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Broschüre der hbv erschienen

Neue Arbeitskampf- und Aktionsformen

Die auf Grundlage der hbv-Gewerkschaftstage 1992 und 1998 eingerichtete Arbeitsgruppe "neue gewerkschaftliche Arbeitskampf- und Aktionsformen" hat ihre Ergebnisse unlängst in Form einer Broschüre vorgelegt. Die Arbeitsgruppe hatte das Ziel, neue gewerkschaftliche Arbeits- und Aktionsformen sowie Möglichkeiten und Mittel der Auseinandersetzung mit den Unternehmen des Einzelhandels zu entwickeln. Auch für andere Branchen dürften sich jedoch wertvolle Anregungen finden lassen. Wir dokumentieren die Broschüre in Auszügen.*

 

"Die Arbeitsgruppe hat aus arbeitsökonomischen Gesichtspunkten die recht umfassende Aufgabenstellung eingegrenzt, auf Arbeitsschwerpunkte zugespitzt und sich im Wesentlichen auf drei Handlungsfelder konzentriert. (...)

Die drei Handlungsfelder sind:

1. Boykott und ähnliche Aktionsformen
2. Aktions- und Handlungsmöglichkeiten von Belegschaften und Betriebsräten zur Vorbereitung und Begleitung betrieblicher und tariflichen Auseinandersetzungen
3. Gezielte Öffentlichkeitsarbeit zur Begleitung gewerkschaftlicher Tarifrunden und Aktionen.
Weitere in der Arbeitsgruppe diskutierte Handlungsmöglichkeiten sind im Sinne einer Beispielsammlung aufgelistet, aber nicht weiter ausgeführt und kommentiert worden. (...)

Die Entscheidung, welche Strategie und welche Aktions- und Kampfmittel zur Durchsetzung gewerkschaftlicher Ziele und Forderungen erfolgversprechend und sinnvoll sind, ist immer von der konkreten Konfliktsituation, den jeweiligen Umständen, den gewerkschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Umfeldbedingungen abhängig und natürlich vom Wollen der Handelnden selber. Ob eher traditionelle Arbeitskampfmittel zum Einsatz kommen, ob die Handelnden auf die Ausschöpfung rechtlicher Möglichkeiten setzen, rechtliche Möglichkeiten phantasievoll und aktionsbezogen eingesetzt werden und damit ebenfalls ein Druckpotential aufgebaut wird, oder ob neuere Formen auch unter Einbeziehung der Öffentlichkeit eher geeignet sind, Ziele und Forderungen durchzusetzen, ist nicht nach einem festen Schema zu beantworten.

Oftmals gibt es Übergänge zwischen Aktivitäten unterhalb der Arbeitskampfschwelle und Arbeitskampfmaßnahmen.

Unter bestimmten Bedingungen können bestimmte Aktionen, die keine Arbeitskampfmaßnahmen sind, eine höhere Wirkung haben als Streiks. Bei einer solchen Aktion mitzumachen, kann für Beschäftigte leichter sein, als die Arbeit nieder zu legen. Die Beteiligung an einer Boykottmaßnahme gegen ein Produkt oder ein Unternehmen kann für dort Beschäftigte u.U. aber auch eine größere Herausforderung sein als die Beteiligung an einem Warnstreik.

Die wirtschaftlichen Folgen eines Boykotts können für ein Unternehmen weitaus größer sein als ein längerer Streik. Ein Boykott kann umgekehrt aber auch wenig sinnvoll sein, wenn der Anlaß und die Ziele in der Öffentlichkeit nicht vermittelbar sind oder die Forderung über den Betroffenenkreis hinaus keine Solidarität auslöst.

Bei der Entscheidung, wie und mit welchem Ziel wir einen Konflikt aufgreifen, ist daher eine sorgfältige Planungs- und Vorbereitungsphase notwendig – dies gilt gleichermaßen für die Vorbereitung von Arbeitskampfmaßnahmen, von betrieblichen Aktionen, die die gemeinschaftliche Wahrnehmung individueller Rechte zum Inhalt haben, wie erst Recht von Boykottmaßnahmen, die sich im Lichte der Öffentlichkeit abspielen. (...)

