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IG Metall-Vorstand für Lohnspagat

Im Rahmen der betrieblichen Diskussionen zur nächsten Tarifrunde wurde in den vergangenen Monaten in verschiedenen Vertrauenskörpern und betrieblichen Kollektiven Festgeldforderungen aufgestellt (bei Opel Bochum z.B. 200 DM*). Ziel dabei ist, der wachsenden Kluft zwischen unteren und oberen Lohngruppen entgegenzuwirken. Einflussreiche Teile der IG Metall-Bürokratie, allen voran die Riege um den ersten Vorsitzenden Zwickel, gehen in die entgegengesetzte Richtung.

Nicht nur Klaus Zwickel hat laut gedacht und über ein Zwei-Stufen-Modell schwadroniert, mit dem in der kommenden Tarifrunde ein Mindestbetrag und ein Rahmen festgelegt werden soll, der in betrieblichen Verhandlungen ausgeschöpft werden kann. Schlimmer noch ist, dass jetzt der einflussreiche Leiter des Bezirks Stuttgart, Berthold Huber, sich eindeutig auf diese Linie festgelegt hat und in einem FR-Interview vom 12. November dafür wirbt.

Wie mache andere bemüht auch er den Begriff des "uneinheitlichen Wirtschaftsraums" und bezieht dies nicht nur auf verschiedene Branchen, sondern geht sogar in seiner für notwendig erachteten Differenzierung von Tarifabschlüssen bis auf die betriebliche Ebene hinab: "Die Wirtschaft entwickelt sich in Regionen, Branchen und Betrieben mit verschiedenen Geschwindigkeiten. Dem muss die Tarifpolitik Rechnung tragen."

Dies ist angeblich der Grund, weshalb er zu dem Schluss kommt: "Wir brauchen Spielräume für Regionen, Branchen und – ganz klar – auch für Betriebe." Deshalb will er einen Gesamtabschluss aushandeln, der sich aus zwei Komponenten zusammensetzt: "Zum einen aus einer Mindesterhöhung, die alle tarifgebundenen Beschäftigten bekommen. Und dann steht ein auszuhandelnder Spielraum für Verhandlungen in den Betrieben, zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung zur Verfügung."

Illusionäres Beiwerk...

Diese 180-Grad-Kehre gegenüber einer jahrzehntelang betriebenen Politik, mit der die IG Metall vergleichbare Vorstöße des Kapitals ("ertragsabhängige Komponente") immer abgelehnt hat, soll mit Zusatzforderungen kaschiert werden. Damit die Betriebsräte nicht aufs Betteln angewiesen sein sollen, will Huber mit dem Zwei-Stufen-Modell die Forderung verknüpfen, dass im Streitfall, wenn die Geschäftsleitung sagt "uns geht es miserabel", der Betrieb "seine Geschäftsbücher vorlegen muss. Und dann redet man darüber, was er zu zahlen hat. Kommen Betriebsrat und Chefetage nicht zu einem Ergebnis, brauchen wir eine Schiedsstelle, die dann angerufen werden kann."

Nicht nur jeder konsequente Gewerkschafter, der als Betriebsrat die Praktiken kapitalistischer Unternehmen in den Wirtschaftsausschüssen (gemäß Betriebsverfassungsgesetz) kennt, auch Berthold Huber weiß: In einer kapitalistischen Wirtschaft ist nichts so gut gehütet wie das Geschäftsgeheimnis und nichts wird nach außen so gut manipuliert wie die tatsächliche "Ertragslage". Schließlich ist dies nicht nur die tagtägliche Grundlage der kapitalistischen Geschäftspolitik bei der Abwehr von Forderungen der Belegschaft nach betrieblichen Zusatzzahlungen. Diese Geheimhaltung und gegebenenfalls Manipulation gehört zum Grundwissen eines Kapitalisten, nicht nur bei Angebots- und Preisgestaltung, sondern auch bei der Abwehr von Übernahmeangriffen usw.

Eine Offenlegung der Geschäftsbücher kann nur von einer kämpfenden Belegschaft durchgesetzt werden und stellt – wenn sie Realität wird – in der Tendenz zwangsläufig die Verfügungsgewalt des Kapitals über den Betrieb in Frage. Das heißt: Nur wenn die Kolleginnen und Kollegen die Bücher selbst öffnen und (notfalls mit Experten) gemeinsam studieren, kann ein wirkliches Bild von der Auftragslage, der Ertragslage, den stillen Reserven usw. gewonnen werden.

