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"Man kann mit beinahe allen Menschen eine Gewerkschaft machen."

Interview mit Anton Kobel zum Arbeitskampf bei Transmedia

Im Februar dieses Jahres ist ein bemerkenswerter Arbeitskampf in Mannheim zu Ende gegangen: Die überregionale Öffentlichkeit hat ihn kaum zur Kenntnis genommen. TRANSMEDIA, einem Dienstleistungsunternehmen der Medien Union, dem drittgrößten Medienkonzern in Deutschland, ist in dieser Auseinandersetzung von Belegschaft und Gewerkschaft eine Gehaltsregelung und ein Manteltarifvertrag aufgezwungen worden. TRANSMEDIA ist ein expandierendes Unternehmen, das die Mehrzahl seiner Aufträge von der Bundesanstalt für Arbeit erhält und für diese u.a. die Datenbank KURS [1] betreibt. Auf den ersten Blick erscheint der Kampf bei TRANSMEDIA als einer der vielen "Häuserkämpfe", zu denen sich Gewerkschaften zunehmend gezwungen sehen, seit Unternehmen massiv die Flucht aus dem Unternehmerverband und dem Flächentarifvertrag betreiben bzw. diesen erst gar nicht beitreten. Bei näherem Hinsehen allerdings zeigen sich ungewöhnliche Züge. Da ist zunächst die einjährige Dauer des Kampfs – es gab 35 Tage Streik, fünf Aussperrungstage und neun Monate lang "Dienst nach Vorschrift". Dieser bestand darin, dass die Unmenge Vorschriften und Richtlinien, die es für KURS gab, vor jeder Bearbeitung sehr lange studiert wurden, oder alles, was es zu tun gab, sehr, sehr gründlich gemacht wurde. Da es hier nicht, wie etwa in der Industrie, einen vorgegebenen Takt gab, konnte sich auch kein Vorgesetzter wirklich beschweren, denn es wurde ja immer gearbeitet – allerdings unter dem Motto: "Anders arbeiten – bei vollem Gehalt".

Soviel Entschlossenheit, Phantasie und Zähigkeit würde man zur Not einer Belegschaft zutrauen, die über eine reiche gewerkschaftliche Erfahrung verfügt, einer "klassischen gewachsenen gewerkschaftlichen Klientel" also. Davon kann aber keine Rede sein. Die Verhältnisse bei TRANSMEDIA glichen eher solchen, die für die Betriebe der so genannten "neuen Ökonomie" als typisch beschrieben werden. Die Belegschaft bestand aus hochqualifizierten AkademikerInnen und EDV-SpezialistIn-nen, die meisten davon waren Frauen. Nur eine Minderheit hatte feste unbefristete Arbeitsverträge. Rotation und Neueinstellungen führten dazu, dass sich die Zusammensetzung der Belegschaft andauernd veränderte. Erst im Herbst 1999 war ein Betriebsrat gebildet worden. Zu dieser Zeit gab es gerade mal zehn Gewerkschaftsmitglieder bei TRANSMEDIA. Dies sieht aus wie ein "hoffnungsloser Fall" für gewerkschaftliche Organisierung und Mobilisierung. Zu den typischen Verhältnissen der "neuen Ökonomie" gehört allerdings auch, dass die Mehrheit der Beschäftigten schlecht, d.h. weit unter Tarif bezahlt wird, dass die Arbeitsbedingungen miserabel, betriebliche Sozialleistungen (wie Weihnachts- und Urlaubsgeld) nicht vorhanden sind. Dazu gehört die "Arroganz der Macht", die den Beschäftigten Anerkennung und Respekt verweigert. Um dies auf Dauer zu ertragen, braucht es "Schafsgeduld" oder die übertriebene Zuversicht, man könne diesen Zustand individuell erträglich gestalten. Beides ging einigen Beschäftigten bei TRANSMEDIA ab. Sie begannen sich zusammen mit der Gewerkschaft zu wehren. Schließlich hatten sie die meisten anderen auf ihre Seite gezogen. Es begann ein Arbeitskampf, bei dem die Möglichkeiten und Fähigkeiten der Individuen in angemessene Kampfformen übersetzt werden konnten.

