Tarifrunde Druckindustrie und Papierverarbeitung

Kollektiv betteln oder gemeinsam kämpfen?

 

"Die Tarifrunde ist gelaufen", sagen nicht wenige Beschäftigte in Druckereien und papierverarbeitenden Betrieben. Wer davon ausgeht, daß der Tarifabschluß der IG Metall auch automatisch auf alle anderen Wirtschaftsbereiche übertragen wird, der liegt mit seiner Einschätzung nicht ganz falsch. Doch was passiert, wenn beispielsweise der Bundesverband Druck gar nicht daran denkt, die für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie ausgehandelte Lohn- und Gehaltserhöhung von 3,1 Prozent für dieses Jahr zu akzeptieren? Richtig, dann hat die IG Medien ein großes Problem – und mit ihr die Belegschaften der Druckindustrie und selbst die der Papierverarbeitung.

So "gemein" werden die Unternehmer doch wohl nicht sein, wird jetzt der eine oder die andere denken. Die müssen doch "einsehen", daß die Tarifvereinbarung der IG Metall tatsächlich ein "Pilotabschluß" auch für andere Branchen darstellt – so stand es schließlich auch in den Zeitungen. Es trifft zu, daß die IG Metall sich mit ihrem zweijährigen Lohn- und Gehaltstarifvertrag von durchschnittlich 2,6 Prozent pro Jahr an die Empfehlungen des "Bündnisses für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit" gehalten hat: Abschlüsse nicht über die gesamtwirtschaftliche Produktivität von 2,6 Prozent und längere Laufzeiten als zwölf Monate. Genauso sieht das der Sprecher der SPD-Grünen-Regierung, Uwe-Karsten Heye, der ausdrücklich betont, daß es das "Bündnis" aus Unternehmern, Bundesregierung und Gewerkschaften gewesen sei, das zu der "äußerst moderaten und verantwortlichen Tarifbewegung in diesem Frühjahr" (Frankfurter Allgemeine 20.4. 2000) beigetragen habe. Insofern setzte die IG Metall tatsächlich deutliche Signale auch für andere Branchen.

Gelten diese aber automatisch für die von der IG Medien vertretenen Bereiche? Schon deren Ausgangssituation ist eine völlig andere. Die Druckindustrie verzeichnete im letzten Jahr einen Produktivitätsfortschritt von 5,5 Prozent, die erhöhte Nachfrage für qualifizierte Drucker hat den "Markt" für solche Fachkräfte im Rhein-Main-Gebiet fast "leergefegt". Offenbar liegen die Gewinne in dieser Branche deutlich über denen der Gesamtwirtschaft. Die Beschäftigten erbrachten also in jedem Jahr eine höhere Leistung (siehe Tabelle: Umsatz pro Beschäftigte/n) und erarbeiteten den Unternehmern damit reichlich Profit. Wann sonst, wenn nicht jetzt, muß die Kasse auch bei den Lohn- und Gehaltsabhängigen "klingeln".

Bei einer geschätzten Preissteigerungsrate von 1,8 Prozent und einem Produktivitätsfortschritt von 5,5 Prozent liegt der Verteilungsspielraum bei 7,3 Prozent – von Umverteilung ist noch nicht einmal die Rede. Insofern präsentiert sich die Tarifforderung der IG Medien in Höhe von 5,5 Prozent an sich schon als sehr moderat. Doch die Unternehmer sehen in ihr – wie soll es anders sein – einen Angriff auf den Standort Deutschland. Der Tarifabschluß der IG Metall wird von ihnen deshalb als Druckmittel eingesetzt, um die IG Medien zum Verzicht auf eine spürbare Lohn- und Gehaltserhöhung zu zwingen. Aber selbst 3,1 Prozent mehr werden sie erfahrungsgemäß nicht freiwillig abgeben. Sie müssen sogar dazu mit betrieblichen und öffentlichen Aktionen in möglichst vielen Unternehmen gezwungen werden. Alles andere liefe auf Bittstellerei hinaus. Deshalb steht die Frage heute: Kollektiv betteln oder lieber gemeinsam kämpfen? Die Antwort müssen die Beschäftigten geben.

 

Quelle: IMPULS – Informationen für Aktive Nr. 76 vom 28. April 2000
Herausgegeben vom Bezirk Wiesbaden der IG Medien
Homepage: http://www.igmedwi.de

 


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