letzte Änderung am 24. Juni 2002

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Zukunftskongreß der IG Metall vom 13.-15.6.2002 in Leipzig

Der Vorstand der IG Metall hat für den Zukunftskongreß ein "Zukunftsmanifest. Offensive 2010" vorgelegt. Wichtige Punkte sind die "Reformen des Sozialstaates" und die "Zukunft des Flächentarifvertrages". Als einer der Teilnehmer dieses Kongresses möchte ich euch informieren, wie die "Zukunft des Flächentarifvertrages" behandelt wurde und was jetzt auf uns zu kommt.

Der entscheidende Abschnitt im "Zukunftsmanifest" lautet wörtlich:
"Ausgehend von einer differenzierten Realität führt die IG Metall eine Diskussion um allgemeine tarifvertragliche Mindestbedingungen und betriebsspezifische Tarifregelungen. Diese Diskussion um betriebliche Differenzierung in Tarifverträgen ist nicht neu. Schon seit langem hat sich auf der Grundlage der Tarifverträge ein System von allgemein geregelten Mindestbedingungen und betrieblichen Zusatzvereinbarungen entwickelt. Die IG Metall selbst hat zum Ziel, durch Tarifverträge Gestaltungsmöglichkeiten für Betriebsräte zu eröffnen und erweiterte Wahlmöglichkeiten zu schaffen. Auch der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit von Betrieben, Branchen und Regionen wird Rechnung getragen, z.B. durch differenzierte Abschlüsse, Sanierungstarifverträge und Härtefallregelungen. Zu diskutieren sind folgende Möglichkeiten: Tarifliche Öffnungsklauseln können umfassend ausgestaltet werden. In den branchenspezifischen Flächentarifverträgen kann die verbindliche Grundlage für betriebliche Verhandlungen über Einkommensbestandteile und Ergebnisbeteiligung geschaffen werden. Und schließlich können betriebsbezogene Ergänzungstarifverträge, die schon heute Praxis sind, ausgeweitet werden. Differenzierung ist kein Wert an sich. Wo und in welchem Ausmaß differenzietre Forderungen entwickelt und Vereinbarungen angestrebt werden, muss anhand der jeweiligen Umstände diskutiert und entschieden werden."

Klaus Zwickel führte hierzu in seinem Referat u.a. aus:
"Ein Grund für die hohe Qualität des Tarifsystems ist seine Flexibilität. Dieses System ist anpassungsfähig und zukunftstauglich. Es macht Differenzierungen möglich. Nicht jede Differenzierung, die wir haben, stand von Anfang an auf unserer Wunschliste. Wir haben sie vereinabrt und stehen dazu.

Eines müssen wir jedoch feststellen: Die Regelungen, die wir heute bei Einkommen haben, betreffen immer nur die Abweichung, die Differenzierung nach unten – und begrenzen sie. Worüber wir heute und in Zukunft reden müssen ist: Wie eröffnen wir durch Tarifvertrag die Überschreitung des allgemeinen Tarifniveaus, die Differenzierung nach oben?

Die zurückliegende Tarifbewegung ist ein Beispiel dafür, dass die Diskussion über überbetriebliche Differenzierungen keineswegs am Ende ist, sondern jetzt erst richtig beginnen muß."

Auf dem Kongreß wurde hierüber in einem Forum mit über 200 Kolleginnen und Kollegen in Kleingruppen mit jeweils 10 Teilnehmern diskutiert.

Übereinstimmend wurde die Notwendigkeit des Flächentarifvertrages betont und eine Differenzierung nach unten abgelehnt. Ein Teil der Anwesenden sprach sich für Differenzierungen nach oben aus, andere Kolleginnen und Kollegen lehnten dies ab. In der abschließenden Zusammenfassung für das Plenum hieß es seltsamerweise, niemand hätte sich gegen Differenzierungen nach oben ausgesprochen

Zuerst verwundert, dass der Vorstoß von Klaus Zwickel für die weitere Öffnung der Tarifverträge vor der Tarifrunde zurückgewiesen wurde, plötzlich aber auf dem Tisch eines sogenannten Zukunftskongresses landet.

Unverfroren ist die Begründung für die weitere Durchlöcherung des Tarifvertrags: Unsere Mitglieder in den Großbetrieben sind sehr unzufrieden über den letzten Tarifabschluß, deswegen seien jetzt betriebliche Öffnungen notwendig. Viele Mitglieder sind zu recht sauer auf den letzten Abschluß. Dann brauchen wir aber bessere Abschlüsse und keine weitere Aushöhlung des Flächentarifs!

Es sind nicht unsere Mitglieder in den Großbetrieben, die Differenzierungen nach oben in den Tarifverträgen fordern, sondern einige höhere Funktionäre. Eine Kollegin aus Stuttgart bestätigte mir auf dem Kongreß, dass ein Vorstoß für betriebliche Öffnungen von der Delegiertenversammlung Stuttgart abgelehnt wurde, auch von den Delegierten von Großbetrieben wie DaimlerChrysler. Genauso wenig verlangen die Mitglieder aus anderen Großkonzernen eine betriebliche Öffnung des Tarifvertrags, jedoch einen besseren Tarifabschluß.

Was hätte eine betriebliche Öffnung nach oben in der letzten Tarifrunde bedeutet?

Zweistellige Forderungen wurden mit großem Nachdruck auch von den VK aus den Großbetrieben der Automobilindustrie gestellt. Aufgrund des Druckes von unten beschloss der Vorstand eine Forderung für alle von 6,5%.