Aktions- und Handlungsmöglichkeiten von Belegschaften und Betriebsräten zur Vorbereitung und Begleitung betrieblicher und tariflicher Auseinandersetzungen:

Die nachfolgend beschriebenen Aktions- und Handlungsmöglichkeiten sind ausdrücklich keine Arbeitskampfformen. Es handelt sich um Aktivitäten, die entweder Bestandteil des klassischen Handlungsrepertoires des betriebsrätlichen Alltags sind, bzw. sie knüpfen an Regelungen an, die Beschäftigte in den Betrieben mehr oder weniger zwingend zu beachten haben bzw. es handelt sich um individuelle Beratungs- und Beschwerderechte.

Im Umfeld von größeren betrieblichen Konfliktsituationen, sei es bei Betriebsumwandlungen oder Betriebsschließungen, bei Auslagerungsvorhaben, sei es im Zusammenhang mit Tarifauseinandersetzungen, kann der strategische Einsatz dieser Aktionsformen jedoch eine andere Qualität als in der betrieblichen Alltäglichkeit gewinnen.

Aktionsform kann ein(e):

Folge kann sein, dass bei erfolgreicher Praktizierung Wirkungen erzielt werden, wie sie auch durch einen Warnstreik oder einen Streik bzw. eine Urabstimmung erzielt würden.

In bestimmten Situationen kann die Wirkung dieser "Nicht-Arbeitskampfformen" sogar höher sein als die von Arbeitskampfmaßnahmen selbst.

Im Charakter dieser Aktionsformen liegt jedoch ein Ziel-Mittel-Konflikt, und es gibt ein Problem beim Zusammenhang Aktion der Belegschaft-Reaktion der Arbeitgeberseite. Da die Anknüpfungspunkte "Rechte des BR" (z.B. bei Betriebsversammlungen), "individuelle Rechte" (z.B. Beschwerderecht) bzw. "Schutzvorschriften" festgelegte Regelungen sind, sind in erster Linie natürlich auch diese Regelungen beachtlich. Deren Inanspruchnahme sollte in der Regel auch einer rechtlichen Überprüfung standhalten können – soweit man dies im Vorfeld beurteilen kann. Denn die Wahrnehmung zumindest von individuellen Rechten kann mit der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers kollidieren. Eine endgültige arbeitsrechtliche Sicherheit für eine einzelne Aktivität gibt es daher nicht.

Die gemeinschaftliche Wahrnehmung von individuellen Rechten verstärkt die Wirkung dieser Aktivität erheblich und hebt sie von der individuellen Ebene auf eine kollektive Ebene mit der beabsichtigten Wirkung der Beeinträchtigung reibungsloser betrieblicher Abläufe. (...)

Gegenüber einer Arbeitskampfsituation gibt es jedoch wesentliche Unterschiede. Bei Arbeitskampfaktionen ist der/die Einzelne durch die gemeinsame Streikaktion und zusätzlich auch rechtlich geschützt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Streik handelt. Dies kann sich bei den o.g. Aktivitäten anders darstellen.

Wenn der Arbeitgeber dem kollektiven Druck, der durch die Ausnutzung individueller Rechte entstanden ist, nicht auf der kollektiven Ebene begegnet, sondern den Gegendruck auf einzelne Beschäftigte lenkt, da Grundlage der Aktivität ja auch individuelle Rechte sind, können daraus für die/den Einzelnen erhebliche Probleme entstehen.

Hier kann sich der Einzelne dann nicht auf eine kollektive Grundlage und auf gemeinsam gefasste gewerkschaftliche Beschlüsse zurückziehen, sondern muss seine Teilnahme individuell begründen. Dies erfordert daher ein erhebliches Maß an Standhaftigkeit und Selbstbewusstsein. Dies muss den Beteiligten bei der Vorbereitung klar sein.

Der Ziel-Mittel-Konflikt liegt darin begründet, dass das unmittelbare Ziel, für das die Mittel und Aktivitäten eingesetzt werden, nicht identisch ist mit der darüber liegenden Zielsetzung, nämlich weitergehenden Druck auf die Arbeitgeberseite auszuüben.

Wenn die Arbeitgeberseite den unmittelbaren Intentionen nachkäme, wäre die Luft aus der Aktion raus. Die Aktion lebt also wesentlich davon, dass der Arbeitgeber sich quer legt.

Ausgangsüberlegung

Betriebsabläufe funktionieren häufig nur, weil sich neben der formellen Organisation mit Hierarchien, Anweisungen und Zuständigkeiten eine informelle Organisation herausgebildet hat. Die Beschäftigten einer Filiale, einer Abteilung, eines Betriebes arbeiten so zusammen, dass sie den Anforderungen der Arbeitsabläufe gerecht werden können; sie richten sich in der Arbeit oftmals so ein, wie sie es für notwendig und optimal halten.

