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Updated: 18.12.2012 15:51
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Eisbrecherarbeit im Wintermärchenland

Fakten und Fragen zum Streik im ÖD

Gar nicht so einfach, die Verhältnisse im Öffentlichen Dienst. Wer jenseits der diffamierenden und skandalisierenden Medienberichterstattung, die von weitgehendem Unverständnis hinsichtlich der Bedeutung dieses Streiks gekennzeichnet ist, seriöse Informationen über den Rückhalt für den Streik in den Belegschaften oder in der Bevölkerung sucht, wer wissen will, welche Beschäftigtengruppen warum streiken, wie also die Streiks bei Kommunen und Ländern zusammen hängen, warum in einigen Bundesländern gestreikt wird, in anderen nicht, der ist weitgehend auf die Gewerkschaftspresse selbst zurück geworfen. Nadja Rakowitz hat für uns einen Streifzug durch die Streikpost aus Kommunen und Ländern unternommen und daraus einen kleinen Überblick zu den wichtigsten Themen zusammengestellt. Im Anschluss daran lassen wir Streikende selbst zu Wort kommen. Petra Bode ist Personalrätin im Landeskrankenhaus Göttingen, Norbert Kille arbeitet im Fachbereich Städtebau der Stadt Mannheim, Marcus Theobald ist Vertrauensmann und Personalrat des Landschaftsamtes der Stadt Heidelberg und Klaus Hummel ist Vertrauensmann des Amtes für Abfallwirtschaft und Stadtreinigung in Heidelberg, Mitglied der ver.di-Tarifkommission für die kommunalen Beschäftigten (BaWü) und Stellvertretender Gesamtpersonalratsvorsitzender der Stadt Heidelberg.

Zum 30. Juni 2003 kündigte die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) den Vertrag über Sonderzahlungen (Weihnachts- und Urlaubsgeld), zum 30. April 2004 die Regelungen zur Arbeitszeit in den Tarifverträgen für die Landesbeschäftigten in Westdeutschland, um deren Arbeitszeit wie bei den BeamtInnen zu verlängern: Nach Beschluss des Bundeskabinetts vom Februar dieses Jahres müssen die 130000 Bundesbeamten ab 1. März 2006 eine Stunde länger, also 41 Stunden pro Woche arbeiten, was 500 Millionen Euro einsparen soll. Außerdem soll das Weihnachtsgeld der Bundesbeamten halbiert werden, was noch mal 500 Millionen Euro einsparen soll. ver.di rechnet vor, dass 41 Stunden pro Woche bedeuten, dass die Tarifbeschäftigten - hochgerechnet - im Jahr drei Wochen länger arbeiten sollen. Landesbeamte müssen in Thüringen wie auch im Saarland und Bayern bereits 42 Stunden pro Woche arbeiten. Der saarländische Landtag hat am 15. Februar 2006 beschlossen, bei Beamten das Weihnachtsgeld massiv zu kürzen. Landesbedienstete in NRW müssen bereits 41 Stunden pro Woche arbeiten.

Die TdL, aus der Berlin und Hessen ganz ausgetreten sind, hatte sich im Frühjahr 2004 aus den Verhandlungen um den Tarifvertrag öffentlicher Dienst (TVöD) verabschiedet. Der Tarifvertrag wurde dann nur mit dem Bund und den Kommunen ausgehandelt. Er ist seit Oktober 2005 bei Bund und Kommunen in Kraft. In der öffentlichen Debatte wird dabei allzu oft von den Privilegien im öffentlichen Dienst gesprochen oder geschrieben. Dass es damit nicht mehr weit her ist, zeigen Fakten, auf die ver.di in der laufenden Auseinandersetzung immer wieder hinweist: Seit Anfang der 90er Jahre sind im Öffentlichen Dienst über zwei Millionen Arbeitsplätze vernichtet worden. Im Öffentlichen Dienst gibt es einen höheren Anteil von ungesicherten und befristeten Arbeitsplätzen als in der Industrie (z.B. sind in Kindergärten und Krankenhäusern mehr als die Hälfte, teilweise bis zu 75 Prozent der Stellen befristet!). Die Einkommen der Beschäftigten sind häufig niedriger als die vergleichbarer Tätigkeiten in der privaten Wirtschaft.

