Ewald Wehner

Die politischen Auseinandersetzungen um ein neues Betriebsverfassungsgesetz und die Rolle der Hans-Böckler-Stiftung

1. Anlässlich der Verabschiedung des alten und der Einführung des neuen Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts bekräftigte Bundesarbeitsminister Riester seine Absichten, bis Ende dieses Jahres einen Entwurf zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes vorzulegen. Die politische Grundlage hierfür ist bereits in der Koalitionsvereinbarung der Regierungsparteien enthalten: "Die neue Bundesregierung wird die Mitbestimmung am Arbeitsplatz sowie in Betrieb und Verwaltung im Interesse der Beteiligung und Motivation der Beschäftigten stärken und an die Veränderungen in der Arbeitswelt anpassen. Vorrangig ist dazu eine grundlegende Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes ..." (1)

Der DGB-Bundesvorstand hatte bereits in seiner Sitzumg am 3. Februar 1998 einen Vorschlag des geschäftsführenden DGB-Bundesvorstandes in Form eines kompletten Gesetzentwurfs zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes von 1972 beschlossen. (2)

Der beschlossene Gesetzentwurf erhält sein besonderes Gewicht, weil die "Novellierungsvorstellungen im Rahmen eines langjährigen Diskussionsprozesses formuliert worden sind" (3), an dem die zuständigen Gremien aller Mitgliedsgewerkschaften des DGB beteiligt waren. Der gewerkschaftliche Gesetzentwurf eines neuen Betriebsverfassungsgesetzes entstand etwa zeitgleich mit den "Empfehlungen zur künftigen Gestaltung der Mitbestimmung" der von der Bertelsmann-Stiftung und der Hans-Böckler-Stiftung eingesetzten Arbeitsgruppe, die am 19.5.1998 dem Bundespräsidenten als "unser gemeinsamer Beitrag zur notwendigen Erneuerung unserer Gesellschaft" (Dieter Schulte) überreicht wurden. Im Unterschied zu den Empfehlungen der Stiftungsgruppe (4) geht der DGB-Gesetzentwurf von der Weiterentwicklung durchsetzungsfähiger justitiabler gesetzlicher Regelungen aus, die den Betriebsrat als gewähltes Organ der Arbeitnehmer in die Lage versetzen, die Arbeitnehmer vor Übergriffen des Arbeitgebers besser zu schützen und ihrer Interessenvertretung größeres Gewicht zu verleihen. Entsprechend – und nach bekanntem Strickmuster – sind die Reaktionen der Arbeitgeberverbände und der ihnen nahestehenden Arbeitsrechtler:

Einig sind sich dagegen die Arbeitgeber, indem sie für eine Stärkung der betrieblichen Ebene und der Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte in Angelegenheiten plädieren, die seither der Tarifpolitik zugeordnet sind. Denn die Betriebsräte könnten sehr viel besser als eine Gewerkschaft die wirtschaftliche Lage ihres Betriebes beurteilen und für das Unternehmen schädliche Fehler der Tarifvertragsparteien bei der Lohnfindung korrigieren. (7)

