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Updated: 18.12.2012 15:51
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Was steckt hinter dem

Tarifausstieg der Bundesländer?

Ende März hatte die Tarifgemeinschaft der Bundesländer (TDL) den Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) für die ca. 900.000 Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Landesdienst Westdeutschlands gekündigt. Ziel sei es, neu angestellte Beschäftigte vom 1. Mai 2004 an länger als die derzeit vereinbarten 38,5 Wochenstunden arbeiten zu lassen. Bayern hat bereits angekündigt, noch in diesem Jahr für den gesamten öffentlichen Dienst die 42-Stundenwoche einführen zu wollen.

Allein in Bayern würde die 42 Stundenwoche mindestens 5700 Stellen im öffentlichen Dienst vernichten, und dies angesichts von über 4 Millionen Arbeitslosen. Wenn alle Bundesländer die 42-Stundenwoche durchsetzten können, bedeutet das allein diesem Bereich die Vernichtung von 75.000 Arbeitsplätzen.

Das ist den Länderregierungen, angeführt von den Hardlinern Steinbrück (SPD-Ministerpräsident NRW) und Stoiber (CSU Bayern) gleichermaßen bekannt wie egal. Es geht darum ver.di, noch die mitgliederstärkste Einzelgewerkschaft der Welt, vorzuführen, zu demontieren und so den Kampfplatz öffentlicher Dienst zum gelungenen Vorbild einer Arbeitszeitverlängerung für die gesamte Wirtschaft zu machen.

Laut Tagesspiegel vom 28. März tönte Stoiber in aller Öffentlichkeit, die Kündigung des Arbeitszeittarifvertrages werde "die Arbeitswelt in Deutschland verändern."

Arbeitszeitverlängerung, natürlich ohne Lohnausgleich, erfreuen sich bei den Markt-Fundamentalisten über die Parteigrenzen hinweg zunehmender Beliebtheit. Es geht um die Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen der Wirtschaft. Wenn die Menschen länger fürs gleiche Geld arbeiten, sinken für das Unternehmen die Kosten. Das Düsseldorfer Institut für Arbeit und Technik (IAT) hierzu: "Im Kern geht es nicht um Arbeitszeitpolitik, sondern um die Senkung der Arbeitseinkommen pro Stunde über den Umweg von Arbeitszeitpolitik" (TSP v. 28.3.04). Bei 3,5 Stunden mehr, sinkt der Lohn um über 9%. Dass die Arbeitgeber, sowohl in der Privatwirtschaft wie im öffentlichen Dienst, daran größtes Interesse haben, überrascht nicht. "Eine Verlängerung muss die nächste Maßnahme im Rahmen der Agenda 2010 sein", so Rüdiger Pohl, Chef des unternehmertreuen Instituts für Wirtschaftsforschung halle. (TSP v. 30.3.04)

Für den Staat, der weniger Steuern einnimmt, aber gleichzeitig mehr Arbeitslose finanzieren muss und geringere Abgaben für die Sozialversicherungen einnimmt, steigen dagegen die Kosten und werden so die nächste Runde des Sozialabbaus legitimieren helfen. Die kompetente ver.di-Wirtschaftsabteilung weist seit langem daraufhin, dass Arbeitszeitverlängerung Lohnsenkungen und Arbeitsplatzvernichtung bedeuten.

Alle diese genannten Gründe müssten schon eine Gewerkschaft zur massiven Gegenwehr veranlassen. Der "Spiegel", unverdächtig Bündnispartner der Gewerkschaften zu sein, zitierte in der Ausgabe 14/2004 auf S.48 den niedersächsischen Finanzminister und TDL-Verhandlungsführer Möllring, der Staat brauche "echte Kostensenkungen", deshalb müsse "die Arbeitszeit verlängert werden." Der Artikel kam zu folgendem Ergebnis. "Den Hardlinern im Länderlager geht es also gar nicht ums Sparen, sondern ums Prinzip: Sie wollen den Druck auf ver.di und Kommunen erhöhen, die Tarifstandards im Öffentlichen Dienst abzusenken."