Nichts liegt einem Berthold Huber ferner als die KollegInnen für Elemente der Arbeiterkontrolle zu mobilisieren. Die Offenlegung der Geschäftsbücher durch die KapitaleignerInnen zu erwarten, nur weil sich ein paar Bürokraten in einem Hotelgespräch mit den Kapitalisten auf einen neuen Tarifvertrag einigen, ist reine Augenwischerei.

...als Feigenblatt

Das weiß auch ein Berthold Huber. Aber er geht – zu Recht – davon aus, dass beim Zustandekommen eines "Zwei-Stufen-Modells" auch ohne Offenlegung der Bücher die zweite Stufe in den fraglichen Großbetrieben in gewissem Umfang zu realisieren ist. Damit wird aber zweierlei bewirkt:

  1. Die Kluft zu den Betrieben mit der Mindesterhöhung wird nur noch größer
  2. Selbst die relativ kampfstarken Betriebe werden nicht besser dastehen als bei einem Festhalten am Flächentarifvertrag, weil ihnen zum einen die niedrige "Mindesterhöhung" als Bezugspunkt vorgehalten wird und zum anderen wird ihnen für ihre betrieblichen Zusatzforderungen sogar ein Rahmen vorgegeben. Bisher konnte sie alle Zusatzforderungen beispielsweise nach einem 13. oder 14. Monatsgehalt, "Ertragszahlungen" usw. einzig und allein von ihrer betrieblichen Kampfkraft abhängig machen.

Am verheerendsten aber wäre der weitreichende Entsolidarisierungseffekt mit all seinen Folgen für die Kampfkraft der Gewerkschaften. Wenn die Großbetriebe, der eigentliche Motor jeder Metalltarifrunde, also keine Kraft mehr in den Tarifabschluss stecken, wird die Durchsetzungskraft der Gewerkschaften sehr schnell gegen Null tendieren. Der aushandelbare "Rahmen" eines "Zwei-Stufen-Modells" wird somit zwangsläufig beträchtlich schrumpfen. Nicht nur die Ausgangslage für künftige Tarifrunden sondern auch das allgemeine Kräfteverhältnis zwischen den Klassen würde davon unmittelbar und sehr nachhaltig berührt.

Kampfstarke und bewusste Belegschaften haben eine ganz andere Linie verfolgt. So hat z. B. der Vertrauenskörper von Porsche gerade im Hinblick auf ein Festhalten am Flächentarifvertrag und an dem dafür notwendigen gemeinsamen Kampf aller IG Metaller eine Tarifforderung von 9,5% aufgestellt, obwohl sich die Belegschaft – aufgrund der betrieblichen "Ertragslage" und der eigenen Kampfkraft – durchaus auch zugetraut hätte, für 15% oder mehr zu kämpfen. Gerade weil man/frau keine Verbetrieblichung der Tarifpolitik wollte, hat der Vertrauenskörper von Porsche eine Forderung aufgestellt, die von den anderen, auch weniger kampfstarken Belegschaften mitgetragen wird, jedenfalls dann, wenn dem Vorstand durch massives Bombardieren mit betrieblichen Resolutionen ausreichend Dampf gemacht wird.

Die wahren Gründe

Berthold Huber hat sicherlich eine "persönliche" und eine allgemein politische Motivation für seinen Vorstoß. Persönlich liegt ihm am Herzen, die mittleren Funktionärsebene in seinem Bezirk (z. T. die Gewerkschaftssekretäre, vor allem aber die Betriebsratsfürsten und die sozialdemokratisch orientierten Betriebsratsmehrheiten) zufrieden zu stellen. Sie sollen den Eindruck bekommen, dass sie nicht durch die zurückhaltenden Tarifforderungen aus anderen (weniger kampfstarken) Bezirken gezwungen sind, mit einer bescheidenen Forderung den KollgeInnen gegenüberzutreten, die – vor allem in den florierenden Betrieben – ganz andere Erwartungen haben. Diesem mittleren Funktionärskörper soll also "Spielraum eröffnet werden. Auf diese Weise kann Huber sich bei den Delegierten zum nächsten Gewerkschaftstag entsprechenden Rückhalt verschaffen. Eine starke Hausmacht im mitgliederstärksten Bezirk ist schon die halbe Miete beim Rennen um den Posten des Ersten Vorsitzenden (Zwickel wird nicht wieder kandidieren).

