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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Peter Birke Tristesse und Suchbewegungen. Der Social Unionism und die Gewerkschaften in der Bundesrepublik - als Beitrag zum buko, 20.-23.5.2004 in Kassel I Die Frage nach der Verbindung zwischen gewerkschaftlicher Politik und den neuesten sozialen Bewegungen ist in den letzten Monaten in der Bundesrepublik ungeahnt aktuell geworden. Dies ist zunächst der rot-grünen Regierungspolitik zu verdanken. Angesichts der Absenkung der sozialen Einkommen, von der Teilprivatisierung der Renten, der Absenkung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfe-niveau, den Verschlechterungen beim Kündigungsschutz bis hin zur vorgesehenen Verlängerung der Arbeitszeiten im Öffentlichen Dienst – die Gewerkschaften scheinen ihren traditionellen Ansprechpartner im Parlament verloren zu haben. Nachdem im vergangenen Jahr alle Versuche gescheitert sind, die Schröder-Regierung von einer „sozialen Abfederung“, „Mäßigung“ u.s.w. der angeblich „notwendigen“ Reformen zu überzeugen, setzt heute ein Teil der Gewerkschaften auf verschiedene andere Optionen: Die Diskussionen um die „neue Linkspartei“, also der Versuch, eine alternative parlamentarische Karte zu spielen sind bekannt. Eine weitere Option ist die Zusammenarbeit mit dem institutionellen Teil der Anti-Globalisierungsbewegung, wie sie innerhalb des DGB vor allem vom ver.di-Vorsitzenden und Teilen der IG Metall vorgeschlagen wird. Die Demonstrationen am 3. April, die vom Europäischen Sozialforum (ESF) im vergangenen Jahr in Paris ausgingen, zeigten die Widersprüche dieser Zusammenarbeit: sie geschieht wesentlich „von oben“, durch den Gewerkschaftsapparat vermittelt. Konzeptionen eines Social Unionism, die sowohl eine Ausweitung der lokalen als auch der globalen Bezugspunkte von Gewerkschaftsarbeit beinhalten, sind in der Bundesrepublik bisher marginal geblieben, auch wenn es einige wenige Beispiele für neue Formen gewerkschaftlicher Organisierung gibt, wie zum Beispiel die Kampagne für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei der Drogeriekette Schlecker. Beispiele einer nicht-hierarchischen, internationalen und an Politikformen der sozialen Bewegungen orientierten Gewerkschaftsarbeit finden sich dagegen in den USA (die „Justice for Janitors“-Kampagne, www.seiu.org) oder in Kanada (u.a. innerhalb der „Canadian Automobile Workers“, www.caw.ca). Erfahrungen mit solchen Projekten wurden in den letzten Jahren von verschiedenen Autor/innen ausgewertet und theoretisch zusammengefasst. In der linken Diskussion in der Bundesrepublik ist die Auseinandersetzung mit diesen Autor/innen bisher kaum geführt worden, was auch als Folge der Marginalisierung der entsprechenden Praktiken (und einer entsprechend pragmatischen Haltung der Aktivist/innen) gesehen werden kann. Im Folgenden möchte ich einen Beitrag dazu leisten, die theoretische Diskussion einerseits vorzustellen, andererseits auf die Geschichte und aktuelle Politik bundesdeutscher Gewerkschaften zu beziehen. II Die Diskussion über Gewerkschaften als Soziale Bewegungen ist in den USA und Westeuropa unmittelbar eine Reaktion auf die als Krise rezipierte Situation der „offiziellen“ Gewerkschaften. Im Mittelpunkt stehen häufig Probleme der Organisierung eines bestimmten Segmentes der