letzte Änderung am 19. März 2003

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Ohne Arbeitsrecht kein Organizing

meint Peter Olney*

Am 8. Oktober 2002 wurde der US-Gewerkschaftsbewegung eine brutale Geschichtslektion erteilt, als Präsident Bush beim Bundesgericht eine Verfügung erwirkte, um die Aussperrung der Hafenarbeitergewerkschaft International Longshore Warehouse Union (ILWU) an den Häfen der Westküste durch die Unternehmen zu beenden. Viele Gewerkschaftsmitglieder hielten Taft-Hartley bis dahin womöglich für den Namen eines noblen Klamottenladens oder eines Unternehmens am Neuen Markt. Da die Regierung sich seit dem letzten Konflikt mit der ILWU im Jahre 1971 der Möglichkeiten, die das Taft-Hartley-Gesetz zur »Abkühlung« von Arbeitskonflikten bietet, um die Macht der Arbeiterklasse zu beschneiden, nicht mehr bedient hatte, ist es verständlich, dass vielen Gewerkschaftern dessen verheerende Implikationen nicht mehr bewusst waren.

Im Jahre 1935 hatte der National Labor Relations Act (NLRA) das Recht der Beschäftigten auf gewerkschaftliche Organisierung und kollektives Handeln festgeschrieben. Die Republikaner nutzten im Jahre 1947 ihre Kongressmehrheit, um dem NLRA die Taft-Hartley-Ergänzungen anzufügen: Damit wurde den Unternehmen eine ganze Reihe von Rechten eingeräumt, die diese dazu einsetzen konnten, die Arbeiter von der gewerkschaftlichen Organisierung abzuschrecken. Ein faszinierendes Interview des Worker Independent News Service mit Taft-Hartley-Urheber J. Mack Swigert zeichnet ein klares Bild von den Absichten der Großunternehmen, die hinter Taft-Hartley steckten. Swigert, inzwischen 95 Jahre alt, war in der Anwaltskanzlei des Senators Robert Taft in Cincinnati Juniorpartner gewesen. Als 1946 die massiven und erfolgreichen Streiks der Kohle-, Auto-, Hafen- und Petroleumarbeiter begannen, wurde Taft-Hartley laut Swigert gebraucht, um »die Unternehmen als Gegengewicht gegen die Macht der Gewerkschaften mit ein wenig Stärke auszustatten.«

Heute hat Taft-Hartley den industriellen Verhältnissen weitgehend seinen Stempel aufgedrückt: Dazu gehört bspw. die infame »Abkühlungsphase«, die es dem Präsidenten erlaubt, das Ende eines Streiks oder einer Aussperrung anzuordnen; das Verbot von Sympathiestreiks oder Sekundärboykotten; die Festschreibung des »Rechts auf Arbeit« (für Streikbrecher, Anm. d. Red.) in den Gesetzen der einzelnen Staaten, mit dem gewerkschaftlich organisierte Betriebe zu Gesetzesbrechern gemacht werden können; und noch viele andere Schikanen, die sämtlich zum Ziel haben, die Gewerkschaften der Fähigkeit zu berauben, zu organisieren und Macht auszuüben.

Beschränkte Vision

Die Bekämpfung von Taft-Hartley war einmal ein wesentlicher Bestandteil des politischen Programms der ArbeiterInnenbewegung gewesen. Im Lauf der Zeit hat sich allerdings Lethargie eingeschlichen, und die politische Vision ist immer beschränkter geworden: Seit 1979 hat es keine große Initiative für eine Arbeitsrechtreform mehr gegeben.[1]

Der AFL-CIO unter John Sweeney erheischt Anerkennung für ein aggressiveres und erfolgreicheres politisches Programm. Bei der Präsidentschaftswahl des Jahres 2000 kamen 26 Prozent der Stimmen aus Gewerkschaftshaushalten, noch 1996 waren es nur 19 Prozent gewesen. 4,8 Mio. zusätzliche Stimmen kamen im Jahr 2000, verglichen mit 1992, aus Gewerkschaftshaushalten. Und die Gewerkschaftskampagne des gleichen Jahres, mit der 2000 Gewerkschaftsmitglieder in Ämter gewählt werden sollten, überbot diese Zielvorgabe um 500.

