Kumpanei, Kampagnei, Schmuck mit fremden Federn - HBV okkupiert Kampagne gegen die Citibank

Von Timo Thai

Gewerkschaften gleichen den Borg aus der Science-Fiktion Serie "Voyager" - was ihnen nutzt, das assimilieren Sie. Daß man dabei in Orwellscher Manier gelegentlich die Geschichte nachkorrigieren muß, versteht sich von selbst. So liest sich etwa die Chronologie der Ereignisse im Konflikt "Angestellte vs. Citibank" auf der hbv-page (http://www.hbv.org/) so, als wäre der Arbeitskampf in den Citibank-Call-Centern in Bochum und Duisburg gleichsam ohne die Beschäftigten über die Bühne gegangen.

Keine Rede davon, daß die Auseinandersetzung von den Belegschaften selbst initiiert wurde, keine Rede davon, daß die Öffentlichkeitsarbeit von den Beschäftigten geleistet wurde, daß die gegen die Citibank gerichteten Aktionen von den Beschäftigten selbst geplant und durchgeführt wurden - zum Teil schon lange bevor die hbv die prinzipielle Bedeutung des Konfliktes erkannte. Die Chronologie der Ereignisse ist ein Brevier eines "Geisterarbeitskampf", in dem die Haupt- und Ehrenamtlichen ohne Belegschaften selbst den Arbeitskampf initiierten, organisierten und durchführten. Mut, Courage und Einfallsreichtum der Arbeitnehmer und ihrer Interessenvertretungen finden mit keinem einzigen Wort Erwähnung.

Es ist nur folgerichtig, daß in einer völligen Verdrehung der Tatsachen die gegen die Personal- und Geschäftspolitik der Citibank gerichtete Boykott-Kampagne "CitiCritic" zu einer Zulieferer für hbv degradiert wird: "Citicritic" ruft dazu auf. keine Konten mehr bei der Citibank zu eröffnen. Das Netzwerk unterstützt damit die HBV-Forderungen nach sofortiger Einstellung der zu Unrecht Entlassenen, sofortiger Wiederaufnahme der Tarifverhandlungen und Tariflohn statt Billiglohn".

Umgekehrt wird ein Schuh daraus: die HBV ist eine der zahlreichen Institutionen, die "Citi-Critic" unterstützen, und die Ziele der Netzwerkpartner sind nach unseren Informationen erheblich weiter gefaßt, was in der Logik der tatsächlichen Entstehungsgeschichte und Zusammensetzung von "Citi-Critic" auch nicht anders sein kann.

Während die hbv von sich behauptet, seit fast anderthalb Jahren für einen Tarifvertrag für die rund 800 Beschäftigten des neuen, zentralen Call Centers der Citibank in Duisburg zu kämpfen und den Citibank-Konflikt auf ein mehr oder minder regionales, tarifpolitisches Geplänkel reduziert, waren die Ursprünge und Zielsetzungen der in den Konflikt involvierten Beschäftigten und Ihrer Betriebsräte ganz anders.

Das Epizentrum des Konfliktes war zunächst das Bochumer Call-Center der Citibank. Zum "Urknall" kam es auf einer von der hbv nicht erwähnten, aber für den Verlauf des gesamten, weiteren Konfliktes richtungsweisenden Betriebsversammlung in Bochum im unmittelbaren Anschluß an die Verkündigung der Schließung des Telecenters zum 30.06.1999. Der Betriebsrat ließ bei dieser Versammlung Betriebsverfassungsgesetz Betriebsverfassungsgesetz sein und störte sich nicht an Verstößen gegen das Gebot der Nichtöffentlichkeit. Die Präsenz von zahlreichen Vertretern von Presse und Fernsehen sicherte dem Geschehen von vornherein eine hohe Publizität: Belegschaft und Betriebsrat behielten Recht mit der Annahme, daß die Citibank in Anbetracht des hohen öffentlichen Interesses vor Maßnahmen gegen den Betriebsrat zurückschrecken würden. Damit war der Startschuß gegeben für eine auch weiterhin offensive Öffentlichkeitsarbeit, die für Betriebsräte und Belegschaft aufgrund der von Citibankseite gefürchteten Imageschäden den besten Kündigungsschutz darstellte.

Inhaltlich wurden auf dieser Betriebsversammlung die Weichen für die weitere, aktive Gestaltung des Konfliktes gestellt. Dabei ging es vor allem den Bochumer Beschäftigten überhaupt nicht um die Arbeitsbedingungen im neuen Duisburger Center. Die Bank hatte in Bochum verkündet, es werde keine Übernahme von Beschäftigten gemäß § 613a BGB geben, aber alle "dürften sich für Duisburg bewerben". Die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten verzichtete dankend auf diese "Offerte". Statt 380 Bewerbungen, mit denen die Bank rechnete, kamen aus dem Bochumer Telecenter nur 60: noch jetzt sucht die Bank in Duisburg vergeblich nach Personal.

Den Bochumer Beschäftigten war klar, daß es über die Grenzen von Deutschland hinweg ein sozialpolitisch verhängnisvolles Signal gewesen wäre, hätte man dem Anliegen der Citibank Folge geleistet, der es schlicht um die Aussortierung der Unbequemen und Mißliebigen, um die Aushebelung der Mitbestimmung des Betriebsrates bzgl. personeller Maßnahmen ging. Ihnen war auch klar, daß die Citibank als "Benchmarker" im Bankenbereich ein weltweit beäugter Vorreiter für alle anderen ist. Umgekehrt: die Belegschaft entwickelte rasch ein Gespür für diwe globale Relevanz Ihres Auftretens in diesem Konflikt. Während noch heute die hbv schreibt "es stelle sich die Frage, was sich multinationale Konzerne gegenüber ihren Belegschaften in Deutschland herausnehmen dürfen", sah die Bochumer Belegschaft die Ereignisse von Beginn an nicht durch die Bochumer Brille. Auf einer umgehend gestalteten und vielfrequentierten web-site wurde die Chronologie des Widerstandes weltweit publiziert. Regelmäßigen labournet-Besuchern sind die "call-op"-Seiten bekannt, die sehr viel mehr zu bieten haben als platte Aufschreie der Empörung.

