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Updated: 18.12.2012 15:51
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Streik und Boykott

Kunden und Beschäftigte - Gemeinsam erreichen wir mehr! Ein Aufruf zur Diskussion von Anton Kobel

Kaum hatte die hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti unvorsichtig die vorsichtige Frage in den Raum gestellt, ob die neuerdings als »Kerngeschäft« wiederentdeckten Privatkunden der Deutschen Bank nicht einfach mal ihre Kernkompetenzen wahrnehmen, aus Protest gegen die Personalabbaupläne des Geldinstituts selbigem ihr Vertrauen entziehen und zu einer Sparkasse wechselten sollten, wurde sie zurückgepfiffen. Ein Aufruf zum Boykott? Imagebeschmutzung bei der Bank der Banken, dem Aushängeschild hiesiger »lassen sie ihr Geld für sich arbeiten«-Unternehmen? Das laufe auf wirtschaftliche Schädigung des Standorts hinaus. Soweit wollten die SPD-Oberen ihre Kritik an den sozialen Folgen der auf »smart sourcing« ausgerichteten Gewinnstrategie des Konzerns keinesfalls getrieben wissen. Diese kurze Episode deutet - neben dem haltlosen Glauben der SPD an nationale Standortpolitik - immerhin an, welches Potential einem ernsthaften Boykottaufruf zugetraut wird, würden die KonsumentInnen tatsächlich von ihrer vielbeschworenen »Konsumentensouveränität« Gebrauch und so ihren ökonomischen Einfluss auf Produktionsentscheidungen geltend machen. Dass dies geht, zeigt ein Blick über den Teich: Nach vielen vergeblichen Anläufen der - oft illegalisierten - Farmarbeiter im Süden der USA, bessere Löhne und Menschenrechte gegenüber den Landwirten durchzusetzen, zeitigt der Wechsel von Verhandlungen und Streiks zu einer USA-weiten Boykott- und Imageverschmutzungskampagne gegen den Fast-Food-Multi Taco Bell als Hauptabnehmer landwirtschaftlicher Produkte mittlerweile Erfolge (vgl. »Die Macht der Tomate«, FR, 16. Februar 2005).

Doch warum ist Boykott hierzulande ein so wenig eingesetztes Mittel, schon gar des Arbeitskampfes? Unter welchen Bedingungen lässt sich ein Boykott wirksam einsetzen? Was ist zu beachten? Mit dem folgenden Beitrag von Anton Kobel wollen wir die Debatte über »neue«, wieder zu entdeckende Formen von Arbeitskämpfen fortführen, die wir mit den Beiträgen von Achim Neumann und Anton Kobel über die Schwarzbuch-Kampagne gegen Lidl und von Peter Hauschild über Saul D. Alinskys »Anleitungen zum Mächtigsein« als Fundus von Anregungen zum Umgang mit Kämpfen »in aussichtsloser Lage« begonnen haben. Es gibt noch viel (wieder) zu entdecken: »Weniger arbeiten bei vollem Gehalt«, »Unstrikes«, »virtuelle Streiks«, »Slow downs«... In diesem Sinne laden wir unsere LeserInnen ein, sich an der Suche zu beteiligen.

Im Oktober 2004 wurde Opel Bochum bestreikt, getragen von viel Sympathie und Solidarität. Viele Hoffnungen knüpften sich an diesen Kampf um den Erhalt von Arbeitsplätzen. An vielen Orten wurde heftig diskutiert, wurden die Daumen gedrückt. »Wenn die in Bochum es schaffen, dann gibt's neue Perspektiven, dann wird gezeigt, dass es auch anders geht.« Die eigene Angst vorm Verlust des Arbeitsplatzes stiftete Mitgefühl, Hoffnung und Solidarität.

Eine große Rolle spielte dabei immer wieder die Frage: Wie können wir die Streikenden in Bochum unterstützen? Was können wir mehr tun als Soliadressen und/oder einige Euros schicken und/oder hinfahren und so ermutigen? Eigentlich müssten wir den Opel-/GM-Herren drohen, dass sie ihre Autos selbst kaufen können, dass wir sie nicht bzw. nicht mehr kaufen, wenn sie hier die Arbeitsplätze vernichten. Solche Boykottgedanken gab es häufig, sie befruchteten viele Gespräche, und sie tauchten in einigen Leserbriefen in Zeitungen auf.