Was im Moment seitens der Länder passiert, ist das massive Abwatschen einer konsternierten Gewerkschaft namens ver.di und das tatsächliche Ende eines verniedlichend "Sondierungsprozesses" genannten Versuchs, ein neues Tarifvertragswerk für ca. 9 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst, den Wohlfahrtsverbänden und den übrigen Bereichen., die bisher noch BAT-Anwender sind, zwischen ver.di und Bund, Ländern und Gemeinden auszuhandeln.

Es geht um die "Prozessvereinbarung"

Um diese "Prozessvereinbarung" geht es in der Realität, wobei die Wahrnehmung dieser Realität unterschiedlicher kaum ausfallen kann. Kurt Martin, Quoten-CDUler im Bundesvorstand von ver.di und Leiter der Abteilung Tarifpolitik "drohte" mit "Protestaktionen bis zum Arbeitskampf" Was bedeutete nun "Prozessvereinbarung"?

Das Tarifrecht des öffentlichen Dienstes besteht in seiner heutigen Grundsubstanz seit 1961. Es hat den Anspruch, alle Tätigkeiten des öffentlichen Dienstes zu erfassen und weitgehend bundeseinheitlich zu behandeln.. Die Regelungen hatten für viele Bereiche Leitbildcharakter und dienten zur Orientierung, so dass mindestens sieben Millionen Arbeitsverhältnisse mehr oder weniger von den Tarifergebnissen im öffentlichen Dienst betroffen sind. Im Gefolge der in BvU ständig thematisierten Finanznöte der staatlichen Arbeitgeber und der von Staatsförderung abhängigen Bereiche wie Wohlfahrtsverbände etc. und des grassierenden Sozialabbaus fand und findet vielerorts ein Ausstieg von Arbeitgebern aus dem BAT statt, um durch Tarifflucht die Gehälter zu senken, die Arbeitszeit zu verlängern, Zuschläge zu streichen und so weiter. Wir erinnern uns noch gut an die Tarifflucht des Landes Berlin, die mit Zustimmung von ver.di zu einem neuen, niedrigeren Abschluss führte. Nach der Methode "best practice" folgen Unternehmer gern diesen geglückten Vorbildern, was außer der verdi-Tarifabteilung niemanden überrascht haben dürfte.

Bei Tarifflucht gibt es für die Gewerkschaft als Interessensvertretung von Arbeitnehmerinteressen eigentlich nur zwei Reaktionsmöglichkeiten. Entweder nimmt sie den Konflikt auf und führt ihn mit dem Ziel, dem Unternehmer soviel Schaden zuzufügen, dass er zu "vernünftigem" Verhalten zurückkommt- gemeinhin als Streiktaktik bezeichnet – oder sie tut dies nicht und bittet um eine nicht zu harte Bestrafung in Form eines neuen Tarifvertrages mit abgesenkten Tarifen. "Nicht betteln, nicht bitten, nur mutig gestritten.." hieß es in einem Lied der "historischen" Gewerkschaftsbewegung. Aber in Zeiten gewerkschaftlichen Co-Managements wird weniger gesungen und wenn, dann im Chor mit den Arbeitgebern. Zumindest solange, wie diese im Konzert mitspielen.

Das Chorwerk "Prozessvereinbarung für die Tarifverhandlungen zur Neugestaltung des Tarifrechts des öffentlichen Dienstes (TVöD)" entstand im Januar 2003, nach längerem Vorlauf, im Rahmen der Tarifschlichtung zu Lohn und Gehalt im Öffentlichen Dienst, dem sog. "Potsdamer Abschluss." Das Dokument als Ansammlung von Leerformeln, hohlen Begriffen und Unternehmersprache, die mittlerweile auch gewerkschaftsfähig geworden sind, ist bemerkenswert.Kasten

Die Prozessvereinbarung

"Die Tarifvertragsparteien sind sich darin einig, dass der öffentliche Tarifverbund zu erhalten ist. Das neu zu gestaltende Tarifrecht des öffentlichen Dienstes verlangt Einheitlichkeit und Differenzierung. Das bedingt allgemeine Regelungen und bedarfsorientierte, spartenspezifische Regelungen.

