letzte Änderung am 21. Febr. 2003

LabourNet Germany ARCHIV! Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Home -> Diskussion -> Bündnis für Arbeit -> Kuhhandel Suchen

17-2-2003

Neues Bündnis für Arbeit

– zum Auftakt ein Kuhhandel um Lehrstellen

Vier Jahre wurden die Jugendlichen nun von Rot-Grün und dem Bündnis für Arbeit an der Nase herumgeführt. Beginnt jetzt der Zirkus von vorne?

Für das Jahr 2003 zeichnet sich ein weiterer, diesmal dramatischer Rückgang an Ausbildungs-plätzen ab: gegenüber dem Vorjahresmonat wurden den Arbeitsämtern im Januar 52.940 (Minus 13,6 %!) Lehrstellen weniger gemeldet. Den Jugendlichen wird erklärt, dass dafür die schlechte Konjunktur verantwortlich sei. Genauso könnte man ihnen sagen, sie sind eben zu einem ungünstigen Zeitpunkt geboren wurden. Erbärmlicher kann sich eine Gesellschaft nicht vor der nachwachsenden Generation blamieren.

Bündnis für Kuhhandel

Aufgeschreckt meldeten sich Mitte Januar die Gewerkschaftsspitzen zur Neuauflage des Bündnis für Arbeit zu Wort. DGB-Chef Sommer verlangte "verbindliche Absprache über ein Lehrstellen-angebot". Der IG-Metall Vorsitzende Zwickel forderte sogar wieder gesetzliche Maßnahmen für den Fall, dass die Arbeitgeber ihre Zusagen nicht einhalten. Postwendend lehnten Arbeitgeber-präsident Hundt und BDI-Chef Rogowski eine Ausbildungsgarantie oder gar eine gesetzliche Ausbildungsabgabe strikt ab. (FR, 28.1.03) Das angestrebte neue Bündnis für Arbeit drohte zu platzen. Da schlug Dieter Hundt in einem "Sechs-Punkte-Programm" vom 6. Feb. einen Kuhhandel vor: Für eine Lehrstellenzusage sollen die Gewerkschaften im Gegenzug u.a. Lohnzurückhaltung akzeptieren und der Lockerung des Kündigungsschutzes zustimmen. Sommer lehnte diesen beabsichtigten Sozialabbau ab.

Deutlicher kann der Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital kaum zu Tage treten. Selbst verfas-sungsrechtliche Vorgaben spielen hier keine Rolle mehr. Bereits in einem Urteil von 1980 bestä-tigte das Bundesverfassungsgericht die "Verantwortung der Arbeitgeber für ein ausreichendes Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen". Um die "freie Wahl der Ausbildungsstätte" (GG, Artikel 12) zu gewährleisten, sind nach Auffassung des BVG mindestes(!) 12,5% mehr Lehrstellen als Bewerber/innen erforderlich. Dies trifft schon seit 1995 nicht mehr zu.

Bereits 1999 war die Ausbildungsfrage der Knackpunkt im Bündnis für Arbeit. Damals ist die Gewerkschaftsführung vor dem Druck der Arbeitgeber eingeknickt und hat für die Dauer der Gespräche die Forderung nach Einführung der gesetzlichen Umlagefinanzierung der Ausbildung aufgegeben. Eine folgenreiche Fehlentscheidung: denn bloße Absprachen im Bündnis können keinen Rechtsanspruch auf eine Berufsausbildung realisieren. Aber genau darum geht es.

Der im Bündnis für Arbeit im Jahr 1999 geschlossene Ausbildungskonsens - "Jeder Jugendliche der will und kann erhält einen Ausbildungsplatz seiner Wahl" - hat sich in den folgenden Jahren als weitgehend leeres Versprechen entlarvt. Dennoch strebt Bildungsministerin Bulmahn mit einer "Ausbildungsoffensive" erneut "Die Sicherung einer ausreichenden Zahl an Ausbildungsplätzen" über das neue Bündnis für Arbeit an. (Pressemitteilung, 30.1.03) Erfahren im "Klassenkampf von oben" werden Bundeskanzler Schröder und Superminister Clement alles dafür tun, dass das umstrittene Bündnis auch zustande kommt. Bereits am 11.2. signalisiert die Gewerkschaftsspitze (Sommer, Zwickel, Bsirske), dass sie "einer Einladung des Kanzlers" folgen werde.

Politik der Ohnmacht

Seit 1995 fehlen Hunderttausende von Lehrstellen. Die schlicht verfassungswidrige Ausbildungs-situation wurde bis 1998 von der Kohlregierung und wird seitdem von der Regierung Schröder weitgehend tatenlos hingenommen. Schlimmer noch: Ministerin Buhlmahn hat das Parlament und die Öffentlichkeit über Jahre hin mit irreführenden Zahlenspielen über die wahre Situation der Lehrstellenkrise getäuscht. Folglich steht im SPD-Regierungsprogramm 2002, in krassem Wider-spruch zur Realität: "In Deutschland gibt es wieder mehr Ausbildungsstellen als Bewerber. Alle Jugendlichen können eine Lehrstelle bekommen!" So wird der politische Handlungsbedarf zur Beseitigung der Lehrstellenkrise mit der fatalen Wirkung weggelogen, dass weiterhin viele Jugendlichen auf der Strecke bleiben.

