Gewerkschaftsgipfel BeNeLux-Deutschland:

Kein Rückfall in das grenzenlose Tarifdumping der achtziger und neunziger Jahre!

Ein Jahr nach der "Erklärung von Doorn" haben sich die verantwortlichen gewerkschaftlichen Tarifpolitiker Belgiens, Deutschlands, Luxemburgs und der Niederlande erneut getroffen, um sich über ihre Marschroute für die Tarifrunden des Jahres 2000 zu verständigen. Von deutscher Seite nahmen an dem Treffen, das von DGB-Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer geleitet und von DGB-Sekretär Joachim Kreimer-de Fries koordiniert wurde, die verantwortlichen Tarifpolitiker der DGB-Gewerkschaften und der DAG teil, u. a. Jürgen Peters (IG Metall), Peter Blechschmidt (ÖTV), Werner Bischoff (IG BCE), Ernst-Ludwig Laux (IG BAU), Uwe Gudowius (DAG), Klaus Carlin (HBV), Günter Heidorn (DPG) und Reiner Wittorf (NGG).

Das 3. Jahrestreffen dieser Vereinigung von allen Gewerkschaftsbünden und sektoralen Gewerkschaften aus den vier genannten Ländern Kerneuropas, für die sich nach dem letztjährigen niederländischen Konferenzort der Name "Doorn-Initiative" eingebürgert hat, fand diesmal im deutschen Ort Haltern (Westfalen) statt.

Wichtigstes Ergebnis der Konferenz:

Die beteiligten Gewerkschaftsorganisationen bekräftigen die in der "Erklärung von Doorn" vor einem Jahr festgelegten tarifpolitischen Ziele, insbesondere die gemeinsame Formel für das von allen angestrebte Tarifabschlussvolumen, bestehend aus der Summe von Preisentwicklung und Produktivitätssteigerung. Dieses Ziel wurde in der Tarifrunde 1999 in allen vier betroffenden Ländern erreicht bzw. übererfüllt.

Wie im laufenden Jahr 1999 wollen die beteiligten Gewerkschaften auch im Jahr 2000 diesen sogenannten "verteilungsneutralen Spielraum" in den Tarifabschlüssen wieder durchsetzen, um auf dem Pfad einer produktivitätsorientierten Reallohnpolitik grenzüberschreitende Tarifunterbietung - zunächst in diesem Teil des wirtschaftlichen Kerneuropas - zu vermeiden. Das bedeutet:

Auch im Jahr 2000 soll das Gesamtvolumen der nationalen Tarifabschlüsse (Löhne plus andere kostenwirksame Vereinbarungen wie Arbeitszeitverkürzung) in jedem Lande die Summe von Preisentwicklung und nationaler gesamtwirtschaftlicher Produktivitätssteigerung zumindest voll ausschöpfen.

Zu den Themen und Ergebnissen des Gipfeltreffens s. auch das dokumentierte Handelsblatt-Gespräch vor der Konferenz und die Pressemitteilung der in Haltern versammelten Tarifpolitiker.

Die Doorn-Initiative ist damit meines Wissens der historisch erste - und bisher erfolgreiche - Ansatz einer übersektoral organisierten Verhinderung von internationaler Tariflohnkonkurrenz. Sie verwirklicht damit in einer wirtschaftlich für Euroland schwergewichtigen Region die von Pierre Bourdieu in seinem Grundsatzartikel zur euroäischen Gewerkschaftsstrategie geforderte "Entwicklung einer länderübergreifenden gewerkschaftlichen Zusammenarbeit in Fragen der Lohnpolitik, der Arbeitsbedingungen und der Beschäftigungspolitik" (Le Monde diplomatique, Juni 1999).

Die Teilnahme des Wirtschaftsforschers Heiner Flassbeck, deutscher Finanz-Staatssekretär während der kurzen Episode Oskar Lafontaine, der an dem Treffen zur politischen Ökonomie der transnationalen Tarifkoordinierung referierte, könnte einen interessanten Schulterschluss zwischen den beteiligten Gewerkschaften und der von Lafontaine repräsentierten, inzwischen europaweit - ausser vielleicht in Frankreich - von der Macht verdrängten keynesianisch orientierten Fraktion der Sozialdemokratie andeuten.

Dem Vernehmen nach hat die Konferenz in Haltern zudem Beschlüsse zur organisatorischen Weiterarbeit der Doorn-Initiative gefasst:

(Auch wenn, wie von deutschen Tarifpolitikern berichtet wird, diese Abweichung vom üblichen Turnus, nach dem an sich die Luxemburger KollegInnen auch die Koordinierung der Arbeit bis September 2000 übernommen hätten, wohl durch den dortigen Mangel an personellen Ressourcen veranlasst worden ist, erscheint mir der an J. Kreimer-de Fries von den Tarifpolitikern der vier Länder erteilte Auftrag angesichts der noch nicht abgeschlossenen Massregelungsaffäre der DGB-Geschäftsführung gegen den DGB-Sekretär zumindest bemerkenswert...)

Pike Hombach

[Zu den politischen Massregelungen der DGB-Spitze gegen Kreimer-de Fries siehe unsere Solidaritätsseiten - Labournet Germany]