2. Wer geglaubt hat, die gewerkschaftlich nahestehende und u. a. aus abgeführten Zuwendungen gewerkschaftlicher Mitbestimmungsträger finanzierte Hans-Böckler-Stiftung würde die beginnende politische Auseinandersetzung um die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes nutzen, um den DGB Bundesvorstandsbeschluß im politischen Vorfeld zu unterstützen, sieht sich eines Schlechteren belehrt. In ihren Publikationen erhalten nahezu ausschließlich Autoren das Wort, die entweder selbst Mitglieder der Bertelsmann-Böckler-Stiftungskommision gewesen sind oder deren Empfehlungen unterstützen. (8) Nicht rechtlich gesicherte Mitbestimmungsrechte bei kollektiven und Einzelmaßnahmen des Arbeitgebers bzw. durchsetzbare Initiativrechte des Betriebsrats werden gefodert, sondern vorhandene und neu zu entwickelnde Ansätze zur betrieblichen Selbstorganisation. Bei der Bildung von Betriebssräten erwartet die Stiftungskommission nichts von einem direkten Zugriff des Gesetzgebers. Statt dessen rät sie, von den Erfahrungen der Praxis auszugehen und gesetzliche Eingriffe vor allem an dem Ziel zu orientieren, vorhandene und neu zu entwickelnde Ansätze zur Selbstorganisation zu fördern. Dabei geht esoffensichtlich weniger um funktionsfähige Betriebsräte, der Vertretung der Arbeitnehmerinteressen oder gar Betriebsdemokratie, sondern um die Schaffung von Voraussetzungen, die gewährleisten, dass durch Öffnungsklauseln durchlöcherte Tarifverträge auf der betrieblichen Ebene auch angewendet werden können: "In dem Maße, in dem flexiblere Flächentarife Regulierungsfunktionen auf die Betriebsparteien übertragen, gefährdet die geringe Verbreitung von Betriebsräten in Klein- und Mittelunternehmen auch die Reform des Tarifvertragswesens und damit die Funktionsfähigkeit des dualen Systems der industriellen Beziehungen insgesamt." (9) Mit anderen Worten: "Mitbestimmungslücken" durch betriebsratslose Betriebe sollen geschlosen werden, indem Arbeitgeber und Beschäftigte in Selbstorganisation sich auf die Bildungs eines Betriebsrates einigen, damit die im Tarifvertrag enthaltenen Öffnungsklauseln ausgefüllt werden können.

Der DGB-Entwurf fordert u. a., dass der Betriebsrat Maßnahmen beantragen kann, die der Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen dienen und diese Vorschläge dann der Mitbestimmung mit Letztentscheidung der Einigungsstelle unterliegen (§ 111a Gesetzentwurf des DGB). Dagegen empfehlen Wolfgang Streeck und Peter Hanau (beides Mitglieder der Stiftungskommission) weitgehend übereinstimend (10): "Die Berechtigung und Verpflichtung des Betriebsrats, sich für Erhaltung und Förderung der Beschäftigung einzusetzen, sollte ausdrücklich in den Katalog der allgemeinen Aufgaben des § 80 BetrVG aufgenommen werden. Hierbei wäre die Förderung von Teilzeitarbeit gesondert zu erwähnen." Die Aufnahme einer solchen Berechtigung und Verpflichtung des Betriebsrats lediglich in die "allgemeinen Aufgaben" wäre für den Betriebsrat kein durchsetzbares Mitbestimmungsrecht, würde aber den Arbeitgeber, zu dessen Organisationsgewalt auch die Einrichtung und der Wegfall von Arbeitsplätzen gerechnet wird, zusätzlich in die Lage versetzen, den Betriebsrat mit "Standortbündnissen" und "Bündnissen für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit" unter Druck zu setzen, ohne dass dieser über durchsetzungsfähige Mitbestimungsrechte verfügt. Damit wären auf der Betriebs-ebene die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen, die das Bundesarbeitsgericht im Hinblick auf die Anwendung des Tarifvertragsgesetzes mit Beschluss vom 20. April 1999 (1 ABR 72/98) ad absudum geführt hat. Hier ist der 1. Senat der Ansicht des Arbeitgebers zu Recht nicht gefolgt, bei der Ermittlung dessen, was günstiger sei, müsse auch die Beschäftigungsgarantie berücksichtigt werden. Dies sei "methodisch unmöglich", es würden gewissermaßen "Äpfel mit Birnen" verglichen. Arbeitszeit oder Abeitsentgelt einerseits und Beschäftigungsgarantie andererseits seien völlig unterschiedliche Regelungsgegenstände, mit deren Bewertung es keinen gemeinsamen Maßstab gebe. "Eine Beschäftiungsgarantie ist nicht geeignet, Verschlechterungen beim Arbeisentgelt oder bei der Arbeiszeit zu rechtfertigen." (11)