Hätten wir schon eine betriebliche Öffnung nach oben im Tarifvertrag gehabt, so wären keine 6,5% aufgestellt worden, sondern vielleicht 4,5% für alle. Den Kollegen in gutverdienenden Betrieben hätte man gesagt, ihr könnt ja anschließend noch etwas mehr tariflich aushandeln und der Druck auf den Vorstand für eine möglichst hohe Forderung wäre herausgenommen worden. Das Ergerbnis hätte dann auch anders ausgesehen. 4,5% gefordert, vielleicht 2,5% für alle erreicht. In manchen Großbetrieben wären 3% bis 3,5% oder etwas mehr nach oben verhandelt worden.

Ergebnis einer solchen Tarifrunde: Das Tarifergebnis fällt insgesamt geringer aus und wird Jahr für Jahr schlechter.

Die Mitglieder in den weniger gut verdienenden Betrieben sind sauer, weil sie von vornherein wissen, dass sie für ihren Kampf weniger bekommen als andere. Wie lange werden unsere Kolleginnen und Kollegen in den Klein- und Mittelbetrieben streiken, wenn sie Tarifrunde für Tarifrunde weniger erhalten als andere?

Die Mitglieder in den profitableren Großbetrieben sind beim anschließenden Aushandeln der betrieblichen Öffnung nach oben nicht mehr so stark wie in einer gemeinsamen Tarifrunde. Dann muß BMW alleine verhandeln genauso wie Porsche, DaimlerChrysler, Audi, Bosch etc. Über kurz oder lang wird auch bei der betrieblichen Öffnung im einzelnen Konzern nicht mehr so viel rauskommen wie in der Tarifrunde mit Millionen Mitgliedern, mit allen Groß- und Kleinbetrieben zusammen.

Die Mitglieder in den Klein- und Mittelbetrieben werden schwerer zu mobilisieren sein, wenn sie wissen, dass sie ungleich behandelt werden. Die Streikfront wird kleiner und schwächer, es kommt zur Entsolidarisierung. Dies wiederum schlägt dann auch auf die gutverdienenden Großbetriebe zurück und eine vermeintlich schöne Öffnung des Tarifvertrags nach oben endet im Abwärts für alle Mitglieder. Nach oben gehen nur die Gewinne der Unternehmen. Und der Vorstand und so manche Bezirksleitung hätten den Druck aus den Großbetrieben erst mal rausgenommen und weniger Probleme, einen unsäglichen Abschluß auf den Tisch zu legen und zu verkaufen. Am Ende steht jeder Betrieb alleine da und eine gemeinsame Tarifrunde wird es nicht mehr geben.

Es stellt sich auch die Frage, warum mit dem Argument von mehr Gleichheit zwischen Arbeitern und Angestellten der ERA ausgehandelt wurde, wenn man zukünftig im Tarifvertrag die Ungleichheit zwischen den einzelnen Betrieben vorantreibt?

Es ist offensichtlich, dass Wort und Tat nicht übereinstimmen. Die Worte von der Öffnung nach oben führen zur praktisch weiteren Aushöhlung der Tarifverträge und der Zersetzung unserer Kampfkraft. Unsere Gegner haben das ganz genau erkannt. Gesamtmetall-Präsident Kannegiesser lobte die IG Metall auf dem Kongreß für diesen eingeschlagenen Weg, der seiner Meinung nach natürlich konsequent fortgesetzt werden sollte.

Die bürgerliche Presse lobt übereinstimmend die angepeilte betriebliche Öffnung der Tarifverträge und man erinnert sich unwillkürlich an die Warnung August Bebels: Wenn Dein Gegner Dich lobt, so hast Du etwas falsch gemacht!

Von einer vielfach verkündeten Verbandsflucht von Klein- und Mittelbetrieben aufgrund des letzten Abschlusses kann zudem keine Rede sein, wie das Handelsblatt am 14.6.2002 unter der Überschrift "Die große Tarifflucht bleibt aus" bestätigte.

Unser Eingreifen ist notwendig

Klaus Zwickel erklärte auf dem Kongreß, dass der Vorstand das Zukunftsmanifest überarbeiten und im Juli in neuer Fassung vorlegen werde. Wenn kein Druck aus den Betrieben und den Verwaltungsstellen kommt, wird eine betriebliche Öffnung der Tarifverträge darin wieder enthalten sein. Dieses Ergebnis ist dann Grundlage für den nächsten Gewerkschaftstag und wird als Entschließung oder in Anträgen eingebracht werden.

Kolleginnen und Kollegen,

wichtig sind Diskussionen in den VKL/VK und Beschlüsse gegen weitere betriebliche Öffnungen der Tarifverträge nach unten und oben, die an Klaus Zwickel bzw. an den Vorstand gerichtet sein sollten. Es wäre zu überlegen, ob ihr diese Beschlüsse als Antrag zur nächsten Delegiertenversammlung erhebt. Zur Kenntnis lege ich euch den Beschluß der Delegierten- und Vertrauensleutevollversammlung der IG Metall Frankfurt gegen Öffnungen vom November 2001 bei (siehe dort die rechte Spalte unter den letzten drei Absätzen).

Vor der letzten Tarifrunde haben wir das Ansinnen nach weiterer Öffnung der Tarifverträge schon einmal zurückgewiesen, jetzt müssen wir erneut für unsere Haltung eintreten.

Gerne bin ich bereit, auf euren VKL oder VK-Sitzungen über den Zukunftskongreß, die weiteren Schwerpunkte und Ergebnisse zu berichten und würde jederzeit zu euch kommen.

Mit kollegialen Grüßen
Heinz Klee
18. Juni 2002

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