Das folgende Interview über den Konflikt bei TRANSMEDIA und seine Bedeutung für gewerkschaftliche Politik von Jens Huhn mit dem nun ehemaligen Geschäftsführer der HBV Mannheim/Heidelberg, Anton Kobel, entnehmen wir als Vorabdruck einer demnächst in den Mannheim/Heidelberger HBV-Heften erscheinenden Dokumentation des Arbeitskampfes.[2]

 

Jens Huhn: Hat der Konflikt bei TRANSMEDIA allgemeinere gewerkschaftspolitische Bedeutung oder ist er einer von vielen, der nur phantasievoller geführt wurde ?

Anton Kobel: Der Konflikt hat gewerkschaftspolitische Bedeutung. Es gab in den letzten Jahren die Diskussion über die neuen Dienstleistungsbetriebe. Da war die Rede von Selbstbestimmung der Beschäftigten, hoher Arbeitszufriedenheit, davon, dass die Beschäftigten morgens gerne ins Büro gehen und erst nachts nach Hause kommen. Das sind die computerisierten Betriebe der sogenannten "neuen Ökonomie" mit den Spezialisten, die alle gewerkschaftsfern und alle ihre eigenen Unternehmer sind, die ihre Probleme selbst regeln können. Wir kennen die Beschreibungen. TRANSMEDIA ist ein neuer Dienstleistungsbetrieb, aber hier entstand eine "Begierde nach Gewerkschaft", d.h. die Begierde nach Regelung der Arbeitsbedingungen, nach einem Betriebsrat und nach einer Instanz, die mit dem Chef für alle redete und Regelungen für alle fand. Es gab auch die Begierde nach Anerkennung. Ein Großteil der Beschäftigten fühlte sich zumindest von den drei obersten Chefs nicht geachtet. Außerdem waren sie schlecht bezahlt. Es gab natürlich wenige mit "Offizierscharakter", die gut genährt wurden. Es war eine relativ junge Belegschaft mit einem hohen Frauenanteil und einem hohen Anteil von Akademikern. Insgesamt eine hochqualifizierte Belegschaft. Auch die Nichtakademiker waren hochqualifiziert als EDV Fachleute, Kaufleute usw. 84 Prozent davon waren befristet. Man muss sich in solchen Betrieben, die im HBV-Bereich öfter vorkommen, genau anschauen, was die Einzelnen für Interessen haben, ob es unter ihnen "Gewerkschaftswillige" gibt. Gibt es Beschäftigte, die ihre Probleme mit anderen gemeinsam regeln wollen, oder sagen sie einfach, ich such’ mir einen andern Job oder ich mache Karriere ? Es ist eine typische HBV-Erfahrung, dass man mit beinahe allen Menschen eine Gewerkschaft machen kann.

Jens Huhn: Wie habt Ihr die "Gewerkschaftswilligen" bei TRANSMEDIA gefunden ?

Anton Kobel: Es gab Einige, die schon gewerkschaftliche Erfahrungen aus ihrem früheren Berufsleben hatten. Die kannten uns auch und waren zuversichtlich, dass sie mit der HBV Mannheim etwas hinkriegen würden. Sie haben die Gewerkschaftsgruppe im Betrieb gegründet. Sie haben auch den anderen gesagt: Wir müssen uns keine anderen Jobs suchen. Wir können den Laden verändern. Das Bremer-Stadtmusikanten-Prinzip (woanders ist es auf jeden Fall besser) muss nicht gelten. Diese kamen auf uns zu.

Jens Huhn: Für sie war die Gewerkschaft kein abstrakter Apparat, der vor allem für Industriearbeiter da ist ?

Anton Kobel: Nein, sie kannten uns von früher und wussten, dass die HBV Mannheim/Heidelberg keine konventionelle Gewerkschaft ist. Sie waren bereit, mit Unterstützung der Gewerkschaft ihre Interessen kämpferisch durchzusetzen und fanden, dass sie Träger dieser Gewerkschaft sind. Das zeigt sich daran, wie die Forderungen zum Gehaltstarifvertrag und zum Manteltarifvertrag zustande gekommen sind. Das war ein mehrwöchiger Diskussionsprozess in Arbeitsgruppen. Wir haben als Hauptamtliche nicht gesagt, wir haben hier Tarifverträge, die nehmen wir einfach, sondern wir haben einen demokratischen Diskussionsprozess organisiert. Sie sollten mit ihren Forderungen in den Arbeitskampf gehen. Das hat bei vielen ihre Sicht von der Gewerkschaft verändert. Wir hatten manchmal auf Betriebsversammlungen diese typischen "Angestellten-Diskussionen und – Fragen". Darauf konnte es keine einfache Antwort geben...

Jens Huhn: Was wäre eine solche typische Frage ?

