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Von der Tarifpolitik zur »privaten Geldvermehrung«

Der problematische Umgang des DGB mit Kritik

Die Hans-Böckler-Stiftung und der DGB-Bundesvorstand hatten bei dem früheren Konjunkturforscher des DlW und kurzzeitigen Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Heiner Flassbeck, ein Gutachten über »Lohnentwicklung und Arbeitslosigkeit« in Auftrag gegeben. Seit Juli 2000 liegt es vor: Heiner Flassbeck/Friederike Spiecker, Löhne und Arbeitslosigkeit im internationalen Vergleich, Berlin 2000.

Vom DGB-Bundesvorstand wurde diese Studie in der Reihe »Informationen zur Wirtschaftsund Strukturpolitik« Nr. 7/2000 veröffentlicht, allerdings in einer von der Abteilung Wirtschafts- und Tarifpolitik »bearbeiteten« Fassung.

Die Bearbeitung besteht im Streichen eines Teils des Textes, in dem sich Flassbeck/Spiecker kritisch mit der Tarifpolitik der deutschen Gewerkschaften auseinandersetzen. Wir dokumentieren die Bewertung von Flassbeck/Spiecker im folgenden:

»Offenbar hat sich die Strategie der Tarifpartner in Kontinentaleuropa, auf die hohe Arbeitslosigkeit, die sich im Gefolge der zweiten Ölpreisexplosion herausgebildet hatte, mit Lohnzurückhaltung zu reagieren, nicht ausgezahlt. Die Gewerkschaften haben sich offenbar auf die neoklassische Argumentation eingelassen, weil sie aufgrund eigener Überzeugungen und Ziele ähnliche Mechanismen am Arbeitsmarkt am Werke sahen wie die Vertreter der neoklassischen Theorie. So ist der Weg vom Gedanken der Solidarität der Arbeitenden mit den Arbeitslosen nicht weit bis zu einer Theorie der ›Wahl‹ zwischen Realeinkommen und Beschäftigung. Auch von der einzelwirtschaftlich berechtigten Sorge vieler Arbeitnehmer, ihre Arbeitsplätze würden ›wegrationalisiert‹, und der Bereitschaft, alles zu tun, um die Rationalisierung ›teurer‹ Arbeit gegen ›billige‹ Maschinen zu verhindern, ist es nur ein kleiner Schritt zu einer Theorie der Substitution von Arbeit durch Kapital.

Paradoxerweise wird aber gerade den Gewerkschaften in Kontinentaleuropa, die sich weitgehend ›neoklassisch korrekt‹ verhalten haben, von den Vertretern der neoklassischen These ›unsolidarische‹ Lohnpolitik, ein Ausnutzen der ›Insider-Position zulasten der arbeitslosen Outsider‹ vorgehalten. Das liegt sicherlich daran, dass die Existenz von Arbeitslosigkeit für einen neoklassischen Ökonomen prinzipiell nur mit ›zu hohen‹ Löhnen erklärt werden kann. Hinzu kommt, dass die schiere Existenz von Gewerkschaften (und Arbeitgeberverbänden, also die Existenz eines ›Lohnkartells‹) scheinbar einen ›Verstoß‹ gegen marktwirtschaftliche Wettbewerbsgrundsätze (das Modell des atomistischen Marktes) darstellt. Eine empirische Evidenz, die dieses Weltbild grundsätzlich in Frage stellt, muss natürlich ignoriert und/oder mit Ad-hoc-Erklärungen wie der ›Entlassungsproduktivität‹ beiseite geschoben werden.«

Argerlich am Vorgehen des DGB-Bundesvorstandes ist nicht nur, dass dem gewerkschaftlichen Publikum diese Kritik vorenthalten wird, sondern dass der DGB sich nicht damit auseinandersetzt, wenn den Gewerkschaften vorgehalten wird, aufgrund »eigener Überzeugungen« den Arbeitsmarkt wie die Vertreter der Neoklassik zu sehen. Das verschämte Nicht-Publizieren deutet eher darauf hin, dass die DGB-Ökonomen die Kritik für berechtigt halten.

Wir haben also demnächst in der Tarifpolitik mit einem großen Schwenk zu einer besseren Einkommenspolitik zu rechnen. Allerdings anders als Flassbeck/Spiecker vorschlagen. Die Richtung kann dem vom DGB herausgegebenen einblick-Magazin Nr. 6 entnommen werden. Titel: »Lust auf Geld«. Darüber, wie diese zu befriedigen ist, schreibt die Redaktion im Editorial: »einblick-Magazin sechs will Interesse an privater Geldvermehrung wecken. Sie ist eine viel zu wichtige Angelegenheit, um sie allein den Tarifvertragsparteien – den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften – zu überlassen. Wer vernünftig und bewusst mit Geld umgehen will, wer Hemmschwellen im Umgang mit Geldanlagen abbauen möchte, wer Chancen und Risiken abwägen muss, braucht zuallererst Informationen. Die will einblick-Magazin sechs liefern.«

Nieder mit dem Hemmschwellen: Vom »ABC der Geldanlage«, der »Qual der Wahl« bei der privaten Altersvorsorge über »Tips für die richtige Bank« bis »Spekulieren im Team« hat das Magazin viel zu bieten. Klarer kann die Misere der gewerkschaftlichen Tarifpolitik nicht auf den Punkt gebracht werden.

Artikel von Michael Wendl, München, erschienen in der Zeitschrift Sozialismus vom Dezember 2000


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