Beschäftigten, wobei das Problembewusstsein der „offiziellen“ Gewerkschaften oft erst durch Verluste an Mitgliedern und gesellschaftlichem Einfluss ausgelöst wird. Die meisten pragmatischen Konzeptionen beziehen sich deshalb auf Erfahrungen, die eine Lösung des „Organisationsproblems“ versprechen, aus denen sodann höchstens mittelfristige Strategien (oft in der Form von sogenannten Projekten) abgeleitet werden. Diese Strategien enthalten teilweise gegensätzliche Optionen. Das drückt sich auch darin aus, dass es verschiedene Begriffe gibt, die die Konzeption zusammenfassen: in der Bundesrepublik spricht beispielsweise das tie-Netzwerk vom Movement Unionism, in den USA wird manchmal vom New Social Movement Unionism gesprochen, und mit einem gewissen Recht könnte man auch das Konzept des New Unionism des britischen Trade Union Congress als Teil des Diskurses begreifen, obwohl letzteres vor allem auf eine kampagnenartige Mitgliederwerbung bei einer sozialpartnerschaftlichen Grundausrichtung bezogen ist und damit ziemlich genau das Gegenteil von dem intendiert, was zum Beispiel vom tie-Netzwerk vorgeschlagen wird. In der etwas verwirrenden Vielfalt liegt es deshalb nahe, sich hier auf eine theoretisch ausgeführte Konzeption zu beziehen, die einen gewissen Einfluss auch auf die bundesdeutsche Gewerkschaftslinke ausgeübt hat. Ich hier deshalb einen recht neuen Text von Peter Waterman diskutieren, der seine Konzeption Social Unionism nennt (siehe Endnote). Dies erscheint auch deshalb angemessen, weil Peter Waterman seine politische Intervention im Rahmen des Global Justice and Solidarity Movement und der Sozialforen mit seiner akademischen Arbeit verbindet. Ausgangspunkt von Watermans Überlegungen ist ausdrücklich nicht die Frage der technisch-organisatorischen Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Sozialen Bewegungen. Diese Frage ist für ihn mehr als zweitrangig, er denkt streng anti-institutionell: Im Mittelpunkt steht vielmehr das Konzept der „Arbeiterklasse“, die Frage, warum die Vorstellung von der „Arbeiterklasse“ – ich zitiere – „jemals die Zentralität bekam, die sie einmal hatte, wie das Konzept im Verhältnis zu emanzipatorischer Theorie funktionierte und warum es angesichts der Globalisierung und des Global Justice and Solidarity Movement neu überdacht werden müsste.“ Bereits als Teil einer Antwort auf diese Fragen plädiert Peter für eine „breitere Definition des Begriffes Proletariat“, die seines Erachtens (mindestens) drei Elemente enthalten muss:
Die „breite Definition des Proletariats“, die Waterman vorschlägt, wird schließlich direkt auf das bezogen, was er im Rahmen der, ich zitiere, „neuen Ökonomie eines globalisierten Netzwerk-Kapitalismus“ für zentral hält: Sowohl „Informationsarbeiter im Allgemeinen“ (von Call-Center-Agent bis zum Netzwerkspezialisten) als auch „diejenigen, die in unentlohnter Hausarbeit/Pflege, Hausarbeit als Dienstleistung, Gesundheitsarbeit und Tourismus“ beschäftigt seien, müssen zu diesem „neuen“ Proletariat gezählt werden. Die genannten Gruppen seien nicht die „Avantgarde der Zukunft“, wohl aber - Zitat - „wahrscheinlich für eine Netzwerkgewerkschaft der Zukunft“ offen. Voraussetzung dafür, dass die Idee eines „Social Unionism“ eine Zukunft habe, sei schließlich sowohl ein „radikaler Reformismus“, wie er in der alten sozialdemokratischen