Bei der Neugestaltung des Tarifrechts des öffentlichen Dienstes (TVöD) lassen sich die Tarifvertragsparteien von folgenden wesentlichen Zielen leiten:

Stärkung der Effektivität und Effizienz des öffentlichen Dienstes

Aufgaben- und Leistungsorientierung

Kunden- und Marktorientierung

Straffung, Vereinfachung und Transparenz

Praktikabilität und Attraktivität

Diskriminierungsfreiheit

Lösung vom Beamtenrecht

einheitliches Tarifrecht für Angestellte und Arbeiterinnen/Arbeiter

Die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes weisen darauf hin, dass auf Grund der Finanzlage der öffentlichen Haushalte dem Gebot der strikten Kostenneutralität Rechnung zu tragen ist. Die Intention der Neugestaltung des Tarifrechts beinhaltet auch die Flexibilisierung der Arbeitszeit sowie die Erhaltung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der öffentlichen Wirtschaft. ver.di will das Tarifrecht für die Beschäftigten attraktiver gestalten.

Eine zentrale Lenkungsgruppe wird die Regelungsgegenstände auflisten, bedarfsgerecht den allgemeinen bzw. spartenspezifischen Regelungen zuordnen und entsprechende Projektgruppen einrichten, die synchron tagen können. Die Projektgruppen haben im Rahmen des Auftrags der Lenkungsgruppe konsensfähige Lösungen vorzuschlagen. Die Lenkungsgruppe hat die Aufgabe, die Ergebnisse der Projektgruppen zu koordinieren. Spartenspezifische Bedarfe sowie ggf. regional zu verhandelnde Gegenstände werden am Anfang und während der laufenden Tarifverhandlungen ermittelt.

Die Tarifvertragsparteien streben im Ergebnis ein Tarifrecht des öffentlichen Dienstes (TVöD) an, das aus einem Allgemeinen Teil und Besonderen Teilen besteht. Der Allgemeine Teil enthält das neue Tarifrecht mit den einheitlichen Regelungen für den gesamten öffentlichen Dienst; das ausfüllende oder spezifische Tarifrecht für die Verwaltungen, Krankenhäuser, Sparkassen, Flughäfen und Entsorgungsbetriebe wird jeweils in einem Besonderen Teil geregelt.

Allgemeiner Teil und der jeweilige Besondere Teil ergeben zusammen das Tarifrecht der entsprechenden Sparte des öffentlichen Dienstes. Aus beiden Teilen werden durchgeschriebene und von den jeweiligen Tarifvertragsparteien zu unterzeichnende Fassungen für jede Sparte erstellt. Allgemeiner Teil und die Besonderen Teile sind rechtlich selbständige Tarifverträge.

Während der Tarifverhandlungen stehen der Allgemeine Teil und die Besonderen Teile unter dem Vorbehalt der Gesamteinigung. Die Tarifvertragsparteien streben ein einheitliches Inkrafttreten aller Tarifverträge an."

Gewerkschaftliche Reaktionen

Nach bekannt werden dieser Vereinbarung gab es in ver.di nur an einigen Stellen Protest, etwa im Bezirk Stuttgart, der u.a. schrieb:

"Die Prozessvereinbarung zur Ablösung des BAT und der entsprechenden ArbeiterTV zugunsten von rechtlich selbstständigen Spartentarifverträgen, die markt- und leistungsorientiert sowie kostenneutral bis zum Ende der Laufzeit des Tarifvertrages umgesetzt werden soll, widerspricht unseren demokratischen Strukturen, weil die innergewerkschaftliche Diskussion zur Änderung des öffentlichen Tarifrechts in ihren Anfängen abwürgt und ad absurdum geführt wird: Sie legt eine Richtung fest, die der bisherigen Beschlusslage … widerspricht. Kostenneutralität bedeutet, dass durch einen neuen Manteltarifvertrag Beschäftigte mehr und andere weniger verdienen werden. Besonders gefährlich sind aus unserer Sicht die möglichen mittel- und langfristigen Wirkungen dieses Abschlusses. Die These, dass durch Streik nicht mehr erreicht werden hätte können halten wir für falsch und sie ist äußerst gefährlich. Jede Gewerkschaft wäre damit letztlich handlungsunfähig. …Wir befürchten, dass mit Ergebnis und Vorgehen eine zumindest vorläufige Richtungsentscheidung für politische Anpassung getroffen wurde."

