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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Jetzt Streiks ausweiten. Wer nicht versucht, seine Utopien zu verwirklichen, ist schon gestorben. 38,5 Stundenwoche ist der Kompromiss - alles drüber ist Beschiss! Arbeitszeiten verteidigen, Lohnraub stoppen - gemeinsam kämpfen! Jetzt gilt es, den Streik ausdehnen. Sollten die Arbeitgeber mit ihrer Blockadehaltung Erfolg haben, dann würde die Belastung der Beschäftigten enorm zunehmen, die Versorgung im öffentlichen Dienst noch schlechter werden und das Arbeitslosenheer weiter anwachsen. Mehr noch. Die Herrschenden in der ganzen Republik würden sich ermutigt sehen, die Umverteilungspolitik von unten nach oben zu forcieren. In einem Aufruf der Gewerkschaft der Polizei von Hessen im September 2003 zur Frage des Beamtenstreiks hieß es: "Die Politik traut sich fast alles! Was trauen wir uns?" Eine rasche Ausdehnung des Streiks ist dringend geboten. 40.000 Streikende werden nicht genug sein, um den Arbeitgebern wirksam Paroli zu bieten. Bundesweit sollten schnellstmöglich alle streikbereiten Betriebe zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen werden. Damit könnte die eigene Stärke demonstriert werden. Das würde Selbstvertrauen schaffen. Andere Belegschaften könnten ermutigt werden. Weitere Betriebe müssen jetzt streikfähig gemacht werden. Nötig sind Betriebsversammlungen, die aktive Einbeziehung möglichst vieler KollegInnen in Streikvorbereitungen, die Aufstellung von Notdiensten in Kliniken und anderen sensiblen Bereichen, die Bildung einer Streikleitung und - falls noch nicht geschehen - die Einleitung der Urabstimmung durch die Gewerkschaft. Bislang setzt die ver.di-Spitze auf eine "flexible Streiktaktik". Aber ist das der beste Weg, die Arbeitgeber zu schwächen? Nadelstiche sind unangenehm, mehr nicht. Darum ist es nötig, die Kräfte zu bündeln und die ganze Kampfkraft in die Waagschale zu werfen. Wenn bundesweit kein Müll mehr abgeholt wird, wenn Flug- und Seehäfen lahm gelegt sind, wenn bei der Feuerwehr, den Straßenmeistereien, den Ämtern von Bund, Ländern und Kommunen, den Kindertagesstätten und den Krankenhäusern - abgesehen von Notdiensten - die Arbeit ruht, dann wird jede und jeder vor Augen geführt, wer das öffentliche Leben in Gang hält. Die Wirtschaft könnte zum Erliegen gebracht werden. Ein flächendeckender Streik im öffentlichen Dienst muss deshalb das Ziel sein. Kommunal- und Länderbeschäftigte sollten gemeinsam streiken. Hessen und Berlin gehören nicht mehr der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) an. Trotzdem sollten die dortigen Beschäftigten ebenfalls in den Protest einbezogen werden. Schließlich sind die Bedingungen in Hessen und Berlin noch verheerender als in anderen Bundesländern. Da in Hessen ein tarifloser Zustand herrscht, wäre die Einleitung von Kampfmaßnahmen unmittelbar möglich. In Berlin werden unter anderem bei den Charite-Kliniken und bei der S-Bahn im Zuge der dortigen Konflikte gerade weitergehende Kampfschritte diskutiert. Die Telekom-KollegInnen sind in Berlin wie bundesweit von Plänen massiver Stellenstreichung betroffen. Eine bundesweite Streikbewegung im öffentlichen Dienst im Rücken könnte diese Belegschaften bestärken, der Kahlschlagspolitik in der Bundeshauptstadt etwas entgegenzusetzen und sich in die bundesweite Streikbewegung einzuklinken. BeamtInnen sollten voll einbezogen werden - damit sie nicht noch weiter abgehängt werden. Wenn zehntausende BeamtInnen integraler Bestandteil einer massiven Streikbewegung wären, dann könnte auch Sanktionen vorgebeugt werden. ArbeiterInnen und Angestellten war das Streikrecht in der Vergangenheit auch nicht von oben zugestanden worden, sondern musste von unten durchgesetzt werden. Um die Streikbewegung erfolgreich weiter aufzubauen, ist die Frage der Demokratisierung des Arbeitskampfes eine Schlüsselfrage: Regelmäßige gewerkschaftliche Versammlungen auf allen Ebenen, um über Streikpolitik, Taktiken und Strategie zu diskutieren, Vertrauensleuteversammlungen, mitgliederöffentliche Sitzungen der Tarifkommission, kein Abschluss ohne Urabstimmung. Bei einer starken Streikbewegung könnten im Verlauf des Arbeitskampfes die Streikziele korrigiert, jede Verschlechterung abgewehrt und Abschlüsse deutlich oberhalb des TVöD beziehungsweise die Beibehaltung des BAT/BMT-G erreicht werden. Im Zuge dessen sollte auch für Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohn- und Personalausgleich gestritten werden. Bei den ostdeutschen Kommunalbeschäftigten, die heute 40 Stunden arbeiten müssen, sollte als erster Schritt die Rückkehr zur 38,5-Stunden-Woche gefordert werden. Außerdem müssen die Arbeitszeitverlängerungen bei Länderbeschäftigten und BeamtInnen zurückgenommen werden. Der Streik im öffentlichen Dienst bietet die Möglichkeit, der Offensive der Unternehmer und ihrer Politiker und Parteien endlich Einhalt zu gebieten. Kampf-, Arbeits- und Lebensbedingungen aller Lohnabhängigen und Erwerbslosen