Arbeiterbewegung eine wichtige Rolle gespielt hat, als auch die Forderung nach einer „Abschaffung der Lohnsklaverei“, die in den anarchistischen Bewegungen formuliert wurde. Das Ziel der „Befreiung von der Arbeit“ – hier bezieht sich Waterman auf André Gortz – erfordere einen doppelten Kampf: gegen „den Zwang zur Arbeit und zur Arbeitslosigkeit“. In diesem doppelten Kampf, der die Sphäre der Fabrik notwendigerweise überschreitet, liegt für Waterman das zentrale Bindeglied eines Social Unionism, der sich als Teil der Zivilgesellschaft, der „ökologischen Bewegung, der Bürgerrechtsbewegung, der Kämpfe um Wohnungen und Land“ versteht. In einer vorläufigen Bewertung dieser Thesen ist es
meines Erachtens zunächst einmal wesentlich zu bestimmen, was der
(theoretische) rote Faden ist, der sie durchzieht. Dazu ist es wichtig,
nach der Position zu fragen, aus der heraus Peter Waterman spricht. Ich
möchte drei Aspekte betonen: Zweitens, Waterman denkt die sozialen Bewegungen vom Standpunkt der „Arbeit“ aus, wobei „Arbeit“, „Labour“ hier als soziale Kategorie verstanden wird und nicht, wie im Deutschen, zugleich auch als konkrete Tätigkeit. Schon der Begriff Social Unionism zeigt an, dass er vor diesem Hintergrund eine Diskussion um die Organisation dieser sozialen Kategorie führt, also eine Diskussion über den Weg und Ziel sozialistischer Organisationen im Allgemeinen und der Gewerkschaften im Besonderen. Innerhalb dieser Diskussion schlägt er eine Art „autonome Gewerkschaftspolitik“ oder, im älteren Duktus, eine „Gegenmachtsposition“ als Alternative zu Sozialpartnerschaft und Standortpolitik vor. Dabei ist wiederum der Nexus Produktivkräfte/Produktionsverhältnisse von Bedeutung, denn die Grundlagen der „neuen“ Organisierung sind aus Watermans Sicht die der „Netzwerkgesellschaft“. Damit kann, drittens, auch seine Position zu den sozialen Bewegungen bestimmt werden, die in ihrem Wirken die Formen dieser „autonomen Gewerkschaft“ bereits entwickelt zu haben scheinen, in ihrer Internationalität, sowie in einem nicht-hierarchischen, netzwerkartigen Organisierungsprozess. III Welche Erfahrungen gibt es in der Bundesrepublik der letzten, sagen wir, dreißig Jahre, mit dem, was Peter Waterman Social Unionism nennt? Ich möchte, etwas willkürlich, drei Ereignisse herausgreifen, anhand derer ich dies diskutieren will. Die Jahreszahlen, denen die Ereignisse zugeordnet werden können, sind 1973, 1984 und 1999. Im August 1973 fand in einem der Fordwerke in Köln ein spektakulärer wilder Streik statt. Dieser wilde Streik ist fast der einzige, der alle Niedergänge und Aufschwünge der linksradikalen Selbstdefinitionen überlebt hat und, als Symbol einer mehrere Jahre andauernden Konfrontation der bundesdeutschen Gewerkschaften mit dem, was man damals „Massenarbeiter“ genannt hat, noch in Erinnerung geblieben ist. Viel zu verdanken hat das Erinnerungsvermögen dabei der Diskussion über die „Autonomie der Migration“, die u.a. Kanak Attak in den letzten Jahren öffentlich gemacht hat. Die Streikenden der Fordwerke sind, wie KA auch betont, nicht ausreichend charakterisiert, wenn man nur weiß, dass sie in ihrer großen Mehrzahl keine deutsche Staatsbürgerschaft besaßen. Wesentlich ist, dass sie Forderungen formulierten, die an die europäische Streikwelle seit 1968/69 anschlossen: mehr und selbstbestimmte Pausen bei der Fließbandarbeit, eine Urlaubsregelung, die sich mit prekären Lebenssituationen vereinbaren ließe und nicht zuletzt eine Lohnerhöhung, die dazu beitragen sollte, die extremen Hierarchien zwischen ungelernten und gelernten Arbeiter/innen zu beseitigen. Die IG Metall reagierte in widersprüchlicher Weise:
unmittelbar trug sie zur Zerschlagung des Streiks in Köln bei. Mittelbar
aber nahm sie einen Teil der Forderungen auf, indem sie sie zum Gegenstand
ihres ersten tariflichen Arbeitskampfes machte, der nur wenige Wochen
nach dem Fordstreik in der Metallindustrie des Bezirks Nordwürtemberg/Nordbaden
stattfand. Tatsächlich konnte die Gewerkschaft hier, neben einem
recht wackeligen Schutz vor Rationalisierungen, kurze, selbstbestimmte
Pausen für am Fließband und/oder im Akkord Beschäftigte
durchsetzen. Natürlich verhielt es sich nicht so, dass die Gewerkschaft
die Forderungen der Streiks von 1973 und davor einfach übernahm,
sie absorbierte sie zugleich und bezog sie auf die Regulierung der Arbeits-bedingungen
im nationalen Maßstab. Innergewerkschaftlich reihte sich der Streik
in Nordwürttemberg/Nordbaden in einen Diskurs über „qualitative“
Tarifforderungen ein, der bereits in den 1960er Jahren u.a. von linken
IG Metall-Funktonären und (ehemaligen) SDS-Aktivisten geprägt
worden war. Ihr Ziel war, aus den Problemen, die durch die forcierte tayloristische
Rationalisierung entstanden waren, allgemeine gesellschaftliche Forderungen
abzuleiten, die ökologische und geschlechtsspezifische Aspekte mit
einer Kritik an den zerstörerischen Arbeitsbedingungen verbinden
und „gesellschaftsfähig“ machen sollten. In den Jahren
nach 1973 musste das praktische Scheitern dieser „qualitativen Tarifpolitik“
immer wieder konstatiert werden, obwohl sie in Form von „ökologischen
Tarifrunden“ z. B. der IG Medien bis Ende der 1980er Jahre eine
gewisse Rolle spielte. Parallel zu diesem Scheitern entwickelte sich der
Diskurs über „Selbstbestimmung“ weiter, vermittelt im
staatlichen Programm der „Humanisierung der Arbeit“, das die
Gewerkschaften zunächst mit ganzer Kraft unterstützten, aber
auch in der Abschaffung der Fließbänder, wie sie in der Automobilindustrie
propagiert und teilweise vollzogen wurde. Die Tarifrunden von 1984 endeten tatsächlich mit der
stufenweisen Verkürzung der Arbeitszeiten, wurden aber mit einem
Kompromiss erkauft, der den Unternehmern die Durchbrechung ihres „Tabukataloges“
mit der ungleichen Verteilung der Arbeitszeiten, dem, was man neoliberal
„Flexibilisierung“ nennt, schmackhaft machte. Noch am Anfang
des 20. Jahrhundert ist dieser Deal aktuell, in Frankreich rankte sich
bis vor kurzem eine regierungsamtliche Konzeption darum, und auch in der
ostdeutschen Stahlindustrie wurde er Mitte des letzten Jahres abgeschlossen.
Heute hat die Forderung nach „Arbeitszeitverkürzung“
viel von dem Glanz der 1980er Jahre verloren, sie taucht zwar immer wieder
in den Programmen von Linksparteien und Sozialforen auf, die Mechanismen
der „Flexibilisierung“ haben allerdings ein eigenständiges
Potential entwickelt, das Verhandlungen und gewerkschaftliche Vermittlung
weitgehend überflüssig macht, wie sowohl in dem für die
IG Metall katastrophalen Resultat der Streiks in Sachsen und Brandenburg
als auch in der Forderung nach der Verlängerung der Arbeitszeit im
Öffentlichen Dienst deutlich geworden ist.
