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Updated: 18.12.2012 15:51
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»An den Taten sollt Ihr sie erkennen«

IG BAU: Tarifvertraglicher Offenbarungseid und schnelle Eingreiftruppen von Kjell Hansen*

Noch am 29. Juli hatte die Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt gesenkten Hauptes den neuen Tarifvertrag und damit die unbezahlte Arbeitszeitverlängerung um eine Wochenstunde, abgesenkte Mindestlöhne, Lohnsenkungen in zwei Berufsgruppen sowie untertarifliche Akkord-Arbeit unterzeichnet. Nur zwei Monate später kämpferische Töne: Eine »schnelle Eingreiftruppe« soll den Markt von gewerkschaftsfeindlichen Betrieben bereinigen, der »Häuserkampf« wird vorbereitet.

Bereits im April 2004 hatten die Bauarbeitgeber ihr Ziel deutlich formuliert. Insgesamt zehn Prozent weniger sollte sie die Arbeit der Bauleute künftig kosten. Zu diesem Zweck wurden verschiedene »Vorschläge« unterbreitet. Neben den im Juli von der IG BAU akzeptierten Einschnitten zählten dazu nach den Vorstellungen von Bauindustrie- und Baugewerbeverband auch die Kürzung des zusätzlichen Urlaubsgeldes, weitere zwei unbezahlte Wochenstunden oder auch die Demontage der Kündigungsfristen.

Hintergrund: Der ungebremste Abbau der regulär Beschäftigten im Baugewerbe von 1,4 Millionen auf nun 700000 seit 1995, die Hartz-Gesetzgebung mit künftig bis zu 210000 Betroffenen des »Arbeitslosengeldes II« alleine am Bau, oder auch die beinahe völlige »Entschäftigung« der großen Baukonzerne nahmen der gewerkschaftlichen Verhandlungskommission offenbar den Glauben an die eigene Kraft. Zudem sorgt die Zersplitterung der Arbeitgeberverbände bei der IG BAU für Kopfzerbrechen: Standen ihr mit der Bauindustrie, dem eher kleinteiligen Baugewerbe und seit einigen Jahren dem aggressiven »Zweckverband Ostdeutscher Baubetriebe« bereits traditionell mehrere nicht selten zerstrittene Lager gegenüber, entzogen zuletzt auch einzelne Landesverbände der Unternehmer ihren jeweiligen Bundesstrukturen das Verhandlungsmandat - vor allem in Lohnfragen. Ergebnis dieser Entwicklung: Einen bundeseinheitlichen Flächentarif gibt es schon lange nicht mehr, lediglich der für allgemeinverbindlich erklärte Rahmentarif galt zuletzt noch gleichlautend in allen Ländern ... auf dem Papier.

In der Tat war und ist die Realität auf den Baustellen von diesen Voraussetzungen nachhaltig geprägt. Nur eine kleine Zahl gut organisierter Betriebe gewährt noch ausnahmslos alle tariflichen Leistungen. Insbesondere in Ostdeutschland und in den ländlichen Regionen der westdeutschen Länder regiert hingegen ausschließlich der Ellenbogen, selbst der Mindestlohn ist vielerorts ein Fremdwort. Die IG BAU hatte vor diesem Hintergrund von Beginn der Gespräche an die Sorge, die sturmreif unterlaufenen Flächen- und Bundesrahmentarife würden einer wirklichen Auseinandersetzung in der Branche nicht standhalten. Ihre Führung - insbesondere der Bundesvorsitzende Klaus Wiesehügel, der scheidende Tarif-Chef Ernst-Ludwig Laux und der Bauhauptgewerbe-Verantwortliche Dietmar Schäfers - sorgten daher eifrig für Ruhe an der Tariffront. Zugleich wurden aus einigen Regionen Horrorszenarien gemeldet, die eine nicht vorhandene Kampfbereitschaft der KollegInnen wiedergeben sollten. Doch so nachvollziehbar die Vorsicht der Gewerkschafter, umso unverständlicher ihre Passivität jenseits der Verhandlungstische: Statt die Bauleute zu mobilisieren oder zumindest in »Alarmbereitschaft« zu versetzen, zog man sich 15 Monate lang verschämt von den Baustellen zurück. Die Belegschaften reagierten, wie ihre Organisation es vorgemacht hatte - mit Schweigen und Kapitulation.

Frühzeitig wurden zudem Unmutsäußerungen ehrenamtlicher Strukturen in den Wind geschlagen. Während sich bundesweit aktive BaugewerkschafterInnen fragten, was wohl die Taktik der so überaus stillen Verhandlungsführung sein mochte, votierte eine Konferenz der Bundesfachgruppen im Bauhauptgewerbe noch Ende November 2004 deutlich gegen Arbeitszeitverlängerungen, etwas weniger nachdrücklich auch gegen die Tariföffnung im Akkord- und Leistungslohn. Doch wie andere Einwände wurde auch diese gewichtige Meinungsäußerung keines ernsthaften Gedankens gewürdigt. Statt das »Nein« zumindest zur Kenntnis zu nehmen, wurde seine Bedeutung umdefiniert: Nicht generell gegen eine Arbeitszeitverlängerung hätte das Votum gesprochen, lediglich die unbezahlte Mehrarbeit sei Gegenstand der Diskussion gewesen, veröffentlichte man organisationsintern. Dass im Ergebnis dann doch unbezahlte Mehrarbeit herauskam, spricht für sich und den Umgang mit dem Ehrenamt.

