Home > Diskussion > Geschichte: Zwangsarbeit > Entschädigungszahlungen > schadlos
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Schadlos gehalten

Die deutsche Abwehr von Entschädigungsansprüchen ehemaliger NS-ZwangsarbeiterInnen

Endlich Rechtsfrieden! Mit Erleichterung werden viele deutsche Wirtschaftsmanager den Jahreswechsel 2006/2007 begangen haben. Denn am 31. Dezember 2006 wurden sämtliche Entschädigungsansprüche von ehemaligen NS-ZwangsarbeiterInnen juristisch zum Erlöschen gebracht. Zu einer umfassenden Entschädigung aller AntragstellerInnen ist es dabei aufgrund des geschickt gestalteten Regelwerks der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" nicht gekommen. Die Abwicklung der Stiftung gibt Anlass für einen Rückblick auf die jahrzehntelangen Bemühungen der deutschen Politik und vor allem der Justiz, Entschädigungszahlungen an ehemalige ZwangsarbeiterInnen gänzlich zu verhindern.

Deren Ausbeutung vollzog sich keineswegs nur hinter den Stacheldrahtzäunen der Konzentrationslager; sie war vielmehr im Alltag der Deutschen präsent wie kaum ein anderes Verbrechen des Nationalsozialismus. So waren in Berlin bei einer Einwohnerzahl von 2,8 Mio. etwa 400.000 ZwangsarbeiterInnen im Einsatz. Spätestens nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion gehörte die Versklavung der zeitweilig insgesamt acht Millionen ZwangsarbeiterInnen zum Alltag.

Zur Gruppe der ZwangsarbeiterInnen gehörten zum einen etwa sechs Millionen ausländische Zivilarbeiter/innen ("Fremdarbeiter"), die im Rahmen des "Ausländereinsatzes" zur Arbeit nach Deutschland verschleppt und hier industriellen und landwirtschaftlichen Betrieben sowie Privathaushalten zugeteilt wurden. Die Hälfte von ihnen wurde aus Polen und Russland verschleppt ("Ostarbeiter"). Zum anderen wurden auch KZ-Häftlinge von Gestapo und SS zur staatlichen Rüstungsproduktion gezwungen sowie an Privatpersonen und Betriebe vermietet, etwa an das IG-Farben-Werk Buna. Abgerechnet wurde nach Arbeitsstunden. So zahlte beispielsweise die Deutsche Bank für die Beseitigung von Bombentrümmern von ihrer Leipziger Filiale im August 1944 eine Summe von 4.000 Reichsmark "für 6.650 Arbeitsstunden" an die Gestapo.

Bei den Nürnberger Prozessen 1946/47 bildete die "Politik der Zwangsarbeit" einen der zentralen Punkte der Anklage gegen Verantwortliche des NS-Regimes. Das Gericht verglich diese Politik mit den "schwärzesten Zeiten des Sklavenhandels". In der deutschen Gesellschaft machte sich dagegen schnell Schweigen breit. Im Rahmen der ohnehin nur zaghaften Auseinandersetzung der deutschen Öffentlichkeit mit dem Nationalsozialismus spielten gerade die Verbrechen an den ZwangsarbeiterInnen, die für die Deutschen so allgegenwärtig und sichtbar gewesen waren, kaum eine Rolle. Allein einige ostdeutsche Historiker schenkten dem Thema etwas akademische Aufmerksamkeit auf ihrer steten Suche nach Beweisen für die These, dass der Faschismus eine Folge des Kapitalismus sei.

"Nationalgeschädigte" sind keine NS-Verfolgten

Als der Bundestag 1956 das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) erließ, blieben die ZwangsarbeiterInnen unberücksichtigt. Das Gesetz erfasste nur Schäden, die im früheren Reichsgebiet entstanden waren an Personen, die zum Stichtag, dem 1. Oktober 1953, ihren Wohnsitz in Deutschland hatten. Das Gesetz beschränkte sich auf die Entschädigung von so genanntem "spezifischem NS-Unrecht", wie es in seinem § 1 definiert wurde: Schäden, die "aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen" erlitten wurden.

Im Hinblick auf ZwangsarbeiterInnen erkannte die deutsche Justiz in dieser Definition sofort ein Schlupfloch: Die Millionen von Menschen, die aus Osteuropa und Russland zur Zwangsarbeit ins "Reich" deportiert worden waren, seien nicht aus "rassischen" Gründen zur Zwangsarbeit verpflichtet worden, sondern "nur" als Angehörige einer Nation, wie etwa Polen. Also seien sie nach der Definition des BEG keine NS-Verfolgte, sondern "Nationalgeschädigte".

