Alle Beteiligten der dritten Runde zum Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit Anfang Juli waren mit sich und den Ergebnissen der Kanzlerrunde recht zufrieden. Der IGM-Vorsitzende Zwickel und der Arbeitgeberpräsident Hundt sprachen von einem positiven Gespräch, das einen politischen Neubeginn markiere. (Handelsblatt vom 8.7.99, S. 3) Einige kritische Anmerkungen kamen vom IG-Medien-Vorsitzenden Detlev Hensche, der zwar „von einem Punktsieg der Arbeitgeber" sprach, sich aber dennoch positiv auf das Bündnis bezog: „Der Preis, den wir mit diesem Papier zahlen, ist zu hoch. Ich füge aber hinzu: Um Vertrauen zu schaffen, muß versucht werden, Konsens zu entwickeln. Es ist überhaupt gut, daß der DGB-Vorsitzende und der Arbeitgeberchef die Initiative ergriffen und dieses Papier eingebracht haben." (FR vom 9.7.99, S.4) Mit diesem Papier ist eine separate Erklärung von DGB und BDA gemeint, auf die in der Schlußerklärung des Bündnisses positiv Bezug genommen wird.
Die hilflose Stellungnahme des Vorsit zenden einer der „linkeren" Einzelgewerkschaften, mit der „Vertrauen" und „Konsens" unabhängig von ihrem materiellen Gehalt gewürdigt werden, ist ein Indiz für die strategische Hilflosigkeit auch großer Teile der progressiveren Gewerkschaften im Umgang mit der neuen Bundesregierung.
Das Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit ist eine von der Bundesregierung moderierte institutionalisierte nationale Wettbewerbs- und Standortkoalition, in die die Gewerkschaften enger als in der Ära Kohl eingebunden sind und die ihnen jede eigene taktische und strategische Option nimmt. Erklärtes Ziel ist u.a. eine Senkung der Staats- und Sozialquote im Rahmen eines internationalen „Benchmarkings". Die Dialektik von „Konflikt" und „Kompromiß", von sozialer Mobilisierung und institutionellen Reformen, wird durch das Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit fast vollständig aufgehoben. Diese ständischen Strukturen – gruppiert um die weltmarkt- und exportnahen Teile von Arbeit&Kapital – höhlen auch die normalen demokratischen Standards einer parlamentarischen Demokratie aus.
Die materielle Brisanz der Juli-Erklärung des Bündnisses liegt in einer positiven Bezugnahme auch der Gewerkschaften auf die Konsolidierungspolitik des „Zukunftsprogramms 2000" und die Absenkung der Unternehmensbesteuerung im internationalen Standortwettbewerb. Die etwas später – mehr oder weniger laut – aus Gewerkschaftskreisen vorgetragene Kritik an der konkreten Haushalts- und Steuerplanung aus dem Hause Eichel wirkt daher ein wenig bizarr und revidiert die gewerkschaftliche Unterordnung unter die Räson des Schröderschen Ständestaates nicht. Die jüngeren Angriffe von DGB und IGM sind eher ein Hinweis auf die innergewerkschaftlichen Legitimations- und Vermittlungsprobleme hinsichtlich der rot grünen Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Im Benchmarking-Teil der Juli-Erklärung finden sich verklausulierte Hinweise auf den Ausbau des Niedriglohnsektors mittels diverser neuer arbeitsmarktpolitischer Instrumente. Die „Bereitschaft verschiedener Bundesländer, unterschiedliche Ansätze dafür zu erproben" wird „begrüßt".
Im Feld der beruflichen Bildung wird insbesondere die Ausbildungsplatzgarantie („Jeder junge Mensch, der kann und will, wird ausgebildet") und die Zusage von 10.000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen von den Bündnispartnern hervorgehoben. Solche Erklärungen bei gleichzeitigem Verzicht auf Eingriffe in die unternehmerische Regie der Erstausbildung hat es in den letzten Jahren folgenlos schon mehrfach gegeben. Schon einen Monat später fällt Ursula Engelen-Kefer vom DGB-Bundesvorstand auf, daß im nächsten Ausbildungsjahr noch über 200.000 Lehrstellen fehlen. (FR vom 30.7.99)
In der o.g. Erklärung von DGB und BDA ist es vor allem die Formel des „beschäftigungswirksamen Abbaus von Überstunden", die auf Sympathie in der Öffentlichkeit gestoßen ist. Das Ganze soll durch den Ausbau der unterschiedlichen Flexibilisierungsmodelle umgesetzt werden. Das nüchterne Handelsblatt merkt dazu an, daß Arbeitszeitkorridore und andere Flexi-Modelle zunächst einmal Kostenentlastungen für die Unternehmen bewirken und die Zahl der beschäftigungswirksam abbaubaren Überstunden verringern. (HB vom 8.7.99, S. 3)
Die verabredete explizite Behandlung von tarifpolitischen Fragen im Rahmen des Bündnisses für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit wurde vom DGB-Vorsitzenden als Enttabuisierung bezeichnet. Trotz einer gewissen symbolischen Wirkung dieser Verabredung ist damit keine qualitative Veränderung der real existierenden Tarifpolitik von DGB und DAG verbunden. „Betriebs- und praxisnahe Regelungen von Flächentarifverträgen, Öffnungs- und Ergänzungsklauseln", auf die im DGB/BDA-Papier Bezug genommen wird, gehören längst zur tarifpolitischen Realität.