Die große Mehrheit der Funktionärinnen und Funktionäre nahm die "Prozessvereinbarung" nicht zur Kenntnis, von den "normalen" Mitgliedern ganz abgesehen. Es gab und gibt soviel Probleme in den Betrieben und Dienstellen, dass man eh kaum weiß, wo einem der Kopf steht und dann noch einen weiteren "Prozess" vereinbaren und verfolgen? Die Informationen für die Masse der Aktiven waren spärlich. Ich habe es noch einigen Monaten erlebt, dass ehrenamtliche Funktionsträger die "Prozessvereinbarung" für Verfahren vor Arbeitsgerichten hielten. Zu dieser Zeit hatten Arbeitgeber und ver.di schon fast ein halbes Jahr verhandelt, bzw. um es exakt auszudrücken, "sondiert". Es war und ist ja alles ergebnisoffen.

Die Bundestarifkommission von ver.di hatte bereits im April 2002 dem Tarifsekretariat den Auftrag erteilt, eine Verhandlungskommission bestehend aus 30 ehrenamtlichen Mitgliedern der Bundestarifkommission zu bilden. Die Verhandlungskommission ist ein ver.di- Gremium, an deren Sitzungen die TarifkoordinatorInnen der Bundesfachbereiche, der Landesbezirke und VertreterInnen der einzelnen Gruppen – Jugend, Frauen, ArbeiterInnen –, sowie der mittelbar betroffenen Bereiche des öffentlichen Tarifgebiets teilnehmen. Für die inhaltliche Erarbeitung von Ergebnissen wurden eine "Lenkungsgruppe" und 9 Projektgruppen gebildet. Die Lenkungsgruppe und die Projektgruppen setzen sich aus 9 Vertretern/-innen der Arbeitgeber und aus 9 Vertretern/-innen von ver.di zusammen. Vier Projektgruppen beschäftigen sich dem sog. "Mantel" (A1 Allgemeine Mantelfragen A2 Arbeitszeit A3 Entgelt und leistungsorientierte Vergütung A4 Eingruppierung) und fünf mit dem sog. Besonderen Teil des Tarifwerks, worunter im Prinzip die Spartentarifverträge zu verstehen sind (B1 Verwaltung B2 Krankenhäuser B3 Sparkassen B5 Entsorgung).

Es begann eine intensive Reisetätigkeit, die Bundesbahn hatte Konjunktur und viele Hotels bekamen zusätzliche Gäste. Immerhin sollte das neue Tarifwerk ja bis zum 31. Januar 2005 ausgehandelt sein. Es zeigte sich allerdings schnell, dass ver.di mit guten Absichten in die Verhandlungen ging, die Arbeitgeber dagegen mit einer knallharten Interessenspolitik. In allen Projektgruppen stand man schnell vor einer Patt-Situation. Die Arbeitgeber wollten statt Kostenneutralität Kostenreduzierung und ver.di wollte dem (noch?) nicht folgen. Da es im Konsens mit ver.di nicht ging, schufen die Landes-Arbeitgeber Fakten.Bereits im April 2003 kündigte die TdL an, die Traifverträge über Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu kündigen. Ver.di wartete ungerührt ab bis zum Vollzug ab. Nachdem bereits am Donnerstag den, 26. Juni 2003 die Kündigungen von der Tarifgemeinschaft deutscher Länder eingegangen waren, "erreichten uns heute Nachmittag die Kündigungen der Tarifverträge des Bundes über Zustellung per Bote. Diese einseitigen Kündigungen, sind mit Blick auf die Prozessvereinbarung und der darin verabredeten Ziele ein schwerer Vertrauensbruch. Durch dieses Verhalten verlassen die Arbeitgeber des Bundes und der Länder die Geschäftsgrundlage der Potsdamer Einigung in Bezug auf die Ziele der Neugestaltung des Tarifrechts im ÖD".

Reaktion von ver.di: Außer Presserklärungen keine. Was die Unternehmer im Moment zu Vorbildern macht ist ihr ausgeprägtes Klassenbewusstsein. Sie wissen genau, was sie wollen.

