Zur Geschichte der "Unstrikes"

Der erste allgemein bekannte Unstrike fand vor 15 Jahren statt und wurde von Busfahrern und Mechanikern der Greater Vancouver Metro Transit Authority geführt. Damals waren die Beschäftigten mit einer politisch rechtslastigen Provinzregierung und einer öffentlichen Finanzverwaltung konfrontiert, die ihre Hauptaufgabe in einer antigewerkschaftlichen Politik und in der Beschneidung des operativen Haushalts des Nahverkehrsverbundes sah.

Die Busfahrer und Mechaniker waren in der Mehrzahl in der ICTU organisiert, die sich alsbald in die Confederation of Canadian Unions (CCU) umbenannte. Diese zählte zu einer der vielen militanten, aber kleinen und finanzschwachen Gewerkschaften. Trotz der damit verbundenen problematischen Machtverhältnisse erlangten diese Gewerkschaften eine gewisse Popularität. Die Wirtschaftspresse reagierte darauf mit einem denunziatorischen Feldzug.

Ausgehend von der These, dass klassische Streiks aufgrund der Machtverhältnisse zu Gunsten des Big Business nicht weit führen, da die Finanzen selten lange vorhalten und die Öffentlichkeit durch die schlechte Presse auf die falsche Seite gezogen wird, kamen die Busfahrer zu dem Schluss, dass sie eine Strategie wählen müssten, die das Unternehmen unter Druck setzt, ohne die geringen Finanzen aufzuzehren. Der geringe Organisationsgrad erlaubte jedoch keine breit angelegten, öffentlichkeitswirksamen Aktionen. Ein weiteres Problem bestand darin, dass ein Streik im Öffentlichen Nahverkehr die Öffentlichkeit gegen die Beschäftigten aufbringt, weil diese auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist. Unter diesen Umständen, so die Einschätzung der Gewerkschaft, bestand die Hauptaufgabe darin, die Öffentlichkeit von den Forderungen der Streikenden zu unterrichten und auf die eigenen Seite zu ziehen, zumal die Forderungen nicht nur auf Lohnerhöhungen und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen gerichtet waren, sondern auch die Ausweitung und Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs zum Ziel hatten. (...)

So kam es zum "Unstrike", dem Arbeitskampf ohne Streik, dafür aber direkt am Arbeitsplatz. Die Busfahrer erschienen zwar zum Dienst und fuhren ihre Routen, legten aber ihre Dienstkleidung ab und trugen stattdessen Baseball-Kappen mit dem Gewerkschaftsemblem, T-Shirts und Jeans. Einige Busfahrer nutzten ihre exponierte Stellung in der Öffentlichkeit und fuhren im Clownskostüm. Während der Fahrten verteilten sie ihre Pamphlete und waren auch zu Diskussionen mit Fahrgästen bereit. Es wurde kein Fahrgeld kassiert; wer dennoch freiwillig bezahlen wollte, konnte dies tun. Allmählich bekam der Unstrike eine neue Dimension, die auch in der Öffentlichkeit immer intensiver diskutiert wurde: die Idee eines kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs. Zusätzlich ergab sich natürlich aufgrund der kostenlosen Beförderung der Fahrgäste ein Solidarisierungseffekt mit den Streikenden: Man war bereit, ihnen Gehör zu schenken (ein sehr seltener Fall in ‘normalen’ Streiks). Der Unstrike konnte sehr lange durchgehalten werden, da die Fahrer weiterhin ihren Lohn erhielten.

Nach Beendigung des Unstrikes kam die Gewerkschaft zu dem Schluss, dass sie ein besseres Ergebnis erzielt hatte als üblich. Außerdem konnte gezeigt werden, dass ein Streik auch die Interessen der Öffentlichkeit thematisieren kann, Streikende demnach nicht – wie so häufig – als egoistisch gegenüber dem Allgemeininteresse abgekanzelt werden können.

Seit dieser Zeit fanden im Bereich des Öffentlichen Dienstes mehrere Unstrikes nach ähnlichem Muster statt, auch wenn sie nicht ganz so spektakulär abliefen wie der Unstrike der Busfahrer.

Jef Keighley, CAW: "Unstrike – a British Columbia Invention" (gekürzte Fassung, Übersetzung: U.W.)
Erschienen in: express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Nr. 11-12/1999


LabourNet Germany: http://www.labournet.de/
Der virtuelle Treffpunkt der Gewerkschafts- und Betriebslinken / The virtual meeting place of the left in the unions and in the workplace
2000-01-02