Kommunen

Während für den Bund im TVöD eine Arbeitszeit von einheitlich 39 Stunden pro Woche in West- und Ostdeutschland vereinbart ist, gilt bei den westdeutschen Kommunen weiterhin die 38,5-Stunden-Woche und bei den ostdeutschen die 40-Stunden-Woche. Auf Drängen der Arbeitgeber sind im TVöD allerdings die Möglichkeiten zu flexiblen Arbeitszeiten deutlich erweitert worden. Diese Schwachstelle (Öffnungsklausel) im TVöD (§ 6 Abs. 1 Satz 1b TVöD) wollen die jeweiligen kommunalen Arbeitgeber in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Hamburg nun ausnutzen und die Arbeitszeit in ihrem Zuständigkeitsbereich von 38,5 auf 40 Stunden pro Woche verlängern. Das geht laut TVöD allerdings nur mit Zustimmung der Gewerkschaft. Die betroffenen ver.di-Landesbezirke, in deren Zuständigkeit diese Verhandlungen fallen, haben dies abgelehnt. Daraufhin haben die jeweiligen kommunalen Arbeitgeberverbände wiederum von der gegebenen Kündigungsmöglichkeit dieser Regelung gemäß § 39 Abs. 3 TVöD Gebrauch gemacht. Damit endete jeweils die Friedenspflicht, gewerkschaftliche Arbeitskampfmaßnahmen wurden möglich. Deshalb finden seit Ende Januar im kommunalen Bereich Streiks in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Hamburg statt. ver.di rechnet vor, dass 18 Minuten Mehrarbeit pro Tag eineinhalb Stunden in der Woche, sechseinhalb Stunden im Monat, zwei Wochen im Jahr bedeuten. Das seien hochgerechnet auf alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes 250000 Arbeitsplätze.

In allen anderen Bundesländern hat es zwar ebenfalls Gespräche bzw. Tarifverhandlungen zwischen den jeweiligen kommunalen Arbeitgeberverbänden und der Gewerkschaft ver.di gegeben, gleichwohl wurde von der Kündigungsmöglichkeit kein Gebrauch gemacht, so dass Friedenspflicht besteht. Dies gilt auch für Hessen. Hier wurde seit November 2005 in zwei Runden über diese Fragen ohne Ergebnis verhandelt. Von der Durchführung der für den 3. Februar 2006 anberaumten dritten Verhandlungsrunde wurde sodann im gegenseitigen Einvernehmen Abstand genommen. Die zu diesem Zeitpunkt in anderen Ländern laufenden Urabstimmungen bzw. Streikaktionen ließen eine Verhandlung als wenig aussichtsreich erscheinen. In Hessen wurde vereinbart, dass die Tarifvertragsparteien wegen eines neuen Termins aufeinander zukommen werden.

In Baden-Württemberg will ver.di an der 38,5 Stunden-Woche für 220000 Beschäftigte der Kommunen festhalten. Würde hier auf 40 Stunden erhöht, bedeutete das den Abbau von ca. 7000 Arbeitsplätzen in BaWü. Schon jetzt ist dies der längste Streik der Nachkriegsgeschichte in BaWü. 12000 Arbeitnehmer streiken: Beschäftigte der Müllabfuhr, der Straßenmeistereien der Ämter, der Verwaltungen und der Kliniken, Kita- und Klinikbeschäftigte, der Reinigungsdienst, Politessen sowie Mitarbeiter der Bauhöfe oder der Gartenbauämter u.v.m. Die kommunalen Arbeitgeber haben bisher kein verhandlungsfähiges Angebot auf den Tisch gelegt. Stattdessen pochen sie weiter auf die 40-Stunden-Woche. Für sie steht auch außer Frage, dass sie weitere kommunale Arbeitsplätze abbauen werden - wenn die Beschäftigten 38,5 Stunden die Woche arbeiten und erst recht bei 40 Stunden.

In Hamburg kam es am 1. März zu einer Einigung zwischen ver.di und den kommunalen Arbeitgebern: Demnach bleibt dort laut ver.di auch künftig die Arbeitszeit der Beschäftigten im Durchschnitt unter 39 Stunden pro Woche, gestaffelt nach Entgeltgruppen und Alter (s. Kasten, S. 3 sowie Kommentar, S.4).

Da dieser Abschluss aber nicht ohne weiteres auf Andere zu übertragen ist, wird bei den Ländern und Unikliniken sowie bei den Kommunen in Baden-Württemberg und Niedersachsen weiter gestreikt.