Sie wurden vom Gesetzgeber erst später im BEG-Schlussgesetz berücksichtigt, allerdings auch hier nur unter der Voraussetzung, dass sie am 1. Oktober 1953 staatenlos oder Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention gewesen waren. Schon diese Voraussetzung erfüllten die wenigsten der ehemaligen ZwangsarbeiterInnen. Zur zusätzlichen Einschränkung forderte die deutsche Rechtsprechung noch, dass der "wesentliche Grund" für die Zwangsarbeit in der Nationalität des Opfers gelegen haben müsse - dies sollte nach Ansicht der Gerichte nicht der Fall sein, wenn etwa der Mangel an Arbeitskräften im Vordergrund gestanden habe, was für die Kriegszeit kaum zu widerlegen war.

Durch diese Interpretationsleistungen fielen ausländische ZwangsarbeiterInnen beinahe sämtlich aus dem Anwendungsbereich des BEG heraus. Da das Gesetz laut seinem § 8 für die geregelten Tatbestände eine abschließende Regelung darstellte, waren damit alle anderen Ansprüche gegen die öffentliche Hand ab diesem Zeitpunkt gesperrt.

Verjährungsfristen wie im normalen "Wirtschaftsleben"

Den überlebenden ZwangsarbeiterInnen blieb formal immerhin noch die Möglichkeit, gegen Privatpersonen und Firmen zu klagen. So versuchten dann auch Einzelne, vor Gericht Ansprüche auf Entlohnung und Schmerzensgeld gegen die beteiligten Unternehmen durchzusetzen. Abgesehen von dem spektakulären "Wollheim-Prozess", bei dem ein ehemaliger Zwangsarbeiter gegen die IG Farben klagte und schließlich einen Vergleich erreichte, wiesen die Gerichte diese Ansprüche jedoch schon bald als verjährt ab.

Der Bundesgerichtshof (BGH) fand hierfür eine besonders originelle Begründung: Das Gericht stellte für Lohn- und Bereicherungsansprüche auf die kurze Verjährungsfrist des § 196 Absatz 1 Nummer 9 des Bürgerlichen Gesetzbuches ab - eine Gesetzesvorschrift, die eigentlich für Geschäfte des täglichen Lebens gedacht ist. Der BGH argumentierte, es sei unbeachtlich, ob es sich im Einzelfall um ein "solches Geschäft des täglichen Lebens von unbedeutendem Umfange handelt. (...) Jede (...) Auslegung, die auf die Sonderumstände des Falls abstellt, würde zu weitgehender Rechtsunsicherheit führen, die im Wirtschaftsleben kaum erträglich wäre." Zusätzlich verwies der BGH auf angebliche Beweisprobleme in der jungen Bundesrepublik. Das Erinnerungsvermögen der ZeugInnen, die die Zwangsarbeit vor Gericht bestätigen müssten, sei, so das Gericht im Jahr 1967, "nach so langer Zeit stark beeinträchtigt."

Der BGH spielte auch bei der Umsetzung des Londoner Schuldenabkommens, das die Bundesrepublik im Jahr 1953 mit 21 Staaten schloss, eine bemerkenswerte Rolle. Das Abkommen stellte ein weites Entgegenkommen vieler kriegsgeschädigter Staaten gegenüber der Bundesrepublik dar: Es sah einen Schuldennachlass für die Bundesrepublik vor und stellte die Frage der Reparationen bis zum Abschluss eines förmlichen Friedensvertrages zurück.

Der BGH interpretierte dieses Schuldenmoratorium nicht nur als vorläufigen einseitigen Verzicht der Alliierten, ihre Forderungen durchzusetzen, sondern als regelrechtes Zahlungsverbot. Als deutlich wurde, dass ausländische Opfer deswegen keinerlei Entschädigung mehr erhalten sollten, intervenierten die westeuropäischen Staaten jedoch massiv und erreichten elf so genannte "Globalabkommen" zwischen der Bundesrepublik und verschiedenen europäischen Staaten, die ein Gesamtvolumen von 876 Mio. DM umfassten. Die Bundesrepublik betonte, dass dieses Geld ohne Rechtspflicht gezahlt werde und nur für die Opfer von "spezifischem NS-Unrecht" gedacht sei - also ausdrücklich nicht für die große Zahl von ZwangsarbeiterInnen. Die Verteilung des Geldes oblag jedoch den Staaten selbst, so dass im Ausland lebende ehemalige ZwangsarbeiterInnen auf diesem indirekten Wege erstmals Entschädigungszahlungen erhalten konnten.