Auch der Verfasser dieses Diskussionsbeitrages hat sich und anderen diese Frage immer wieder gestellt. Und noch eine weitere: Machst du mit bei einem Boykottaufruf oder einer kollektiven, massenhaften öffentlichen Boykottandrohung? Die Resonanz war zwischen »Ja« und Skepsis, ganz selten gab's ein »Nein«. Eher: Bringt das was? Geht denn das?

Neben einer erfolgreichen Boykottdrohung in Kalifornien gegen General Motors - 1982 wollte GM dort ebenfalls ein Werk, in Van Nuys bei Los Angeles, schließen und verzichtete darauf - konnte auf die Schlecker-Kampagne der Gewerkschaft HBV 1994/95 verwiesen werden, die ohne den sich entwickelnden »stillen«, also nicht offen ausgerufenen Boykott, verbunden mit entsprechenden Umsatzeinbußen, nicht bzw. kaum erfolgreich gewesen wäre. An Shell und die zur Versenkung in der Nordsee vorgesehene Bohrinsel Brent Spar und den erfolgreichen Boykott gegen Shell konnten sich ebenfalls noch viele erinnern.

Deshalb diese Frage auch als Aufruf zu einer Diskussion in den Gewerkschaften und in der (Gewerk-schafts-)Linken: Wollen wir Boykotts einsetzen als zusätzliches - und manchmal alternatives - Mittel im Kampf gegen die Vernichtung von Arbeitsplätzen, die Senkung von Sozialstandards, gegen Ausgliederungen und Privatisierungen? Boykott auch als Mittel für eine Resozialisierung des Kapitals, des Staates und der Politik? Boykott auch als Mittel einer praktischen Solidarität von Kunden mit Beschäftigten, von bewussten Konsumenten mit kämpfenden Produzenten? »Gemeinsam erreichen wir mehr« - gilt das auch hier? Über trennende Betriebs- und Gewerkschaftsgrenzen hinweg? Und jenseits (partei-)politischer Überzeugungen?

Boykott - alt, bewährt, vergessen, allgegenwärtig

»Boykott«, lt. Duden von 1971: Verrufserklärung, Ächtung, Abbruch bestehender - wirtschaftlicher - Beziehungen. Am Beispiel Opel Bochum könnte dies heißen: Boykottierende - hier: wir - drohen den Abbruch bestehender wirtschaftlicher Beziehungen an, vollziehen ihn oder kündigen an, dass solche Beziehungen nicht aufgenommen werden sollen. Damit sind eine bewusste Ächtung des Boykottierten - hier: Opel/GM - und eine Verrufserklärung verbunden.

Ob wir sofort zum Boykott von Opel/GM aufrufen oder ob wir gegenüber Opel/GM öffentlich unseren Boykott erklären oder ob wir Opel/GM unseren Boykott androhen und wie wir das tun, das entscheiden wir gemeinsam, möglichst zahlreich, vielleicht in einer öffentlichen Versammlung, zu der auch Streikende und Vertreter von Opel/GM eingeladen werden können. In dieser Versammlung - oder davor in einer nicht-öffentlichen - wird den Streikenden unsere Absicht dargelegt, sie in ihrem Kampf zu unterstützen. Ziel ist es, gemeinsam am selben Strang in die gleiche Richtung zu ziehen.

Vielleicht ist es sinnvoll, dass wir unseren Boykott zunächst nur androhen bzw. in Aussicht stellen; je nach Situation können wir sofort oder später, also eskalierend unseren Boykott erklären und dann weitere Mit-Boykottierende öffentlich begrüßen und und und. Auch hier sind mehrere Stufen der Eskalation begehbar. Öffentlich! Um MitmacherInnen, NachahmerInnen usw. zu ermuntern und zu gewinnen.