Anton Kobel: Wir sind befristet beschäftigt. Wenn wir streiken, könnt Ihr garantieren, dass unser Arbeitsvertrag verlängert wird? Das konnten wir nicht. Einfachen Rezepten hätten sie nicht getraut. Man musste schon auf ihre Ängste eingehen und ihnen keinen Baldrian verabreichen. Wir haben gesagt, wir probieren es, aber Ihr kennt ja Eure Geschäftsleitung, die Euch und die Gewerkschaft an der Nase herumgeführt hat. Wir kriegen die Befristungen also nur weg, wenn Ihr kämpft. Es gibt keine Garantie. Aber Eure Ängste werden vielleicht nicht Realität, wenn wir zusammen kämpfen, wenn es sein muss, monatelang.

Jens Huhn: Ihr habt im Arbeitskampf eine besondere Strategie gewählt. Neben dem "klassischen" Streik und der peinlichen Genauigkeit in der Behandlung von Rechts-Fragen war dies der "Dienst nach Vorschrift". Hat dies mit der Zusammensetzung der Belegschaft und deren Erfahrung zu tun?

Anton Kobel: Es gibt da einen unmittelbaren Zusammenhang. Wir wussten, dass ein Teil der befristet Beschäftigten nicht mitstreiken würde, weil die Angst und die Hoffnung, doch noch übernommen zu werden, zu groß war. Wir wussten auch, dass ein Teil der Vorgesetzten mit den Forderungen der Belegschaft sympathisierte. Wenn wir nur auf Streik gesetzt hätten, hätten wir diese Belegschaft gespalten. Wir wollten keinen Gegensatz Streikende – Streikbrecher erzeugen. Das geht in solchen Betrieben nicht. Die Fronten so zu verhärten ist dort politisch falsch. Es handelt sich bei den Nicht-Streikenden ja nicht um klassische Streikbrecher, sondern am Menschen ohne gewerkschaftliche Erfahrung und Sozialisation. Auch sie mussten eine Möglichkeit haben, sich zu verteidigen. So taten das die einen drinnen und die anderen draußen.

Jens Huhn: Deswegen gab es ja wohl auch keinen unbefristeten Vollstreik, sondern die Taktik des Tagesstreiks, damit die Verbindung zum Betrieb nicht abriss?

Anton Kobel: Ja. Das war ein wichtiger Grund. Wir haben immer versucht die Belegschaft zusammenzuhalten und gemeinsam zu diskutieren, wie es weitergehen sollte. Die Kombination aus Tagesstreik und unbefristetem "Dienst nach Vorschrift" hing auch damit zusammen, dass wir davon ausgingen, dass dies eine lange Auseinandersetzung wird. Wir hatten zwei Jahre vorher mit Nanz-Edeka einen 7-wöchigen Vollstreik und wussten, wie schwer das durchzuhalten ist. Ein Arbeitskampf um einen Hausvertrag in einem Einzelbetrieb kann sehr lange dauern. Es hängt davon ab, wie die Kapitaleigner gestrickt sind. Manchmal lassen sie dabei einen Betrieb einfach absaufen, damit andere Belegschaften kein "schlechtes Beispiel" (einen Tarifvertrag) bekommen. Allerdings wurde uns erst zu Beginn des Arbeitskampfes richtig deutlich, mit wem wir es wirklich zu tun hatten. Die Medien Union, die hinter TRANSMEDIA steht, ist der drittgrößte Medienkonzern in der BRD. Die waren überrascht von unserer Zähigkeit, wir von ihrer wirklichen Größe.

Jens Huhn: Ihr habt also nicht irgendeinen Betrieb zum Tarifvertrag gezwungen, sondern einen großen und einflussreichen...

Anton Kobel: Das macht Mut auch für andere Bereiche. Es gibt große Kapitalgruppen, die "start up"-Unternehmen aufziehen. Sie setzen im Notfall dabei auch mal ein paar Millionen in den Sand. Über solchen Betrieben hängt immer das Damoklesschwert der Schließung. Das haben wir auch bei TRANSMEDIA diskutiert: Machen die einfach den Laden zu, wenn sie sehen, dass sie verlieren könnten? Sie haben es nicht. Man kann also auch in solchen deregulierten Betrieben in den neuen Branchen erfolgreich kämpfen.