Trotz all dieser politischen Muskelspiele wurde Senator Paul Wellstones Vorschlag zur Arbeitsrechtsreform (S. 1102 vom August 2001) vom AFL-CIO nicht einmal erwähnt, geschweige denn von ihr oder ihren Mitgliedsgewerkschaften unterstützt. S. 1102 hätte bei vielen Problemen Abhilfe schaffen können, mit denen sich die Organizer in den Betrieben Tag für Tag konfrontiert sehen. Der Entwurf hätte die gewerkschaftlichen Chancen, die Anerkennung neuer Verhandlungseinheiten durchzusetzen und erste Verträge zu erzielen, dramatisch gesteigert: Dafür sah er die Einbeziehung von Vermittlern und das Verfahren des »card check« vor. Über den unschätzbaren Wert des Letzteren für die Anerkennung der Gewerkschaften im Betrieb sind sich alle Organizer einig. In Kanada schreibt das Gesetz dieses Verfahren vor, und das ist ein Unterschied wie zwischen Himmel und Hölle: Die Arbeiter müssen sich vor Gewerkschaftswahlen nicht dem Spießrutenlauf durch Betriebsversammlungen und Einschüchterungsveranstaltungen unterziehen. Eine bloße Unterschrift von 50 Prozent der Belegschaft plus 1 auf einer Karte reicht aus, um die Anerkennung sicherzustellen!

Falsches Reformverständnis

Im AFL-CIO-Programm Voice@Work wurde über Unternehmen geschimpft, die gegen das Arbeitsrecht verstoßen, und es wurden die Hindernisse skandalisiert, die sich dem Organizing in den Weg stellen, wenn das Arbeitsrecht gegen die Gewerkschaften in Anschlag gebracht wird. Dennoch war der Dachverband nicht in der Lage, eine umfassende Initiative zur Reform des Arbeitsrechts zu lancieren. Zwei Sichtweisen im AFL-CIO machen ihre Führung unfähig, einen rechtlichen Rahmen zu entwerfen, für den man kämpfen kann:

1. Die Reform des Arbeitsrechts wird sich naturwüchsig aus dem Konflikt in den Straßen ergeben. Einige erfolgreiche Organizer bringen für eine Diskussion über Arbeitsrechtreformen nicht die Geduld auf. Sie glauben, wenn die Gewerkschaften ohne Rücksicht auf die Gesetzeslage einfach mit der Organisierung loslegen und damit Konfrontation und Unruhen verursachen, wird das Establishment mit einer Reform des Arbeitsrechts reagieren, um die Unruhen zu beschwichtigen.

Diese Sichtweise sitzt aber einem Missverständnis über das Verhältnis von politisch induzierten Arbeitsrechtreformen und Massenbewegungen auf. Der Hafenarbeiterstreik von 1934 an der Westküste illustriert das tatsächliche Verhältnis: Obwohl Harry Bridges und seine Kollegen in den Docks von San Francisco und an der ganzen Westküste jahrelang aktiv gewesen waren, herrschte dort trotz aller Bemühungen noch das Betriebsgewerkschaftswesen vor. Erst als der Kongress 1934 den National Industrial Recovery Act verabschiedete, der die grundlegende Formulierung beinhaltete, dass Arbeiter »in der Lage sein sollten, Organisationen ihrer eigenen Wahl zu bilden« (welche später zu Artikel 7 des NLRA wurde), hatten die Hafenarbeiter von San Francisco den Angriffspunkt, den sie brauchten. Nun begannen sie einen Kampf, der sich zu einem erfolgreichen Generalstreik ausweitete, einen derjenigen Kämpfe, die schließlich zur Gründung der CIO führten.

2. Politische Reform ist nicht möglich. Viele AFL-CIO-Funktionäre, vor allem im inneren Führungskreis von Washington, schließen aus der Tatsache, dass die Republikaner im Kongress und im Weißen Haus regieren, dass eine Reform des Arbeitsrechts unmöglich ist. Wenn die Gewerkschaftsbewegung aber jetzt nicht anfängt, ihre Mitglieder und die breitere Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren, dass wir eine solche Reform brauchen, werden wir nicht in der Lage sein, Gesetze zu lancieren, wenn das politische Klima sich zu unseren Gunsten verschiebt.

Es ist ja schön, zu hören, dass die AFL-CIO-Führung im August 2002 beschlossen hat, einen neuen Anlauf für eine Reform des Arbeitsrechts zu unternehmen, aber ein solch zentrales Thema darf nicht den inneren Führungskreisen überlassen werden. Vielmehr sollte nun auf allen Ebenen der Gewerkschaft eine breite Debatte darüber beginnen, welche Gesetzesänderungen gebraucht werden. Ohne diese kann es vor allem im privaten Sektor kein Organizing im größeren Maßstab geben.

* Peter Olney ist einer der Leiter des Institute for Labor and Employment an der University of California.

Übersetzung: Anne Scheidhauer
Quelle: Labor Notes, Februar 2003
Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 2/03

Anmerkung:

1) Nur in den Anfängen der Clinton-Administration hatte es Bemühungen gegeben, die schließlich in der Einsetzung der Dunlop-Kommission mündeten – deren großes Problem darin bestand, was ihre Mitglieder unter ›Reform‹ verstanden – und jenseits der inneren gewerkschaftlichen Führungskreise kaum auf Resonanz stießen.

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