Es war zu befürchten, dass die Arbeitgeberforderungen Ergebnis der Verhandlungen sein werden. Das Misstrauen hinsichtlich der Kompromissbereitschaft von ver.di, so eine Stellungnahme des FB 03 aus NRW "ist sehr hoch. Stichwort: ‚Einen Abschluss um jeden Preis.’ Es fehlt an der Vorstellungskraft, dass ver.di bei den gegenwärtigen Rahmenbedingungen für die Mitglieder tatsächlich etwas Positives, Neues, qualitativ Besseres durchsetzen kann. Für das weitere Vorgehen erscheint es wichtig, das fehlende Zutrauen in die eigene Stärke zu thematisieren."

Nachdem die TdL mit dem Bruch der Absprachen gute Erfahrungen gemacht hatte, war es nur eine Frage der Zeit, wann der nächste Streich folgte. Und es war nur folgerichtig, dass es nun um die Arbeitszeiten ging. Trotzdem waren viele ver.di-Verantwortliche erneut überrascht, dass die Arbeitgeber ihre Zusagen brachen. Und wiederum gab es statt massiver Gegenwehr (ich möchte nicht unterschlagen, dass es in einigen Landesbezirken zu durchaus guten Aktionen kam), nur eine Erklärung.

"Die Bundestarifkommission hat in ihrer außerordentlichen Sitzung am 2. April 2004 die Kündigung der Arbeitszeitvorschriften zum 30. April 2004 im Tarifgebiet West durch die Tarifgemeinschaft der Länder diskutiert und dabei das Verhalten der Länder auf das Schärfste verurteilt.

Sie hat festgestellt, dass das Verhalten der Länder:

nicht vereinbar ist mit der abgeschlossenen Prozessvereinbarung zur Neugestaltung des Tarifrechts, zu einem massiven Stellenabbau führt, eine Bresche schlagen soll für generelle Arbeitszeiterhöhungen, sich einreiht in die Versuche, betriebliche Mitbestimmung und Tarifautonomie zu unterlaufen.

Dem Erpressungsversuch erteilt die Bundestarifkommission eine deutliche Absage!

Die Länder können erst dann wieder an den Verhandlungstisch, wenn sie die Arbeitszeitbestimmungen wieder in Kraft setzen.

Weigert sich die TdL, die gekündigten Tarifbestimmungen wieder in Kraft zu setzen, wird ver.di das Scheitern erklären und das weitere Vorgehen veranlassen.

Die rücksichtslose Ankündigung einiger Ministerpräsidenten, bei Neueinstellungen ab 1. Mai ihren selbstherrlichen Standpunkt durchzusetzen, macht deutlich, dass mehr denn je gewerkschaftliche Gegenwehr zu organisieren ist. Mit dem Bund und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber sollen die Gespräche zur Neugestaltung des Tarifrechts konzentriert fortgeführt werden."In den Medien traten Kurt Martin und besonders der ver.di-Vorsitzende Bsirske mit ungewohnt radikalen Aussagen hervor. Wenn Bsirske mit Streik droht und den öffentlichen Arbeitgebern "einen Konflikt in bisher nicht bekanntem Ausmaß" androht, falls die TdL den Tarifausstieg nicht rückgängig macht, ist dies für die Öffentlichkeit bemerkenswert. Die Arbeitgeber kann dies allerdings nur dann schrecken, wenn sie wirklich einen harten Arbeitskampf befürchten müssten. Und dafür sind bei einem Organisationsgrad von etwa 5 - 10 % in den Landesverwaltungen und weitgehend fehlenden gewerkschaftlichen Basisstrukturen die Voraussetzungen eher schlecht. Wichtig und für die Streikfähigkeit überlebenswichtig wäre die Wiederherstellung gewerkschaftlicher Kampfkraft, die Stärkung der Basisstrukturen und ihr Wiederaufbau überall dort, wo sie eingegangen sind. Dafür sind die Gewerkschaftsgelder Gelder und Personal einzusetzen und Schwerpunkte zu bilden. Neubauten von Gewerkschaftshäusern können warten, die Mitglieder nicht.

