Gehe zurück auf Null?

Zur Organisierungskampagne der UAW in Alabama

Immer häufiger müssen die United Autoworkers (UAW) feststellen, dass ihre Organisierungskampagne in den Südstaaten selbst da, wo man sich leichtes Spiel erhofft hatte, größere Probleme bereitet als erwartet. Noch im vergangenen Herbst war man mit viel Enthusiasmus aus den Verhandlungen mit dem DaimlerChrysler-Vorstand in Detroit gegangen, nachdem dort u.a. erreicht worden war, dass sich das Management gegenüber gewerkschaftlichen Organisierungsversuchen im Sport- und Nutzfahrzeugwerk von Mercedes in Alabama neutral zu verhalten versprach. Mittlerweile aber ist bei der UAW Ernüchterung eingekehrt angesichts der Schwierigkeiten, die Ergebnisse der Verhandlungen im mittleren Westen auch unter den rauen Bedingungen des Südens umzusetzen.

Nachdem die UAW es versäumt hatte, sich um die überall im Süden aus dem Boden schießenden Transplants bzw. Werke ausschließlich ausländischer Investoren zu kümmern, erhoffte sie sich mit dem DaimlerChrysler-Vertrag, einen Fuß in die Region zu bekommen. Stephen Yokich, Präsident der UAW, räumte dem Alabama-Projekt höchste Priorität ein, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des drastischen Mitgliederrückgangs, den die Gewerkschaft USA-weit während der letzten Dekade erlitten hatte. So kam es, dass die UAW mit einem Aufgebot von über einem Dutzend Funktionärs-Grüppchen nach Vance, dem Sitz des Werkes mit rund 750 EinwohnerInnen, zog, um der Handvoll Organizer vor Ort unter die Arme zu greifen. Die meisten sind inzwischen zurückgekehrt. Einer von ihnen, der nach wie vor im örtlichen UAW-Headquarter arbeitet – ei-nem zwischen einem Versicherungsbüro und einer Tankstelle gelegenen Ladenlokal – stellte resigniert fest, dass das Engagement der Gewerkschaft sich deutlich reduziert hätte.

Es sind im Wesentlichen zwei Probleme, mit denen die UAW sowohl im Mercedes-Werk als auch bei den örtlichen Zulieferern konfrontiert ist: zum einen die Belegschaften, die sich – gut bezahlt und mit ihrer Arbeit zufrieden – keine Vorteile von der gewerkschaftlichen Organisierung versprechen; zum anderen die lokale Geschäftswelt, die sich im Unterschied zu DaimlerChrysler nicht zur Neutralität verpflichtet fühlt und eine dezidierte Anti-Gewerkschaftskampagne angestoßen hatte.

"Hier nicht!" – so die Parole vieler Beschäftigter bei DaimlerChrysler. Exemplarisch für diese Haltung stehen Wade Smith und Tim Earnest: Smith, 32 Jahre alt, verdient beim Benz in Vance rund 100.000 Dollar "plus ein bisschen Kleingeld" – vor allem mit Überstunden. Das ist mehr als genug, um sich auch noch eine der Luxus-Karossen zu leisten, die er selbst produziert. "Es gibt Orte, an denen die Gewerkschaften notwendig sind, aber nicht hier", meint er. Earnest, 40 Jahre alt, wollte den Benz-Job unbedingt – und war dafür nicht nur bereit, täglich 70 Meilen einfachen Weges zwischen Wohnsitz und Arbeitsplatz zurückzulegen, sondern sogar auch, ein neues, größeres Haus in der Nähe von Vance zu kaufen.

Monatelang hatte die UAW mit einer schriftlichen Umfrage unter den Beschäftigten im Werk versucht herauszufinden, ob sie für die nach US-amerikanischem Recht den eigentlichen Wahlen im Betrieb vorangehenden Anerkennungswahlen genügend Stimmen zusammen bekäme. Gewerkschaftsfunktionäre in Alabama gehen davon aus, dass für eine erfolgreiche Anerkennungswahl die Zahl der UnterstützerInnen bei mindestens 65 Prozent liegen müsse.