Voller Freude geben wir z.B. bekannt, dass sich nach den katholischen und evangelischen Industriepfarrern, der »Werkstatt für Gewaltfreie Aktionen« und Stadträten nun auch Prominente unserer Boykott-Bewegung angeschlossen haben: Landtags- und Bundestagsabgeordnete, Ruhrpott-Rocker und Schauspieler, Fußballer, Künstler aller Art. Leicht verwundert nehmen wir ein Soli-Angebot des BüroUnruheStiftung aus Heidelberg zur Kenntnis. Skeptisch betrachten wir eine SPD-Abgeordnete, die uns einen Postkarten- und Plakatentwurf von Klaus Staeck als ihre spontane Form der Solidaritätserklärung bringt. Nach kurzer - angesichts der rotgrünen Hartz IV-Maßnahmen kontroverser - Diskussion verabreden wir mit ihr eine öffentliche Präsentation mit Klaus Staeck, zu der wir auch die Emma-Karikaturistin Franziska Becker einladen. Diese zeichnet heute Abend in der Volkshochschule ihre Solidarität und signiert ihren in der aktuellen Emma veröffentlichten Opel-Soli-Comic. Das ist ein Ding: zwei der bekanntesten politischen Künstler in unserer Bewegung.

Der Fantasie und ihrer Realität sind kaum Grenzen gesetzt. Prominente können die Macht der »kleinen Leute« verstärken. Sie können ihr politisches und moralisches Ansehen für die gute Sache, unseren Boykott für den Erhalt der Arbeitsplätze einsetzen. Für viele werden Möglichkeiten zum Mitmachen eröffnet und sichtbar. Statt »man müsste eigentlich...« oder »da kann ich doch nix machen« können in einer kollektiven und solidarischen Boykottbewegung Individuen, Vereinzelte, Kleingruppen vieler Couleur und Provenienz, Mitglieder und Nichtmitglieder von Gewerkschaften, Parteien, sozialen Bewegungen wie attac, Arbeitslosen-Inis, Frauen- und Kirchengruppen aktiv sein.

Boykott als gesellschaftliche Bewegung

Diese kreative Vielfalt von Menschen, Ideen und Aktivitäten macht eine Boykottbewegung auch wenig bis kaum berechenbar. Sie lebt und erlebt ihre eigenartige Anarchie. Sie bietet »einfache« Formen des Engagements. Das »rebellische Potential in der Gesellschaft« (Roland Roth) kann hier seinen Ausdruck finden. Für eine Forderung, die auf Ethik und Moral basiert, und die der Unterstützung wert ist und ihrer bedarf, ist man gerne dabei. Erinnerungen werden wach, Erfahrungen werden bewusst, soziologische Phantasien beginnen zu blühen. Oskar Negt und Elmar Altvater gewinnen über Wolf Dieter Narr das »Komitee für Grundrechte und Demokratie« mit all seinen Beziehungen als Unterstützer. Es geht auch um Menschenrechte!

Die sozial bewussten Verbraucher, die »politischen Konsumenten« (Ulrich Beck 2004), »der Bürger - früher: Prolet - ... als Kunde« (Friedrich Küppersbusch, taz, 21. Januar 1998) können dabei sein und ihre Macht, die Macht der Konsumenten mit der der streikenden, kämpfenden Produzenten vereinen. »Alle Räder stehen still, wenn den Ramsch keiner mehr will.« (F. Küppersbusch, ebd.)

Boykott kann die gesellschaftlichen Dimensionen und Implikationen eines Arbeitskampfes aufzeigen. Eine solche soziale Bewegung wird zum (gesellschafts-)politischen und ökonomischen Machtfaktor. Ihre Entwicklung zu einem sozialen Netzwerk macht sie auch zu einem Ort der Demokratie von unten.

Marktmacht bewusst einsetzen

Im Streik setzen wir unsere Macht auf dem - betrieblichen - Arbeitsmarkt ein. Oft müssen wir die Grenzen unserer Macht erfahren. Auch der stärkste Arm kann zu schwach sein. Gerade in Zeiten der verstärkten Globalisierung, wenn mit der Verlagerung der Arbeitsplätze in ferne Regionen gedroht wird.

In solchen Situationen können Betriebsbesetzungen ein zusätzliches Fanal sein. Doch wird das reichen? Selbst für jahrelange Betriebsbesetzungen gibt es Grenzen, wie sich an einer der bekanntesten Besetzungen, der bei Lip in den 1970ern in Besancon/Frankreich, sehen lässt.

Mit dem Mittel des Boykotts haben wir eine andere Möglichkeit, unsere Marktmacht bewusst einzusetzen. Neben den Arbeitsmärkten sind wir vor allem auf den Absatzmärkten aktiv: als Konsumenten und Kunden. Auf den Absatzmärkten haben Kunden häufig eine starke Position, vor allem wenn sie geballt, organisiert auftreten.