Länder

Die TdL weigert sich bislang, den mit den Arbeitgebern Bund und VKA ausgehandelten TVöD zu übernehmen. In diesem Bereich geht es also nicht nur um den Streit über die Dauer der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, sondern auch um die grundsätzliche Frage, ob sich die Länder dem TVöD anschließen oder nicht. Bislang lehnen sie dies ab. Tarifrechtlich hat dies zur Folge, dass in allen Bundesländern nach wie vor der BAT sowie der Manteltarif Arbeiter (MTArb) gilt. Allerdings gelten diese Regelungen statisch weiter, da sie seitens der anderen Tarifvertragsparteien (Bund und VKA) wegen der Ersetzung in deren Bereichen durch den TVöD nicht mehr »gepflegt« werden. Neben der Arbeitszeit sind die Regelungen zu den Sonderzahlungen (Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld) Streitpunkte. Die Länder wollen z.B. bezüglich der Arbeitszeit noch mehr als die Kommunen - nämlich eine Verlängerung der Arbeitszeit auf 41 Stunden.

Wie hat sich die Arbeitszeit im Öffentlichen Dienst entwickelt?
bis 1957/58 48 Stunden
bis 1964 45 Stunden
bis 1970 43 Stunden
bis 1974 42 Stunden
bis 1989 40 Stunden
bis 1990 39 Stunden
ab 1990 38,5 Stunden
1996 ein freier Tag entfällt
2001

ein weiterer freier Tag wird in bezahlte volle Freizeit an Heiligabend und Silvester umgewandelt

2004 TdL kündigt die Regelungen zur 38,5-Stunden-Woche
2005 VKA kündigt die Regelungen zur 38,5-Stunden-Woche
(Quelle: ver.di Streiknachrichten, BaWü, Nr. 4, 7. Februar 2006)

 

Seit Anfang Februar wird in mittlerweile elf Bundesländern gestreikt: in Sachsen und Thüringen sowie in allen westdeutschen Ländern außer Hessen. Im Saarland befinden sich beispielsweise 1800 Beschäftigte der Universität des Saarlands, der Uni-Klinik Homburg und des Landesbetriebs für Straßenbau im Arbeitskampf. In Baden-Württemberg streiken die Beschäftigten des Landes: Die MitarbeiterInnen von Universitäten, von Studentenwerken, von Heimsonderschulen oder Straßenmeistereien legen tageweise die Arbeit nieder. Neu eingestellten Mitarbeitern drückt das Land Baden-Württemberg die 41-Stunden-Woche, eine Kürzung des Weihnachtsgeldes und eine Streichung des Urlaubsgeldes >aufs Auge<. An den Verhandlungen mit der TdL sind weder das Land Hessen noch das Land Berlin aktuell beteiligt. Ein Abschluss mit der TdL hätte tarifrechtlich keine unmittelbaren Wirkungen auf diese Länder.

Am Montag, den 20. Februar gab es ein Spitzengespräch zwischen ver.di und TdL, das ohne Einigung blieb. Ein neuer Termin wurde für den 10. März vereinbart. Am Dienstag, den 14. Februar streikten in ganz Deutschland 26000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes. Allein in den ersten zwei Wochen des Streiks gab es ver.di 12000 Neueintritte bei ver.di.

Streikbrecher

Aus einigen Städten wird gemeldet, dass 1-Euro-Jobber als Streikbrecher eingesetzt werden. In Hamburg wurden sie bei der Entsorgung eingesetzt, in Osnabrück zwang die Polizei Streikposten der Stadtreinigung dazu, Müllfahrzeuge passieren zu lassen. Am Steuer saßen von der Stadt zu Streikbrecherarbeit genötigte 1-Euro-Jobber. Es kam zu heftigen Rangeleien. In Baden-Baden wurden Privatfirmen zu Streikbrecherarbeiten eingespannt. In Freiburg leeren rund 100 Leiharbeiter die Mülltonnen. ver.di hat unverzüglich mit einer Ausweitung des Streiks reagiert und bisher nicht betroffene Bereiche in den Arbeitskampf einbezogen.