könnten verbessert werden, wenn der Streik erfolgreich aufgebaut und ausgedehnt werden sollte. Gemeinsame Gegenwehr von den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, MetallerInnen, Telekom-KollegInnen, den seit drei Wochen Streikenden bei AEG und anderen könnte den Protest auf eine neue Stufe stellen. Der größtmögliche Druck auf Regierungen und Unternehmer kann durch Arbeitsniederlegungen erreicht werden. Mit einem bundesweiten eintägigen Streik- und Protesttag könnten den Arbeitgebern deutliche Zugeständnisse abgetrotzt werden. Damit würden die Voraussetzungen für einen weiteren Aufbau der Bewegung geschaffen werden, um grundlegende Verbesserungen im Interesse der arbeitenden Bevölkerung zu erzielen. Auf örtlicher Ebene sollten gewerkschaftliche AktivistInnen, Vertrauensleute und andere die Idee eines lokalen oder regionalen Streik- und Protesttages verbreiten, auf allen Ebenen diskutieren und Konferenzen zur Frage von gemeinsamen Widerstand in Angriff nehmen. In verschiedenen Städten bieten sich konkrete Ansätze. In Düsseldorf beispielsweise sollten zwischen den Streikenden der Unikliniken und der seit vier Monaten im Arbeitskampf stehenden Gate-Gourmet-Belegschaft Kontakte hergestellt werden. Örtliche Aktionstage verbunden mit Arbeitsniederlegungen, zentralen Demonstrationen und Appellen an Erwerbslose, RentnerInnen, Jugendliche und andere könnten helfen, die Idee dieses Kampfschrittes bekannt zu machen und auf die Frage eines überregionalen Streik- und Protesttages zuzuspitzen. Eine Wende in der Arbeitszeitpolitik würde auch eine radikale Wende in der bisherigen gewerkschaftlichen Strategie der ver.di-Spitze erfordern. In den tarifpolitischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre gab es hier - wie in den Fragen von Einkommen und Sonderzahlungen - einen Rückschritt nach dem anderen: So wurden die AZV-Tage (Arbeitszeitverkürzungstage) im öffentlichen Dienst kampflos aufgegeben. Bei den BeamtInnen wurde die unbezahlte Arbeitszeitverlängerung von Bsirke und Co. explizit akzeptiert. Der TVöD ist eine Mogelpackung, die Arbeitszeitverlängerungen mit beinhaltet. Vor 14 Jahren würgte die ÖTV-Spitze den bundesweiten Streik genau zu dem Zeitpunkt ab, als er massiven Druck zu entfalten begann. Statt der geforderten 9,5 Prozent gab sich ÖTV-Vorsitzende Wulf-Mathies mit 200 Mark zusätzlichem Urlaubsgeld und 5,4 Prozent Lohnerhöhung zufrieden - was einen Reallohnverlust bedeutete. In den elf Tagen damals waren 400.000 KollegInnen im Ausstand. Aufgrund des Kurses der Gewerkschaftsspitze seitdem und der vielfachen Aufspaltung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes ist der Aufbau einer einheitlichen Streikbewegung heute ungleich schwieriger. Für kämpferische GewerkschafterInnen geht es jetzt darum, so viele KollegInnen wie möglich in den Streik einzubeziehen und Vorschläge zu entwickeln, wie die Bewegung weiter aufgebaut werden kann. Allerdings sollte dieses Engagement im Bewusstsein getan werden, dass die heutige Gewerkschaftsführung abgehoben ist und politisch und gehaltsmäßig einem SPD-Arbeitsminister Müntefering näher steht als den Belegschaften. Die Bsirkes haben beim aktuellen Konflikt eine solche Angst vor einen Flächenbrand, den sie nicht unter Kontrolle halten können, dass sie es vorziehen, schon einzelne Flammen auszutreten. Darum ist auf eine Demokratisierung des Arbeitskampfes zu pochen. Die Gewerkschaften müssen zu echten Kampforganisationen werden. Die Politik muss von der Basis her bestimmt werden. Funktionäre müssen jederzeit abwählbar sein und dürfen nicht mehr verdienen als diejenigen, die sie vertreten sollen. Die Mitgliedschaft muss demokratisch an Entscheidungen über Streikziele, Kampfmaßnahmen und Streiktaktiken beteiligt werden. Auf allen Ebenen müssen demokratisch legitimierte Streikkomitees gewählt werden. Die Mitgliedschaft muss jederzeit über alle Verhandlungen informiert werden. Tarifkommissionssitzungen müssen mitgliederöffentlich tagen. Ein Abschluss darf nur nach Zustimmung in einer bundesweiten Urabstimmung erfolgen - mindestens dann, wenn ein einziger Abschluss durch eine Meistbegünstigtenklausel wie im TVöD vereinbart Mitglieder bundesweit betrifft. Der Arbeitskampf sollte neben den Landtags- und Kommunalwahlen am 26. März nicht als zusätzliche Belastung gesehen, sondern als Riesenchance verstanden werden. Solidaritätsarbeit und die Verbindung von Wahlkampfforderungen mit der aktuellen Auseinandersetzung sollte im Zentrum der Aktivitäten stehen. Auf diesem Weg ließe sich auch zeigen, dass die Kandidaturen der Linken nichts mit den Wahlkämpfen der etablierten Parteien zu tun haben. Eine erfolgreiche Streikbewegung im öffentlichen Dienst bietet die Möglichkeit, dass ArbeiterInnen, Angestellte und BeamtInnen aus der Defensive herauskommen und andere KollegInnen Rückenwind verspüren. Das klingt vielleicht alles ein wenig utopisch, aber wer nicht versucht, seine Utopien zu verwirklichen, ist schon gestorben. Packen wir's an. Hans Hoyer |