Die allgemein-politische Motivation von Huber, Zwickel und ihres Anhangs in der IGM-Bürokratie liegt nicht in dem vorgeblichen Ziel, den Flächentarifvertrag zu erhalten. Mensch erhält ihn nicht, indem er durchlöchert und entwertet und damit dem Zusammenhalt der KollegInnen ein entscheidenden Schlag versetzt wird. Gewerkschaften ohne gemeinsames Handeln sind wertlos. Nur wenn die gesamte Kraft in die Waagschale geworfen wird, wenn möglichst viele KollegInnen an der Mobilisierung beteiligt sind, werden sie das Ergebnis von Tarifrunden als Resultat eines Kampfes begreifen. Um Zuschauer zu bleiben, braucht mensch kein Gewerkschaftsmitglied zu sein, erst recht nicht, wenn die Gewerkschaft auch in anderen Regionen nicht wirklich kämpft.

Vorrangiges Ziel dieses Teils der Bürokratie ist es, einer umfassenden Mobilisierung aus dem Weg zu gehen. Man wählt den Weg der geringsten Aufregung und des geringsten Risikos, Hauptsache die eigene (sehr eng begriffene) Klientel wird zufrieden gestellt.

Die Gefahr ist sehr real, dass – bei einem ausbleibendem Proteststurm ausgehend von Vertrauenskörpern, Delegiertenversammlungen usw. – sich folgendes Szenario entwickelt:

Gewerkschaftsspitze und Gesamtmetall verständigen sich auf ein Gesamtvolumen und überlassen es der Warnstreikphase (also ab dem 28. März, 24.00 Uhr) wie hoch innerhalb des Gesamtrahmens die Mindesterhöhung ausfällt. Dann kommt man relativ schnell zu einem Abschluss und überläßt es den "betrieblichen Partnern", die zweite Komponente auszuhandeln. BdA-Präsident Hundt hat für die Kapitalseite schon längst die Linie vorgegeben, damit nicht die Fehler einiger ehemaliger Gesamtmetallvorsitzenden (Murmann, Gottscholl) vom Anfang der 90er Jahre wiederholt werden, als man mit Reallohnabbauforderungen die Belegschaften provozierte und in den ansonsten mauen Tarifrunden überhaupt erst mobilisierte. Hundt lehnt klar Nullrunden ab und hat heute vor allem eins im Auge: Kampfmaßnahmen verhindern, damit die Gewerkschaften noch mehr an Existenzberechtigung verlieren und somit an Anhängerschaft und Kampfkraft. Dies – und nicht etwa der frontale Angriff – ist heute das sicherste Mittel, den Erosionsprozess der Gewerkschaften zu fördern, gerade auch unter einer SPD-Regierung.

Alternative bürokratische Linie

Wenn sich heute Peters (der Zweite Vorsitzende), H. Meine und Neugebauer (Bezirksleiter v. Niedersachsen und Bayern) gegen das Zwei-Stufen-Modell wenden, dann nicht etwa weil sie einen linken, kämpferischen Flügel repräsentieren, sondern weil sie vor allem den beschleunigten Verlust an Handlungsfähigkeit erkennen und von einem Einschwenken auf diese Linie für sich selbst keine Vorteile sehen. Eine klassenkämpferische Linie ist von ihnen nicht zu erwarten. So wenden sie sich z. B. auch nicht gegen den neuen Tarifvertrag für Bosch (Schwieberdingen), der ebenfalls unter der Obhut von Huber abgeschlossen wurde und mit dem die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche im Forschungs- und Entwicklungsbereich sanktioniert wird ("wir müssen die Realität im Tarifvertrag einfangen". Zu den Einzelheiten und den Protestaufrufen siehe www.labournet.de).

Auf keinen Fall dürfen aktive MetallerInnen sich jetzt von Peters' Ankündigung einlullen lassen, diese Modell werde in der kommenden Tarifrunde nicht zur Anwendung kommen. Auch in dieser Frage gilt: Wehret den Anfängen.

Auch bei der Frage der Laufzeit (Zwickel hat 6 Monate ins Gespräch gebracht) ist höchste Vorsicht geboten. Gerade vor den Wahlen ist von der sozialdemokratisch ausgerichteten Gewerkschaftsbürokratie nicht zu erwarten, dass es zu einem Kampf kommt.

Überall, in allen Vertrauenskörpern, Betriebsräten, Delgiertenversammlungen, DGB-Konferenzen usw. sollten Protestresolutionen verabschiedet werden:

Lassen wir es Proteste hageln.

D. Berger
Vorabdruck aus avanti Dezember 2001

* es handelt sich um die Forderung der GOG von 200 Euro, nicht DM!


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