letzte Änderung am 30. Januar 2004

LabourNet Germany ARCHIV! Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Home -> Diskussion -> Gewerkschaften -> Tarifrunde2004 -> IG Metall -> Werner Suchen

"swallow the pill that made you ill [1]" - Die Gewerkschaften, der Tarifkampf und der Neoliberalismus

Alban Werner

Die Gewerkschaften stehen beim Tarifkampf i/m Jahr 2004 in mehr als einer Hinsicht mit dem Rücken zur Wand. Dies betrifft die IG Metall am schwersten, da der Verband die Wunden des verlorenen Kampfes um die 35 Stunden-Woche, die daraufhin folgende, sich Monate hinziehende Führungskrise und die Niederlagen beim Kampf gegen die "Agenda 2010" noch nicht hat heilen lassen können.

Zunächst wird Jürgen Peters in der Öffentlichkeit von den bürgerlichen Medien gerne als "Traditionalist" dargestellt, um seinen Vize Berthold Huber, dessen Unterstützer im Bundesvorstand der IG Metall eine Mehrheit besitzen, von ihm abzugrenzen ("teile und herrsche" ist eine lang gehegte Tradition der Herrschenden und macht auch vor den Gewerkschaften nicht halt). Damit unterliegt die IG Metall dem Problem, dass diejenigen Menschen, die vor den Pressekameras und damit einer breiteren Masse die Forderungen der KollegInnen entgegenbringen schon von vorneherein stigmatisiert sind - und innerhalb der wirtschaftspolitischen Diskussion der selbsternannten Eliten auf den Stühlen von Sabine Christiansen und Maybrit Illner auch allzu leicht in die Buh-Ecke gedrängt werden können. So schlägt denn selbst Peters moderate Töne an und präsentiert nach eigenem Bekunden mit den 4 % mehr Lohn und Gehalt "eine Forderung mit Augenmaß" (Financial Times Online, 11.11.2003).
Vorbei sind die Zeiten, wo selbst noch unter einem "Modernisierer" wie Klaus Zwickel die Parole "6,5 % - das ist noch dezent" skandiert wurde.

Schon während der Kampagne 2002 wurde die wachsende Entfremdung zwischen MetallerInnen-Gewerkschaft und Regierung offenbar. Die IG Metall war nicht mehr Bereit, "Lohnzurückhaltung" zu praktizieren, unter anderen wurden immer wieder die im Zeitraum der letzten Jahre explosionsartig gestiegenen Gehälter in den Manager-Etagen der Metall- und Autoindustrie als Beispiel für die auszutragenden Verteilungskämpfe genannt.
Das geschah jedoch vor völlig anderen Vorraussetzungen als die Tarifauseinandersetzungen, die nun stattfinden oder bevorstehen. 2002 verkündete die SPD in ihrem Wahlprogramm noch "Tarifautonomie und der Flächentarifvertrag haben sich bewährt. Sie haben starke und gut organisierte Sozialpartner zur Voraussetzung, deren Chancengleichheit insbesondere in Tarifauseinandersetzungen gesichert sein muss", heute droht Bundeskanzler Schröder wie etwa in seiner "Agenda 2010"-Rede vom 14.3. den Gewerkschaft deutlich, wenn er vorträgt zu erwarten, "dass sich die Tarifparteien entlang dessen, was es bereits gibt -, aber in weit größerem Umfang -, auf betriebliche Bündnisse einigen, wie das in vielen Branchen bereits der Fall ist. Geschieht das nicht, wird der Gesetzgeber zu handeln haben".

Da die Regierungsparteien mit der Agenda 2010, die letztlich nur den schon vor Jahren von BDA und BDI aufgestellten Forderungskatalog in parlamentarische Beschlüsse und Gesetzesform gießt, die Gewerkschaften als Vertreter der Lohnabhängigen nun schon fast ein Jahr mit der Peitsche traktiert hatten, brauchte das "Zuckerbrot" im Bismarckschen Sinne auch nicht besonders süß, sondern nur weniger bitter auszufallen: Im Bundesrat, so die Linie der SPD, wolle man für die dank Kampagne von "BILD" und bürgerlicher Presse zur Lebensnotwendigkeit stilisierten Steuerentlastung die Tarifautonomie nun doch nicht opfern.

