens einer kleinen Einzelgewerkschaft in die in Deutschland unbetretene "terra incoginata" gewerkschaftlich getragener Boykott-Maßnahmen, die in den USA längst erschlossen ist.

Wenn gleichwohl Anlässe zur Kritik gegeben sind, dann bitte nicht in Form eines kleingeistigen Aufheulens ob eigenen Nichtbeachtetwerdens; einfach den Schmerz eines gekränkten Egos hinausposaunen ist nicht geboten, sondern sachlich das Konstatieren von Mängeln mit Lösungs- und Verbesserungsvorschlägen verbinden. Denn daß die Kampagne noch holpert, werden Ihre Initiatoren nicht verkennen. Gleichfalls nicht, daß sie von vornherein nicht nur unter schwerem Beschuß vom Gegner, sondern durchaus auch von Gewerkschaftlern steht, die an die Holzplanke der Bestandssicherung in einem Meer von Rationalisierung hängend in der Kampagne ebenso wie die Bank eine Gefahr für die Arbeitsplätze wittern.

Bemerkenswert ist, daß die Citibank gegenüber der Öffentlichkeit in bezug auf die Kampagne und die Rolle der hbv ganz ähnlich argumentiert, wie der Verfasser des erwähnten Artikels: der Tenor ist hier, daß die Profilierungssucht der hbv Sie zu dieser arbeitsplatzgefährdenden Kampagne veranlaßt. Offenbar ist Timo Thais Artikel eben nicht nur vom üblichen labournet-Leserkreis sehr genau zur Kenntnis genommen worden.

Dem ist zu entgegnen: selbstverständlich sollen Gewerkschaften sich profilieren, um attraktiv für Mitglieder zu werden. Sie sollen dies mediengerecht und spektakulär tun: ohne plakative Auftritte keine Resonanz in den Medien. Die Citibank verzichtet schließlich auch nicht auf Werbung, in der das Geld und nicht die Menschen leben, nur weil eine solche Werbung nicht sachlich ist. Sachlichkeit liegt nicht im Wesen der Werbung um ein Klientel. Dabei ist das leidige Argument, dieses Vorgehen gefährde Arbeitsplätze schon deswegen falsch, weil ein Verlust von Kunden aufgrund der Kampagne sicher nicht dazu führen wird, daß die Bank mit weiterem Arbeitsplatzabbau den Kundenschwund noch beschleunigt.

Das von Claus Carlin herausgegebene bunte Faltblatt erinnert aufgrund seines an die "Keine Macht den Drogen"-Kampagne orientierten Designs subtil an die Verstrickungen der Citibank in Geldwäscheskandale - mag dies auch nicht jeder zur Kenntnis nehmen, so hinterläßt dies doch bei aufgeschlossenen und informierten Adressaten jedenfalls den Eindruck, daß hier ein übermächtiger Gegner endlich mal mit sublimeren Mitteln angegangen wird, als mit Trillerpfeifen und bedruckten Mülltüten, die immer nur jenen Mythos aufrechterhalten, daß das Sein, Bewußtsein und Handeln der Arbeitnehmerschaft und ihrer Gewerkschaften nur bestimmt ist von zwei Begriffen: Arbeitsplatzerhalt und Lohngerechtigkeit.

Wichtige Dinge, ja, aber mit Citi-Critic wird ein Weg beschritten, der konsequent fortgesetzt in eine Richtung geht, die der hbv sicher noch nicht geheuer ist, aber gleichwohl die einzuschlagende ist: hin zu einem Generalboykott, dem der Vorwurf, Arbeitsplätze zu gefährden schon deshalb am Allerwertesten vorbeigeht, weil ein Arbeitsverhältnis bei Konzernen zu bekleiden, deren Geschäftspolitik Millionen von Existenzen weltweit gefährdet und zerstört, schlichtweg ebensowenig zu vertreten ist, wie die Arbeit in einem oder für einen Rüstungskonzern, der weltweit Waffengeschäfte macht.

Noch ist es übrigens so, daß für die Citibank eine der schlimmsten Bedrohungen die wäre, ihr die Arbeitskraft zu entziehen. Diese Karte kann man nicht mehr lange ziehen - wie ernst man in Bankerkreisen Bill Gates vorwitzige Bemerkung nahm, er wolle Banken mittels e-cash-Systemen überflüssig machen, zeigen Kooperationen wie Deutsche Bank und AOL.

Prima Idee, sagen sich die Banken (auch eine Allianz: Commerzbank und T-Online) und beginnen die Assimilation des Internet, bevor das Internet sie assimiliert. Hier paßt das von Timo Thai strapazierte Bild der Borg aus "Voyager" besser - denn bei aller Dominanz der hbv in Citi-Critic kann doch von einer Art "feindlichen Übernahme" der Kampagne nicht die Rede sein, hier klingt eher ein gewisses Schmollen aus der Bochumer Ecke durch, nicht mehr "Teil der Familie" zu sein.

Teilweise indes haben die Bochumer sich dies selbst zuzuschreiben, wenn sie sich aus der aktiven Kampagnenarbeit zurückziehen.

