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"5, 4, 3, 2, ... aus" – Verzichten kann ich alleine

Rückblick auf die Tarifrunden bei Banken, Handel und Versicherungen

Von Peter Balluff*

So sicher, wie im März die Schneeglöckchen blühen, so sicher hört man vom jeweiligen Gewerkschaftsvorsitzenden zu diesem Zeitpunkt, dass tarifpolitisch "das Ende der Bescheidenheit" erreicht sei. Da diese Worthülse dann unhinterfragt im Raum steht und die Gewerkschaftsmitglieder hinsichtlich der Tarifabschlüs-se im Laufe der Jahre bereits eine große "Leidensfähigkeit" entwickelt haben, muss hinter der Aussage ein Geheimnis oder eine Drohung stecken, die sich nur wenigen Eingeweihten erschließt.

Die nunmehr abgeschlossene Tarifrunde 2001 kann damit nicht gemeint sein. Der tarifpolitische Halbjahresbericht des WSI, abgedruckt im Schwerpunktheft Juli 2001, beginnt mit der Aussage, dass "die Tarifrunde 2001 ... schon weitgehend beendet (war), noch bevor sie eigentlich begann". Dabei wird Bezug genommen auf Wirtschaftszweige und Tarifbereiche, in denen im Jahr 2000 Tarifverträge abgeschlossen wurden, die für das Jahr 2001 und darüber hinaus Geltung haben (Öffentlicher Dienst Oktober 2002). Wenn man davon ausgeht, dass sich – entgegen aller Prognosen – die Inflationsrate in diesem Jahr bei etwa 3 Prozent einpendelt, so dürfen die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes bei einer Tariferhöhung für 2001 in Höhe von 2,4 Prozent auch in diesem Jahr wieder mit einem Reallohnverlust rechnen.

Betrachtet man drei ausgewählte Tarifbereiche im Zuständigkeitsbereich der Gewerkschaft ver.di, nämlich Banken, Versicherungen und Einzelhandel, so kann man feststellen, dass die Forderungen nach einer Erhöhung der Entgelte und Ausbildungsvergütungen um 5,5 Prozent im Gesamtvolumen mit einer Laufzeit von zwölf Monaten sicherlich zu einer Reallohnsteigerung für die ArbeitnehmerInnen geführt hätten. Die Verhandlungsführer der Gewerkschaften begründeten ihre Gehaltsforderungen mit der absehbaren Preissteigerung, die für dieses Jahr zwischen 1,7 und 2,0 Prozent prognostiziert war, sowie der gestiegenen Produktivität von durchschnittlich 3,5 Prozent. Gleichzeitig wurde auch die Steigerung der Binnennachfrage zur Sicherung der nichtexportabhängigen Beschäftigungsverhältnisse ins Felde geführt. Die Ergebnisse der Tarifverhandlungen waren dann aber alles andere als berauschend. So wurde bereits in der 3. Verhandlungsrunde im Bankenbereich ein Abschluss mit folgenden Bestandteilen erzielt:

Da weder die Pauschalzahlung von 280 DM für den Monat April noch die Anhebung der Schichtzulage ab dem 1. Februar 2002 als grundsätzliche prozentuale Anhebung der Gehälter gerechnet werden können, verringert sich die Erhöhung der Gehälter um 2,8 Prozent bei einer Laufzeit von 13 Monaten auf 2,58 Prozent. Besonders ärgerlich ist die Zusage, dass für den Zeitraum der Euro-Einführung die Höchstarbeitszeit von zehn Stunden täglich und 50 Stunden wöchentlich als Regelarbeitszeit vereinbart wurde. Darüber hinaus kann noch Samstagsarbeit geleistet werden, so dass sich die Wochenarbeitszeit auf maximal 60 Stunden erhöht.

Berücksichtigt man, dass im Bereich Banken seit über zehn Jahren die 39-Stunden-Woche festgeschrieben und Arbeitszeitverkürzung wohl ein "Tabuthema" ist, so ist eine derartige Vereinbarung kontraproduktiv und wird nicht dazu führen, unorganisierte Kolleginnen und Kollegen für die Gewerkschaft zu gewinnen.

Auch im Versicherungsgewerbe verlief die Tarifrunde eher im "ruhigen Fahrwasser", was dazu führte, dass in der 3. Verhandlungsrunde ein Abschluss zustande kam, der sich nur marginal vom Bankenergebnis unterscheidet:

Auch hier ist die nominelle Gehaltserhöhung von 2,8 Prozent rechnerisch also nicht haltbar.

Für den Bereich des Einzelhandels, in dem die Gewerkschaft ver.di noch die größte Mobilisierungsfähigkeit besitzt, wurde im Juni 2001 in Hamburg ein Abschluss getätigt, der in der Folgezeit bis Ende Juni in den Tarifgebieten Bremen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland, Baden-Württemberg und Bayern als "Pilotabschluss" übernommen wurde. In seinen Grundzügen sieht dieser Tarifvertrag eine Anhebung der Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen um 2,7 Prozent rückwirkend ab dem 1. Mai und der Ausbildungsvergütungen ab 1. August mit einer Laufzeit von zwölf Monaten vor. Diesen "Pilotabschluss" konnten die Verhandlungsführer in den anderen Landesbezirken (u.a. Rheinland-Pfalz) den Tarifkommissionen nur mit Mühe (und mit Drohungen) "schmackhaft" machen.

Die Stimmung in den Tarifkommissionen war überaus gereizt, weil die "kampferprobten" Landesbezirke gerade an der Vorbereitung von Streikaktivitäten waren und der Landesbezirk Nord, der in dieser Frage nicht zu den stärksten zählt, unkoordiniert und ohne ersichtliche Not, diesen Tarifvertrag abgeschlossen hat. Ein solches Verhalten wirkt umso schlimmer, wenn man berücksichtigt, dass eine positive Mitgliederentwicklung im Einzelhandel immer nur dann erreicht wird, wenn eine kämpferische Tarifrunde ansteht. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Beweggründe des Verhandlungsführers im Landesbezirk Nord dessen ewiges Geheimnis bleiben werden.

Fast wäre es in Vergessenheit geraten. Auch ein Tarifvertrag zur "tariflichen Altersvorsorge" wurde abgeschlossen. Dabei hat sich die Gewerkschaft abermals als "Reparaturbetrieb" der Bundesregierung und des Kapitals bewährt. Nach zähen Verhandlungen dürfen die Arbeitgeber (!) jetzt festlegen, welche Anlageform sie für die mühsam abgerungenen 20 DM pro Monat für Vollzeitkräfte wählen. Da 20 DM "etwas dünn" sind, wird jetzt landauf, landab behauptet, dass 300 Euro angelegt werden können. Dies ist aber nur der Fall, wenn auch die vermögenswirksame Leistung in den Vertrag einfließt. Bei "Geringverdienern" ist dann sowohl die Arbeitnehmersparzulage wie auch die Wohnungsprämie "futsch". Ein tolles Geschäft.

Lässt man die Tarifabschlüsse im laufenden Jahr Revue passieren, so stellt man fest, dass das Ende der Bescheidenheit erreicht sein "müsste" (die Vereinigung Cockpit hat bei der Lufthansa gezeigt, wie dies funktioniert), doch der politische Wille scheint zu fehlen. Wie drückte es ein unorganisierter Kollege aus dem Metallbereich in treffender Weise aus: "Ich muss nicht Mitglied der Gewerkschaft werden, verzichten kann ich alleine."

 

* Peter Balluff ist Sekretär der Gewerkschaft ver.di, Mainz.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 10/01


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