Die Anordnung von Streikbrecherarbeit ist rechtswidrig. Niemand darf zu ihr gezwungen werden. LeiharbeiterInnen haben im bestreikten Betrieb ein gesetzlich verbrieftes Leistungsverweigerungsrecht. Ihnen dürfen keine Nachteile daraus erwachsen, wenn sie von ihrem Recht Gebrauch machen. Auch ABM-Kräfte und 1-Euro-Jobber dürfen nicht zur Streikbrecherarbeit gezwungen werden. Beamte müssen einer Anordnung, Dienst auf bestreikten Arbeitsplätzen zu verrichten, nicht widerstandslos Folge leisten.

NaRa


Streikstimmen

Welchen Betrieb bestreikt Ihr, wer ist Euer Arbeitgeber?

Petra Bode: Wir streiken im Landeskrankenhaus Göttingen; der Träger ist das Land Niedersachsen. Das LKH Göttingen ist ein Maximalversorger für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Forensisches Lehrkrankenhaus mit 460 Betten und ca. 700 Beschäftigten.

Klaus Hummel: Mein Arbeitgeber ist die Stadt Heidelberg.

Norbert Kille: Ich arbeite für ver.di im Fachbereich Städtebau der Stadt Mannheim.

Marcus Theobald: Wir streiken in der Stadt Heidelberg. Mit dem Landschaftsamt (50 Streikende) streikt das Amt für Abfallwirtschaft (100 Streikende) und das Tiefbauamt (ca. 50 Streikende), alle bilden den zentralen Betriebshof in Heidelberg, der auch räumlich eine Einheit darstellt. Der Betriebshof ist seit dem 9. Februar geschlossen. Es besteht eine Notdienstvereinbarung.

Welche Probleme standen für Euch vor der laufenden Tarifrunde betrieblich bzw. generell im Öffentlichen Dienst im Vordergrund? Gehen diese in der laufenden Tarifrunde und ihren Forderungen auf? Wie steht Ihr zu den aktuellen Forderungen?

Petra Bode: Wir streiken für den Erhalt der 38,5 Stundenwoche, für die Rücknahme der Kündigung von Ur-laubs- und Zuwendungstarifverträgen und für die Übernahme des TVöD. Wir finden: Diese Forderungen sind angemessen!

Klaus Hummel: Unsere betrieblichen Probleme liegen vor allem in der Arbeitsverdichtung aufgrund fehlenden Personals. Wir brauchen Personal, wir brauchen Entlastung, wir haben jede Menge Überstunden! Wir stehen zu der Forderung: »keine Arbeitszeitverlängerung«, weil uns das noch mehr Arbeitsplätze kosten würde. Eigentlich müssten wir noch weiter gehen. Wir müssten runter von der 38,5-Stundenwoche, nicht nur die 38,5 halten, damit die Arbeitsbelastung und die soziale Belastung endlich abnimmt. Außerdem müssen die Sozialkassen wieder gefüllt werden, damit die soziale Armut wieder abnimmt.

Norbert Kille: Ich stehe den Forderungen positiv gegenüber. Seit vielen Jahren schon schließen ÖTV und ver.di stets maßvolle Tarifvereinbarungen mit den Arbeitgebern ab, zuletzt durch den TVöD. Der Kaufmännische Arbeitgeberverband hat jedoch in dieser schwierigen Zeit offenbar nichts Besseres zu tun, als ideologiegesteuert und ohne den geringsten Anteil vernünftiger Überlegungen mit der Arbeitszeitverlängerung einen Arbeitskampf zu provozieren.

Marcus Theobald: Unser Problem sind die Anhäufung von Überstunden, die nicht abgebaut werden können. Die Personaldecke ist viel zu gering. Deshalb kommt die Forderung gut: Fünf Millionen (Arbeitslose; Anm. d. Red.) sind genug! Wir wollen, dass junge Leute eine Chance haben, überhaupt noch in den Beruf reinzukommen! Wie wollen wir denn unsere gesellschaftlichen Probleme in den Griff kriegen, wenn schon die jungen Leute keine Stelle kriegen? Rente mit 67 usw. Wir sind bereit, mit anderen zu teilen, damit sie auch eine Möglichkeit haben. So kommt das dann ja auch dem gemeinsamen Topf wieder zugute. Und es gibt viele junge Leute, die sich engagieren und sich für etwas einsetzen wollen.

Hamburger Lösung?