"Nur" teilweise deshalb, weil an dieser Stelle Thais Kritik der Rolle der hbv und auch des mangelnden Eigenprofils der Kampagne nicht ganz von der Hand zu weisen ist. In der Tat wird der Bochumer Teil der Geschichte vielleicht nicht aus- sondern überblendet, weil der in Bochum von den Ex-Beschäftigten praktizierte Weg der aktiven Abkehr von der Citibank der hbv in der Tat als so problematisch erschien, daß man ihn lieber aus den Annalen strich. Dies im übrigen so gründlich, daß Claus Carlin in einem Schreiben an die hbv-Mitglieder in der Citibank folgendes schrieb: "Damit (mit der Aufforderung, kein Konto bei der Citibank zu eröffnen) stärken wir die Auseinandersetzung, die bereits 1998 in Duisburg, dem "moralischen Zentrum dieses Konfliktes" begann."

Hier ist Thai in seiner Kritik zuzustimmen und ist es auch sinnvoll, seine Chronologie der Ereignisse im Gedächtnis zu behalten. Nur weil die Bochumer Beschäftigten, die es von der Gründung einer Arbeitnehmerinitiative bis zur Neugründung eines Unternehmens gebracht haben, das wiederum Dienstleister für die hbv ist, es nicht als ihre Aufgabe ansehen, für Wiedereinstellungen und Tarifverträge in einem Unternehmen einzutreten, von dem man sich aus ihrer Sicht als Kunde und Erwerbstätiger emanzipieren und distanzieren sollte, statt ihm unbedingt wieder angehören zu wollen, sollte man keine Geschichtsklitterung betreiben.

Stattdessen sollte man die "Arbeitnehmerinitiative" und ihr ausgegründetes Unternehmen als Teil der Kampagne und als Erfolg der Kampagne hervorheben. Sonst setzt man sich dem hoffentlich unbegründeten Verdacht aus, man sei als Gewerkschaft wie ein Wirtschaftsunternehmen nur an denjenigen interessiert, die sich in Abhängigkeit vom Arbeitgeber (und damit in Abhängigkeit vom Schutzpatron Gewerkschaft) befinden und habe vor einer Erosion der Organisation durch selbständige Gewerkschaftsmitglieder Angst.

Angst paßt aber nicht zu einer derart ambitionierten Kampagne. Diese Kampagne braucht Unterstützer und Mitglieder mit einem hohen Maße an Unabhängigkeit, Selbständigkeit und Querdenkertum. Insofern täte die hbv in der Tat gut daran, die "Kapitalisten von links" in der TEKOMEDIA (dem aus der erwähnten Arbeitnehmerinitiative hervorgegangenen Unternehmen) mit als Resultat und erwünschte Konsequenz ihrer Politik darzustellen. Wer darüber böse wäre bei den TEKOMEDIANERN - dies als Insider - sollte zunächst einmal endlich sein Citibank-Konto kündigen, bevor er meckert. Wer weiß? Vielleicht wird Timo Thai sogar von der Citibank gesponsert?

Denn leider hat Timo Thai die durchaus gute Idee von der stillschweigenden Synchronisation weltweiter events sehr zur Freude der "Gegenüberwachung" der Citibank unbedingt publizieren müssen - das war etwa so geschickt, wie Essers öffentliche Ankündigung der Übernahme von Vivendi durch Mannesmann.

Keine Gegenmaßnahmen kann die Bank ergreifen, wenn folgendes gelingt: sämtliche Beschäftigten der Citibank kaufen Citibank-Aktien und organisieren anschließend ihre Massenkündigung. Daraufhin schnellen die Aktien der Citibank dermaßen in die Höhe, daß diejenigen, die gekündigt haben, die Aktien mit hohem Gewinn verkaufen und bis ins hohe Lebensalter ausgesorgt haben. Im Prinzip operiert die Werbung für Altersvorsorge durch Shareholdertum exakt so: die Erwerbstätigen forcieren durch ihre Beteiligung Rationalisierungsmaßnahmen, von denen sie selbst betroffen sind und finanzieren sich bei infolge abgebauter Sozialleistungen reduziertem regulären Einkommen durch Aktienverkäufe.

Entwickelt sich die Citi-Critic-Kampagne weiter, dann kann sie sich möglicherweise ausweiten zu einer Kampagne kritischer Konsumenten. Immerhin ist der Verband der kritischen Aktionäre schon Netzwerkpartner der Kampagne.

All diese Perspektiven - und dies relativiert nicht den sachlichen Gehalt der Kritik von Timo Thai, führt aber seine "Anti-hbv-Haltung" ad absurdum - ergeben sich nur daraus, daß Citi-Critic sich nicht wie ein Haufen Autonomer isoliert, sondern sich starken Netzwerkpartnern öffnet. Daß überhaupt eine Gewerkschaft mutig genug ist, einer solchen Kampagne als Zugpferd und Aushängeschild zugleich zu dienen, kann bei aller angebrachter Kritik nur entschieden begrüßt werden. Eine Scheuklappenperspektive auf Streitigkeiten ums Urheberrecht und den Anspruch auf historische Genauigkeit und Wahrhaftigkeit ist in bezug auf die deutsche Geschichte notwendig, aber in bezug auf die Citi-Critic Kampagne so müßig wie der Disput von Loriots Herrn Müller-Lüdenscheid und Herrn Dr. Klöckner darum, wer länger in der Badewanne untertauchen kann.

Globale Kampagnen werden sich schwerlich erfolgreich im eigenen Bauchnabel organisieren lassen.

 

Hannes Oberlindober

 


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