letzte Änderung am 31. Mai 2002 | |
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»Ficken, fressen, saufen« soll der politisch etwas verblichene Profikolumnist und SPD-Chef im Ruhestand, Oskar Lafontaine, mal als Prioritäten für seine Lebensgestaltung benannt haben. Das ist nicht nur emanzipatorisch, sondern irgendwie auch radikal links, weil es den propagierten Tugenden der Konservativen wie auch denen der Neoliberalen und der preußisch geprägten deutschen Sozialdemokratie bis hin zur PDS diametral entgegensteht. Nun galt Oskar lange Zeit auch als Galionsfigur der linken Sozialdemokratie. Der bekennende Keynes-Fan hatte mit Schröders neoliberalem Sparscheiß und der Umverteilung von unten nach oben wenig am Hut. Doch er zog bekanntlich den kürzeren, schmiß entnervt die Brocken hin und hat seitdem mehr Zeit für seinen Weinkeller.
Nichts wäre dagegen einzuwenden gewesen, wenn die Kollegen Gewerkschafter in den aktuellen Tarifrunden das Lebensmotto des fröhlichen Saarländers zur materiellen Gewalt hätten werden lassen. »Wir wollen alles und zwar sofort« als Minimalforderung und natürlich »f..., f...., s...«. Doch statt mondäner Sexualpartner, edelsten Champagners und schwarzer Trüffeln in großen Schüsseln reicht es wieder nur für die nervige Alte oder den nervigen Alten zu Hause, den Fusel von Aldi und die Sonderangebote der Discounter. Während auf den Pressegesprächen von Schröders und Gysis geliebten Investoren beim Buffet gepflegt über Paragliding in Kanada, den VW-Phaeton und Optionen auf den Château Laffite von 2003 parliert wird, studiert der ideelle Gesamtarbeiter die Mallorca-Sonderangebote, die Tuningtrends für seinen alten Golf und die Werbezettel für Billigpils und Schrottwein. Wer so bescheiden ist, hat in der Tat wenig Grund, Forderungen nach auch nur 6,5 Prozent mehr Lohn ernsthaft durchsetzen zu wollen.
Der Gewerkschaftsführung kann man dabei keinen Vorwurf machen. Unermüdlich und konsequent bemüht sie sich, der Basis durch praktisches Tun vorzumachen, daß es geht, und wie es geht. Während Cohiba-Freund Schröder schon mit gewohnt öliger Stimme auf allen Kanälen über »maßvolle Lohnerhöhungen« salbaderte, gönnten sich einige Vorständler satte Schlucke aus der Pulle. An der Spitze natürlich ein Grüner. Der frisch gekürte ver.di-Chef Frank Bsirske hielt satte 50 Prozent Lohnerhöhung für sich für angemessen. Derweil redete sich seine beitragszahlende Herde auf dem Gründungsgewerkschaftstag von ver.di über so fundamentale Dinge wie den Erhalt der eigenständigen Versicherungsvermittlungsagenturen der ehemaligen Deutschen Angestellten Gewerkschaft die Köpfe heiß.
Während verdiente Gewerkschaftsführer wie Franz Steinkühler (IG Metall) oder Herbert Mai und Kurt Lange (beide ÖTV) nach einigen Jahren Tätigkeit als mehr oder weniger verbalradikale Abwiegler in die Vorstandsetagen von Großbetrieben wechselten bzw. eine neue Karriere als Aktienspekulant begannen, reicht es für »einfache« Gewerkschafter oft nur zum Arbeitslosengeld oder einer mageren Rente.
Doch statt dem Beispiel der Gewerkschaftsführung zu folgen und sich den Anteil an den Genüssen des Lebens zu holen, den sie für angemessen erachtet, übt sich die Basis meistens in staatstragender und unternehmerschonender Demut und Bescheidenheit. Das gilt sogar für die wenigen Momente, wo die Anliegen auf die Straße gebracht werden, vorzugsweise am 1.Mai. Jahr für Jahr Bratwurst und Bier aus Pappbechern und dazu noch flächendeckende Verarsche von DGB-Oberschranzen. Die schimpfen dann laut und bitterlich über Sozialabbau und Lohndumping, um ein paar Tage später den Journalisten in die Feder zu diktieren, daß sie genau die SPD-Grünen-Regierung, die mit dem Rasenmäher so durch die Sozialsysteme fegt, daß Stoiber und Co. nur staunen können, auch in den kommenden vier Jahren haben will.
Vielleicht wäre es an der Zeit, mal etwas grundsätzlicher an die Sache heranzugehen. Im Kapitalismus gibt es nichts geschenkt, und wer sich nichts holt, geht eben leer aus. Wer keinen Champagner will, bekommt nicht mal Selters.
Die Unternehmer wissen das. Sie haben ihrem Kumpel Schröder laut und deutlich gesagt, daß sie keinen Bock mehr haben, Gewinne aus Unternehmensverkäufen zu versteuern und basta. Die Gewerkschaftsführer wissen das auch. Aber sie haben in der Regel dasselbe Parteibuch wie Schröder und werden außerdem gut dafür bezahlt, daß sie Klassenkämpfe abwürgen. Die Kollegen in den Betrieben und auf den Fluren der Arbeits- und Sozialämter wissen es ebenfalls. Aber sie handeln viel zu selten danach. Chancen gibt es genug: Wetten, daß die Lahmlegung der deutschen Presse zu Beginn der Fußball-WM die Durchsetzungschancen für eine kräftige Lohnerhöhung in der Druckindustrie gewaltig befördern würde?
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