Nach Angaben der UAW von Ende September letzten Jahres hatten bis dahin 285 der ca. 1.300 Beschäftigten (rund 22 Prozent) ihre Zustimmung zum Beitritt signalisiert. Unklar ist, wie viele Beschäftigte danach noch ihre Unterstützung zusagten, denn die zuständigen Offiziellen aus der Detroiter UAW-Zentrale hüllen sich über den Erfolg ihrer Arbeit in Alabama in Schweigen. Der Vorsitzende eines UAW-Locals in Huntsville/Alabama, wo DaimlerChrysler ein Zuliefererwerk unterhält, stellte jedenfalls fest, dass der UAW in Alabama die kalte Schulter gezeigt werde. Das Huntsville-Werk, rund 140 Meilen nördlich des Mercedes-Werkes gelegen, gehörte ursprünglich der Chrysler-Corporation. Und auch der Vorsitzende eines Locals der United Steelworkers of America, das für die Organisierung der Beschäftigten eines Reifen-Herstellers in Tuscaloosa/Alabama ganz in der Nähe von Vance zuständig ist, kommentierte lakonisch: "Es ist ein bisschen schwierig, Jungs zu organisieren, die jeden Morgen mit dem Benz zur Arbeit fahren."

Die UAW jedenfalls arbeitet hart daran, ihr Image gegenüber gewerkschaftsskeptischen Beschäftigten in den "Right-to-work-Staaten" zu verbessern, z.B. durch verstärktes Marketing. Hatte sie ihre ‘Performance’ in Vance zunächst mit zwei riesigen Reklametafeln an der Autobahn gestartet, auf denen UAW-Chef Yokich abgebildet war und eine gebührenfreie Telefonnummer mit dem Spruch "2-Get-UAW" warb, schlug sie in der bald ausgewechselten Reklame deutlich sanftere Töne an: ein Farbfoto mit zwei kleinen Kindern auf dem Weg zur Kinderbetreuung im Huntsville-Werk, begleitet von dem Spruch "UAW/DaimlerChrysler – gemeinsam für ein besseres Alabama".

Die Gewerkschaft übte sich außerdem in einer persönlicheren ‘Ansprache’ ihrer potentiellen Mitglieder. So berichtete Smith, der sich ebenso wie Earnest in einer gewerkschaftlichen Liste, die in Opposition zur UAW steht, engagiert, dass UAW-Organizer ihn zu einem Flug nach Detroit eingeladen hätten, um dort gemeinsam mit deren Top-Leuten zu diskutieren – auch über mögliche Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit. Smith lehnte ab.

Nach Ansicht der Oppositions-Gewerkschafter zerstört ein Kontrakt mit der UAW die guten Arbeitsbeziehungen im Werk und wirkt sich insbesondere negativ auf Vergünstigungen aus, die das Management bislang gewährt. "Es ist beinahe wie das ‘good-ol’-boy’-System, das sich in den Entscheidungswegen und Vergünstigungsformen ausdrückt", meinte ein Beschäftigter, der mit der UAW sympathisiert, seinen Namen aber nicht veröffentlicht sehen wollte. Eine faire und berechenbare Unternehmenspolitik – so dagegen die UAW– sei ein wesentlicher Vorteil, den die Beschäftigten aus ihrem Beitritt ziehen könnten. Des Weiteren nennt sie als langfristige Strategie die Notwendigkeit einer Verbesserung der Produktqualität der Beschäftigungssicherung und eine gewisse Mitsprache bei der Festsetzung von Produktionsstandards, die dem Schutz von Gesundheit und Familienleben dienten.

Ganz offensichtlich nicht mehr geneigt, Beschäftigte vor den Kopf zu stoßen, die mit den Löhnen, die sie von DaimlerChrysler und der Alabama-Niederlassung von Mercedes Benz U.S. International erhalten, offensichtlich mehr als zufrieden sind, kritisiert die Gewerkschaft das Management nur noch selten: "Wir schätzen unser Unternehmen, respektieren DaimlerChrysler und Mercedes Benz International, und wir streben eine ehrliche Partnerschaft mit der Company an", wird in einem Flugblatt der UAW betont.

 

Perfect World?

Einen Punkt aber gibt es, an dem es Ärger mit den Gewerkschaften geben könnte: Die UAW glaubt, dass das Management entgegen getroffenen Absprachen die gewerkschaftliche Organisierungskampagne unterläuft – durch Unterstützung der Oppositionsgruppe um Smith und Earnest. "In Wahrheit ist das Management zu feige, zur Frage der gewerkschaftlichen Organisierung eine offene Debatte zu führen, und schickt Beschäftigte vor, die die UAW kritisieren, während es selbst sich vordergründig in Neutralität übt", so ein weiteres Flugblatt der Organisation.

Aus dem engeren Kreis der UAW-Offiziellen verlautete darüber hinaus, dass ihre Verärgerung vor allem daraus resultiere, dass es interne Absprachen mit dem Management gegeben habe, nach denen der – faktisch durchgeführte – formlose Zustimmungstest für die gewerkschaftliche Organisierung des Werkes ausreichend gewesen wäre. Nun aber beharre das Management darauf, offizielle Anerkennungswahlen durchzuführen. Wie dem auch sei, das Management verlangt nun in der Tat eine förmliche Wahl. Yokich habe jedoch, so die engeren Vertrauten um die UAW-Führung weiter, immerhin auf einem Treffen der Unternehmensvertreter in Stuttgart im Dezember vergangenen Jahres seine Verärgerung zum Ausdruck gebracht und wolle dies, sofern notwendig, auch weiter-hin tun.