Als völkerrechtliches Abkommen zwischen Staaten gewährte das Londoner Schuldenabkommen lediglich für Ansprüche gegen den deutschen Staat ein Schuldenmoratorium. Dessen ungeachtet wandte der BGH jedoch das Schuldenmoratorium auch auf Forderungen gegen Unternehmen der deutschen Privatwirtschaft an. Entgegen der geschichtlichen Tatsache, dass die Unternehmen die ZwangsarbeiterInnen selbst angefordert und auf deren Lebensverhältnisse wesentlichen Einfluss gehabt hatten, behauptete das oberste deutsche Gericht in Zivilsachen 1963, dass Unternehmen wie die IG Farben "im Auftrage des Reiches" gehandelt und keinerlei Entscheidungsfreiheit gegenüber den Anordnungen des Deutschen Reiches gehabt hätten.

Eine ähnlich beeindruckende juristische Argumentationsleistung zeigte im Jahr 1961 das Bundesfinanzministerium, das dem BGH mit einem weiteren Argument gegen die Entschädigung von ZwangsarbeiterInnen zur Seite sprang. Das Londoner Schuldenabkommen sollte laut Präambel "einen Beitrag zur Entwicklung einer blühenden Völkergemeinschaft ... leisten", indem Deutschlands begrenzte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit berücksichtigt und dadurch eine gute wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht wurde. Würde man nun die Forderungen der ZwangsarbeiterInnen gelten lassen, so würden die Unternehmen vermutlich so stark belastet, dass ein Steuerausfall entstünde und so der deutsche Staat, mithin die "blühende Völkergemeinschaft" geschädigt würde.

Als 1990 der so genannte Zwei-plus-Vier-Vertrag zwischen den vier alliierten Mächten und den zwei deutschen Staaten unterzeichnet wurde, änderte sich die Situation. Der Vertrag galt als Friedensvertrag, so dass das Schuldenmoratorium nun wegfiel. Damit öffnete sich die Tür für individuelle Ansprüche ausländischer ZwangsarbeiterInnen, die der BGH durch seine Interpretation des Londoner Schuldenabkommens 37 Jahre lang verschlossen gehalten hatte.

Entschädigungen belasten die "Völkergemeinschaft"

Für kollektive Lösungen, die den wenigen noch überlebenden Opfern in Osteuropa den Klageweg in Deutschland erspart hätten, blieb die Tür jedoch auch weiterhin fest verschlossen. Als der damalige polnische Ministerpräsident Mazowiecki die Entschädigung polnischer ZwangsarbeiterInnen zur Sprache brachte, blockte sein deutscher Widerpart Helmut Kohl schnell ab: "Zu bedenken sei", so wird der damalige Bundeskanzler in einem Wortprotokoll zitiert, "dass die Bundesrepublik bis Ende des Jahres rund 100 Milliarden Mark an Wiedergutmachungszahlungen geleistet haben werde." Unerwähnt blieb, dass hiervon 80 Mrd. DM nach dem BEG gezahlt worden und somit allein ins Inland geflossen waren. Ausländische ZwangsarbeiterInnen hatten von den verbleibenden 20 Mrd. DM allenfalls auf indirektem Wege über die "Globalabkommen" einen geringen Anteil erhalten. Die Globalabkommen summierten sich auf weniger als eine Mrd. DM - und osteuropäische Staaten waren hiervon gänzlich ausgeschlossen gewesen.

In der Folge gab es in den 1990er Jahren mehrere individuell geführte Prozesse ehemaliger ZwangsarbeiterInnen vor deutschen Gerichten, sowohl gegen Unternehmen als auch gegen die Bundesrepublik. Bereits mit der rechtlichen Vorfrage, ob in diesem Falle das Völkerrecht nicht individuellen Entschädigungsklagen entgegenstehen würde, mussten die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen sich jedoch bis zum Bundesverfassungsgericht durchklagen. Dieses stellte erst 1996 fest, dass zwischenstaatliche Reparationsansprüche und individuelle Entschädigungsansprüche parallel zueinander bestehen können.