Erfolg der Gewerkschaften? Keineswegs. Michael Sommer und viele andere Funktionäre im DGB schätzen die Situation völlig falsch ein; es ist eine Ironie der Geschichte, dass die bürgerliche Presse und der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben recht behalten, wenn sie die paar spärlichen Beschlüsse der Regierungsparteien, die nicht eindeutig ins neoliberale Lager passen, als "Beruhigungspille" für die verbliebenen Linken bei SPD und Grüne entlarven. Sommer & Co. gehen dem spärlich gesäten "Zuckerbrot" voll auf den Leim.

Der Vorsitzende der IG BCE Schmoldt nimmt die von ihm bekannte Rolle des Dolchstoßers auf Gewerkschaftsseite ein und verspricht sich im Tausch für die allseits geliebte Lohnzurückhaltung "Beschäftigungsaufbau und Investitionen in die Qualifizierung". Ein wesentliches Problem scheint also zu sein, dass sich die neoliberale Logik bis tief in den Apparat der Gewerkschaften hineingefressen und auch die Ausgangsposition für die bevorstehenden Arbeitskämpfe beeinflusst hat. Der Tarifvertrag wird nicht mehr nur von neoliberalen Hardlinern untergraben, die ihn wie Friedrich Merz, aber auch wie Helmut Schmidt ("im Bereich der Lohnfindung muss der flächendeckende Tarifvertrag verschwinden", in "Unkraut jäten und ackern", Die Zeit 36/2002) oder Michael Rogowski am liebsten "am Lagerfeuer verbrennen würden". Er wird auch nicht mehr als von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erkämpfter Klassenkompromiss verteidigt, sondern dürftig in die Logik der neoliberalen Strukturanpassungspolitiken integriert, wenn z.B. der IG Metall-Vize deklariert, "in der Arbeitszeitfrage sind wir offen wie ein Scheunentor" (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.12.2003, Nr. 294 / Seite 12 ).

Dabei sind die Vorraussetzungen für einen Arbeitskampf bei genauerer Betrachtung besser, als viele in den Chefetagen der Metaller glauben möchten. Die Resignation gegenüber der sozialen Kahlschlagspolitik weicht langsam aber sicher, dafür war die Demonstration am 1.11. in Berlin mit über 100.000 Teilenehmern ein sicheres Zeichen; gerade im Hinblick auf bevorstehende Aktionstage wie vom Europäischen Gewerkschaftsbund beschlossenen am 3. und 4.4. sollten sich die KollegInnen und Kollegen nicht von den Kommentatoren, die tagein tagaus die "pensée unique" von Deregulierung, Privatisierung und Sozialabbau lobpreisen, entmutigen lassen.

Noch Mitte 2003 diagnostizierte der zum Neokonservativen konvertierte ehemalige SPD-Geschäftsführer Peter Glotz einen "sanften chilenischen Hauch über dem Land" (Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte 7/8 2003, S. 65), allerdings in dem Sinne, dass plötzlich aus dem Nichts auftauchende, von der Wirtschaftselite der BRD finanzierte Grüppchen wie der "BürgerKonvent" die politische Landschaft heimsuchten; allerdings hat sich dieser Verein genauso überflüssig gemacht wie der kurze Zeit später gegründete "Konvent für Deutschland", dem Männer wie Hans-Olaf Henkel und "Ruckreden"-Alt-Bundespräsident Roman Herzog angehören; Typen also, die schon immer alles besser wussten und den Segen der freien (oder totalen) Marktwirtschaft über die Republik bringen wollen. Dass man von diesen Think Tanks nichts mehr hört und es zunehmend schwieriger wird, angesichts von sozialpolitischen Perversionen wie der Eintrittsgebühr beim Arzt die Regierungspolitik als fortschrittlich zu verkaufen, weist den Weg für einen Arbeitskampf, der in der Bevölkerung nicht als aus der "klassenkämpferischen Mottenkiste" (Guido Westerwelle) kommend begriffen wird, sondern als notwendig und richtig. Es wird auch darauf ankommen, den Arbeitskampf nichts als singuläres Ereignis, sondern als wichtigen Teil einer ganzen Reihe sozialer Kämpfe zu betrachten. Wo Menschen in Berlin gegen Kita-Gebühren, KollegInnen im Öffentlichen Dienst für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze, Studenten gegen die Marginalisierung ihrer Universitäten und Arbeitslose gegen die Streichung ihrer Sozialleistungen kämpfen, sind Menschen nicht mehr bereit, die neoliberale Pille zu schlucken und haben begonnen, selbst zur Alternative zu werden. Ya basta!

Anmerkung:

1) Rage Against The Machine, "Sleep Now In The Fire", Album: The Battle Of Los Angeles

LabourNet Germany Top ^