Wegen der großen Bedeutung des Tarifwerkes BAT (über 6 Mio. Betroffene) haben die Ergebnisse der Prozessvereinbarung einen zentralen Stellenwert für die Gesamtorganisation und auch für die anderen Gewerkschaften außerhalb der Industrie. Grundsätzlich ist der Ausstieg aus der Prozessvereinbarung für nötig, zumal die Arbeitgeber ihren Teil der getroffenen Vereinbarungen nicht eingehalten haben.

Eine ganze Reihe von Funktionsträgerinnen und Funktionsträgern von ver.di vertreten die Meinung, dass ver.di auch nach dem Ausstieg der Länder weiterverhandeln solle. Das Hauptargument ist, dass bei den Gemeinden die gewerkschaftliche Kampfkraft weit größer ist (was stimmt) und dass es wenigstens mit den Kommunen zu einem Abschluss kommen müsse, damit überhaupt noch eine "Tarif-Leitwährung" zustande kommt, an der sich die anderen Bereiche orientieren können. Dem ver.di-Vorstand war die Erleichterung anzumerken, als er am 22.April an die Funktionäre melden konnte:

"Als richtige Entscheidung begrüßte Kurt Martin vom Bundesvorstand der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) die Entscheidung der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), den Reformprozess im öffentlichen Dienst fortzusetzen. ‚Damit beweisen die kommunalen Arbeitgeber, dass sie nicht bereit sind, mehr Einheitlichkeit und Transparenz in einem neuen Tarifrecht kurzfristigen Sparinteressen zu opfern und damit mehrere Hunderttausende Arbeitsplätze aufs Spiel zu setzen’, unterstrich Martin." … Mit der VKA und dem Bund könne der begonnene Reformprozess nun weiter geführt werden. In vielen Punkten habe es dabei bereits Annäherungen gegeben. Allerdings müssten willkürliche Kostensenkungen ausgeschlossen sein."

Der VKA weiß ganz genau, dass ver.di zu fast allen Bedingungen bereit ist, mit ihm abzuschließen, Hauptsache es gibt überhaupt einen Abschluss. Ein befreundeter ver.di-Kollege aus Süddeutschland erzählte mir von einem Anruf seiner Personalleiterin (Gemeinde) nach einem Treffen von Städten und Gemeinden. Sie war völlig überrascht von dem was als Zugeständnisse von ver.di vorgetragen wurden. Es ging bis zum Angebot einer neuen Niedriglohn-Gruppe. Die Gemeinden müssen "angefüttert" werden, damit es für sie akzeptabel wird. Was für die Beschäftigten daraus resultiert, wird ausgeblendet. Die Strategie "Augen zu und durch" macht den derzeitigen Zustand von ver.di überdeutlich.

Die derzeitige Krise von ver.di ist nicht in erster Linie eine Finanz- und Organisationskrise. Es ist eine politische Krise, was sich am Beispiel der "Prozessvereinbarung" anschaulich zeigt.

ver.di ist nicht der ADAC für Betriebe und Verwaltungen, sondern eine Gewerkschaft und muss sich als Interessensvertretungsorganisation profilieren und die Kraft ihrer Mitglieder einsetzen. Diese machen allerdings nur etwas, wenn sie auch wissen wofür. Und Lohn, Gehalt, Arbeitszeiten, Urlaub und der Erhalt des Arbeitplatzes, Arbeitsplätze für die Kinder usw. sind überzeugende Argumente. Dies muss einhergehen mit einer bundesweiten Gewerkschaftskampagne zur Verteidigung der Tarifverträge, die ausgehend von ver.di - Fachbereichsübergreifend durchgeführt wird, zusammen mit den anderen DGB-Gewerkschaften und allen Initiativen und Verbänden, die zur Zusammenarbeit bereit sind. Dass dies keine weltfremde Utopie ist, zeigen die 500.000 Demonstrationsteilnehmehrerinnen und –Teilnehmer in Köln, Stuttgart und Berlin. Wir sind viel mehr in dieser Republik. Und auch in der Gewerkschaft können wir noch viel mehr werden. Wenn wir in die richtige Richtung gehen.

Ulrich Peter (Verdi-Fachbereichsvorstand 03 Berlin-Brandenburg)


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