3. Gemeinsam ist den Empfehlungen der Bertelsmann-Böckler-Stiftung und den Anschlussbeiträgen in der Zeitschrift "Mitbestimmung", dass nicht das Ziel verfolgt wird, der betrieblichen Interessenvertretung gegen überlegene Arbeitgeber zu helfen, um die durch anhaltende Massenarbeitslosigkeit und neoliberale Politik vielfach ausgezehrten Einflussmöglichkeiten der Betriebsräte und sonstiger Mitbestimmungsträger durch verbesserte gesetzliche Regelungen zu kompensieren, sondern die geschwächten Positionen als Ausgangspunkt festzuschreiben und anzuerkennen. Die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden als Grundlage für die Fortentwicklung des Mitbestimmungsrechts akzeptiert. Aus Mitbestimmung wird "Mitgestaltung", die Ziele des Kapitals und der Manager werden nicht in Frage gestellt. Jedoch sollen die Arbeitnehmervertreter die Wege zum Ziel mit beeinflussen können. Folgerichtig schlägt z. B. Peter Hanau vor, die Vorschriften über den Sozialplan im Betriebsverfassungsgesetz durch Regelungen zu erweitern, die den Tarifvertragsvorrang außer Kraft setzen, wenn durch Vereinbarung die Betriebsänderung verhindert werden kann. (12) Wenn also Outsourcing durch betriebliche Kostensenkung, z. B. Lohndumping, verhindert werden kann, hätte der Betriebsrat seinen Mitgestaltungsspielraum ausgenutzt. Die entwickelten neuen Begrifflichkeiten verdrängen den gewerkschaftlichen Inhalt von Mitbestimmung und setzen an deren Stelle "Mitgestaltung" oder "Partizipation". Die Anerkennung und die Priorität der Kapitalinteressen, vermittelt über "Markt" und "Wettbewerb", wird nicht in Frage gestellt. In dieser Welt der Hans-Böckler-Stiftung bleibt deshalb kein Raum mehr für die Gleichberechtigung zwischen den "Faktoren Kapital und Arbeit". So umstritten diese Gleichstellung in den Gewerkschaften immer gewesen ist – weil es eben die "Arbeit ist, die die Werte schafft" - die Faktorentheorie war auch der Ausgangspunkt, insbesondere der von den Vertretern der katholischen Soziallehre propagierten "Partnerschaft". Die heute von der Hans-Böckler-Stiftung vertretene Mitbestimmungskonzeption führt von der umstrittenen Partnerschaft zwischen Kapital und Arbeit weg, weil die Priorität der Unternehmensentscheidung nicht in Frage gestellt und lediglich der Mitgestaltungsanspruch bei der Umsetzung reklamiert wird. Natürlich können die Apologeten eines solchen "Umgesaltungsmodells" auf betriebliche Beispiele verweisen. Und sie behaupten nichts falsches, wenn auf praktische Erfahrungen von Arbeitnehmervertretern in den letzten Jahren verwiesen wird, wenn z. B. Betriebsräte vielfach nicht in der Lage gewesen sind, Schaden von ihren Wählern abzuwenden, sondern ihn "nur" zu begrenzen.