Nur zwei Monate später, auf dem Bonner Gewerkschaftstag der IG BAU vom 2. bis zum 7. Oktober 2005, versuchte Wiesehügel vor rund 300 Delegierten die überraschende Kehrtwende. Angetrieben von wachsender Kritik an der schwachen Tarifpolitik gab er zunächst seinen Kritikern Recht und kündigte - nun mit 94 Prozent im Amt bestätigt - in einem Grundsatzreferat an, künftig rabiat gegen gewerkschaftsfeindliche Betriebe vorzugehen. Mit einer »schnellen Eingreiftruppe« sollen diese nötigenfalls gar »vom Markt genommen« werden, wenn Unternehmer etwa die Wahl von Betriebsräten oder ganz generell Gewerkschaftsarbeit aktiv verhindern. Auch in der Tarifpolitik, kündigte der Bundesvorsitzende an, müsse sich die IG BAU auf eine bisher ungekannte Situation einstellen. Die Zeit bis zum Auslaufen des jüngsten Bau-Tarifvertrages Mitte 2007 soll nun genutzt werden, um sich »in den Betrieben völlig neu aufzustellen«. Nach Auslaufen der aktuellen Verträge will die Gewerkschaft in der Lage sein, »Häuserkämpfe«, also von Arbeitsniederlegungen begleitete Haustarifverhandlungen, in zahlreichen Unternehmen zu organisieren. Zu diesem Zweck werden in zahlreichen Bezirksverbänden bereits seit 2001 Vertrauensleute-Strukturen aufgebaut und Betriebsgruppen installiert - ein Novum, hatte man sich bislang ausschließlich auf die Organisierung in Ortsverbänden gestützt. Um die Mitgliedschaft nachhaltig zu motivieren baut Wiesehügel auch die Bundeszentrale der IG BAU um: Künftig muss jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter monatlich ein willkürlich ausgewähltes Mitglied anrufen und nach Kritik und Anregungen fragen. Der Vorsitzende selbst und seine nun acht VorstandskollegInnen stellen sich mindestens einmal im Monat per Chat den Fragen der Basis.

Der 52jährige Sozialdemokrat antwortet mit diesen Neuerungen auf die anhaltende Krise der IG BAU. Von der aktuellen Tarifrunde abgesehen, leidet die Organisation seit Jahren unter einem expansiven Mitgliederrückgang (-21 Prozent seit 1995), einer Arbeitslosigkeit von bis zu 35 Prozent in einzelnen ihrer Branchen und bröckelnden Tarif-Standards allenthalben. Konnte man trotz dieser Rahmenbedingungen im Juni 2002 noch einen beeindruckenden, bundesweiten Arbeitskampf organisieren und gewinnen, an dem sich rund 40000 Bauleute aktiv beteiligten, sieht sich so mancher Funktionär heute einer Übernahme durch die IG Metall gegenüber. Nur wenig mehr als 400000 Mitglieder kann die Gewerkschaft Bauen Agrar Umwelt heute aufweisen, was bereits umstrittene Einschnitte im Personal nach sich zog. Um die schwächelnde Betreuung der Mitglieder aufzufangen und dennoch Kampffähigkeit herzustellen, betont Klaus Wiesehügel bereits seit einem Jahr die Notwendigkeit, den ehrenamtlichen Bereich der Organisation massiv zu stärken. Außerdem bemüht man sich emsig, neue Betriebsräte zu wählen und junge GewerkschafterInnen politisch zu schulen. Wie diese Bemühungen allerdings mit ausschließlich von der Organisationsspitze diktierten Tarifrunden zusammenpassen oder mit einem Gewerkschaftsbeirat erzielt werden sollen, der bislang allenfalls als «Nickdackel« agierte, sei dahingestellt.

Als am 4. Oktober Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) zu den 300 Delegierten gesprochen hatte, erntete vor allem Ernst-Ludwig Laux anhaltenden Beifall, als er dem Minister mit auf den Weg gab: »Das hat sich ja alles ganz gut angehört, Wolfgang. Uns haben aber die letzten Jahre gelehrt, vorsichtig zu sein. Darum sagen wir uns: An den Taten sollt Ihr sie erkennen!« Ähnlich skeptisch verließen viele Delegierte die ehemalige Bundeshauptstadt nach dem Gewerkschaftstag. Nicht ohne Grund war eine mehrstündige Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern des scheidenden Bundesjugendvorstands und dem Bundesvorstand von den Mitgliedern mit großem Interesse verfolgt worden. Ein Antrag aus Nordhessen bekam darauf trotz Intervention verschiedener Vorstandsmitglieder die Mehrheit der Stimmen, nachdem deutlich wurde, wie sehr die Jugendlichen in den letzten Monaten politisch entmündigt worden waren. Dabei beschäftigte sich Antrag 23 eigentlich mit der Verteilung der Personalbudgets zwischen Bundesvorstand und Bezirksverbänden, die der Gewerkschaftstag nun leicht zugunsten der Regionen korrigierte. Antrag 127 und damit die Forderung nach einem Bundesjugendreferenten scheiterte anschließend nur an der Intervention der Delegierten-Nummer 001 - Wiesehügel persönlich. Das deutliche Vertrauen, dass dieselben Delegierten dem Bun-desvorstand noch kurz zuvor bei den Wahlen ausgesprochen hatten, kann daher nur als Vorschuss verstanden werden. Ob er zurückgezahlt wird, bleibt abzuwarten.

* Kjell Hansen ist Betriebsrat der IG BAU

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 10/05


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