Wohin ÖTV?
- Die Gewerkschaften sind in der Defensive. Aber dies ist nicht allein
der "Übermacht des Kapitals" geschuldet, sondern hängt
auch mit eigener Halbherzigkeit, Unentschlossenheit, Phantasielosigkeit und
Konfliktscheu zusammen. Haben wir den Kampf um die Köpfe aufgegegeben?
- Es werden teure Werbekampagnen geführt, aber nicht der Kampf. Die letzte
Tarifrunde hat zur Entmutigung der Kolleginnen und Kollegen geführt.
Der Erfolg der Urabstimmung in welch kurzer Zeit gelang es, die Belegschaften
zu mobilisieren! wurde durch das Verhandlungsergebnis wieder zunichte
gemacht. Die Bereitschaft zum Streik wurde nicht genutzt.
- Zur Gegenwehr gehört nicht nur der Streik. Die Gewerkschaften müssen
sich zu ihrem politischen Mandat bekennen. Gewerkschaftsarbeit darf
sich nicht im täglichen Konflikt um Einkommen und Arbeitsbedingungen
derer, die Arbeit haben, erschöpfen. Es gilt, die sozialen Kämpfe
mit politischen Perspektiven zu verbinden, auf die gesellschaftliche Entwicklung
insgesamt Einfluss zu nehmen. Bei allem Streit um Verdi ging es am
wenigsten um Inhalte. Aber wichtiger als die Auseinandersetzung um Bezirkszuschnitte
und Budgetierungsrichtlinien ist die Frage, mit welchem Programm wir der herrschenden
Standortlogik und damit der Konkurrenz, der Entsolidarisierung und der Zersplitterung
in den eigenen Reihen entgegentreten können.
- Bei der Rentenreform haben die Gewerkschaften versagt. Sie haben
die Chance verpasst, sich an die Spitze einer breiten Bewegung von Beschäftigten,
Rentnern, Jugendlichen und Arbeitslosen zu stellen. Statt dessen haben sie
den Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung zugestimmt, was einseitig
die Unternehmer entlastet. Kollege Bsirske hat damit gegen den ausdrücklichen
Beschluss des Gewerkschaftstages verstoßen. Die Folge war zu erwarten:
Unternehmer und Regierung blasen nun zum Angriff auf die Krankenversicherung.
- Im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit
wurden die Weichen für diese Entwicklung gestellt. Die dort vertretenen
Gewerkschaftsführer haben unsere Interessen nicht offensiv vertreten,
sondern haben sich weich klopfen lassen und praktisch Lohnleitlinien zugestimmt.
Das Bündnis fesselt die Gewerkschaften und hält sie davon ab, alle
zu sammeln, die den Angriffen auf unsere Lebensbedingungen entgegentreten
wollen. Welches Interesse sollten die Unternehmer an der Beseitigung der Arbeitslosigkeit
haben, die ihnen doch hilft, uns permanent zu erpressen und unsere Arbeitsbedigungen
zu verschlechtern? Die IG Medien hat den Austritt aus dem Bündnis beschlossen.
Warum folgen wir ihnen nicht?
- Die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes hat kleine Verbesserungen
gebracht, aber wesentliche Forderungen aus den Betrieben und Gewerkschaften
blieben unberücksichtigt. Vor allem fehlt eine Stärkung der Mitbestimmung
und eine Definition des Betriebsbegriffs, die auf den Tätigkeitszusammenhang
abstellt und damit eine Handhabe gegen die zahllosen Ausgründungen gäbe.
- Der Prozess der Privatisierung des öffentlichen Diensts ist
überall im Gange und zu großen Teilen bereits verloren. Dabei wäre
es die Aufgabe der Gewerkschaften und insbesondere der ÖTV, die Bevölkerung
und nicht bloß die betroffenen Belegschaften gegen die herrschende Sparpolitik
zu gewinnen. Wir müssen die gesellschaftliche Infrastruktur und die öffentlichen
Leistungen verteidigen und sogar für ihre Erweiterung eintreten. Der
Ausbau des öffentlichen Verkehrs, der Erziehung und anderer kultureller
Einrichtungen würde qualifizierte Arbeitsplätze schaffen und wäre
im Interesse der gesamten Gesellschaft. Die ÖTV kann und muss hier eine
Vorreiterrolle spielen.
- Das ist natürlich nur möglich, wenn Inhaber großer Vermögen,
Spitzenverdiener und Unternehmer zur Finanzierung dieser öffentlichen
Aufgaben, z.B. durch die Vermögenssteuer, herangezogen werden. Die Steuerreform
entlastet jedoch vor allem sie und nicht die Geringverdiener und mittleren
Einkommen. Bei uns wird die Entlastung außerdem durch höhere kommunale
Abgaben, höhere Rundfunkgebühren, die Ökosteuer und höhere
Benzinpreise aufgefressen.
- Die Umverteilung der Arbeit (natürlich bei vollem Lohnausgleich)
muss von uns wieder thematisiert werden. Die Steigerung der Produktivkraft
kommt nur den Unternehmern zugute, die immer größere Gewinne einfahren.
Arbeitszeitverkürzung in verschiedenen Formen ist nötig, um dem
gestiegenen Leistungsdruck etwas entgegenzusetzen und um Arbeitsplätze
zu sichern.
- Die Gewerkschaften müssen ihrer Aufgabe als Gegenmacht wieder
nachkommen, ansonsten werden sie weiter Mitglieder verlieren, zum Rentnerverein
verkommen und in der Bedeutungslosigkeit versinken. Das wird nur möglich
sein, wenn sie sich als demokratische und lernende Organisation verstehen,
also die Entscheidungsstrukturen möglichst auf unteren Ebenen ansiedeln
und neue und offene Beteiligungsformen entwickeln. Vor allem aber bedarf es
der Entwicklung von Gegenentwürfen zur Unterwerfung alles gesellschaftlichen
Lebens unter das Profitprinzip. Wir müssen wieder den Mut haben, gegen
die vorherrschende Meinung die Teilhabe aller am gesellschaftlichen Reichtum,
Chancengleichheit, Emanzipation und das Recht auf soziale Sicherheit selbstbewußt
einzufordern, d.h. eine solidarische und menschenwürdige Gesellschaft
auf unsere Fahnen zu schreiben.
Wer, wenn nicht wir? Kollege Bsirske, pack mit an!
Münchner Gewerkschaftslinke
Wir treffen uns an jedem letzten Donnerstag im Monat im Gewerkschaftshaus.
Das nächste Treffen findet am 29.3.01 um 19 Uhr statt.
Kontakt und presserechtlich verantwortlich im Sinne des Presserechts: Wolfgang
Linke, Virchowstr. 10, 85521 Ottobrunn, Tel. 089/6094029 (privat), 089/41291011
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