Zusammengefasst. Auch wenn in dieser Geschichte die Gewerkschaften wie Zauberlehrlinge erscheinen, die ein ums andere Mal die „emanzipatorische Formel“ gefunden zu haben scheinen, die sich ihnen gegenüber wieder und wieder selbständig macht: Es geht mir an dieser Stelle nicht um die Binsenweisheit, dass sich Revolten in Reformen transformieren lassen und am Ende zum Teil von sozialen Techniken werden. Das wäre in der Tat eine billige Zusammenfassung einer teuren Geschichte. Im Gegenteil: Keine der erwähnten Kämpfe sind vergebens gekämpft worden, und keine der Hoffnungen, die wir heute auf eine Erweiterung emanzipatorischen Denkens verschwenden, werden vergebens angefangen. Ihre Resultate sind, wenn nichts anderes, wichtige Erfahrungen, die aufgehoben und weiterentwickelt werden sollten. Aber was bedeuten die hier skizzierten Erfahrungen für die Theorie eines Social Unionism? Zunächst ist es wichtig zu bemerken, dass die dargelegten Widersprüche nicht voluntaristisch aufgehoben werden können. Diese Erkenntnis spiegelt sich durchaus auch In Negris und Hardts Vorstellung, dass die sozialen Kämpfe den Verwertungsprozess sowohl „stimulieren“ als auch, am Ende, aufheben können. Es handelt sich demnach um einen Prozess, der weder einseitig noch eindeutig ist. Soziale Kämpfe tragen sowohl zur Produktion von Macht als auch, wenigstens potentiell, zur Emanzipation bei. Gerade in der Figur des „autonomen Arbeiters“ wird die Zwiespältigkeit deutlich, durch die sich die Vergesellschaftung der sozialen Kämpfe hindurch organisiert. Die Formen, in denen sich der „autonome Arbeiter“ politisch und sozial artikuliert, müssen diese Zwiespältigkeit nicht nur in Betracht ziehen, sondern auch notwendigerweise spiegeln. Die Gruppe, in der ich in Hamburg aktiv bin, hat das schwer zu lösende Problem, das daraus entsteht, in einem neuen Text in einer einfachen Frage zusammengefasst, ich zitiere: „Was heißt ‚Krankfeiern und Sabotage’ für eine selbständige Ich-AgentIn? Wer stellt ihr den gelben Zettel aus, und wem gibt sie ihm dann?“ Und die Antwort darauf ist eigentlich wieder eine Frage, denn, Zitat: „wie zeitgemäße „Jobberstrukturen“ für das wachsende Heer der völlig disperaten JobberInnen, akademischen SelbstverwerterInnen, proletarischen Selbständigen aussehen können, ist völlig offen.“ Die Konzeption des Social Unionism will zwar nicht alle Rätsel dieser Welt erklären, aber auf die eben zitierte Frage hat sie doch eine ziemlich definitive Antwort. Es ist Watermans „autonome, internationale Netzwerkgewerkschaft“. Mir geht es mit dieser Antwort so, dass sie mir einerseits viel zu kurz und andererseits viel zu weit ist. Es kann schon sein, dass, wünscht man es sich nur doll genug, die „autonome Gewerkschaft“ an jeder Straßenecke auftaucht. Die Kämpfe der Kulturarbeiter in Frankreich, die Aktionen gegen Prekarisierung in Italien, vielleicht sogar so etwas vergleichsweise Tristes wie connex.av können als Figurationen des „neuen Subjektes“ gesehen werden. Dies ist vielleicht notwendiger Teil einer Sicht-barmachung und Selbsterkenntnis, aber meines Erachtens äußerst fragwürdig, wenn die Illusion erzeugt wird, die Konfiguration einer „autonomen Netzwerkgewerkschaft“ könnte unter Auslassung der Widersprüche stattfinden, in denen sich andere Formen von Organisierung auch bewegen. Der Gedanke an solche Widersprüche lag Marx weniger fern als