Unterdessen bekräftigt das Management seine "Neutralität" – und für das Gegenteil konnten bisher noch keine Beweise präsentiert werden. Die Klage eines Beschäftigten vor dem National Labor Relations Board (NLRB), der die Tatsache, dass ihm gekündigt worden war, auf sein gewerkschaftliches Engagement für die UAW zurückführte, wurde jedenfalls vom NLRB abgewiesen.

Doch selbst wenn es nicht die Werksleitung wäre, die ihr das Leben schwer macht, so bereitet die lokale Geschäftswelt in Vance der UAW noch genügend Sorgen. Insbesondere die Economic Development Partnership of Alabama, eine privat organisierte landesweite Organisation, unterstützt Unternehmen bei der Verhinderung gewerkschaftlicher Organisierung und betrieblicher Mobilisierung und gründete dazu eine "Right to work-Stiftung". Diese Gruppe schaltet sich mittlerweile offen in die Auseinandersetzungen im Mercedes-Werk ein – mit der Begründung, es gebe aufgrund der Neutralität des Managements niemanden mehr, der noch die Belange der Beschäftigten gegenüber der UAW vertrete. Jay Cole, ein eigens angeheuerter Berater mit Erfahrungen in der Unterbindung gewerkschaftlicher Organisierungskampagnen in den Südstaaten, soll die Interessen der Stiftung auch im Werk vertreten. Coles Strategie besteht darin, die gewerkschaftliche Opposition gegen die UAW, die sich den Namen "Informationskomitee der Team-Mitglieder" gegeben hat, zu stärken. Seine Rechnungen zahlt die Oppositionsgruppe, die wiederum Geld von der Stiftung bzw. der lokalen Geschäftswelt erhält.

Ein Teil von Coles ‘Beratertätigkeit’ besteht darin, für die mediale Verbreitung einer Anti-UAW-Kampagne zu sorgen. So wurde im Rahmen wöchentlicher Veranstaltungen und in Zeitungen davor gewarnt, dass die gewerkschaftliche Organisierung des Betriebs durch die UAW u.a. dazu führe, dass frei werdende Stellen im Werk ausschließlich UAW-Mitgliedern von irgendwo her angeboten würden, statt denen, die in Vance auf Beschäftigungssuche seien. Die Reaktion der UAW auf diese Vorwürfe war ambivalent: Zwar könne man Mercedes-Beschäftigten in Vance nicht kündigen, nur weil DaimlerChrysler irgendwo im Land die Arbeitsplätze von UAW-Mitgliedern abbaue, doch sei es richtig, dass die entlassenen Autoworker gewisse Vorrechte gegenüber nicht organisierten Arbeitslosen besäßen.

Wie auch immer sich dieser Konflikt löst: Die Oppositionsgruppe ist nun ebenfalls dazu übergegangen, ihre Botschaft auf einem riesigen Plakat zu präsentieren, das nicht unweit dem der UAW die Autobahn ziert: "No UAW – Save our Jobs for Alabamians" – so die Parole.

Und schließlich bereiten der UAW auch Rechtsstreitigkeiten im Umfeld des Mercedes-Werkes in Vance Sorgen. So ist vor dem NLRB seit dem Juni letzten Jahres ein Fall anhängig, in dem es um Kündigungsdrohungen gegenüber einer Arbeiterin ging, die bei einem Mercedes-Zulieferer tätig war. Ihr Chef hatte ihr angekündigt, sie zu entlassen, weil sie an einer Organisierungskampagne in seinem Werk maßgeblich beteiligt war. Er selbst ist nun allerdings gar nicht in den Rechtsstreit verwickelt, da er und ‘seine’ Beschäftigte für zwei verschiedene Firmen arbeiten: Sie war ihm als Kontraktarbeiterin von einer Leiharbeits-Firma vermittelt worden.

Ähnliche Fälle aus einem weiteren Zulieferwerk (ZF Industries Inc.), in dem Achsen für Mercedes in Vance hergestellt werden und in dem die UAW noch 1999 eine Anerkennungswahl verloren hatte, sind ebenfalls anhängig.

 

(Quelle: Jeff Ball, Wall Street Journal, 31.1.2000, weitere Infos unter: jeffrey.ball@wsj.com)
Übersetzung: Kirsten Huckenbeck

Erschienen in: "express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit" Heft 2/2000

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