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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Anmerkungen zum Tarifrecht: Tarifverträge nur noch für DGB-Mitglieder? Wie Eva Roth in der „Frankfurter Rundschau“ vom 22.10.2004 berichtet, hat die IG Metall in Nordrhein-Westfalen Standards für künftige Verhandlungen entworfen, die deren Mitglieder begünstigen sollen. Abweichungen vom Flächentarif sollen unterstützt werden, wenn Gewerkschaftsmitgliedern von Unternehmensseite eine bessere Behandlung als „dem Rest“ zugestanden wird. Was offensichtlich als Mittel gedacht ist, den rapiden Mitgliederschwund durch Gentlemen-Agreement mit der Gegenseite zu begegnen, markiert vor allem eins: Das freiwillig gewählte Ende grundrechtlich garantierter Macht der bisherigen Gewerkschaften. Dass die anderen, die Nicht- oder Nicht-Mehr-Mitglieder, über die Pläne der IG Metall nicht gerade erfreut sind, ist nachvollziehbar. Werden sie doch durch, auch für sie als bindend gedachte, Vereinbarungen benachteiligt. Wer dann im Arbeitsvertrag den Satz stehen hat, „alles weitere regelt der Tarifvertrag“, muss folglich seine Stellung zur Gewerkschaft beachten. Ist er nun Mitglied oder nicht? Ist es nicht sinnvoll Mitglied zu werden, um ebenfalls gegenüber Nicht-Mitgliedern bestimmte Vorteile zu haben? Anbetracht des Mitgliederschwunds von knapp 12 Millionen
Mitgliedern 1991 auf etwas über 7 Millionen im Jahr 2003, ist die
Logik der Gewerkschaft leicht nachvollziehbar. Auch die Unternehmerseite
und unternehmerabhängige Politik kann an solcher mitgliederorientierten
Politik schnell Gefallen finden: Einer Beseitigung des Flächentarifs,
gewürzt mit besonderen Nachteilen für Nichtmitglieder, also
dem Gros der Beschäftigten, steht so nichts mehr im Wege –
so könnte man zumindest meinen. Der Winkelzug hat nur einen großen
Hacken: Wie kann eine Koalition bindende Verträge für Beschäftigte
abschließen, die gar nicht ihrer Koalition angehören? Der Gleichbehandlungsgrundsatz von Artikel 3 Grundgesetz
kann in diesem Zusammenhang gegen die Gewerkschaft nicht geltend gemacht
werden. Schließlich besteht allein im Mitgliedsbeitrag ein realer,
objektiver Unterschied zwischen Mitglied und Nichtmitglied. Allerdings
kommt der Gleichheitsgrundsatz in ganzer anderer Art und Weise ins Spiel:
Warum soll dann weiterhin nur der DGB als Arbeitnehmerkoalition tariffähig
sein? Warum können die Nichtmitglieder nicht ebenfalls alternative
und auch tariffähige Koalitionen bilden, die u.U. sogar Haustarife
durchsetzen dürfen – wohlgemerkt nicht nach Betriebsverfassungsrecht,
was Streiks verbietet, sondern nach Tarifrecht? Artikel 9 Grundgesetz schreibt definitiv keine besondere
Größe für eine Arbeitnehmerkoalition vor. Verträge
abzuschließen und damit zu deren Durchsetzung notfalls auch zu streiken,
ließ das Bundesverfassungsgerecht allerdings nur für starke
und öffentlich wirksame Arbeitnehmerkoalitionen zu. Hintergrund für
diese höchstrichterliche Entscheidung ist zum einem das Vertragsrecht,
was jeder Seite die Vertragsfreiheit möglichst erhalten und vor Vertragsverletzungen
- besonders durch wilde Streiks und noch wildere Aussperrungen - schützen
soll, zum anderen das Interesse an einer stabilen Republik, die sich trotz
sozialer und wirtschaftlicher Konflikte von Parlament und Regierung zuverlässig
steuern lässt. Warum noch Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen anerkennen, die eine kleine Gruppe regierungsorientierter Funktionäre aushandelt? Alles das sind nur Vertragsänderungen, die kaum noch jemand akzeptiert und nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit auch nicht akzeptieren müsste. Schließlich ist mensch doch deshalb aus der Gewerkschaft ausgetreten, weil mensch mehr „eigenverantwortlich“ – am Besten auch mit einer neuen Arbeiterkoalition – seine arbeitsvertraglichen Vereinbarungen verteidigen und verbessern will. Bezüglich Personalabbau hat sich die Gewerkschaft sowie so leider immer verhängnisvoller zu einem Standortsicherungsverein gegenüber bewusster Standortgefährdung zum Zweck der Lohndrückerei durch die Unternehmensvorstände entwickelt. Was die Regierung betrifft, ist das verfassungsrechtlich vorgegebene Klassenziel wohl eindeutig weitverfehlt. Die vom Bundesverfassungsgericht wiederholt zugestandene große Gestaltungsfreiheit bezüglich Sozialstaat, ist zur Unfreiheit für Millionen geworden und der verfassungsrechtlich geforderte Konsens wird mehr und mehr gefährdet statt gesichert. Weder im Sozialrecht noch im Wirtschaftsrecht ist irgendein Ansatz sichtbar, dass der verfassungsrechtliche Spielraum dazu verwendet wird, soziale gegen wirtschaftliche Interessen gesetzlich durchzusetzen und zu verteidigen. Statt Garantien, welche sich mit viel Gutwill aus dem Grundgesetz herauslesen lassen, ist wohl besonders hier mehr Eigenverantwortung zu verlangen: Denn im Grundgesetz steht nirgends, dass eine bezüglich sozialer Aufgaben unfähige oder unwillige Gesetzgebung ihre Spielwiese bekommt. Die spontane Koalition der Unwilligen bei Opel kann hier mehr erreichen, wenn sie als tariffähige Koalition anerkannt wäre und solche Änderung in der politischen Landschaft auch konsequent anstreben würde. Doch das braucht seine Zeit, welche die IG Metall in Nordrhein-Westfalen jedoch nur zur beschleunigten Selbstauflösung nutzen will. Der sog. „wilde Streik“ bei Opel-Bochum lässt sich rechtlich allerdings eher als demokratischer Widerstand nach Artikel 20 (4) Grundgesetz interpretieren als nach den Tarifgrundsätzen des Artikel 9: „Andere Abhilfe“ (vgl. Art. 20 (4) GG) war und ist nämlich nicht in Sicht. Bestehen doch noch Chancen? Ja, für eine Arbeiterkoalition, die nach und nach durch manifesten Eingriff in das neoliberale Wirtschaftsgefüge überhaupt mehr Parität („Waffengleichheit“) im Machtgefüge zwischen Kapital und Arbeit herstellt. Wir dürfen gespannt sein, in welcher Richtung sich diesbezüglich die IG Metall entwickelt – es sieht nicht gut für sie, aber immer besser für eine von Standortstheorien und anderen antidemokratischen Unsinn unabhängige Arbeiterkoalition aus. Eine solche würde niemals eine Politik nur für ihre Mitglieder machen, da sie davon lebt, dass ihr Kampf allgemein und international ist. Armin Kammrad, 22.10.2004 |