Den Bochumern und bald auch den Duisburger Beschäftigten ging es darum, den Machenschaften der Bank weltweit Riegel vorzuschieben. Den Recherchen der Beschäftigten ist es zu verdanken, daß der von der Citibank gestellte Förderantrag über 7.23 Millionen DM für die Schaffung von Arbeitsplätzen in Duisburg an die Öffentlichkeit gelangte. Den strategischen Überlegungen der Belegschaften verdankt die hbv, daß sie überhaupt zum weltweit ersten Call-Center Streik aufrufen konnte. Mit dem Slogan "wenn Euch Eure Gewerkschaft nicht paßt, dann tretet ein um sie zu ändern" verdoppelte man im Bochumer Call-Center rasch den Organisationsgrad.

Anders als von der hbv dargestellt war die Triebkraft für die Aktivitäten nicht etwa der Kampf um Tarifverträge. Im Gegensatz zur Darstellung auf der web-site der hbv ging es in Bochum überhaupt nicht um eine "Umstrukturierungsmaßnahme mit Tarifflucht", bei der die ohnehin nicht tariflich abgesicherte Bochumer Belegschaft etwas zu verlieren gehabt hätte. In Bochum ging es auch nie darum, daß "wer streikt, entlassen wird". In Bochum erhielten unabhängig von Arbeitskampfmaßnahmen sämtliche Beschäftigten die Kündigung - man kann sich vorstellen, daß deren Interesse nicht primär Tarifverträge ausgerechnet für die Kollegen waren, die dem Aufruf der Bank folgten und sich für das Duisburger Center bewarben. Das Ziel der Bochumer Beschäftigten war

  1. Erhalt ihres Arbeitsplatzes,

  2. wenn keinen Erhalt, dann Verhinderung der Durchführung der Fördermaßnahme für die Bank, Schaffung möglichst hoher Imageschäden für die Bank, um ein globales Zeichen dahingehend zu setzen, daß Vorgehensweisen dieser Art sich nicht lohnen,

  3. Initiativen zur selbstorganisierten Schaffung von Arbeitsplätzen, die mittlerweile zur Neugründung eines eigen Unternehmens geführt haben, d) beispielgebend für andere Belegschaften zu sein, die in ähnliche Situationen geraten, wie die Bochumer Belegschaft.

Ohne jetzt weiter auf Einzelheiten eingehen zu müssen ist wohl klar, aus welchem Geist die Kampagne "Citi-Critic" entstanden ist, die eben nicht nur ein "spin-off" der hbv-Tarifpolitik, sondern etwas ganz anderes ist (oder zumindest sein sollte). "Citi-Critic" ist ein Netzwerk grundverschiederner Interessengruppen, seien es Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Freiberufler, Vereine, wer auch immer. Ziel ist eine effektive Image- und Boykottkampagne, die starke öffentliche Resonanz erzielen will. Dabei ist die "Wiedereinstellung der zu Unrecht Entlassenen, die sofortige Wiederaufnahme der Tarifverhandlungen" nur ein Teilziel eines Teiles des Netzwerkes. Andere Teile des Netzwerkes würden als richtigen Weg ansehen, der Citibank die Arbeitskraft zu entziehen, so wie es die Bochumer Belegschaft mit Ihrer Weigerung, sich zu bewerben erfolgreich praktiziert hat. So provinziell, wie sie ist und so konzentriert auf den regionalen Konflikt in Duisburg darf eine Kampagne mit durchaus globalen Zielsetzungen nicht sein. Dringend bedarf "Citi-Critic" eine eigene, von der hbv unterscheidbare Identität, bevor Sie verkommt zum Werbeinstrument der hbv kurz vorm Aufgehen in ver.di, wo mit harten Bandagen um Einflußsphären der ehemaligen Branchengewerkschaften gekämpft werden wird.

Große Partner können lähmen, drücken und ersticken - siehe Rotgrüne Koalition. Während die hbv Citi-Critic assimiliert und ungeniert die Urheberschaft und die Autorenrechte des Konfliktes für sich behauptet, dümpelt die homepage von "Citi-Critic", deren web-Auftritt immerhin Relais der globalen Netzwerkarbeit sein sollte, vor sich hin. Wenn "Citi-Critic" Erfolg haben soll, muß die Kampagne sich Ihre Unabhängigkeit von der Übermutter hbv sichern. Sie sollte die hbv instrumentalisieren, nicht umgekehrt.

Sollte die Kampagne Zeit brauchen, ihr Auftritt und ihre Methoden zu überdenken, so soll sie sich diese Zeit nehmen und nutzen. Kaum etwas würde die Citibank härter treffen, als die Synchronisation von weltweiten events, die in zwei Jahren, wenn niemand mehr die Urheberschaft der Aktionen zurückverfolgen kann, an verschiedenen Orten der Welt stattfinden.
Die hbv existiert dann schon gar nicht mehr und kann das "Copyright" für Heldenmythen dann nicht mehr für sich beanspruchen.

Erschienen in: express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Nr. 11-12/1999


LabourNet Germany: http://www.labournet.de/
Der virtuelle Treffpunkt der Gewerkschafts- und Betriebslinken / The virtual meeting place of the left in the unions and in the workplace
2000-01-03