Jens Huhn: Noch mal zum "Dienst nach Vorschrift". Du hast gesagt, dass dies die eher Ängstlichen in den Konflikt integriert hat. Nun ist "Dienst nach Vorschrift" aber vielleicht das schwierigste Kampfmittel bei einem Arbeitskampf. Er scheint mir noch schwieriger für Ängstliche als der Streik...

Anton Kobel: Ja. Es gibt verschiedene Schwierigkeiten. Relevante Teile der Belegschaft müssen ihre Arbeitsprozesse kennen, in die ihr konkreter Arbeitsplatz eingebunden ist. Hochqualifizierte Belegschaften machen sich gerade darüber Gedanken und haben meist jede Menge Verbesserungsvorschläge im Kopf. Du musst sie kennen, um die Schwächen mit "Dienst nach Vorschrift" zu Deinen Gunsten ausnützen zu können. Dabei gehst Du Einigen gewaltig auf den Keks, nicht nur den Vorgesetzten oder der Geschäftsleitung, worüber Du Dich freust, sondern auch Deinen ArbeitskollegInnen in Deiner unmittelbaren Umgebung. Mit denen musst Du Dich dann verständigen, anders klappt diese Kampfform nicht. Sie ist sehr kommunikativ. Man muss allerdings auch die Grenzen dieser Kampfform beachten, damit es z.B. keine Abmahnungen gibt. Dabei kann immer was schiefgehen.

Jens Huhn: Würdest Du sagen, dass diese Kampfform dem Bewusstsein dieser Art von Belegschaften besonders angemessen ist, weil sie ein hohes Maß an Eigenständigkeit des Einzelnen voraussetzt und außerdem von keinem hauptamtlichen Gewerkschaftssekretär von außen gesteuert werden kann?

Anton Kobel: Die Idee kam von den Hauptamtlichen. Aber Du musst die Belegschaft natürlich dafür gewinnen. Die Rolle des Hauptamtlichen besteht außerdem darin, solche Kampfformen abzusichern. Das meine ich in rechtlicher Hinsicht, aber auch psychisch. Ansonsten müssen Aktivisten im Betrieb diesen Kampf führen. Auch sie müssen Ansprechpartner für andere sein. Die Kampfform ist deshalb in solchen Betrieben angemessen, weil viele dort nicht nur hochqualifiziert, sondern auch Individualisten sind, die als Einzelne ernst genommen werden wollen. Das war übrigens für sie ein Mangel bei TRANSMEDIA, dass sie von oben mal gerade als Kostenfaktor gesehen wurden. Solche Individualisten entwickeln dann in der Auseinandersetzung ihre Fähigkeiten.

Jens Huhn: Mir ist aufgefallen, dass sich die Betriebsabläufe bei TRANSMEDIA besonders für einen "Dienst nach Vorschrift" eignen. Es gibt im Gegensatz zum Industriebetrieb keine Vorgaben, Taktzeiten usw...

Anton Kobel: Ganz klar. Man muss auch weniger riskieren als in Industriebetrieben. Bei den vorgegebenen durchorganisierten Betriebsabläufen in der Industrie muss ein "Dienst nach Vorschrift" in der Regel überwiegend destruktives Verhalten sein. Dabei müssen Abmahnungen und Schlimmeres immer mit kalkuliert werden. Bei Betrieben wie TRANSMEDIA musst Du Dich dagegen nur akkurat an die Regeln halten. Dazu gibt es eine Anekdote. Vor dem Arbeitsgericht hat sich der Personalchef von TRANSMEDIA über den "Dienst nach Vorschrift" beschwert. Der Richter hat ihn dann angefahren, was er eigentlich wolle, es seien doch seine Vorschriften. Will er, dass sich die Leute nicht daran halten? Da schlägt das Herrschaftsinstrument auf seine Urheber zurück.

Jens Huhn: Gewerkschaft und Betriebsrat haben während der Auseinandersetzung auf die peinlichste Einhaltung von gesetzlichen Regelungen geachtet. War das das dritte Element der Strategie?

Anton Kobel: Die Anrufung von Arbeitsgerichten war absolut wichtig. Es geht bei Arbeitskämpfen auch darum, die Menschen auf der anderen Seite an ihre Grenzen zu bringen. Das geschieht auch dadurch, dass sie ständig bei Arbeitsgerichten auftauchen müssen. Außerdem hatte TRANSMEDIA die Haltung uns und dem BR gegenüber. Wenn Ihr glaubt im Recht zu sein, dann müsst Ihr es Euch holen. Wir haben umgekehrt die gleiche Haltung eingenommen.

Jens Huhn: ... Eure Prozesse habt ihr aber verloren...