In einer Boykottbewegung findet diese Organisierung statt: Der »Kunde an sich« kann Kunde für sich und andere sein! Die Konkurrenz der Einzelkapitalien stärkt die Position der Kunden. Wenn nicht Opel/GM, dann xy oder z. Die Alternativen sind für Kunden noch immer meist zahlreicher als für WählerInnen.

Zurecht plädieren Werner Sauerborn/Bernd Riexinger in ihren Beiträgen zu Gewerkschaften in der Globalisierung für eine Internationalisierung der Gewerkschaften, für »global unions«. Dies als Beitrag zur Rückgewinnung von gewerkschaftlicher Stärke, die im nationalen Rahmen geschwunden ist. Eine solidarische Frage dazu: Welche Kampf- und Aktionsmittel haben solche global unions? Schon jetzt muss ernsthaft über Boykotts globalisierter bzw. sich erst noch globalisierender Gewerkschaften nachgedacht und diskutiert werden: ob und wann z.B. Belegschaften von PKW-Betrieben in der Ukraine mitstreiken, weil ihr Konzern in Deutschland oder anderswo durch Betriebsschließungen und weitere Verlagerungen Arbeitsplätze vernichtet. Könnte es nicht notwendig und sinnvoll sein, wenn eine gesellschaftliche Boykottbewegung hier diesem Konzern erklärt: »Eure dort produzierten Produkte werdet Ihr hier nicht verkaufen, außer es gibt Arbeit, Arbeitsplätze und Einkommen für alle, hier und dort.« In dieser Diskussion gilt es vieles zu klären, auch die Gefahr des Nationalismus, allerdings auch die Chance eines praktizierten, nicht nur proklamierten Internationalismus.

Für Gewerkschaften, insbesondere unter den Bedingungen der Globalisierung, bieten Produktion und Konsumtion Chancen. Sie gilt es zu nutzen. Es gibt Alternativen zum »stumpfgewordenen«, zum »wirkungslosen« Streik. Die Alternative Boykott belebt die Wirkung der Streiks wieder. Das Kapital muss wieder mit mehr rechnen.

Aussperrung und Kündigung von Kunden?

Streikende, insbesondere bei einem sog. wilden Streik, sind starkem Druck bis hin zur Erpressung ausgesetzt: Kündigungen, Verfolgung von sog. Rädelsführern, Aussperrung, Abmahnungen, Drohung mit der Schließung bzw. Verlagerung des Betriebes. Alles immer wieder wirksame Mittel. Schon der Hinweis »draußen stehen Tausende, die Arbeit suchen« wirkt als Drohung. Gegenüber den Streikenden.

Aber: Wie würden diese Drohungen gegen Boykottierende wirken? Kündigung oder gar Aussperrung von Kunden? Kann das Kapital statt auf eine »industrielle Reservearmee« nun auf eine »finanzkräftige Reservekundenarmee« zurückgreifen?

Eine Verfolgung von Boykottierenden ist nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich. Je größer die Boykottbewegung ist, und je mehr die Boykottgründe in der Gesellschaft verankert und akzeptiert sind, umso kleiner die Gefahr. Zumal die allermeisten Boykottierenden dies anonym tun und Boykotts rechtlich zulässig sind, auch als Arbeitskampfmittel der Gewerkschaften.

Richtig und gut boykottieren

Es gibt viele Erfahrungen und Lehren aus der Geschichte des Boykotts. Sie machen Mut und regen an. Boykott ist dennoch keine leichte Sache und will gut getan sein. Neben den wenigen rechtlichen Fragen, über die z.B. der äußerst informative ARD-Ratgeber Recht zum Thema »Boykott« aufklärt (s. Literatur), ist die zu wählende Form relevant. In einem Arbeitskampf kommt es auch auf die Verbindung mit der vom Boykott betroffenen Belegschaft an. Boykott verhindert bewusst Absatz und Umsatz. Kann er wieder beendet werden wie ein Streik? Ein Boykott wirkt in einigen Punkten stärker und länger als ein Streik, das wissen auch die Arbeitgeber. Sie werden eine Spaltung zwischen »ihrer« Belegschaft und den Boykottierenden versuchen: »Unser Betrieb steht am Pranger.« Umso wichtiger ist die vorherige Diskussion mit der Belegschaft und eine gemeinsam getragene Boykottbewegung.