Im Wahlprogramm der SPD von 1998 und auch noch in der Koalitionsvereinbarung zur Regierungsbildung 1998 sind gesetzliche Maßnahmen zur Überwindung des Lehrstellenmangels vorgesehen. In der Koalitionsvereinbarung von 2002 findet sich nur noch die lapidare Absichts-erklärung "Wir wollen, dass alle Jugendlichen (...) einen Ausbildungsplatz oder(!) Arbeitsplatz erhalten." Wie es dazu kommen soll bleibt offen. Von einer gesetzlichen Umlagefinanzierung, für die sich auch Frau Bulmahn in der Zeit der Opposition so kämpferisch eingesetzt hatte, ist nicht mehr die Rede.

So spiegelt sich auch in der Ausbildungspolitik immer mehr die Ohnmacht der Politik gegenüber dem Kapital. Aufschlussreich erklärte dazu am 8.6.2001 der SPD-Vize Wolfgang Thierse Jugend-lichen auf die Frage "Warum die SPD nicht endlich ihr "Ausbildungsplatzgesetz" aus der Schub-lade hole?": "Der Widerstand der Wirtschaft hindert uns daran. (...) Gesetze lassen sich nicht gegen die Wirtschaft durchsetzen!"

Gewerkschaften ohne Rückgrat

Aber auch innerhalb der Gewerkschaften und auch in der GEW machen sich Positionen breit, dem Widerstand der Arbeitgeber zu weichen und von der ursprünglichen gewerkschaftlichen Forderung der gesetzlichen Umlagefinanzierung abzurücken. "(D)as Beispiel der Umlagefinanzierung zeigt, dass man mit dem Versuch, Unternehmen zur Bereitstellung von Ausbildungsplätzen zu zwingen, nicht weiter kommt." (U. Herdt, E&W, 11/2002) Kapitulierend vor einer weiteren Auseinander-setzung mit der "kapitalismusimmanenten Logik", wird nun eine Finanzierung der Berufsausbildung über Steuern favorisiert.

Doch jede weitergehende Finanzierung der betrieblichen Ausbildung durch den Staat bedeutet in letzter Konsequenz eine Umlage Zulasten der abhängig Beschäftigten, weil sie es sind, die im wesentlichen das Steueraufkommen tragen. Von einer "Ausbildungssteuer der Unternehmer" ist bei diesem Konzept auch nicht die Rede, wohl wissend, dass sich hier das Kapital genauso dagegen stemmen würde, wie bei der bisher angestrebten direkten betrieblichen Umlagefinan-zierung.

So wird der "Reformstau" auf ein neues Politikfeld verschoben, jahrelang diskutiert und gestritten, um am Ende festzustellen, dass wegen der chronischen Armut des Staates entweder nicht genügend Steuergelder bereitgestellt werden können und/oder wie im Hartz-Konzept bereits vor-gedacht, die Auszubildenden über ihre Eltern und Großeltern selbst ihre Ausbildung finanzieren sollen. Wer sich von der Durchsetzung der gesetzlichen Umlagefinanzierung verabschiedet, trägt mithin selbst zur Fortdauer der Lehrstellenkrise bei und wird verantwortlich dafür, dass weiterhin Jahr für Jahr Hunderttausende Jugendliche ins gesellschaftliche Abseits gedrängt werden.

Auch tarifvertragliche Regelungen, wie sie etwa die Chemiegewerkschaft anstrebt, bleiben Versatzstücke. Sie haben keine nachhaltige Wirkung, weil sie immer wieder aufs neue erkämpft werden müssen und können den demografisch erforderlichen Gesamtbedarf an Ausbildungs-plätzen nicht regulieren, weil sie nur branchenbezogen greifen.

Wie weiter?

Wer auch nach acht Jahren nicht eingehaltener Lehrstellenversprechen (vier unter Kohl und vier unter Schröder) weiterhin auf die Formel setzt, wenn sich die Arbeitgeber jetzt nicht bereit erklären, genügend Ausbildungsplätze anzubieten, dann sind gesetzliche Maßnahmen erforderlich, der leidet entweder unter Gedächtnisschwund oder ist bereit, sich zum Nachteil der Jugendlichen weiter der Übermacht des Kapitals zu beugen.

Ein Bündnis für Arbeit darf die Durchsetzung des Rechts auf Ausbildung nicht nochmals ver-zögern. Unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung müssen immer genügend Lehrstellen vorhanden sein. Zur gesetzlichen Umlagefinanzierung, die alle Betriebe an der Ausbildung beteiligt, gibt es keine Alternative – es sei denn die Überwindung der auf Profitmaximierung ausgerichteten Marktwirtschaft.

Wir sagen auch deshalb NEIN zum Bündnis für Arbeit, weil in ihm, wie in den vergangenen Jahren, ein weiterer Sozialabbau mit Unterstützung der Gewerkschaften möglichst geräuschlos organisiert werden soll.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung formiert sich in Hessen unter Beteiligung der Landes-schülerInnenvertretung, der DGB-Jugend und der GEW ein bundesweit agierendes "Lehrstellen-bündnis", das den Kampf für das "Recht auf Ausbildung" wieder intensiviert.

Über Zuspruch und Unterstützung freuen wir uns.

Helmut Weick, Bündnis gegen Ausbildungsplatzmangel und Jugendarbeitslosigkeit

Infos: www.ausbildung-fuer-alle.de / mailto:info@ausbildung-fuer-alle.de / Fon: 06257-64077

LabourNet Germany Top ^