Anton Kobel: Nein, wir haben sie nur nicht gewonnen – in der ersten Instanz. Es gibt weitere Instanzen, man hat meist drei Versuche.

Jens Huhn: Jetzt habe ich eigentlich zwei Fragen, die miteinander zusammenhängen. Auch dieser Konflikt, wie der bei Schlecker [3], hatte eine "moralische Dimension". Worin bestand sie? Und trotz dieser Dimension ist es im TRANSMEDIA-Kon-flikt nicht annähernd zu einer solchen überregionalen Öffentlichkeit gekommen wie im Schlecker-Konflikt. Wie kann man das erklären?

Anton Kobel: Eine Zentrale, die das koordiniert, gibt es nicht. Doch zu Deiner ersten Frage. TRANSMEDIA ist ein Zuliefererbetrieb der Bundesanstalt für Arbeit. Er macht 90 Prozent der Umsätze mit der Bundesanstalt. Der Skandal besteht darin, dass die Bundesanstalt für Arbeit, in der auch gewerkschaftliche Vertreter an höchster Stelle sitzen, solche Aufträge an Firmen vergibt, die den günstigsten Preis machen – wegen der niedrigen Löhne, schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen sozialen Standards. Diese Bundesanstalt bezahlt die Unterstützung an Arbeitslose nach tariflichen Standards, und dies auch an Nicht-Gewerkschaftsmitglieder oder im Falle von Firmen, die nicht im Arbeitgeberverband sind. Aber sie schauen nicht darauf, dass ihre Zulieferer Standards einhalten. Das ist im nationalen Rahmen der gleiche Skandal, wie wenn Textilfirmen und andere in der Dritten Welt unter Missachtung aller Standards produzieren lassen. Ich will das nicht gleichsetzen, aber es ist strukturell vergleichbar.

Jens Huhn: Aber es hat doch eine Intervention der Bundesanstalt gegeben.

Anton Kobel: Ja, es wurden Gespräche geführt. Und es wurde ein gemeinsames Gespräch aller Beteiligten und der Bundesanstalt vorgeschlagen. Das wurde dann von TRANSMEDIA abgelehnt. Wir hatten Kontakt zum Präsidenten, zum Vizepräsidenten (wir sind von ihm in Nürnberg empfangen worden) und den hochrangigen Gewerkschaftsvertretern in der Bundesanstalt, aber wir wissen z.T. nicht, was wirklich gelaufen ist. Das ist für mich ein wichtiger Punkt: TRANSMEDIA macht mit öffentlichen Geldern Profite, der Arbeitskampf findet öffentlich statt, aber ein ganz wichtiger Teil der Auseinandersetzung findet in der Kulisse statt, ohne Publikum und nicht nachvollziehbar. Auch die Bundesanstalt hätte in die Öffentlichkeit gehen und erklären müssen: Wir sind Akteure. Statt dessen gab es die Standardformel: Die Bundesanstalt ist politisch neutral. Sie war es natürlich nicht, als sie mit TRANSMEDIA einen Vertrag geschlossen hat.

Nun zur zweiten Frage. Bei Schlecker kam uns entgegen, dass es in der ganzen Bundesrepublik überall Filialen gab. Auch die Medien Union gibt es in Süd- und Ostdeutschland, aber das sind jeweils andere Arten von Betrieben, in denen verschiedene Gewerkschaften zuständig sind. Hier zeigt sich übrigens eine gewerkschaftliche Schwäche. Man hätte überregional gegen die Medien Union gewerkschaftlich mobilisieren können.

Jens Huhn: Gibt es noch andere Gründe für die schwache überregionale Mobilisierung ?