dem traditionellen Marxismus: Die Entwicklung der Produktivkräfte ist nicht linear. Und auch die sozialen Techniken, die diese Entwicklung entscheidend stimulieren, einschließlich der Techniken des Protests und der Organisierung, gehen prinzipiell in die soziale Organisation der Gesellschaft selbst ein. Sie bleiben nicht unberührt, bis es irgendwann einmal zu dem Punkt kommt, an dem die Logik von Verwertung und Selbstverwertung durchbrochen wird. Arbeit ist, wie Michael Neary formuliert, in der Tat „keine einfache Kategorie“. Sie verändert ihre eigene Form durch den Verwertungsprozess hindurch. Deshalb kann es im Kapitalismus prinzipiell keine soziale Forderung geben, die eindeutig und ein für alle Mal „emanzipatorisch“ ist. Und ebenso wenig kann es so etwas wie ein stabiles historisches Subjekt geben. Die Kategorie „Arbeit“, die auch Waterman einführt, als wäre sie ein Subjekt, das sich aus der Struktur der kapitalistischen Vergesellschaftung ableiten lässt, aber zugleich „autonom“ handlungsfähig ist, ist in Wirklichkeit eine Kategorie voller Mucken und Spitzfindigkeiten. So fällt sie dem eigenen Tun, auch dem zunächst als „autonom“ anerkannten, als tote Arbeit auf die Füße. Diese widersprüchliche Logik liegt auch der Ausdehnung des Verwertungsprozesses zugrunde, das, was wir als „Ökonomisierung“ aller Bereiche des sozialen Lebens bezeichnen. Es besteht kein Zweifel, dass diese Ökonomisierung vor den politischen Strukturen, die wir als unsere eigenen bezeichnen, nicht Halt macht und auch nicht vor der „autonomen Netzwerkgewerkschaft“ Halt machen wird. Diese Einschätzung ist wichtig, nicht weil daraus die Notwendigkeit entsteht, neue Organisationen zu begründen, die „garantiert“ autonom sind, sondern weil sie den Begriff der „Autonomie“ selbst in der Mitte der Gesellschaft verortet und zu einer Angelegenheit macht, die umkämpft bleiben muss, auch in unseren eigenen politischen Strukturen. Jede und jeder von uns weiß aus eigener Erfahrung, mit welchen Schwierigkeiten es verbunden ist, wenn beispielsweise „nicht-hierarchische“, oder „netzwerkartige“ Organisationsformen in der Wirklichkeit gelebt werden sollen. Diese mit diesen Schwierigkeiten verbundene „Suchbewegung“ verläuft zunächst notwendigerweise pragmatisch, durch die konkreten Erfahrungen hindurch, die unter anderem mit neuen Formen gewerkschaftlicher Arbeit tatsächlich gemacht werden. Völlig einig bin ich mit Peter Waterman, dass es sehr wichtig ist, die kollektive Produktion von Wünschen nach „Autonomie“ und „Selbstorganisation“ in der Arbeit mit denjenigen zu verbinden, die die Frage nach der „Aneignung“ des gesellschaftlich Produzierten auf die Tagesordnung bringen. Um diese Verbindung zu ermöglichen, wäre es in der Tat ein erster wichtiger Schritt, wenn sich soziale Bewegungen nicht mehr als „unabhängig“ vom Verwertungsprozess begriffen, ebenso wenn Gewerkschaften diesen nicht mehr auf die „privilegierte“ Form der Lohnarbeit reduzierten. Allerdings ist es durchaus fraglich, ob die Organisationsform, die beides vermitteln kann, noch als „Union“, als Gewerkschaft, bezeichnet werden kann. Die Experimente mit workers’ centres in den USA oder den Sozialzentren in Italien, die multinationale Vernetzung durch das web, aber auch Orte wie der BUKO, in denen sich (alte?) Betriebsarbeiter/innen mit (jungen?) Aktivist/innen treffen können, deuten vielleicht