Hiernach verurteilten einige deutsche Gerichte tatsächlich die öffentliche Hand und einzelne Privatunternehmen zu Schadensersatzzahlungen an Individuen. Als Entschädigungssumme setzte beispielsweise das Landgericht Bonn eine Vergütung fest, die üblicherweise für die zwangsweise geleistete Arbeit zu zahlen gewesen wäre. Im Jahr 1997 verurteilte es die Firma Weichsel Metall Union KG zur Zahlung von 15.000 DM "Lohn" an eine ehemalige polnische Zwangsarbeiterin, die in Auschwitz 55 Wochen lang in deren Rüstungsproduktion gearbeitet hatte. 5.000 DM Schmerzensgeld sprach das LG Bremen 1998 einer Klägerin zu, die von Auschwitz zur Zwangsarbeit in einen Bremer Betrieb verschleppt worden war und dort zehn Monate lang unter "haftähnlichen Bedingungen" gearbeitet hatte.

Für ehemalige ZwangsarbeiterInnen, die vom Ausland aus vor deutschen Gerichten klagen wollten, bedeutete das einen hohen Aufwand. Demgegenüber bot das US-amerikanische Prozessrecht mit der Sammelklage ("class action") eine entscheidende Erleichterung. Nach diesem Rechtsinstitut können einzelne Geschädigte abschließend für eine ganze Gruppe klagen, ohne dass jedes einzelne Mitglied der Gruppe vorher seine Zustimmung geben muss. Dennoch profitieren alle Mitglieder der Gruppe von einem einzelnen Urteil, sofern sie nicht vorher ihre Bindung an den Verfahrensausgang durch Nachricht an das Gericht ausgeschlossen haben.

Zwar waren Klagen ehemaliger NS-ZwangsarbeiterInnen gegen die Bundesrepublik aufgrund der völkerrechtlichen Staatenimmunität nicht zulässig, Klagen gegen Unternehmen der deutschen Privatwirtschaft waren aber vor US-amerikanischen Gerichten durchaus möglich. Hierfür genügt nach US-Recht die Geschäftstätigkeit der beklagten Unternehmen im Bezirk des angerufenen Gerichts. Anfang September 1998 erhoben ehemalige europäische ZwangsarbeiterInnen vor Gerichten in New York und New Jersey Klage gegen Siemens, Krupp, Diehl, Henkel, BMW, Daimler-Benz, VW, Audi, Leica, Degussa und MAN.

Plötzlich standen deutsche Unternehmen damit in einer Weise unter Druck, die ihnen die heimische Justiz in den vergangenen fünf Jahrzehnten konsequent erspart hatte. Einen möglichen Ausweg sahen sie in der "act of state doctrine", derzufolge US-amerikanische Gerichte ausländische Hoheitsakte ohne inhaltliche Nachprüfung anerkennen müssen. Falls es also gelänge, der Sammelklage durch einen deutschen Hoheitsakt zuvorzukommen, würden die US-amerikanischen Gerichte die Klage möglicherweise abweisen. Nun ging es auf einmal sehr schnell: Knapp zwei Monate nach den ersten "class actions" verkündete die Bundesregierung, sie wolle durch Hoheitsakt "gemeinsam mit deutschen Industrieunternehmen eine Stiftung schaffen, die künftig an ehemalige Zwangsarbeiter Entschädigung zahlen" solle.

Zwölf der größten deutschen Konzerne begannen eine "Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft". Es handelte sich um Allianz, BASF, Bayer, BMW, DaimlerChrysler, Deutsche Bank, Degussa-Hüls, Dresdner Bank, Thyssen-Krupp, Hoechst, Siemens und Volkswagen. Der Stiftung schlossen sich über 6.500 weitere, ebenso "traditionsreiche" deutsche Betriebe an; hinzu kamen fast 9.000 mittelständische Unternehmen, z.B. aus der Landwirtschaft.

In der Präambel der Satzung bestritten die Unternehmen jegliche Rechtsansprüche von ZwangsarbeiterInnen. Sie entdeckten nun aber "eine moralische Verantwortung insbesondere dort, wo Zwangsarbeit unter besonders erschwerten Bedingungen geleistet werden musste oder wo Unternehmen an der Diskriminierung von Menschen mitwirkten, die aus rassischen Gründen vom NS-Regime verfolgt wurden." Sie erklärten die Stiftung zu einer "Geste der Versöhnung", deren "unabdingbare Voraussetzung" allerdings sei, "dass für die Unternehmen umfassende und dauerhafte Rechtssicherheit geschaffen ist, d.h. dass sie vor gerichtlicher Inanspruchnahme geschützt sind. In diesem Sinne soll die Stiftung den Rechtsfrieden fördern."