Im Tarifkonflikt um die Arbeitszeit bei den Kommunen hat der ver.di-Landesbezirk am 1. März 2006 in Hamburg mit den Arbeitgebern einen Kompromiss erzielt. Bei der Urabstimmung am gleichen Tag stimmten 42 Prozent der streikenden ver.di-Mitglieder diesem Ergebnis zu; 25 Prozent waren erforderlich. Der Abschluss zeigt nach Angaben von ver.di, dass ein Interessenausgleich möglich ist, er kann aber nicht ohne weiteres auf andere übertragen werden. Deshalb wird bei den Kommunen in Baden-Württemberg und Niedersachsen sowie bei den Ländern weiter gestreikt. (Kommentar von Wolfgang Rose, s. u.)

In Hamburg bleibt auch künftig die Arbeitszeit der Beschäftigten im Durchschnitt unter 39 Stunden pro Woche und somit deutlich unter der von den Arbeitgebern geforderten Marke von 40 Stunden. Im Einzelnen wurde vereinbart:

  • Die Arbeitszeit wird gestaffelt nach Entgeltgruppen und Alter.
  • Die Ausbildungszeit bleibt bei 38,5 Stunden pro Woche.
  • (Jüngere) Beschäftigte mit Kindern bis zu zwölf Jahren arbeiten jeweils eine halbe Stunde weniger.
  • Teilzeitbeschäftigte erleiden keine Einkommensverluste, da ihre Arbeitszeiten - auf Antrag - entsprechend angepasst werden.

Folgende Tabelle zeigt, wie die Arbeitszeiten von Hamburgs Kommunalbeschäftigten nach Entgeltgruppe, Alter und Elternschaft künftig gestaffelt werden:

Entgeltgruppe Alter Arbeitszeit
ohne Kind
bis 12 Jahren
Arbeitszeit
mit Kind
bis 12 Jahren
1 bis 9 bis 49 Jahre 39 Stunden 38,5 Stunden
1 bis 9 ab 50 Jahre 38 Stunden 38 Stunden
10 und 11 bis 55 Jahre 39,5 Stunden 39 Stunden
10 und 11 ab 56 Jahre 39 Stunden 39 Stunden
12 bis 15Ü Alle 40 Stunden 39,5 Stunden
Im Tarifvertrag ist auch festgelegt, dass der Abschluss nicht zum Abbau von Arbeitsplätzen führen darf - im Gegensatz zum erklärten Ziel der Arbeitgeber, die Arbeitszeit zu verlängern, um Stellen streichen zu können.

Quelle:
www.verdi.de/tarifbewegung/kommunen_und_laender/abschluss_in_hamburg externerLink

Welche Schwierigkeiten habt Ihr in Eurem Betrieb/Bereich bei der Durchführung des Streiks? Und wie stellt sich aus Eurer Sicht der Rückhalt für den Streik unter den Beschäftigten dar?

Petra Bode: Vor dem Hintergrund der Planungen der Niedersächsischen Landesregierung, die Landeskrankenhäuser zu verkaufen, besteht unter den Kolleginnen und Kollegen bereits viel Resignation. Das wirkt sich negativ auf die Streikbereitschaft aus. Gerade in den Bereichen (z.B. Küche, Informations- und Kommunikationstechnik), in denen der Streik effizient wäre, haben wir einen schlechten Organisationsgrad. Die Krankenhausleitung macht ebenfalls Stimmung gegen den Streik. Trotz hoher Zustimmungswerte bei der Urabstimmung ist die Streikbereitschaft unter den Beschäftigten also sehr gedämpft. Der Marburger Bund verfolgt darüber hinaus eigene Ziele, und ein Großteil der Ärzte und Therapeuten ist - wenn überhaupt - dann dort organisiert.

Klaus Hummel: Wir haben keine Schwierigkeiten bei der Durchführung des Streiks. Unsere Leute haben bei der Urabstimmung mit über 99 Prozent für den Streik gestimmt. Es waren ja unsere Leute, die das im Vorfeld wollten, die wollten, dass endlich mal was gemacht wird - und dann erst hat ver.di aufgerufen.

Norbert Kille: Ich selbst habe zwar keine Schwierigkeiten, doch ich arbeite in einem Fachbereich, in dem nur etwa 20 Prozent der Belegschaft organisiert sind und nicht einmal jedes ver.di-Mitglied beim Streik mitmacht. Auch unter den Beamten und Nichtorganisierten gibt es viel Verständnis für den Streik. Einige Nichtorganisierte beteiligen sich zumindest teilweise am Streik und nehmen an den Protestveranstaltungen teil.