Auch die verteilungspolitischen Überlegungen zu Einkommenssteigerungen der Lohnabhängigen auf Basis der allgemeinen Preissteigerungsrate sind vom verteilungspolitischen status quo nicht weit entfernt. Wörtlich heißt es dazu unter Punkt 9 des DGB/BDA-Papiers: „Produktivitätssteigerungen sollen vorrangig der Beschäftigungsförderung dienen."
Förmliche Lohnleitlinien und einen förmlichen Ausstieg aus der Tarifautonomie, die häufig im Mittelpunkt der Bündniskritik aus Gewerkschaftskreisen stehen, wird es aller Voraussicht nach nicht geben. Solch eine Regelung wäre auch in die Gewerkschaftsgliederungen nicht vermittelbar.
Ein Novum gewerkschaftlicher Konzessionspolititik ist aber zweifellos der Hinweis auf eine wünschenswerte stärkere Ertragsabhängigkeit von Regelungen des Flächentarifvertrages auf betrieblicher Ebene zu betrachten.
In der Gesamtschau der Verabredungen im Bündnis ist die neue Qualität der gewerkschaftspolitischen Fehlorientierung daher nicht vorrangig auf dem Gebiet der Tarifpolitik zu finden – hier knüpft das DGB/BDA-Papier nur an die fatale Geschichte der erodierenden Flächentarifverträge an. Es ist vielmehr die Selbstauslieferung an die nationale Standort- und Wettbewerbskoalition selber, die im Bündnis für Arbeit ihren Ausdruck und ihre besondere – symbolisch aufgeladene – Ausprägung findet.
Hinter dem Bündnis für Arbeit steht eine politische Konzeption, die sozialstaatliche Garantien nachhaltig zerstören will und bei der Senkung der Sozialquote auch das Bündnis mit Fraktionen der Lohnabhängigen sucht. Diese werden mit zum Teil geringeren Sozialabgaben und Möglichkeiten privater Vorsorge geködert.
Das Regulationsmodell des Bündnisses für Arbeit richtet sich vor allem gegen jene Teile der Lohnabhängigen und Haushalte, die nicht in weltmarktnahen und hochproduktiven Sektoren angesiedelt sind. Das autoritäre „workfare"-Modell (Arbeit zu jeder Bedingung) der neuen rotgrünen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik und die Teilprivatisierung der Sicherungssysteme ist ein Programm gesellschaftlicher Spaltung. Die wirtschaftspolitische Orientierung von Rotgrün heizt die internationale Standortkonkurrenz weiter an. Lassen sich Gewerkschaften darauf ein, isolieren sie sich gesellschaftspolitisch und reduzieren sich auf einige ‘Kerne’ von Lohnbhängigen. Dabei haben sie noch nicht einmal die Garantie, daß in diesem Bündnis die Interessen ihres Kernklientels dauerhaft bedient werden können. Die Dynamik der Schröderschen Wirtschafts- und Sozialpolitik wird keinen stabilen Schonraum für die FacharbeiterInnen und Fachangestellten lassen. Jüngste kritische Anmerkungen zur Finanzpolitik aus Gewerkschaftskreisen sind hier ein erster Hinweis auf die inneren Widersprüche des Bündnisses der neuen Mitte.
Es ist also gewerkschaftspolitisch klüger, auf einen Ausstieg aus dem Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit zu orientieren, auch wenn damit große innergewerkschaftliche Auseinandersetzungen verbunden sind. Ein Ausstieg aus diesem Bündnis ist nicht gleichbedeutend mit dem Verzicht auf eine eigene gewerkschaftliche Reformkonzeption, die naturgemäß Zwischenschritte und Kompromisse einschließen würde. Im Unterschied zum Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit würden die Gewerkschaften und ihre BündnispartnerInnen aber für eigene Anliegen mobilisieren und – entsprechend den Kräfteverhältnissen – Arrangements mit Regierung und Kapital eingehen müssen, die aber weniger (selbst)zerstörerisch sind als das Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit.
Die gewerkschaftliche Linke, die teilweise selbst an der Symbolik des Bündnisses für Arbeit mitgewirkt hat, scheint sich hierin aber nicht einig zu sein. Ein Grund für die Differenzen, die uns in nächster Zeit noch beschäftigen werden, ist eine unterschiedliche Einschätzung von rotgrün. Joachim Bischoff von der Zeitschrift Sozialismus ist zunächst zuzustimmen, daß eine Gleichsetzung von Neoliberalismus und „aktivierendem Staat" der „Neuen Mitte" vermieden werden muß. (Sozialismus, 7/8-99, S. 14)
In der Tat: Das rotgrüne Programm steht viel stärker für moderierende, regulierende und konsensstiftende Politikelemente. Gleichwohl kann das rotgrüne Regulierungsmodell, an dessen prominentester Stelle das Bündnis für Arbeit steht, nicht für eine demokratische und solidarische Gesellschaftspolitik umgebaut werden. Es ist in seinem Wertekanon untrennbar mit neoliberaler Ethik und ökonomisch mit einer Spielart des Wirtschaftsliberalismus verknüpft. Daher ist entgegen dem Plädoyer von Richard Detje und Otto König im Forum Gewerkschaften der Zeitschrift Sozialismus (ebd., S. 45) der „Ausstieg aus dem Bündnis" sehr wohl eine tragfähige Position. Außerdem vertritt niemand die Position, daß mit einem Ausstieg alleine eine radikale linke Reformoption entsteht. Der Ausstieg aus dem Bündnis für Arbeit ist aber eine von vielen Voraussetzungen für eine neue linke Politik, die nicht zwischen sozialen BürgerInnenrechten und ökonomischer Interessenvertretung trennt.