an, wie wir uns ein Bild von den emanzipatorischen Organisationsformen der Zukunft machen könnten. Ich bin völlig einverstanden mit Peter Watermans Forderung nach temporären und situativen Assoziationen, die dennoch eine widerstandsfähige nicht-hierarchische Struktur entwickeln: die Vorstellung gleicht eher der von vielen Räumen und Orten als der von einem Gewerkschaftshaus oder einer anderen „roten Burg“. Das Problem, das ich mit Watermans Text habe, ist eher, dass er diese Wünsche immer noch vom Standpunkt der sozialen Organisation der Arbeit aus formuliert. Die Affirmation der Lohnarbeit, wie sie in den alten Organisationen der Arbeiterbewegung vorherrschend war, wird hier lediglich „in die Gesellschaft“ transformiert. Die Figur erlaubt zwar, auch Nicht-Lohnarbeiter/innen als „Teil der (oder wenigstens einer Art von) Klasse“ zu verorten. Zugleich dehnt sie aber den Produktivismus der alten Arbeiterbewegung aus und verankert ihn fest in den neuen sozialen Bewegungen. In der Konsequenz bleibt sowohl die Auswertung von Erfahrungen, die es mit der „Autonomie der Arbeit“ in den letzten dreißig Jahren gibt, ebenso wie das Problem der Institutionalisierung und Verdinglichung von Konzeptionen eines Social Unionism, ein blinder Fleck in Watermans Text. Die Erklärung der Integration von Projekten (durch die „offizielle“ Gewerkschaftspolitik, durch den Staat u.s.w.) ist meistens, dass sie nur unzureichend durchgeführt oder „nicht alle Aspekte“ einer wahrhaft „autonomen Gewerkschaftspolitik“ berücksichtigt worden seien. Wenn jedoch der „autonome Netzwerkarbeiter“ nicht nur eine Neuauflage der Figur des „Massenarbeiters“ und die „Netzwerkgesellschaft“ nicht nur im Sinne der Figur der „Fabrikgesellschaft“ verstanden werden soll – ja, dann ist es unumgänglich, die Widersprüche zu diskutieren, aus denen diese Figuren selbst entstanden sind, in die sie sich notwendiger Weise begeben und die zugleich die Grenzen bestimmen, innerhalb derer sie als „emanzipatorisch“ wirken können. Die Attraktion der Vorstellungen von einem Social Unionism besteht aus meiner Sicht gerade darin, dass sie das alte „produktive Subjekt“ auseinandernehmen. Die Sehnsucht danach, es neu und fest zusammenzusetzen, entsteht vielleicht auch aus der Angst heraus, dass mit der Auflösung jegliche Vorstellung von Organisierung abhanden kommt. Die begriffliche und politische Bindung der Konzeption eines Social Unionism an eine bestimmte Kategorie von Produzent/innen, die an strategischen Punkten angesiedelt seien, schließt jedoch eine ganze Welt von Möglichkeiten des Widerstandes und der Organisierung von vornherein aus. Deshalb erscheint es mir gar nicht erstrebenswert, ein stabiles, homogenes und am Ende auch noch „produktives“ Subjekt zu konstruieren. In der Geschichte gab es schon zu viele von diesen „produktiven“ Subjekten, die später als Gespenst zurückgekehrt und die, nicht zuletzt, die sozialen Bewegungen tyrannisiert haben.
Peter Waterman, Re-Conceptulising the World Working Class: A Matter of What and Who? Or Why and Wherefore?, Manuskript, Amsterdam 2003 Michael Neary, Labour Moves: A Critique of the Concept of Social Movement Unionism, aus: www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft, [2003]. Gruppe Blauer Montag, Die Wiederkehr der Wiederkehr der
Proletarität, erscheint in der nächsten Ausgabe von analyse
und kritik, Hamburg. |