Anton Kobel: TRANSMEDIA war scheinbar ein kleines Unternehmen, der Konflikt scheinbar ein rein lokaler. Außerdem haben Gewerkschaften während des Konflikts vielleicht gemeint, sie hätten Wichtigeres zu tun als die praktische Solidarität für den Arbeitskampf zu organisieren – nämlich z.B. ver.di zu gründen. Wir hatten ein soziales Netzwerk der Solidarität vor Ort. Es bestand aus anderen Gewerkschaften, vielen GewerkschafterInnen aus Mannheimer Großbetrieben, einigen Politikern. Was mir bei der Unterstützung allerdings auffällt ist: Ein Teil davon ist rein verbal und auch "marktgerecht". Das ist eine der Erfahrungen, die genauer untersucht werden müssen. Wir brauchen sicher medienwirksame Solidarität. Sie ist aufbauend und wirkt, aber dabei darf es nicht bleiben. Vielleicht hängt die schwache überregionale Mobilisierung auch damit zusammen, dass viele Kämpfe hier verloren wurden und viele nicht geführt, die geführt werden müssten. Die gesellschaftliche Konfliktbereitschaft, die den Verhältnissen hier angemessen wäre, ist nicht da. Nicht zuletzt hängt die mangelhafte Unterstützung auch mit dem Produkt von TRANSMEDIA zusammen. Bei Schlecker waren die Kunden zu mobilisieren. Das verbreitete und schuf Öffentlichkeit. Das Produkt von TRANSMEDIA geht an die Klientel von Arbeitslosen, Schulabgängern und Hochschulabgänger. Diese sind schwer für eine gewerkschaftliche Initiative zu mobilisieren. Zur Zeit haben wir einen Konflikt mit dem Medien-Haus Prinz. Auch da geht es leichter. Sie verkaufen Bücher, Poster, Tonträger aller Art usw. In Mannheim gibt es 86 Beschäftigte. Prinz gehört auch zu einem größeren Konzern, der Ganske-Gruppe in Hamburg. Da haben wir innerhalb weniger Wochen über 30.000 Unterschriften unter eine Solidaritätsadresse von Kunden gesammelt. Hier engagiert sich auch die örtliche Künstlerszene stark. Musikgruppen traten Samstags vor Prinz auf, außerdem das Ensemble des Nationaltheaters. Das zeigt, dass wenn es um Produkte geht, die nicht sinnlich erfahrbar sind, es sehr schwer ist, Kunden zu mobilisieren.

Jens Huhn: Noch eine letzte Frage. Wie ist der Kampf in der HBV außerhalb von Mannheim-Heidelberg gesehen worden?

Anton Kobel: Er war allgemein bekannt und wurde auf zwei Gewerkschaftstagen in Magdeburg und Berlin vorgestellt. Es wurde betont, wie wichtig der Konflikt sei, und es kam sehr viel Anerkennung und Beifall. Als wir gewonnen hatten, gab es viel Schulterklopfen und Du merkst dann erst, wie viele Unterstützer Du hattest. Die Unterstützung war jedoch verbal, nicht praktisch.

Jens Huhn: In der neuen Gewerkschaft ver.di soll es zu neuen Strategien und Kampfformen kommen. Die Erfahrung mit TRANSMEDIA wäre dafür sicher wichtig, und es müsste eigentlich eine breite politische Diskussion in der Gewerkschaft über den Kampf geben?

Anton Kobel: Ja, und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass es dazu kommt, dass von höchster Stelle bei ver.di ein solcher Diskussionsprozess angezettelt wird. Darauf setzen wir, aber das ersetzt nicht den Diskussionsprozess unten auf der bezirklichen Ebene, z.B. hier in Baden-Württemberg. Nur so werden Erfahrungen auch an die vermittelt, die nicht unmittelbar beteiligt waren. Wir setzen darauf und sind bereit, dabei zu helfen.

 

Dieses Interview ist erschienen im express, Zeitschrift für Betriebs- und sozialistische Gewerkschaftsarbeit, 6-7/01

Anmerkungen

1) Nachdem die Bundesanstalt den Auftrag für die Datenbank KURS an TRANSMEDIA vergeben hatte, stieg die Beschäftigtenzahl von 40 auf fast 200 MitarbeiterInnen – vor allem AkademikerInnen und Menschen mit kaufmännischer Ausbildung. Das änderte sich, als die Unternehmensberatung HAY die Geschäftsleitung dahingehend beriet, dass bei der Arbeit für KURS keine AkadamikerInnen mehr benötigt würden – wohl vor allem aus Kostengründen. Der Arbeitskampf bei TRANSMEDIA wurde hauptsächlich von den MitarbeiterInnen der Abteilung KURS geführt.

2) Das Interview ist entnommen aus: "Anders arbeiten bei vollem Gehalt. Neue Arbeitskampfformen in einem modernen Dienstleistungsbetrieb", Mannheim/Heidelberger HBV-Hefte, zu beziehen über AFP e.V./Redaktion express sowie HBV Mannheim/Heidelberg, Tel. 0621 / 12 54-270

3) Zum Schlecker-Konflikt vgl. Jens Huhn: "Die Schlecker-Kampagne 1994-1995.Gewerkschaft als soziale Bewegung", zu beziehen über s.o.


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