Es geht auch anders

Am 16. Februar 2000 fanden sich 227 Delegierte in der Grugahalle zur Kreisdelegiertenkonferenz der ÖTV-Essen ein. Zu erwarten stand ein Nachmittag, an dem die Gewerkschaftsmitglieder live erleben sollten, was Gewerkschaftsbürokratie wirklich heißt.

Neben einem riesigen Wasserkopf an Wahlformalia aller möglichen Gremien, hielt der Geschäftsführer der ÖTV-Kreisverwaltung ein Einleitungsreferat, in dem er u.a. das örtliche Bündnis für Arbeit, das 1998 zwischen der ÖTV, dem Personalrat der Stadt Essen und der Stadt Essen abgeschlossen worden war, als Erfolg feierte. Bei diesem „bundesweit einzigartigen kommunalen Bündnis für Arbeit“, wie immer wieder von Seiten der Gewerkschaftsbürokraten stolz hervorgehoben wird, ist es tatsächlich zu einem bundesweit einzigartigen Ausverkauf der Interessen der Beschäftigten gekommen. Die ÖTV-Kreisverwaltung hat vereinbart, den Reinigungsbereich der Stadt in eine kommunale Reinigungsgesellschaft auszugliedern. Angeblich um die Arbeitsplätze der Reinigerinnen zu erhalten (die alte Leier) verzichteten sie auf die Mitgliedschaft der Reinigungsgesellschaft im kommunalen Arbeitgeberverband und schlossen einen Haustarifvertrag ab. Dieser, wie es nicht anders zu erwarten stand, liegt für neue Kolleginnen natürlich unter den Tarifbedingungen, unter denen die Reinigerinnen zuvor gearbeitet hatten. Doch schon hier trübte der erste Wermutstropfen die Nabelschau der Bürokratie. Ein Vertrauensmann stellte richtig, daß bei dieser Jubelrede wieder einmal die betroffenen Kolleginnen unerwähnt geblieben sind, die sicherlich nicht in diese Jubelfeier mit einstimmen würden. Leider blieb dies der einzige Redebeitrag zum Geschäftsbericht, doch war am Applaus absehbar, daß die anwesenden Delegierten die Meinung des Vertauensmanns stützten.

Als es zur Abstimmung der Anträge zum ÖTV-Gewerkschaftstag kam, mußte die völlig unvorbereitete Antragskommission eine Schlappe hinnehmen, mit der sie offensichtlich nicht gerechnet hatte. Fünf der sechs Anträge waren durch die Vertrauensleute des Universitätsklinikums Essen gestellt worden. Die Tagungsmaterialien, die den Delegierten schon im Vorfeld zugegangen waren, hatten bereits versucht, die Delegierten auf Linie zu bringen. Dokumentiert waren hierbei nicht nur die Anträge, sondern auch die Empfehlungen der Antragsberatungskommission, die bei den drei politischen Anträgen auf Ablehnung oder sinnentleerende Änderung empfahlen. Offensichtlich hatte die Kommission nicht damit gerechnet, daß die Vertrauensleute des Klinikums ihre Anträge dennoch verteidigen würden, denn sie sah sich nicht dazu in der Lage, ihre eigene Empfehlung nach der Rede der Vertauensleute zu rechtfertigen. Ob die Delegierten aus Protest gegen diese Showveranstaltung der Gewerkschaftsbürokratie die Anträge unterstützten, oder weil sie sie inhaltlich teilten, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Festzuhalten bleibt, daß es möglich ist solche inszenierten Veranstaltungen aufzubrechen. Wir dokumentieren unten die drei oben genannten Anträge. Wer darüber hinaus noch weitere Informationen haben möchte, kann sich an die ÖTV-Vertrauensleute am Universitätsklinikum Essen wenden. E-Mail: ampuls@rocketmail.com

1.) Keine Verlängerung des Beschäftigungsförderungsgesetzes

Die ÖTV fordert den Bundesgesetzgeber auf, § 1 Abs. 1-4 des Gesetztes über arbeitsrechtliche Vorschriften zur Beschäftigungsförderung (Beschäftigungsförderungsgesetz) nicht über den 31. Dezember 2000 hinaus zu verlängern.

Der im Jahre 1985 ursprünglich verfolgte Gesetzeszweck, Anreize zur Neueinstellung von Arbeitnehmern zu geben, ist nicht erreicht worden. Nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985 war eine einmalige Befristung bis zu 18 Monaten ohne sachlichen Grund möglich, wenn der Arbeitnehmer neu eingestellt wurde. Die letzte Änderung des Gesetzes im Jahre 1996 verzichtete auf das Erfordernis der Neueinstellung und

gestattet nun eine Höchstdauer der Befristung bis zu zwei Jahren. Das Gesetz hat nur dazu geführt, daß die bereits bestehende Möglichkeit der Vereinbarung einer Probezeit faktisch auf bis zu zwei Jahre ausgedehnt werden kann und der Kündigungsschutz umgangen wird.

(angenommen)

2.) Privatisierung – Verstärktes gewerkschaftliches Handeln gegen die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und des Gesundheitswesens

Die ÖTV spricht sich ohne Wenn und Aber dafür aus, den Kampf gegen die Privatisierungspläne aufzunehmen bzw. fortzuführen und zu organisieren. Das erfordert die Belegschaften zusammenzuschließen, fortlaufend zu informieren, alle Initiativen und Aktivitäten in diese Richtung zu fördern und die Privatisierungsvorhaben nicht als unvermeidbar anzusehen.

Privatisierung/Teilprivatisierung ist gesamtgesellschaftlich gesehen rückschrittlich, da sie die Belegschaften zersplittert und die Konkurrenz untereinander fördert. Auch die Gewerkschaft wird dadurch geschwächt. Sie verschlechtert die Arbeitsbedingungen, führt zu

Massenentlassungen/Arbeitsplatzabbau (s. Post, Bahn, Telekom) und hat nicht die optimale Versorgung der Bevölkerung zum Ziel, sondern das Erzielen von Gewinn. So führt Privatisierung im Gesundheitswesen zur Verschlechterung der Gesundheitsversorgung, insbesondere von chronisch Kranken und anderen Patienten, die betriebswirtschaftlich unrentabel sind.

Die Privatisierungspläne müssen daher verhindert werden.

(angenommen)

3.) Friedenspolitik – Auslandseinsätze der Bundeswehr

Die ÖTV spricht sich unter Hinweis auf § 3 Nr. 4 der Satzung dagegen aus, daß deutsche Truppen im Ausland eingesetzt werden. Sie fordert die Bundesregierung auf, den Beschluß zu Auslandseinsätzen rückgängig zu machen. Dazu werden auch Protest- und Widerstandsaktionen organisiert und unterstützt.

(mit 18 Stimmen Mehrheit von 227 Stimmen abgelehnt)


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