Was die Unternehmen dringend bräuchten, sei "die förmliche Änderung des Tarifvertragsmonopols in Art. 77 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes"(1), meinte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel. Dieser Vorstoß von Unternehmerseite ist in Deutschland so alt wie das Tarifvertragsrecht selbst. Gleichwohl wurde dieses Recht der Gewerkschaften im ersten deutschen Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920 ein Ergebnis der Revolution von 1918 nicht angetastet oder in Frage gestellt. Doch bereits Mitte der 20er Jahre witterten die Unternehmer Morgenluft, so daß die Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände einen Angriff auf die Betriebsverfassung wagte: "Wahre Koalitionsfreiheit muß das bequeme Gewerkschaftsmonopol beseitigen. Betriebsvereinbarungen und Regelung reiner, aus der freien Praxis sich dieser Regelung zugänglich erweisender Betriebsvereinbarungen sind neben dem Tarifvertrag gleichberechtigt zuzulassen."(2)
Demgegenüber vertrat der Herausgeber der Zeitschrift "Arbeitsrecht", Heinz Potthoff, auch zu dieser Zeit noch die Ansicht, "der Tarifvertrag" habe "weitaus den Vorrang vor der Betriebsvereinbarung". Denn der "Tarifvertrag ist für jeden Beteiligten unbedingt verbindlich, seine Normen gehen automatisch in jeden Arbeitsvertrag ein und sind unabdingbar. Die Betriebsvereinbarung ist nach herrschender Ansicht stets abdingbar und hat nur unter bestimmten Voraussetzungen überhaupt normative Wirkung." Bei der Beurteilung von Sinn und Zweck dieser Regelung schien für Heinz Potthoff das "Entscheidende ... zu sein, daß nur die Gewerkschaft eine völlige Unabhängigkeit vom Unternehmertum hat oder haben kann, während die Belegschaft des einzelnen Werkes immer unter dem Drucke der »Betriebsordnung«, der Schädigung durch schlechte Arbeitsbedingungen, der Möglichkeit zur Kündigung oder Betriebsstillegung steht" (3).
Clemens Nörpel vom Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund bestätigte diese Position des Arbeitsrechtlers und erläuterte: "Arbeitszeit und Entlohnung wollen die Unternehmer jetzt mit den Betriebsräten regeln. Diesem Streben huldigen die Unternehmer schon seit längerer Zeit. Den Betriebsräten wird sicher nicht die Überzeugung kommen, daß ihre tatsächliche Macht durch diese Entwicklung gestärkt wäre. Denn hier geht es nicht um die Erweiterung der Betriebsräterechte, sondern um den Abbau der Arbeitnehmerrechte. Der Kampf geht um die Beseitigung des Tarifvertrags, und die Betriebsräte sollen nur die Vorstufe für die Beseitigung des kollektiven Arbeitsrechts sein. Es gibt keine Möglichkeit, daß die Betriebsräte als solche den Kampf hiergegen führen können. Das kann nur die Arbeitnehmerschaft selbst durch ihre Gewerkschaften. Die Unternehmer glauben die Gewerkschaften geschwächt und sie wagen den Kampf gegen die Arbeitnehmerrechte." (4)
2) Heinz Potthoff (Herausgeber): Die sozialen Probleme des Betriebes, 1925, Industrieverlag Spaeth & Linde, Seite 253
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