Wenn dich deine Gegner loben, dann hast du etwas falsch gemacht – so brachte es vor vielen Jahrzehnten der Vorsitzende der SPD, August Bebel, auf den Punkt. Nun könnte leicht gesagt werden, der sei bald achtzig Jahre tot und deshalb kein guter Ratgeber mehr. Was aber wäre, wenn die betriebliche und politische Praxis die Warnung des großen alten Sozialdemokraten auch heute noch bestätigen würde? Jetzt müßten eigentlich die Betriebsräte das Wort erhalten, doch an dieser Stelle soll die Äußerung des Präsidenten des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Werner Stumpfe, wiedergegeben werden. Gefragt nach seinen "Wünschen an den DGB zum Fünfzigsten", meinte er, dieser benötige "für die nächsten 50 Jahre beides – die Weisheit einer gestandenen Organisation und die Dynamik einer lebendigen Institution" (Einblick Nr. 17/27.9.99).
Wer möchte sich diesen "Wünschen" der Spitze des größten deutschen Unternehmerverbandes nicht spontan anschließen?! Fragt sich bloß: Was meint der Arbeitgeberpräsident eigentlich? Die "Weisheit" der internationalen wie deutschen Gewerkschaftsbewegung müßte dem DGB-Vorsitzenden Dieter Schulte eigentlich sagen, daß es nicht nur den Gewerkschaften, sondern auch den abhängig Beschäftigten insgesamt schadet, wenn er ihnen unbegründete Hoffnungen macht, ein gemeinsames Bündnis für Arbeit mit Unternehmern könne mehr und sichere Arbeitsplätze bringen. Das weiß auch Werner Stumpfe, denn er gehört zu jener Kategorie von Arbeitgebern, die bisher keine Chance verstreichen ließen, die tariflichen Rechte und Leistungen der abhängig Beschäftigten zu beschneiden. Wenn dieser also von "Weisheit einer gestandenen Organisation" spricht, mag er wohl nicht an die Erfahrung der Gewerkschaften als Gegenmacht erinnern, sondern dem DGB "Honig ums Maul schmieren" und an dessen manchmal nicht klare Abgrenzung von den Zielen der Unternehmer appellieren wollen.
Insofern zeigt der "Wunsch" Werner Stumpfes schon sein tatsächliches Ziel: die Einbindung der Gewerkschaften in die Wettbewerbs- und Profitlogik der Arbeitgeber. Den DGB auf diese "Schleimspur" einzuschwören, ist für die Unternehmer offenbar auch ein Zeichen lobenswerter "Dynamik einer lebendigen Institution". Wenn sich die DGB-Gewerkschaften darauf einließen, dann bliebe das bisher erkämpfte Niveau der Arbeits- und Lebensbedingungen der abhängig Beschäftigten auf der Strecke. Deshalb ist der Ausstieg aus diesem unsäglichen "Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit", was sich weniger den Bedürfnissen der Arbeitenden und Auszubildenden als denen der unternehmerischen Wettbewerber widmet, längst überfällig. Bei diesen Schritt kommt es nicht darauf an, welchen "Knackpunkt" die DGB-Gewerkschaften als Auslöser nehmen, um diesen für die Arbeitnehmer unproduktiven Gesprächskreis zu verlassen: ob die richtige und wichtige Forderung der IG Metall nach einer "Rente mit 60" ist oder die Wiedereinführung der Vermögenssteuer – die Begründung spielt keine große Rolle. Hauptsache, die Gewerkschaften verlassen endlich das politisch tote "Bündnis" und konzentrieren sich auf ihre dringendste Gegenwartsaufgabe: die Schaffung eines breiten Bündnisses von unten zur Verteidigung des Tarifsystems, der sozialen und Arbeitsrechte. Hierbei sind in der Tat die "Weisheit" und die "Dynamik" einer gestandenen Organisation gefragt.
Quelle: IMPULS - Informationen für Aktive
Nr. 61 vom 1. Oktober 1999
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