Beispiele für Boykotts

Boykott ist ein altes und bewährtes Kampfmittel in der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung, auch in Deutschland. Während es bei uns in den Gewerkschaften fast verschütt' gegangen ist - statt Wissen bestimmen oft Anekdoten und Ängste die Diskussionen - und es nur wenige aktuellere Beispiele gibt, ist Boykott in den »neuen sozialen« Bewegungen ein beliebtes Kampf- und Agitationsmittel geworden. Im privaten Leben ist Boykott neben der (geschäfts-)schädigenden Nachrede wohl das häufigste Aktionsmittel gegen missliebige Wirte, Händler, Nachbarn - oft über Generationen einer Familie hinweg. Boykott ist Teil des alltäglichen Lebens. Daran können soziale und gewerkschaftliche Boykottbewegungen anknüpfen.

Wichtig ist auch das Wissen um erfolgreiche Boykotts:

  • gegen Nestlé in den 1980ern
  • gegen Shell 1995 wegen Brent Spar
  • gegen Früchte und Diamanten aus Südafrika in den 1980ern wegen der Apartheid
  • gegen Schlecker 1994/95 wegen menschenfeindlicher Praktiken
  • gegen General Motors 1982 zur Verhinderung einer Betriebsschließung in Kalifornien
  • gegen die kalifornischen (Groß-)Farmer in den 1960ern zur Anerkennung der Gewerkschaft der LandarbeiterInnen (United Farm Workers), sog. Traubenboykott
  • gegen den Lebensmittel-Multi Danone 2001 in Frankreich wegen Betriebsschließungen und Entlassungen
  • gegen Quelle 2000 wegen Schließung des Versandhauses Schöpflin in Lörrach

Bei der Gewerkschaft United Farm Workers ging es wie bei Schlecker um die Anerkennung einer Gewerkschaft und die damit für die Beschäftigten verbundenen Sozialstandards. Bei Danone, Quelle/Schöpflin und General Motors war die beabsichtigte Vernichtung von Arbeitsplätzen der Anlass.

Weitere Boykotts?

Was spricht eigentlich gegen einen Boykott von Lidl (s. express 1/2005, 9/04, 12/04) und gegen die Deutsche Bank? Diese will 6000 weitere Arbeitsplätze vernichten, trotz bzw. wegen 25 Prozent Rendite. Beim Schreiben dieses Artikels ruft die hessische SPD-Landesvorsitzende Ypsilanti zum Boykott der Deutschen Bank auf. Frau Ypsilanti liegt da m.E. völlig richtig. Sie spricht vielen aus dem Herzen, auch wenn Berliner Spitzengenossen »not amused« reagieren.

Warum schließen wir uns bzw. die Gewerkschaften sich nicht den attac-Aktivitäten gegen Vodafone an? Immerhin wollen die ca. 20 Milliarden Euro durch seltsame Steuerschlupflöcher beiseite schaffen. Und das angesichts leerer öffentlicher Kassen, staatlichem Sozialabbau und reallohnsenkendem Tarifabschluss im öffentlichen Dienst!

Warum nicht Siemens, das sich trotz horrender Milliardengewinne 500 Mio. Euro bei den Beschäftigten holte, die 35-Stundenwoche zertrümmerte und damit den Auftakt zur Arbeitszeitverlängerung allüberall gab? Warum kaufen wir noch immer Produkte von MüllerMilch, obwohl der Herr Eigentümer in die Schweiz übersiedelte, um der hiesigen Steuer zu entgehen?

Was nun tun?!

Wir können vor Ort schimpfen - und die Gewerkschaftsvorstände allüberall. Soll es bei dieser Lösung bleiben? Oder gibt es nicht andere Mittel, z.B. Boykott, um die eigenen politischen und gesellschaftlichen Ziele zu verfolgen und Möglichkeiten für viele zum Mitmachen zu geben?