In diesem Zusammenhang übererfüllen Beschäftigte ihre arbeitsvertraglichen Pflichten bzw. sie erbringen zusätzliche Leistungen und nehmen zusätzliche Aufgaben wahr, die sie nicht entgolten bekommen.

Damit gewährleisten sie gleichzeitig die Erreichung des Betriebszweckes und des Unternehmenszieles, aber auch ein Stück Arbeitskomfort für sich selbst und die unmittelbaren Kolleginnen und Kollegen.

Folge ist, dass eine Reihe von Vorschriften, die der Arbeitgeber erlassen hat, die aus gesetzlichen Anforderungen resultieren oder Schutzvorschriften darstellen, nicht oder nur modifiziert beachtet werden.

Gleichzeitig verzichten Beschäftigte auf die Wahrnehmung ihnen zustehender Rechte. Daran knüpfen diese Aktivitäten zum Teil an.

Aktionsformen und Aktivitäten[1]

Ausgangspunkt ist die Überlegung, wie und zu welchem Zeitpunkt das individuelle Beschwerderecht durch die Verknüpfung des Zeitpunktes mit der Arbeitssituation und den Arbeitszusammenhängen so genutzt werden kann, dass es zu nachhaltigen Beeinträchtigungen des Betriebsauflaufes kommen kann.

Voraussetzung ist die Klärung der Frage, wie und wann die Sprechstunden des Betriebsrates durchgeführt werden. Die Aufgabe des Betriebsrates wäre es, ein entsprechendes Angebot zu machen.

Es sollte dabei darauf geachtet werden, dass ein aktueller Anlass für entsprechende Beschwerden gegeben ist. Dies ist wichtig wegen der evtl. stattfindenden Interessensabwägung ob

a) die Beschwerde unaufschiebbar ist und
b) zu dem von den/dem Beschäftigten gewählten Zeitpunkt erfolgen muss.

Die Reihenfolge wird jedoch so gewählt, dass ein übergreifender Arbeitszusammenhang zerreißt, d.h. bestimmte arbeitsteilige Aufgaben nicht erledigt werden können bzw. immer an einer anderen Stelle eine Lücke auftritt.

Auch hier müssen die Anlässe nachvollziehbar und begründbar sein.

Beschäftigte von sog. Fremdfirmen und Propagandistinnen, die in den Betrieb integriert sind, d.h. für die der BR zuständig ist, die aber nicht unter den fachlichen Geltungsbereich des Tarifbereiches fallen, beschweren sich während des Warnstreiks/Streiks beim Betriebsrat. Sie könnten dabei auf die besonderen Belastungen und Beeinträchtigungen verweisen, denen sie aufgrund der Arbeitskampfsituation ausgesetzt sind. (Probleme bei der Einhaltung von Sicherheitsvorschriften etc.) Sie drücken damit zum einen ihre faktische Solidarität mit den Streikenden aus und durchkreuzen zum anderen u.U. das Vorhaben der Arbeitgeberseite, sie als Streikbrecher einzusetzen. Falls diese Beschäftigtengruppe im Betrieb relativ groß und für den Streikverlauf von erheblicher Bedeutung ist, könnte der BR auch von sich aus aktiv auf diese Beschäftigtengruppe zugehen.

 

Erschienen in: express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Ausgabe 5/2001

Anmerkungen

* Im Mittelpunkt der folgenden Dokumentation stehen Arbeitskampfformen "unterhalb" des Streiks. Daneben enthält die Broschüre Kapitel zum Boykott, zu Öffentlichkeitsarbeit und eine Reihe weiterer Aktionsmöglichkeiten. Das Arbeits- und Diskussionspapier der hbv Arbeitsgruppe "Neue Arbeitskampf- und Aktionsformen", Düsseldorf Januar 2001, kann bestellt werden über: ver.di – HBV, Abt. für Unternehmens- und Tarifpolitik, Kanzlerstraße 8, 40472 Düsseldorf (für Mitglieder kostenlos, bitte mit 3 DM frankierten Rückumschlag beilegen).

1) Im Original gibt es zu jeder Aktionsform noch zusätzliche Hinweise, auf was dabei besonders zu achten ist; aus Platzgründen haben wir darauf verzichtet, sie abzudrucken.


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