Sammelklagen wecken das Erinnerungsvermögen

Nach mehrmonatigen Verhandlungen mit VertreterInnen der Opfer verkündete die Bundesregierung dann am 14. Dezember 1999 die Gründung eines Entschädigungsfonds für ehemalige NS-ZwangsarbeiterInnen in Höhe von zehn Mrd. DM, die von Staat und Industrie zu gleichen Teilen aufgebracht würden. Die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" wurde im August 2000 durch Bundesgesetz errichtet. Unmittelbar vorher hatte die Bundesregierung mit den USA ein Abkommen über die Stiftung geschlossen, in dem weitergehende Ansprüche gegen deutsche Unternehmen ausgeschlossen wurden.

Die Mindestbeteiligung am Fonds für einzelne Unternehmen lag bei 500.000 DM, Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 50 Mrd. DM und einer Bilanzsumme von mehr als 300 Mrd. DM hatten mit 100 Mio. DM die höchsten Beiträge zu dem Fonds zu leisten. Die Belastungen für einzelne Unternehmen lagen damit in allen Fällen zwischen 1 und 2,5 Promille des Jahresumsatzes. Die Zahlungen an die Stiftung waren zudem steuerlich absetzbar, so dass der Bund letztlich auch hiervon einen Teil übernahm.

Im Ergebnis stellte die Summe von zehn Mrd. DM weniger einen Ausdruck von übernommener "Verantwortung" dar als vor allem ein sehr gutes Geschäft für die deutsche Industrie: Ihre Gewinne aus Nicht- oder Niedrigentlohnung für Zwangsarbeit beliefen sich nach Berechnungen des Wirtschaftshistorikers Thomas Kuczynski auf geschätzte 16 Mrd. Reichsmark, was im Jahr 2000 nach dem RM-DM-Umrechnungskurs der Deutschen Bundesbank einer Summe von etwa 96 Mrd. DM entsprach. (Thomas Kuczynski in 1999 - Zeitschrift für die Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts , 2000) Auch das viel gepriesene deutsche Wirtschaftswunder basierte nicht zuletzt auf dem Umstand, dass Millionen von ZwangsarbeiterInnen nie eine Entschädigung, geschweige denn einen Lohn erhalten hatten. So konnte etwa Volkswagen nach dem Krieg nur deswegen so problemlos weiterproduzieren, weil KZ-Häftlinge zuvor zur Errichtung unterirdischer Werkshallen gezwungen worden waren, die die Maschinen vor der Bombardierung bewahrten. Durch die Konstruktion des Fonds war die Gesamthöhe der Zahlungen jedenfalls auf zehn Mrd. DM gedeckelt.

Anträge an die Stiftung waren nur in einem Zeitraum von 16 Monaten zulässig, der am 31. Dezember 2001 endete. Verschiedene Partnerorganisationen der Stiftung, etwa die International Organisation for Migration (IOM), nahmen die Anträge entgegen, der Internationale Suchdienst des Roten Kreuzes (ISD) half bei der Ermittlung von Beweismaterial. ZwangsarbeiterInnen aus Konzentrationslagern oder Ghettos konnten maximal 15.000 DM erhalten, ins Deutsche Reich Deportierte bis zu 5.000 DM. Das Stiftungsgesetz sah auch für andere Opfer, insbesondere ZwangsarbeiterInnen im landwirtschaftlichen Bereich, Zahlungen von bis zu je 5000 DM vor. Die Stiftung erklärte, bis Ende 2006 seien an 1,626 Millionen Leistungsberechtigte insgesamt 8,2 Mrd. DM (4,2 Mrd. Euro) ausgezahlt worden.

Obwohl Anträge nur bis zum 31. Dezember 2001 gestellt werden konnten, hatte der ISD noch im Sommer 2005 nicht alle eingereichten Anträge an die Partnerorganisationen der Stiftung übermittelt. Noch im Dezember 2006 bezifferte der ISD die Zahl der bis zuletzt unbearbeitet gebliebenen Anträge auf ca. 200.000. Dass sich darunter auch noch fristgerecht eingereichte Anträge befanden, wollte der ISD nicht ausschließen. (Rolf Surmann: Falsche Schublade; in konkret Nr. 2/2007) Eine Prüfung dieser Anträge wird jedoch nicht mehr erfolgen - die Ausschlussfrist nach § 14 des Stiftungsgesetzes kennt keine Ausnahmen. Juristisch stellt dieser Paragraf damit den eigentlichen "Schlussstrich" dar: Mit dem 31. Dezember 2006 sind sämtliche Ansprüche erloschen - sogar solche, die bereits anerkannt wurden.