Oder sollen der DGB und die Gewerkschaften gar eine »Verbrauchergewerkschaft« gründen? So die Empfehlung von Friedrich Küppersbusch schon 1998: »Einer Gewerkschaft also, deren Mitglieder kein Unternehmer feuern kann. Einer Gewerkschaft, die sogar mit den Brieftaschen von Arbeitslosen, Rentnern, Sozialhilfeempfängern, die - ungeheuerlich - sogar mit der gesammelten Kaufkraft der Nichtdeutschen im Lande drohen könnte...« (taz, 21. Januar 1998)

Wir sollten überall Diskussionen über neue Mittel und Formen des Arbeitskampfes führen. Boykott ist ein geeignetes Mittel, nicht ein Allheilmittel. Wir sollten neue Erfahrungen machen und schon gemachte aufarbeiten. Dazu gehört auch von »schwachen Gewerkschaften« im Ausland zu lernen. Unsere »schwachen brothers and sisters« in den USA und Kanada mussten vor uns viele solcher Erfahrungen machen, um durchsetzungsfähig und stärker zu werden. Sie wissen seit Jahren: Streik und Boykott sind zwei Seiten einer Medaille!

Boykott ohne die Linke?

Warum spielt Boykott kaum eine Rolle in den Diskussionen innerhalb der Gewerkschaften und der deutschen Linken? Woher kommt die Fixierung auf Streiks? Übrigens auch nur eine Form von Boykott, nämlich Abbruch bzw. Unterbrechung von wirtschaftlichen Beziehungen. Warum ist es so schwer, eine Ausweitung der Kampfmittel zu diskutieren und zu erproben? Warum verzichten wir darauf, die im Betrieb Kämpfenden/Streikenden zu ergänzen und zu verstärken durch Boykottierende? Warum praktizieren wir Boykott im alltäglichen Leben und Solidarität im Arbeitskampf, aber eben ohne Boykott?

Unterschriften sammeln - ja, Soli-Adressen - ja, Geld sammeln - ja, Boykottbewegung organisieren - nein. Warum? Warum sind wir so sehr, manche sogar fast nur auf die Produktion, den Betrieb fixiert und lassen die Konsumtion und Distribution außer acht? Kurz: Was hat die Linke gegen Boykott?

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die meisten Gewerkschaftsvorstände und -apparate eher skeptisch bis ablehnend sind. Ob sie das Unkontrollierbare, das Anarchische eines Boykotts stört? Ob sie es gar fürchten? Das Akzeptieren-Müssen einer zweiten Bewegung für dasselbe Ziel? Ist es eine Art Alleinvertretungsanspruch?

Auch aus Erfahrung weiß ich, dass ein Gewerkschaftstag - der der Gewerkschaft HBV, einer Mitgründerin von ver.di - im Jahr 2000 einen Boykottaufruf gegen die Citi-Bank beschlossen hatte. Und dass dem jahrelange Diskussionen, das Negieren von Gewerkschaftstagsbeschlüssen usw. vorausgegangen sind. Das ist aber eine eigene, eine andere Geschichte. Mit gutem Ausgang: Es geht auch anders!

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 2/05

Literatur:

  • Yvette Bödecker/Heinz-Günter Lang: »Der längste und Letzte Tanz bei Nanz«, Mannheim 1999
  • Jens Huhn: »Die Schlecker-Kampagne 1994-1995, Gewerkschaft als soziale Bewegung«, Mannheim 2001
  • Redaktionsteam der BI-Betriebsgruppe: »Wir kämpften und gaben nicht nach!«, Dokumentation des 6-wöchigen Streiks im Duden-Verlag (mit Boykottaufruf), Mannheim 1982
  • (obige Broschüren herausgegeben von Gewerkschaft HBV Mannheim/Heidelberg, jetzt ver.di Mannheim; auch erhältlich über die express-Redaktion)
  • Dieter Ackermann-Girschik: »Marktmacht einsetzen«, Leserbrief am 17. September 2004 in der Frankfurter Rundschau
  • Ulrich Beck: »Schmerzliche Erfahrung; Hilfe, unsere Arbeitsplätze wandern aus«, Süddeutsche Zeitung vom 20. Oktober 2004
  • Duffner, Felix/Mayer, Ute/Wohland, Ulrich: »Boykott. Die große Macht der kleinen Leute«, hrsg. von der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden 1993
  • Friedrich Küppersbusch: »Alle Macht den Konsumenten«, taz vom 21. Januar 1998
  • Heinz-Günter Lang/Gerd Vetter: »Quelle: ausradieren statt sanieren«, HBV (jetzt ver.di) Südbaden, Freiburg 2000
  • Westdeutscher Rundfunk (Hg.): »Boykott«, Reihe ARD-Ratgeber Recht, Köln, Januar 1997

 


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