Die Arbeitnehmer brauchen gesetzliche Regelungen und Betriebsräte, die sie wirksam gegen steigende Ausbeutung und Arbeitshetze schützen können. Sie brauchen keine Co-Manager, die ihnen als Moderatoren dies als notwendig, weil im allseitigen Interesse liegend, erklären. Die gewerkschaftlichen Antworten auf tatsäche oder vermeintliche Realitäten darf deshalb nicht Anerkenung und Anpassung sein und die Entwicklung einer Mitgestaltungskonzeption, die – wie die Empfehlung der Bertelsmann-Böckler-Stiftung – dann auch den Beifall selbst hartgesottener Arbeitgebervertreter und Mitbestimmungsgegner findet. In einem Beitrag "Mitbestimmungstrends" unter der Zwischenüberschrift "Wie kann der Gesetzgeber unterstützend wirken?" (13) wird angesichts des wirtschaftlichen Wandels geschlussfolgert: "Grundsätzlich wird es aber schwieriger, Mitbestimmung über Gesetze zu regeln. In einem mächtigen Trend verschiebt sich die Macht von der Politik hin zu Wirtschaft, zu den Unternehmen und Fonds. Globalisierung, geänderte Machtstrukturen und beständige Arbeitslosigkeit machen die Politik stärker abhängig von der Wirtschaft. Internationale Politikkooperationen zur Korrektur dieser Trends sind zur Zeit kam zu erwarten." Hier wird deutlich, dass die Übermacht des Kapitals und die veränderten politischen Verhältnisse nicht als Herausforderung betrachtet werden mit dem Ziel, Mitbestimmungspositionen zu erhalten und Forderungen zu entwickeln, um sie weiter auszubauen. Es wird nicht der Konflikt gesucht, sondern resignierend und fatalistisch die Anpassung propagiert.

Der DGB wäre gut beraten, wenn er so schnell wie möglich den beschlossenen Gesetzentwurf in der beginnenden öffentlichen Auseinandersetzung glaubwürdig und begründet einbringt. Schließlich liegen dem Entwurf – der gewiss im Detail diskussionsbedürftig ist – die jahrelangen Erfahrungen haupt- und ehrenamtlicher Gewerkschaftsfunktionäre der Mitgliedsgewerkschaften zugrunde, die der Arbeit der Betriebsräte am nächsten sind. Sie können schon im Hinblick auf ihre praktische Arbeit den in den Böckler-Publikationen erhobenen pauschalen Vorwurf gegen diejenigen, die an einer konsequenten Interessenvertretung festhalten, widerlegen, sie gehörten zu den ideologiebessenen Traditionalisten. Von Anbeginn waren Mitbestimmungsforderungen immer eine Machtfrage, die deshalb zu Recht die politische Öffentlichkeit bewegte. Wenn der DGB-Entwurf Erfolgschancen haben soll, darf er nicht im "Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit" hinter verschlossenen Türen mit anschließenden Harmonie verbreitenden Kommuniqués verkommen. Zwar ist gewerkschaftlicherseits der DGB für das Betriebsverfassungsgesetz federführend. Es bedarf aber offensichtlich der Unterstützung der Mitgliedsgewerkschaften, den erarbeiteten Gesetzentwurf in den Mittelpunkt der gewerkschaftlichen Forderungen zu stellen. Eine geschickte Regie hat seinerseits dazu geführt, dass an den Ergebnissen der Bertelsmann-Böckler-Stiftungskommission der DGB-Vorsitzende und Spitzenfunktionäre der Mitgliedsgewerkschaften als "Experten" beteiligt waren. Ihr dortiges Votum darf nicht die Position der DGB-Gewerkschaften schwächen, den vom DGB-Bundesvorstand beschlossenen Entwurf verwässern oder gar ad absurdum führen.

Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Sozialismus 9/1999. Wir danken der Redaktion für die Vorabdruckgenehmigung!

Anmerkungen:

1. Sozialismus Nr. 1/99, S. 46 ff.
2. Siehe Fußnote 1
3. Vorwort zu den Novellierungsvorschlägen der stellv. DGB-Vorsitzenden Ursula Engelen-Kefer
4. Sozialismus Nr. 10/98
5. Wirtschaftswoche 10.12.1998
6. Handelsblatt 10.3.1999
7. Handelsblatt 22.1.1999
8. Mitbestimmung Nr. 6/7, 1999
9. Zitiert nach Wolfgang Streeck, Mitbestimmung 6/7, 1999
10. Mitbestimmung 6/7, 1999
11. FAZ vom 23.7.1999
12. Mitbestimmung 6/7, 1999, S. 25
13. Mitbestimmung 6/7, 1999, S. 37