Marcus Theobald: Die Stimmung ist nach jetzt drei Wochen Streik immer noch sehr gut. Den Leuten, in den drei bestreikten Betrieben ist klar, dass es am Ende eine Einigung geben muss, aber es darf nicht so sein, dass die Leute wieder die absolut Leidtragenden sind und der AG lacht. Einige Kollegen haben gesagt, dass sie austreten würden, wenn ver.di einen schlechten Abschluss macht. Nach dem letzten Streik 1992 sind die Absprachen von den Arbeitgebern nicht eingehalten worden, es sind keine neuen Stellen geschaffen worden.

Wie ist die Stimmung bei der Bevölkerung bislang gewesen? In der Presse ist vielfach von einer nachlassenden Unterstützung durch die Bevölkerung die Rede - wie schätzt Ihr die Stimmung für die nächsten Tage bzw. Wochen ein? Welche Rolle spielen die Medien dabei?

Petra Bode: In den Medien gibt es sehr unterschiedliche Reaktionen. Im Großraum Göttingen ist die Berichterstattung eher spärlich. Bestenfalls eine Meldung pro Tag. Leserbriefe sind überwiegend geprägt von Polemik und Ablehnung. Diese werden aber offensichtlich gern abgedruckt. Die Stimmung in der Bevölkerung ist wesentlich abhängig von der persönlichen Betroffenheit durch den Streik. Je länger der Dreck auf der Straße liegt, um so geringer wird die persönliche Akzeptanz vieler Bürgerinnen und Bürger, die bisher grundsätzlich Verständnis für die Streikenden zeigten.

Klaus Hummel: Unseres Erachtens ist die Stimmung bei der Bevölkerung eher positiv, eine nachlassende Unterstützung kann ich nicht feststellen. Die Berichterstattung der Medien dagegen ist nicht ausgewogen. Die »18 Minuten«, um die wir angeblich kämpfen, die sie immer wieder in den Vordergrund stellen - das ist einseitig. Die Medien vermitteln überhaupt nichts über den Hintergrund.

Norbert Kille: Das Verständnis ist nach unseren Eindrücken sehr unterschiedlich. Die Reaktionen, die wir an unserem Infostand erfahren, teilen sich etwa gleichgewichtig auf in volles Verständnis, ein gewisses Verständnis, das aber mit der Kritik an der Unverhältnismäßigkeit des Streiks verbunden ist, und ein völliges Unverständnis, verbunden mit Pöbeleien.

Marcus Theobald: Wir haben in Mannheim und Heidelberg mehrere Infostände gemacht. Überraschend zeigt sich: Für die Sache ist bei der Bevölkerung viel Verständnis da. Der überwiegende Teil unterstützt das. Es gibt natürlich auch das Palaver über die »18 Minuten« und den Müll. Die Presse ist mit zunehmender Streikdauer immer kritischer und versucht uns totzuschreiben. Der Arbeitgeberverband versucht, Stimmung gegen die Gewerkschaften zu machen und Druck auf die Streikenden auszuüben. Dabei sind wir mit der Stadt Heidelberg in der Notdienstvereinbarung auf einen guten Konsens gekommen. Die Unterstützung durch die Bevölkerung wird mit der Zeit abnehmen wegen der Müllproblematik. Und wenn dann auch noch - wie vom Mannheimer Oberbürgermeister Widder, der eine Rattenplage beschwor - Stimmung gemacht wird...

Gibt es bei Euch im Betrieb/Bereich Streikbrecher? Wer sind sie? Sind darunter auch 1-Euro-Jobber?

Petra Bode: Nein, bei uns am Landeskrankenhaus gibt es keine Streikbrecher.

Klaus Hummel: Bei uns gibt es keine Streikbrecher - und schon gar keine Ein-Euro-Jobber als Streikbrecher.

Norbert Kille: Bei uns gibt es überhaupt keine 1-Euro-Jobber, die Probleme liegen eher auf der Ebene der Beteiligung der Belegschaft und der organisierten ver.di-Mitglieder.

Marcus Theobald: Im Landschaftsamt werden keine Arbeitskräfte über das Hartz IV-Programm eingesetzt. Und schon gar nicht als Streikbrecher.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 2/06


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