Für Streitfragen über die nach dem Stiftungsgesetz zu gewährenden Leistungen war ein letztes Mal die deutsche Justiz gefragt. An diese wandte sich eine Gruppe von mehr als 100.000 Antragstellern aus Italien, deren Ansprüche die Stiftung ablehnte. Es handelte sich um ehemalige italienische Militärinternierte (IMI), die im Herbst 1943 von der Wehrmacht ins Deutsche Reich verschleppt und zur Arbeit gezwungen worden waren, nachdem sie sich geweigert hatten, nach der Kapitulation ihrer Armee weiter für den italienischen Marionettenteilstaat und gegen die Alliierten zu kämpfen. Den "Internierten" war der Schutz als Kriegsgefangene nach der Genfer Konvention von vornherein verweigert worden. Im Juli 1944 wurden sie offiziell in den Status von gefangenen Zivilisten überführt.

Ausschluss der italienischen Militärinternierten

Die Stiftung verweigerte den IMI allerdings jegliche Zahlungen unter Verweis auf eine Klausel des Stiftungsgesetzes: "Kriegsgefangenschaft begründet keine Leistungsberechtigung." Die Klausel erklärt sich daraus, dass die Genfer Konvention die Heranziehung von Kriegsgefangenen zur Arbeit gegen Geldentschädigung prinzipiell erlaubt; allerdings dürfen die Bedingungen nicht schlechter sein als für die übrige Bevölkerung des Landes, und die Arbeit darf weder gesundheitsschädigend noch erniedrigend sein noch militärischen Zwecken dienen. Keine dieser Vorschriften wurde von den Nationalsozialisten eingehalten, die IMI wurden nicht als Kriegsgefangene, sondern ausdrücklich als "Verräter" bezeichnet und behandelt. Insofern berufen sich die IMI zu Recht darauf, dass sie als Zwangsarbeiter behandelt wurden. Die Stiftung wehrte sich dagegen mit einem Gutachten des Völkerrechtlers Christian Tomuschat, das den IMI entgegenhielt, ihre Überführung in den Zivilstatus sei nicht rechtswirksam gewesen. (erhältlich unter: www.berliner-geschichtswerkstatt.de) Daran ist richtig, dass sich der Kriegsgefangenenstatus völkerrechtlich natürlich nicht einfach beseitigen lässt. Das Ergebnis der Argumentation Tomuschats ist jedoch perfide: Damit wird den IMI eine Entschädigung verweigert, gerade weil sie rechtswidrig behandelt wurden.

Für diese gewagte Auslegung des eigenen Regelwerkes musste sich die Stiftung bislang vor keinem deutschen Gericht rechtfertigen: Das Stiftungsgesetz sieht als Kontrollinstanz lediglich ein internes Beschwerdesystem, nicht jedoch den Rechtsweg vor. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht 2004 gebilligt. Gegen diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist derzeit eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig.

Solange aus Straßburg nicht noch eine grundsätzliche Kritik am Vorgehen deutscher Gerichte kommt, ist die deutsche Entschädigungspolitik gegenüber ehemaligen NS-ZwangsarbeiterInnen damit beendet. Die jahrzehntelange penible Abwehr jeglicher Entschädigungsansprüche durch die deutsche Politik und Justiz hat dafür gesorgt, dass die Möglichkeit zum Erhalt einer zumindest symbolischen Entschädigung für die allermeisten ehemaligen ZwangsarbeiterInnen ohnehin zu spät kam. Mit dem Ablauf des Jahres 2006 sind für die verbleibenden ZwangsarbeiterInnen zudem alle Leistungsberechtigungen erloschen. Die Tür für Individualansprüche ist damit wieder geschlossen worden. Jedenfalls die deutsche Wirtschaft kann nun wohl wieder in "Rechtsfrieden" ruhen.

Nora Markard und Ron Steinke in ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 518 / 22.6.2007


AK Logoak - analyse & kritik
Zeitung für linke Debatte und Praxis
Nachdruck nur mit Zustimmung.
Informationen zur Bestellung und Service externer Link
 ak - analyse und kritik
 Rombergstr. 10, 20255 Hamburg,
 Tel.: +49-40-4017 0174, Fax.: +49-40-4017 0175,
 Email redaktion@akweb.de
 Im Internet: http://www.akweb.de externer Link


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang