von Renate Hürtgen
Es ist inzwischen zum Allgemeinplatz geworden: Die "Wende" in der DDR hat 1989 auf der Straße stattgefunden. In zahlreichen Aufarbeitungen der Ereignisse standen folglich diese Vorgänge im Zentrum der Aufmerksamkeit. Bald gab es die ersten Analysen der Montagsdemonstrationen und der Aktivitäten von Parteien und Bürgerbewegungen. Der DDR-Betrieb kam darin zunächst nur als Beispiel für den allgemeinen Staats- und Wirtschaftsbankrott vor. Die Veränderungen für die Belegschaften in den Betrieben erregten erst eine wissenschaftliche und allgemeininteressierte Öffentlichkeit, als sich im Frühjahr 1990 mit der veränderten politischen Lage für die Westgewerkschaften die Perspektive ergeben hatte, ihre betrieblichen Verbandsstrukturen in der DDR zu etablieren. Zu einem regelrechten Aufschwung des Interesses sollte es mit der nach dem 2. Juli 1990 nunmehr möglichen Wahl von Betriebsräten in den neuen Bundesländern kommen. Plötzlich wurde der DDR-Arbeiter von oben bis unten "durchleuchtet", seine Eigenschaften interessierten, sein Verhalten in der Arbeit und in der Familie, ob er eher arbeitsunlustig oder fleißig sei, wie sein Gruppenverhalten und sein politisches Verständnis einzuschätzen wären. Der Grund für dieses aufflammende Interesse ist unschwer auszumachen: Im Zuge der Übernahme von Unternehmer- und Interessenvertretungstrukturen der BRD wurde die Frage nach der "Beschaffenheit" des DDR-Arbeiters relevant. Wie gut oder schlecht wird er sich in das neue Arbeitsregime einordnen? Welche brauchbaren Eigenschaften bringt er aus seiner Sozialisation in der DDR mit? An dieser Debatte beteiligten sich bei weitem nicht nur die Krupps und Kohls, sie wurde (und wird heute noch) gleichermaßen von zahlreichen Fachleuten und den Arbeitern selbst geführt, die mit der Berufung auf ihre DDR-Arbeitserfahrung gern und sicher nicht zu Unrecht ihre Verwendbarkeit unter heutigen Bedingungen betonen.
Im Rahmen solcher Rückschau auf die Situation im DDR-Betrieb und die Bedingungen für die Belegschaften, einschließlich ihrer Möglichkeit oder Unmöglichkeit, eigene Interessen wahrzunehmen, wird jedoch eine Phase betrieblicher Veränderungen konsequent ignoriert: die Zeit zwischen dem Oktober 1989 und dem Januar 1990. Was in diesen Monaten hinter den VEB- und Kombinatstoren geschah, war bisher nur selten Gegenstand einer Untersuchung. Auf den ersten Blick erscheint diese Ignoranz sogar plausibel, denn die "Aufbruchsphase" (Lutz) in den Betrieben dauerte nur wenige Wochen und zu einer Bewegung, die einen nennenswerten Einfluß auf das politische Geschehen im Land gehabt hätte, kam es nicht. Doch seit wann schert es Ideologen und Meinungsbildner, ob etwas Relevanz besitzt, so es nur in den aktuellen Begründungszusammenhang paßt? Es drängt sich die Vermutung auf, die Ereignisse in den DDR-Betrieben gerade des Herbstes 1989 entsprachen und entsprechen nicht dem herrschenden Verständnis von der "Wende" in der DDR. Was in diesen ersten Wochen von einer Minderheit innerhalb der Belegschaften gedacht und getan wurde, scheint nicht brauchbar für heutige Verhaltensweisen, gefragt ist wohl ein anderer "Typ von Arbeitnehmer" und andere, geordnetere Strukturen in den Betrieben.
Aber nicht nur der herrschende Geist offizieller Geschichtsschreibung hat sich sein eigenes Bild von der "Betriebswende" geschaffen, in das eher anarchische, nach keinen Regeln des "bewährten" westdeutschen Modells der Interessenaustragung verlaufende Aktionen nicht passen. Auch Kritiker der Übertragung des "Modells Bundesrepublik" auf Ostdeutschland wollen in den im Herbst 1989 auf betrieblicher Ebene stattfindenden Vorgängen keinen beachtenswerten Anknüpfungspunkt für heutige Diskussionen sehen. Da sich ihre Hoffnungen auf den allgemeinen Aufstand in den Betrieben der DDR nicht erfüllten, erscheinen ihnen rückblickend jene mageren Versuche der Etablierung eines selbstbestimmten Belegschaftsinteresses eher als Vorboten des bekannten Endes vom Lied. Utopisch und unrealistisch seien ihre Akteure gewesen, man könne ja heute sehen, wohin das sogenannte Arbeiterinteresse geführt habe: in die Bananenrepublik.
Der vorliegende Artikel möchte beiden Urteilen mit einer eigenen Darstellung entgegentreten. Es ist dabei nicht beabsichtigt, den Umfang und die Wirkung basisdemokratischer Aktivitäten in den Betrieben der DDR im Herbst 1989 aufzuwerten, um ihnen so nachträglich eine Bedeutsamkeit zu verleihen, die sie tatsächlich nicht hatten. Sie blieben minoritär, wenn auch nicht derart, wie es heute kolportiert wird. Und sie verloren rasch ihre anfänglichen Intentionen, um spätestens Ende 1990 in den Aufbau des westdeutschen Betriebsrätemodells zu münden. Wenn hier dennoch versucht wird, diese Zeit betrieblichen Aufbruchs ins Gedächtnis zu rufen, geschieht das aus den folgenden Gründen: Zum einen waren, wie schon erwähnt, mehr Belegschaftsangehörige an den ersten selbständigen Aktionen in ihrem Betrieb beteiligt als allgemein angenommen. Eine fehlende Öffentlichkeit und nicht vorhandene überbetriebliche Strukturen verhinderten, daß Informationen darüber nach außen drangen und damit überhaupt bekannt werden konnten. Die wenigen Untersuchungen über diese Vorgänge zeigen jedoch, daß in zahlreichen Betrieben die ersten Aktionen, das Belegschaftsinteresse gegenüber einer staatlichen oder Parteileitung in Anschlag zu bringen, von einzelnen kleinen Gruppen ausgingen, meist spontan und außerhalb oder auch durch Ausnutzung der offiziellen gewerkschaftlichen Strukturen. Um die Bedeutung einschätzen zu können, die ein im Werk verteilter Aufruf, der vom Betriebsleiter die Offenlegung seiner Informationen forderte, für dessen Verfasser hatte, sollte man sich vergegenwärtigen, daß 1989 eine Arbeitergeneration in der DDR lebte, die derartige Formen der Meinungsäußerung nicht kannte. Sie hatte gelernt, Schwejk`sche Bittbriefe zu schreiben, sich zu verweigern oder zu maulen. Eine Forderung an die Leitung aber öffentlich zu formulieren, war ein unerhörter, im Oktober 1989 zudem noch risikovoller Akt der Emanzipation. Zum anderen sind in diesen ersten Wochen des betrieblichen Aufbruchs Formen und Inhalte ausprobiert worden, die es lohnt, genauer zu betrachten. Noch kaum beeinflußt von dem "nebenan" praktizierten westdeutschen Vertretungsmodell, stellten sie ein Konglomerat aus erinnerten Praktiken früherer Zeiten und aus dem aktuellen Bedarf spontan entstandenen Vorstellungen dar. An ihnen ist nicht nur der Zeitgeist abzulesen, sie enthalten im besten Sinne utopische Elemente, weil ihre Akteure noch unbeirrt von allen kommenden Entwicklungszwängen mit den Möglichkeiten einer künftigen Interessenvertretung experimentierten. Spätere Generationen können nicht nur stolz auf diese Emanzipationsversuche ihrer Eltern sein, die nach einer langen Zeit der Entmündigung nur bescheiden ausfielen, sie sollten auch überprüfen, ob nicht einiges für sie Brauchbares an Vorstellungen darunter zu finden ist.
In diesem Abschnitt soll die Situation der Interessenvertretung für die Belegschaften der DDR-Betriebe zwischen dem Oktober 1989 und dem Januar 1990 etwas genauer betrachtet werden. Oft genug war sie der Anlaß dafür, daß sich Kollegen und nicht weniger häufig auch Kolleginnen zu einer eigenständigen Aktion im Betrieb entschlossen haben. Obwohl die Rolle, die der FDGB in den über 40 Jahren an der Seite von Partei und Staat gespielt hatte, nicht mit der einer Interessenvertretung für die Belegschaften in den DDR-Betrieben verwechselt werden darf, ist die Frage nach den Basisaktivitäten in den Betrieben nicht ohne Kenntnis der Situation des Gewerkschaftsapparates im Herbst 1989 zu beantworten. Nicht zuletzt sollte das durch den FDGB erzeugte bzw. hinterlassene politische und sozialeVakuum im Betrieb, neben dem Verhalten der Betriebsleitung, oft der Anstoß sein, sich selbst um die eigenen Belange zu kümmern.
Wie kam es zu dieser Leerstelle? Am 2. November 1989 "nahm der Bundesvorstand des FDGB den Rücktritt des Kollegen Harry Tisch als Vorsitzenden des Bundesvorstandes mit zwei Gegenstimmen und einer Stimmenthaltung an."[2] Vorausgegangen waren diesem Rücktritt deutliche Kritiken vor allem am FDGB-Bundesvorstand und entsprechende Forderungen in Eingaben und offenen Briefen. "Gegenwärtig besteht bei Mitgliedern und Funktionären ein angespanntes Verhältnis zu Harry Tisch. Das reicht bis zu Forderungen seines Rücktritts", meldete die Abteilung Organisation des Bundesvorstandes des FDGB an sein Präsidium.[3] In seinen Tagebuchnotizen, die Günter Simon, der Chefredakteur der Gewerkschaftszeitung Tribüne 1992 veröffentlichte, kolportiert er den Verdacht, es sei die Tribüne gewesen, die diesen Sturz herbeigeführt hätte.[4] Mitnichten! Nachdem sich der FDGB - einschließlich seiner Medienverwalter - bis zum Schluß an die Seite einer reformunwilligen SED und Staatsmacht gestellt hatte, richteten sich Ärger und Zorn zahlreicher Belegschaften, auch ihrer alleingelassenen Gewerkschaftsfunktionäre, gegen die untätige oberste Leitung. Ein (letzter) Besuch Harry Tischs im Berliner Metallbetrieb Bergmann Borsig, wohin ihn ein offener Brief der Vertrauensleute vom 29. 9. 1989 getrieben hatte, endet mit einem Eklat.[5]
Die nach dem Rücktritt des Vorsitzenden und der Wahl Annelies Kimmels auf diesen Posten möglich scheinende Erneuerung der Gewerkschaften sollte jedoch nicht eintreten. Zunächst, und als gäbe es nichts wichtigeres zu tun, bildete der Bundesvorstand acht Arbeitsgruppen, die sich unter verschiedenen Themen mit der "Erarbeitung von gewerkschaftlichen Standpunkten" beschäftigen sollten. Abgesehen davon, daß eine solche "theoretische Grundlagenarbeit" ohnehin am aktuellen Handlungsbedarf gewerkschaftlicher Neubestimmung in den Betrieben vorbeiging, machen die in den Arbeitsgruppen diskutierten Schlußfolgerungen das Dilemma deutlich. Als Beispiel sei hier auf die Thesen der AG innergewerkschaftliche Demokratie hingewiesen.[6] In ihnen kommt das Thema einer notwendigen Mitgliederdemokratie gar nicht vor, weder als grundlegendes Defizit bisheriger FDGB-Strukturen, noch als Erfordernis für die zukünftige Gewerkschaftsarbeit. Lediglich ein veränderter Wahlmodus wird eingefordert, der die Aufstellung von mehreren Kandidaten je Funktion gestattet. Das Hauptaugenmerk richtet sich auf das Verhältnis zwischen den Einzelgewerkschaften, denen größere Rechte eingeräumt werden sollen, und dem Dachverband. Dieses Mißverhältnis war bereits seit langem "unter der Hand" auf den verschiedenen Funktionärsebenen diskutiert worden, es sollte später auch die entscheidende Kontroverse auf dem Ende Januar einberufenen außerordentlichen Gewerkschaftskongreß werden.
Unschwer wird bereits an diesem Beispiel erkennbar, daß eine konsequente Hinwendung des Gewerkschaftsapparates zu den Mitgliederinteressen nicht vorgesehen war. Mißtrauisch wurden von ihm die Vorgänge in den Betrieben betrachtet, in deren Folge einzelne Funktionäre "das Handtuch" warfen, wie es in einem Zeitungsbeitrag heißt. Ob das "immer in die richtige Richtung losgeht?" fragt die Schreiberin ängstlich.[7] Eine halbherzige Erneuerungsdiskussion ohne grundsätzliche Kritik an der bisherigen Gewerkschaftsvertretung fand unter Ausschluß der Basis im internen Funktionärskreis statt.[8] Immerhin wurden die zahlreichen Protestbriefe an den Bundesvorstand durchaus zur Kenntnis genommen, die "Verarbeitung" allerdings erfolgte ausschließlich durch die alten Funktionäre, die trotz des politischen Aufruhrs im Land wie eh und je ihren Geschäften nachgingen. Für die "Reformer" in den Gewerkschaften war dieses Verhalten letztlich ausschlaggebend dafür, daß sie ihre Bemühungen ins Leere laufen sahen. Stellvertretend sei hier Frau Z. zitiert,[9] die im Oktober 1989 an der Gewerkschaftshochschule in Bernau lehrte und den Versuch unternahm, gewerkschaftlichen Reformgeist in den Apparat zu tragen.[10] Aufgrund ihrer Tätigkeit hatte sie diverse Untersuchungen zum Zustand des FDGB sowie seiner Akzeptanz durch die Mitglieder "in der Schublade". Von diesen wollte aber auch jetzt niemand im Bundesvorstand etwas wissen. Frau Z. versuchte vor allem, die unzufriedenen und alleingelassenen Funktionäre der betrieblichen Gewerkschaftsleitungen (Betriebsgewerkschaftsleitung, BGL und Abteilungsgewerkschaftsleitung, AGL) zu sammeln, um so eine Reform des FDGB voranzutreiben. Schon in den Ansätzen scheiterte dieses Unternehmen ihrer Meinung nach an der "Unfähigkeit der Hauptamtlichen".[11] Im Bundesvorstand des FDGB fand sie keine Unterstützung: "Der ganze Apparat ist dort sitzengeblieben und die haben genau das weitergemacht, was sie immer gemacht haben. Die haben nichts verstanden!"[12] Noch im Frühjahr 1990 hätte sich der Apparat, welcher nach dem Rücktritt des Bundesvorstandes mit Ausnahme der obersten Spitze zum großen Teil in alter Zusammensetzung bestand, verhalten, als wäre nichts geschehen. Frau Z. verstand sich nicht als Initiatorin einer Mitgliederbewegung, deren Aktionen hielt sie eher für Revoluzzertum. Ihre Aufgabe sah sie darin, für ein Zusammengehen zwischen den Gewerkschaftsleitungen verschiedener Ebenen zu sorgen und die alten Kader abzulösen. Den nötigen Druck versprach sie sich von den Betriebs- und Kreisgewerkschaftsleitungen. Doch nach ihrer Arbeit im Vorbereitungskomitee für den außerordentlichen Gewerkschaftskongreß mußte sie feststellen, daß diese Funktionäre völlig "alleingelassen waren, mindestens ein halbes Jahr." Ihr Resümee: "In der Wendezeit hat die Gewerkschaft überhaupt keine Rolle gespielt, die hat weder für die politische Entwicklung eine Rolle gespielt, noch als Vorreiter für eine eigene Reform, noch hat sie die Leute unterwiesen wie man es hätte machen können."[13]
Diese Kronzeugin für das Scheitern gewerkschaftlicher Reformen im Herbst 1989 wurde darum so ausführlich zitiert, weil die Situation der betrieblichen Interessenvertretungen durch ihre Ausführungen besonders plastisch erscheint. Die Betriebs- und Kreisleitungen des FDGB standen "führungslos" da, sie bekamen keine Unterstützung oder Anweisung "von oben" mehr und stellten ihre Arbeit praktisch ein.[14] In einer "Information über die an den Bundesvorstand des FDGB gerichteten Briefe und Stellungnahmen" wurden unter dem "Problemkreis Sprachlosigkeit des Bundesvorstandes des FDGB" eigens solche Stimmen zitiert wie die des FDGB-Kreisvorstandes Brand-Erbisdorf vom 17.11.1989: "Die Angriffe auf den FDGB und die Gewerkschaftsfunktionäre haben die Schmerzgrenze oftmals überschritten. In dieser Phase fühlen wir uns von den Kollegen des Präsidiums des Bundesvorstandes des FDGB alleingelassen." Beklagt wird abschließend noch, daß kein Wort des Dankes an ihre bisherige Arbeit vom Bundesvorstand zu hören sei.[15] Von den "Reformern" wie den alten Betriebsfunktionären gleichermaßen alleingelassen, gab es für die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben keinen Ansprechpartner. Wer es wider besseren Wissens dennoch versuchte, stand vor der verschlossenen Tür des Gewerkschaftsbüros im Betrieb.
Während sich der FDGB aus seiner Verantwortung stahl, begannen die staatlichen Betriebsleiter sehr schnell ihre neue Rolle als Widerpart zu den Gewerkschaften zu begreifen. Den Bundesvorstand erreichten zahlreiche Briefe, in denen Mitglieder und Gewerkschaftsleitungen mitteilen, daß ihnen die Arbeit im Betrieb vom Generaldirektor verboten wurde.[16] Nichtsdestotrotz oder ebendeshalb beteiligten sich eine Reihe von Gewerkschaftsfunktionären in den Betrieben quasi in Eigeninitiative an den ersten Versuchen zur Schaffung einer Interessenvertretung außerhalb der bisherigen offiziellen Strukturen. Ein anderer Teil verhielt sich ruhig und verharrte in einer Art Funkstille, die erst in Vorbereitung auf eine zu erwartende Betriebsratswahl im Sommer 1990 aufgegeben wurde.
An dieser Stelle müssen zunächst einmal notwendige Informationen darüber gegeben werden, wer, wo und aus welchem Anlaß zwischen Oktober 1989 und Januar 1990 eine Initiative in seinem Betrieb gestartet hatte. Eine solche Darstellung dient nicht zuletzt dazu, der allgemein verbreiteten Auffassung entgegenzutreten, daß, während durch den Druck von der Straße die politische Herrschaftskaste der DDR bereits erfolgreich gestürzt worden war, hinter den Betriebstoren "Grabesstille" herrschte. Der Zeitraum bis zum Januar 1990 ist darum gewählt worden, weil mit dem außerordentlichen Gewerkschaftskongreß Ende Januar/Anfang Februar eine Zäsur für unabhängige Betriebsinitiativen gesetzt wurde. Die veränderte Lage hing nicht etwa mit den Vorgängen im FDGB und seiner gescheiterten Erneuerung zusammen, sondern mit der Reaktion des DGB und seiner Gewerkschaften im Anschluß an diesen Kongreß. Hatten diese bis dahin noch mit einer offiziellen Kontaktaufnahme gezögert und etwas ratlos der Entwicklung in der DDR zugeschaut, war nunmehr der Startschuß gegeben. Der FDGB sei nicht reformfähig und käme also als potentieller Partner von nun an nicht mehr in Frage, lautete die offizielle DGB-Politik.[17] Im Frühjahr und Sommer 1990 öffneten zahlreiche Westgewerkschaften Beratungsbüros und Informationsstellen in der DDR und gaben damit einer Entwicklung hin zum Aufbau von Gewerkschaften nach bundesrepublikanischem Modell den entscheidenden Schub. Die unabhängigen Initiativen gingen entweder ein oder in die neuen Strukturen über.
Die Beispiele in diesem Abschnitt sind zum Teil aus den wenigen veröffentlichten Untersuchungen zusammengefaßt, die zu diesen frühen Ereignissen angestellt worden sind, zum Teil stammen sie aus den Unterlagen der Initiative für eine unabhängige Gewerkschaftsbewegung, die sich im Besitz der Verfasserin befinden.[18] Diese Initiative wie auch andere im Rahmen der Bürgerbewegungen entstandenen Betriebs- oder Gewerkschaftsaktivitäten stehen hier nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie werden, wenn es für das Verständnis notwendig erscheint, zur Erklärung herangezogen.
Vielleicht konnte die Aufzählung von verschiedenen Belegschaftsinitiativen in den ersten Monaten der "Wende" einen kleinen Eindruck von der Atmosphäre dieser Zeit vermitteln. Sicher, auch wenn man die Zahl der Aktiven verzehnfachen würde, von einer breiten "Bewegung" ließe sich auch dann noch nicht sprechen. Die Mitglieder der Initiative für eine unabhängige Gewerkschaftsbewegung mußten deshalb realistischerweise auch feststellen, daß, obwohl ihre Sympathisantenschar schnell auf über 250 Gruppen und Einzelkämpfer angewachsen war, die einzige nennenswerte "Gegenbewegung" der FDGB-Mitglieder eine ab November massenhaft erfolgte Beitragsverweigerung darstellte.[37] Was dennoch bleibt, das ist die Erfahrung von der Wirkung eigener Anstrengung. Und auch, wer nicht selbst zu den ersten gehört hatte, konnte es miterleben und weiß nun seit dem Herbst 1989, daß es durchaus möglich ist, den Stein von unten ins Rollen zu bringen. Angesichts eines eklatanten Mangels an Versuchen eines aufrechten Ganges in der deutschen Geschichte, zumal in der der DDR, sollten wir die kurze Phase des Betriebsaufbruches im Herbst 1989 nicht vorschnell aus unserer Erinnerung streichen.
So völlig aus dem "heiteren Himmel" des "betriebssozialistischen" Alltags waren die Initiativen der Belegschaften im Oktober/November 1989 jedoch nicht gefallen. Die akribisch bis zum letzten Tag vom Bundesvorstand des FDGB gesammelten Stimmungen und Meinungen der Werktätigen sowie die monatlichen Auswertungen der besonderen Vorkommnisse in den Betrieben und Eingabenanalysen lassen erkennen, daß ein Hauch des Gorbatschowschen Geistes schon Monate vor der "Wende" auch in die Arbeitskollektive der VEB und Kombinate gefahren war. Der Unmut über die katastrophalen Zustände einerseits und die Hoffnung auf mögliche Veränderungen andererseits ließen die Bittsteller aufmüpfiger werden. Gewerkschaftsversammlungen verliefen nicht mehr wie geplant, der Ungehorsam nahm öffentliche Züge an. "Das fing also dann bei son großen Versammlungen, fing es an zu rumoren im Saal und keiner hörte mehr hin. Und nach ner dreiviertel Stunde waren sie alle gegangen ... und dann ging so das große Aufstehen los, und auch die Angestellten sind gegangen, und dann saßen vielleicht zum Schluß noch 30 Leute von ein paar hundert Leuten...sagen wir mal, was vorher schon in geringem Maße stattfand, fing dann ganz kraß an."[38] Doch hier wie später auch im Herbst 1989 drangen Informationen über solche Vorfälle nicht an die Öffentlichkeit, keine Zeitung berichtete von ihnen, nicht einmal ein kleines Flugblatt. Selbst die beschränkte "Betriebsöffentlichkeit" gab es zu DDR-Zeiten nicht. Die Beteiligten wußten zudem, daß sie ein Staatgeheimnis zu hüten haben. Und so waren diese Regelverletzungen, indem sie nicht bekannt wurden, eigentlich auch gar nicht wirklich gewesen.
Die Ziele, die sich mit diesen ersten Aktionen in den Betrieben der DDR verbanden, hingen unmittelbar mit den Akteuren selbst, deren Herkunft oder Stellung im Betrieb sowie mit dem aktuellen Bedarf zusammen, der sich angesichts des entstandenen Vakuums einer Interessenvertretung stellte. Die Durchsetzung ideologischer Welthaltungen oder klassenkämpferischer Strategien lag in weiter Ferne, pragmatisches Handeln prägte die Atmosphäre.
Jene Initiatoren, die sich noch an die Betriebsratsgründungen nach 1945 in der SBZ erinnern konnten, stellten folgerichtig ihre ersten Überlegungen zur Funktion einer eigenen Interessenvertretung in diese Tradition. Aus ihr leiteten sie die Möglichkeit eines weitreichenden Einflusses auf die Betriebsleitungen ab, ganz so, wie es die Nachkriegsbetriebsräte für sich in Anspruch genommen hatten.[39] Ähnlich wie die Akteure 1946 es taten, wird hier von einer Leerstelle sowohl in der Betriebsführung als auch in der Interessenvertretung ausgegangen, welche nun ausgefüllt werden müsse, damit die "Karre nicht im Dreck" landet. In hohem Maße wurden sowohl 1989 als auch 1990 die Inhalte und Zielstellungen für eine neue Interessenvertretung darüber hinaus von der Gruppe der technischen Angestellten, Ingenieure sowie den Forschern und Entwicklern in den Betrieben geprägt. Nicht zu Unrecht gingen sie davon aus, wenigstens ebensoviel Kenntnisse über das Betriebsgeschehen zu haben wie die amtierende Leitung, allerdings unbelastet von deren staats- oder parteitragender Vergangenheit und somit besser als die derzeit Herrschenden in der Lage zu sein, die Geschicke in die Hand nehmen zu können. Zur aktiven Gruppe gehörten im Herbst 1989 auch zahlreiche Gewerkschaftsfunktionäre, die - ähnlich dem ingenieurtechnischen Personal - kraft ihrer Qualifikation oder Stellung in der Betriebshierarchie das Gefühl ausgebildet hatten, genügend Wissen um die betrieblichen Strukturen und Abläufe gespeichert zu haben. Das Interesse an einem effektiven Produktionsablauf dominierte das Engagement dieser beiden Initiatorengruppen. Kolleg/innen aus den Produktionsbereichen, die, wenn auch in geringerer Zahl zu den allerersten Aktiven im Herbst 1989 gehörten, interessierten sich dagegen tendenziell für andere Themen im Spektrum der Forderungen. Darauf wird noch zurückzukommen sein.
Für alle Akteure gleichermaßen, unabhängig von ihrer sozialen Stellung im Betrieb, lieferten zwei Arten von Anlässen das letzte ausschlaggebende Motiv, sich aktiv in das Betriebsgeschehen zu mischen: Zum einen das Beharrungsvermögen der alten Leitungen, die keine oder nur ungenügende Veränderungen im Betrieb vornahmen. Forderungen nach dem Rücktritt verschiedener Leitungsebenen oder danach, die Vertrauensfrage zu stellen, nach Neuwahlen sowie nach dem Ausschluß von FDJ, Partei und Staatssicherheit aus den Betrieben, sind die ersten Reaktionen auf dieses Verhalten der Betriebsleitungen. So heißt es häufig: "Ich fordere, daß sich die SED unverzüglich aus den Betrieben zurückzieht, ihre Betriebsparteiorganisation auflöst und die Betriebszeitung an die Gewerkschaft übergibt. In den Betrieb gehört als einzige gesellschaftliche Organisation eine starke und unabhängige Gewerkschaft."[40] In dieser Art von Aufrufen finden sich darüber hinaus auch noch direkte Forderungen nach einem veränderten Lohn- bzw. Prämiengefüge, nach Abschaffung des sozialistischen Wettbewerbs und für die Zulassung unabhängiger eigener Vertretungen im Betrieb.
Zum anderen wurde das weiterhin bestehende Defizit an Informationen durch die Leitungen und die fehlende Transparenz der Entscheidungen, zum entscheidenden Handlungsmotiv. Forderungen, die sich um dieses Thema zentrierten, bekamen ihre Brisanz noch dadurch, daß bereits im November und Dezember 1989 zahlreiche Betriebsleiter ihre Umstrukturierungspläne mit den ersten "Kontaktaufnahmen" zu Westfirmen verbanden. Diese Praxis war für viele Aktive oft der letzte Anstoß, sich öffentlich zu äußern.
Interessanterweise wird in der Rückschau erkennbar, daß sich die Belegschaftsangehörigen aus dem Produktionsbereich sowie die der unteren Angestellten eher mit einem Forderungsbündel der zuerst genannten Art eingemischt haben. Die Demontage der alten Leitungshierarchie stand hier im Zentrum der Kritik. Die Gruppe der technischen Intelligenz war dagegen stärker damit beschäftigt, das Informations- und Mitspracherecht einzuklagen. Bereits aus diesen wenigen Bemerkungen wird ersichtlich, daß hinter der Gemeinsamkeit, eine Veränderung in den Betrieben herbeiführen zu wollen, von Anfang an zugleich die unterschiedlichsten Interessen und Perspektiven steckten. Unschwer ist in den Forderungen der Ingenieure und technischen Leiter die Absicht zu erkennen, sich an die Stelle der alten Leitung setzen zu wollen, um den Betrieb "aus der Krise" zu führen. Sie bringen ihre Fachkompetenz unabhängig von einer SED-Mitgliedschaft in Anschlag. Den größten Posten nehmen dabei Vorstellungen ein, die Produktion effektiv und weltmarktfähig organisieren zu wollen. Doch solche Differenzen zwischen den Belegschaftsgruppen kamen im Herbst 1989 kaum zum Tragen, noch überwog der gemeinsame Wille: "So kann es nicht weitergehen!" Erst als im Sommer und Herbst 1990 die Aufgabe stand, in allen Betrieben der DDR und später der "neuen Bundesländer" eine Betriebsratswahl durchzuführen, wird der Unterschied in den Interessenlagen praktisch und folgenreich. Er zeigt sich im hohen Engagement der Angestelltengruppe, die auf eine Betriebsratswahl und später in die Gremien drängt, wo sie ihre Forderungen vom Herbst auch teilweise erfüllt sieht. Die Arbeiter dagegen halten sich - oft zum Unverständnis und Ärgernis der aktiven Angestellten - zurück und überlassen die Initiative den anderen Bereichen.[41]
Aber zurück zum Herbst 1989 und der betriebliche Situation des Aufbruchs, die hier beschrieben werden soll. Daß die Gemeinsamkeiten zwischen den Belegschaftgruppen zu diesem Zeitpunkt noch größer waren als die Differenzen, erhellt ein zweiter Blick auf den Charakter der Aufrufe, offenen Briefe oder Strukturvorschläge für eine eigene Interessenvertretung. Unabhängig von ihren jeweiligen Autoren fallen zwei Merkmale auf: Die darin enthaltenen Forderungen sind mehrheitlich aus der Position eines basisdemokratischen Verständnisses von Beteiligung formuliert, und sie stellen Ansprüche an eine Belegschaftsmitbestimmung, die stellenweise weit über das Maß nicht nur der bundesdeutschen Regelungen sogenannter "industrieller Beziehungen" hinausgehen.
Dieser basisdemokratische Anspruch an eine neue Struktur wird als deutliche Abgrenzung dem bisherigen zentralistischen Aufbau des FDGB entgegengestellt. An die alten Funktionäre gerichtet, heißt es: "Aber das Handeln an der Basis mit der Basis liegt ihnen nicht. Sie haben eben ihre Pflicht getan, wenn sie ihre AGL-Funktionäre anleiten".[42] Dagegen wolle man eine Struktur von unten nach oben aufbauen, und zwar in eigener Aktion, nicht in Erwartung einer Aktion von oben. "Selbstbestimmte Gewerkschaftsarbeit heißt für uns zunächst einen mühsamen, keinesfalls mißerfolgsfreien und risikoreichen Lernprozeß in Gang zu setzen, der aber nur ganz unten, bei jedem Einzelnen beginnen kann."[43] Und sogar dort, wo sich der Betriebsleiter persönlich um die Gründung eines Betriebsrates bemüht, stößt er auf massives Mißtrauen. Denn "Eine Interessenvertretung der Werktätigen kann daher nur von unten (aus den Struktureinheiten) nach oben wirkungsvoll installiert werden."[44] In den Vorstellungen über eine neue Interessenvertretung ist oft von "einer Bewegung" die Rede; wenn überhaupt Strukturen gedacht werden, dann mit wenig Bürokratie und kleinem Funktionärsapparat. Sogar in jenen Entwürfen, die schon im Herbst 1989 stark an einem westdeutschen Betriebsrätemodell orientiert sind, wird auf die ehrenamtliche Vertretung in einem zukünftigen Gremium bestanden.[45] Die jederzeitige Abwählbarkeit von gewählten Interessenvertretern war seinerzeit sowieso unumstritten.
Es ist in der "Aufarbeitungsliteratur" inzwischen viel gerätselt worden, welcher anarchistische oder vielleicht gar marxistische Geist in die doch ansonsten so vernünftigen "Werktätigen" damals bloß gefahren sei, daß sie derartig "realitätsferne" Vorstellungen für den Aufbau neuer Interessenvertretungen entwickeln konnten? Das Gegenteil ist zutreffend! Die Realität auch der Betriebsaktivisten in der DDR war 1989 die allgemeine Erfahrung einer ineffizienten Bürokratie und einer mitgliederfeindlichen Führung, was folgerichtig zu der durch alle Belegschaftsgruppen gleichermaßen formulierten Ablehnung einer neuen Stellvertreterpraxis führte. Die basisdemokratische Atmosphäre lag quasi "in der Luft", man mußte sie nur greifen: "Dabei wollen wir nicht mehr wie bisher ... von oben dirigiert und organisiert werden! Wir wollen über uns selbst bestimmen, und uns basisdemokratisch, also von unten nach oben zusammenschließen."[46] Darüber hinaus war es im Herbst 1989, angesichts des "Versagens" der Staats- und Betriebslenker durchaus sehr realistisch, nicht auf neue Führer zu setzen, sondern erst einmal das geballte Wissen und die Erfahrung der gesamten Belegschaft einzuholen. Genau das aber garantierte eine unmittelbare Demokratie, die alle Meinungen gleichermaßen respektierte, am besten.[47]
Neben dem ausgeprägt basisdemokratischen Charakter, den die Belegschaftsforderungen vom Herbst 1989 ausweisen, fällt auf, daß die anvisierten Mitbestimmungsrechte einer neuen Interessenvertretung nicht gerade bescheiden klingen. Im Anschluß an ein standardmäßig gefordertes Recht auf Information sowie "Offenlegung" aller Betriebsunterlagen, finden sich häufig auch die Forderungen nach "Mitwirkung und Entscheidungen bei Investitionsvorhaben, die einen entscheidenden marktpolitischen und personalpolitischen Einfluß erwarten lassen".[48] Wohl gemerkt, nicht bei irgendwelchen Entscheidungen der Betriebsleitung soll die neue Interessenvertretung gehört werden, sondern gerade bei den entscheidenden! Einen neuralgischen Punkt bildeten dabei die zu erwartenden Verträge mit Westfirmen, auf deren Offenlegung und Einflußnahme man energisch drang. Was aus Sicht der bundesdeutschen Betriebsverfassungslehre wie ein Frevel klingt, war 1989 in den Diskussionen selten umstritten: ein umfassendes Mitspracherecht bei Investitionen, Planung, Personalfragen, bei Sozialfragen und betrieblichen Umgestaltungen. Um keinen Zweifel über den Ernst der Forderung aufkommen zu lassen, vor allem aber aus Erfahrung mit einer unfähigen Leitung, wird in einigen Aufrufen ein allgemeines und definitives Vetorecht für die Interessenvertretung eingeklagt, namentlich im Zusammenhang mit Entscheidungen negativen Charakters für die Belegschaften.[49] Wo kein Vetorecht als Möglichkeit gedacht wurde, den Willen der Belegschaft durchzusetzen, taucht unter den Forderungen das Recht auf, die Betriebsleitungen selbst wählen zu können: "Der Betriebsrat wird von der Belegschaft demokratisch gewählt bzw. abgewählt und vertritt damit die innerbetrieblichen Interessen der Gesamtbelegschaft bei Leitung und Planung gegenüber der Betriebsleitung. Das schließt die Wahl und Abwahl von Leitern mit ein!"[50] Und ein Kollege aus dem Möbelkombinat Berlin kann bereits von einer durchaus erfolgreichen Praxis der Abwahl berichten: "Das hat bei uns insofern schon funktioniert, als wir übereinstimmend mit Abstimmung in unserer kleinen Gruppe, das sind jetzt 8-10 Leute, abgestimmt haben und einen Leiter sozusagen eliminiert haben, mundtot gemacht haben. Der hat bei uns nichts mehr zu sagen. Der ist weg vom Fenster. (Beifall) Weil er nämlich unkompetent und rücksichtslos war und für unsere Belange nicht mehr tragbar war. Das haben wir durchgesetzt."[51]
Die im Herbst 1989 von den ersten Aktivisten einer neuen Interessenvertretung in den DDR-Betrieben formulierten Vorschläge, stellen eine Gemengelage aus der Betriebsrätetradition nach 1945 in der SBZ, Regelungen aus dem Arbeitsgesetzbuch der DDR, Improvisationen sowie dem bereits in Umrissen bekannten Betriebsverfassungsgesetz der BRD dar. Pragmatisch und ohne "Berührungsängste" wurde jeweils daraus entnommen, was in den aktuellen Bedarf zu passen schien. Dabei kam durchaus etwas "eigenes" heraus.[52] Die weitgehenden Mitbestimmungsvorstellungen waren ebensowenig "spinnert" wie der basisdemokratische Anspruch utopisch. Die aktuelle Lage stellte sich angesichts der Hilflosigkeit und Unfähigkeit der Leitung, "die nicht willens oder nicht in der Lage ist, ihren Part angemessen auszufüllen", als überaus günstig für die Durchsetzung von Belegschaftsforderungen dar.[53] Der Widerstand von seiten der Leiter blieb tatsächlich gering, wer "Dreck am Stecken" hatte, tat ohnehin gut daran, sich den Forderungen zu beugen oder abzutreten. Was wenige Wochen später schon nicht mehr denkbar war, konnte im Herbst 1989 noch ausprobiert werden. "Dadurch, daß wir so früh dran waren", kommentiert ein Aktivist der ersten Stunde diesen Sachverhalt, "haben wir das Vakuum optimal für uns genutzt."[54]
Die Übergangszeit zwischen dem Zusammenbruch des alten und der Entstehung eines neuen Herrschaftssystems schuf 1989 nicht nur auf der Straße jene "bunte Grauzone" in der DDR, die Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs häufig auszeichnet. Aus der Perspektive der sich im Anschluß an solche Phasen etablierenden Strukturen, erscheint sie allerdings chaotisch, unnütz und die Normalität gefährlich störend. Die Anstrengungen des FDGB, jene Betriebsrätegründungen nach 1945 wenn nötig auch mit Gewalt zu beenden und in die für sie sehr viel herrschaftsgünstigere BGL-Struktur in den Betrieben zu überführen, sind exemplarisch für ein derartiges Verständnis.[55] Aus der Perspektive einer notwendigen Aktion von Massen dagegen, auch und vor allem denen im Betrieb, sind solche Möglichkeiten, sich der eigenen Kraft zu erinnern, die herrschenden Strukturen in Frage zu stellen und sich mit Selbstbewußtsein an ihre Veränderung zu machen, immer, seien sie noch so gering im Umfang, eine wichtige Erfahrung, an die sie sich bei Gelegenheit auch erinnern werden.[56] Mit Recht beschwört ein Kollege auf einer Veranstaltung der Initiative für Unabhängige Gewerkschaften die anderen, doch nicht gleich vor allem zurückzuschrecken und verweist auf den notwendigen Lernprozreß. "Wir haben 60 Jahre ohne Erfahrung hinter uns. Und die müssen wir machen. Und wir müssen ganz klar und offen auftreten. Wir versprechen gar nichts. Wir können gar nichts versprechen. Wir müssen Erfahrungen machen."[57] Gespräche mit "Ehemaligen" aus der betrieblichen Aufbruchszeit im Herbst 1989 lassen keinen Zweifel daran, daß sie diese "aufregende" Zeit, auch wenn heute nichts mehr davon gebraucht zu werden scheint, nicht vergessen haben. Rückblickend stellt Frau K. fest: "Und ick würds wieder so machen, ganz genauso. Und ick würd mich wieder an der falschen Stelle aufräufeln, das heißt ja, an der richtigen, mit dem gleichen Nichteffekt. Ich würd nichts anders machen, nee. Aber ick wär doch am Ende schlauer."[58]
Als sich im Juli 1990 in der Evangelischen Akademie in Tutzingen Arbeitnehmervertreter Ost zu einem Gedankenaustausch mit Westkolleg/innen trafen, hatte sich die Situation bereits grundlegend geändert. Die mehrheitlich schon im Herbst 1989 aktiven Kolleginnen und Kollegen berichteten frustriert, daß sich "nichts im Betrieb geändert" hätte. "In vielen kleinen Betrieben der DDR verbirgt sich hinter dem Begriff Neubeginn die Restauration der althergebrachten Normalität. Die Fieslinge der Nation, die ewigen Opportunisten, die auf dem Dung aller Systeme gedeihen, sind es wieder, die sich nach allen Seiten abgesichert haben, alles gutheißen und überall ihren Schnitt machen."[59] Im Verlauf der Diskussion wird deutlich, daß hier vor allem die alten Leiter, wenigstens der zweiten Garnitur, aber auch die altbekannten hierarchischen Strukturen und Verhaltensweisen des sich "nach oben Duckens" gemeint sind, welche die berichtenden Kolleg/innen so empören. In nur wenigen Wochen waren ihre Hoffnungen, sich nun in die Vorgänge direkt einmischen zu können, zunichte gemacht. Die "so oft gelobten aber bereits vergessenen demokratischen Kräfte"[60] standen vor dem Ende ihres Demokratieversuches, bevor er überhaupt richtig angefangen hatte.[61] In den immer noch unter DDR-Unternehmensleitung geführten Betrieben wehte bereits ein Wind, der häufig mit dem Verhalten der frühen Kapitalisten in Manchester verglichen wurde. Die neuen Interessenvertretungen gerieten zunehmend in den Spagat "zwischen Bürgerbewegung und Betriebswirtschaft", die sogenannten betrieblichen Sachzwänge beherrschten die Diskussionen.[62] Von den Kolleginnen und Kollegen aus den eigenen Betrieben erhielten die Aktiven immer weniger Unterstützung.
Im Sommer 1990 begann quasi eine zweite "Ära" des Aufbaus neuer Interessenvertretungen in den Betrieben der DDR: Die Betriebsratswahlen nach dem bundesdeutschen Betriebsrätegesetz. Die Initiatoren für diese Wahlen und häufig dann auch die ersten Mitglieder des Betriebsrates waren nicht mehr die Kolleginnen und Kollegen der "ersten Stunde". Andere Belegschaftgruppen, mit einem veränderten Interesse und mit weniger oder gar keiner basisdemokratischen Intention übernahmen das Ruder. Forderungen nach weitergehenden Mitbestimmungsrechten verschwanden allmählich aus den Programmen.[63] Jene Kolleg/innen, die im Herbst 1989 solche Vorstellungen vertreten hatten und nun weiterhin aktiv waren, stellten sich auf die neuen Bedingungen ein. In nur wenigen Wochen hatte ein Selektionsprozeß unter den Aktiven in den Betrieben stattgefunden, in dessen Verlauf die einen durch die anderen ersetzt wurden. An diesem Auswahlverfahren beteiligten sich auch der DGB und seine Gewerkschaften. Ein Großteil der Erwartungen und Aktivitäten der DDR-Belegschaften hatte sich, angesichts der durch die immer willkürlicher agierenden Betriebsleitungen bedrohlicher werdende Situation, inzwischen vor allem auf die Westgewerkschaften gerichtet, die seit Februar 1990 von der "Beratungsarbeit zur konkreten Betreuungsarbeit" übergegangen waren und die rasche Ausdehnung der westdeutschen Gewerkschaftsstrukturen auf den Osten vorbereiteten. Es wäre falsch, diese "Einmischung" der Westgewerkschaften angesichts des Ansturms auf ihre Büros und anderen Informationsangebote durch DDR-Bürger einer Kolonialisierung gleichzusetzen. Vielmehr drängten viele Belegschaften in den Betrieben energisch auf eine Unterstützung und letztlich auch Übernahme des bundesdeutschen Vertretungsmodells, worin sie von allen Westgewerkschaften bestätigt wurden. Keinerlei Unterstützung durch offizielle DGB-Strukturen fanden dagegen solche geschilderten Aktivitäten vom Herbst 1989, die sich nicht im Rahmen der bundesdeutschen Gesetzgebung bewegten.[64] Zum einen setzte der DGB ohnehin sehr lange auf den offiziellen FDGB, später auf eine nicht vorhandene Reformerfraktion, also auf einen Partner, der seinem eigenen Verständnis von Apparaten mit festen Strukturen und Hierarchien nahekam, zum anderen waren die Westgewerkschaften nicht in der Lage, ihre eigenen Inhalte angesichts der neuen Situation zu überprüfen. Sie stellten ihre für die "Wirtschaftswunderzeit" erfolgreiche Politik nicht einmal angesichts der veränderten Problemlage ernsthaft infrage,[65] Experimente mit basisdemokratischem Anspruch und/oder weitgehenderen Mitbestimmungsrechten mußten mit dem Verweis auf ihren utopischen Charakter rasch beendet werden.[66] Die Träger solcher Vorstellungen gerieten auf diese Weise schnell ins Abseits. Nunmehr von allen Seiten belächelt, gehört bis heute einige Courage dazu, sich zu diesen Ansätzen einer eigenen betrieblichen Aktion im Herbst 1989 zu bekennen.
[1] Aus einem Interview mit einer Kollegin eines Berliner Metallbetriebes vom 17. 3. 1995
[2] Tribüne, hrsg. vom Bundesvorstand des FDGB, 3. 11. 1989
[3] Zitiert aus: Theo Pirker/ Hans-Hermann Hertle/ Jürgen Kädtler/ Rainer Weinert: Wende zum Ende. Auf dem Weg zu unabhängigen Gewerkschaften?, Köln 1990, S. 136 (im folgenden: Wende zum Ende)
[4] Günter Simon: Tisch-Zeiten. Aus den Notizen eines Chefredakteurs 1981-1989, Berlin 1990, S. 6
[5] Die Empörung der Kolleginnen und Kollegen von Bergmann Borsig war groß, als sie anhören mußten, daß Harry Tisch sie und die untersten betrieblichen Gewerkschaftsfunktionäre für die "Fehlentwicklungen" verantwortlich machen wollte. Vgl. u.a. Wende zum Ende: a. a. O., S. 20; S. 76
[6] SAPMO BArch DY34/ 37011: Zusammenfassende Thesen aus den bisher vorliegenden Standpunkten und Vorschlägen der AG "innergewerkschaftliche Demokratie", unp.
[7] Monika Luhn: Gewerkschafter fordern: Klare Position gegenüber den Parteien, in: Tribüne, 14. 11. 1989
[8] Es ist bezeichnend, daß die AG "Demokratie" ausgerechnet vom langjährigen Sekretär des Bundesvorstandes, Werner Heilemann geleitet wird. Vgl. auch: Artikel in Tribüne vom 14. 11. 1989
[9] Der Name der Interviewpartnerin ist anonymisiert. Das Interview wurde von der Verfasserin am 9. 9. 1994 geführt.
[10] Frau Z. ist Mitautorin des Diskussionspapiers der Gewerkschaftshochschule Fritz Heckert in Bernau: Wie könnte eine Wende in der Gewerkschaftsarbeit aussehen?, veröffentlicht in: Tribüne vom 1. 11. 1989
[11] Interview vom 9. 9. 1994
[12] ebenda
[13] ebenda
[14] Das "Vorbereitungskomitee" war damit beschäftigt, die Autonomiestrukturen für die Einzelgewerkschaften zu diskutieren, die Situation in den Betrieben interessierte kaum. Vgl. dazu: Wende zum Ende, a. a. O., S. 41
[15] SAPMO BArch DY34/ 27011: Auszüge aus Briefen an den Bundesvorstand vom 26. 11. 1989, unp.
[16] Vgl. SAPMO BArch DY34/ 27011: Interessanterweise finden sich darunter viele Stimmen von BGL- oder AGL-Funktionären, die diese neue "Konterstimmung" sehr bedauern und am liebsten wieder zu einer harmonischen Arbeit mit den Leitern zurückfinden wollen. So beklagt sich die BGL des VEB Dienstleistungen Wismar am 16. 11. 1989: "Das Wort "Kontrahent" in der Veröffentlichung der TRIBÜNE vom 13. 11. war die wesentliche Begründung für die Austrittserklärung des Betriebsdirektors aus dem FDGB. Gegenwärtig beschäftigen sich eine Reihe von staatlichen Leitern mit ihrem Austritt, da sie sich dann ja nicht mehr von unserer Organisation vertreten fühlen. Hierin liegt für unsere Auffassung die Gefahr einer Spaltung unserer Organisation.", SAPMO BArch DY34/ 27011, unp.
[17] Vgl. zum Verhalten des DGB: Hans-Hermann Hertle: Nicht-Einmischung. Die DGB/ FDGB-Beziehungen von 1972 bis 1989, FU, Berliner Arbeitshefte und Berichte zur sozialwissenschaftlichen Forschung Nr.50, November 1990; Michael Fichter/ Stefan Lutz: Gewerkschaftsaufbau in den neuen Bundesländern. Eine Chronik der Ereignisse 1989-1991, FU, Berliner Arbeitshefte und Berichte zur sozialwissenschaftlichen Forschung Nr. 64, Oktober 1991; Martin Jander/ Thomas Voß: Mangel an Perspektiven - die bundesdeutschen Gewerkschaften im Vereinigungsprozeß, in: D. Gatzmaga/ Th. Voß/ K. Westermann (Hg.): Auferstehen aus Ruinen. Arbeitswelt und Gewerkschaften in der frühen DDR, Marburg 1991, S. 147-155
[18] zur IUG vgl.: Leonore Ansorg/ Renate Hürtgen: "Aber jetzt gibt es initiative Leute und die müßte man eigentlich alle an einen Tisch bringen." Die Initiative für unabhängige Gewerkschaften (IUG) 1989 bis 1990. Darstellung und Dokumente. FU, Berliner Arbeitshefte und Berichte zur sozialwissenschaftlichen Forschung Nr. 73, Juli 1992; Martin Jander: Formierung und Krise der DDR-Opposition. Die "Initiative für unabhängige Gewerkschaften" - Dissidenten zwischen Demokratie und Romantik, Berlin 1996 sowie die Kritiken an Jander bei Bernd Gehrke: Aufbruch und Abbruch der Initiative für unabhängige Gewerkschaften in der "Wende", in: telegraph, 1/ 1997, S. 29-36; Sebastian Gerhardt: Erfahrung, Ideologie und Projektionen. Forschungen zur Opposition im "SED-Staat", in: WerkstattGeschichte 19 (1998), S. 69-74
[19] Martin Jander/ Stefan Lutz: "Die Gründung des Betriebsrates war eigentlich ein Mißverständnis". Von der gescheiterten Idee der Betriebsgewerkschaft "Reform" zur Gründung eines ohnmächtigen Betriebsrates im GRW-Teltow (Herbst 1989-Sommer 1991), FU, Berliner Arbeitshefte und Berichte zur sozialwissenschaftlichen Forschung Nr. 72, Dezember 1992
[20] Stefan Lutz: Probleme der Interessenvertretung der Arbeitnehmer bei der Übernahme des westdeutschen Modells der Arbeitsbeziehungen in der DDR, untersucht auf der Betriebsebene, Diplomarbeit, 1991, S. 35
[21] ebenda, S. 40f
[22] ebenda, S. 47
[23] ebenda, S. 62
[24] Die Karten werden neu gemischt! Arbeitnehmervertretung in der DDR, Frankfurt a. Main 1990, S. 13
[25] Wende zum Ende, a. a. O., S. 60/ 61
[26] Wählt Räte in den Betrieben!, Aufruf der Betriebsgruppe der Initiative für eine Vereinigte Linke
[27] Jürgen Kädtler/ Gisela Kottwitz: Betriebsräte zwischen Wende und Ende. FU, Berliner Arbeitshefte und Berichte zur sozialwissenschaftlichen Forschung Nr. 42, Oktober 1990, S. II
[28] ebenda, S. 5
[29] ebenda, S. 26
[30] ebenda, S. 35 und S. 44
[31] Material im Eigenbesitz
[32] Zuviel "Angeblich"-Fragen, die unseren Gewerkschaftern auf den Nägeln brennen, in: Das Kabel, Betriebszeitung des Kabelwerkes Oberspree (KWO) 6/ 1990, S. 3
[33] Material im Eigenbesitz
[34] Material im Eigenbesitz
[35] Diskussion auf der IUG-Konferenz am 3. 2. 1990, in: Leonore Ansorg/ Renate Hürtgen: Aber jetzt gibt es initiative Leute..., a. a. O., S. 172
[36] Material im Eigenbesitz
[37] Leonore Ansorg/ Renate Hürtgen: Aber jetzt gibt es initiative Leute ... a. a. O., S. 6f
[38] Interview mit ehemaliger Betriebsrätin eines Metallbetriebes vom 13. 3. 1995, unv. Manuskript
[39] Vgl. z.B. Wende zum Ende, a. a. O., S. 61f
[40] Mein Standpunkt: "Raus aus den Betrieben und Einrichtungen!", 20. 11. 1989, Kollege von Bergmann Borsig, Material im Eigenbesitz
[41] Es ließe sich damit die These aufstellen, die Arbeiter aus den Produktionsbereichen haben 1989 eher das Geschäft der Negierung der alten Verhältnisse betrieben, weniger das des positiven Aufbaus neuer Strukturen. Vgl. zur Rolle von Angestellten in der "Wende": Renate Hürtgen: FrauenWende-WendeFrauen. Frauen in den ersten betrieblichen Interessenvertretungen der neuen Bundesländer, Münster 1997
[41] Das Kabel 6/ 1990, S. 3
[42] Das Kabel 6/ 1990, S. 3
[43] Aufruf vom Rehabilitationszentrum Köpenick, Eigenbesitz
[44] Gründungsaufruf AEB, Eigenbesitz
[45] Aufruf von Mikroelektronik Dresden, Eigenbesitz
[46] Aufruf des BAF, a.a.O.
[47] Vielleicht ist es interessant zu wissen, daß dieser basisdemokratische Impetus noch Jahre nach der "Wende" ein Merkmal ostdeutscher Gewerkschaftsmitglieder bleiben sollte. So forderten 77% der Ostmitglieder (69% Westmitglieder) laut einer vom DGB in Auftrag gegebenen Studie basisdemokratische Entscheidungen beim Abschluß eines Tarifvertrages, vgl. INTER/ESSE,12/ 1994, S. 5, Bundesverband Deutscher Banken (Hg.)
[48] VEB Schwertransport Leipzig, zitiert aus: Wende zum Ende, a.a.O., S. 64.
[49] Vgl. Jürgen Kädtler/ Gisela Kottwitz: a.a.O., S. 16
[50] Positionspapier Neues Forum, Eigenbesitz
[51] Diskussion auf der IUG-Konferenz am 3. 2. 1990, in: Leonore Ansorg/ Renate Hürtgen: Aber jetzt gibt es initiative Leute..., a. a. O, S. 170
[52] So erinnert sich ein Betriebsrat. Siehe: Jürgen Kädtler/ Gisela Kottwitz: a. a. O., S. 26
[53] Wende zum Ende, a. a. O., S. 62
[54] Jürgen Kädtler/ Gisela Kottwitz: a. a. O., S. 27.
[55] Im übrigen gehörte es zum späteren Geschichtsverständnis der DDR, daß diese Vorgänge in den Betrieben der SBZ verschwiegen oder diffamiert wurden. Eine ausgewogene Beurteilung, die sowohl den pragmatischen als auch den widerständigen Aspekt dieser Aktivitäten diskutiert, findet eigentlich erst heute statt.
[56]"Geschichtliche Bruchstellen - Krisen, Krieg, Kapitulation, Revolution, Konterrevolution - bezeichnen konkrete Konstellationen gesellschaftlicher Kräfte, in denen sich proletarische Öffentlichkeit ausbildet. Da sie als herrschende Öffentlichkeit nicht existiert, muß man sie aus diesen Brüchen, Grenzfällen, punktuellen Ansätzen rekonstruieren", Oskar Negt/ Alexander Kluge: Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit, Frankfurt am Main 1972, S. 7
[57] Leonore Ansorg/ Renate Hürtgen: Aber jetzt gibt es initiative Leute...,a. a. O., S. 175
[58] Interview mit einer Beschäftigten eines Berliner Metallbetriebes, 17. 3. 1995
[59] Ansgar Scherf, Betriebsrat, VEB Kleinbehälterglas, Neuhaus/Thüringen, in: Die Karten werden neu gemischt , a. a. O., S. 1
[60] Siegfried Holland-Moritz, Betriebsrat, VEB Mikroelektronik, in: Die Karten werden neu gemischt, a. a. O., S. 10
[61] Vgl. zu diesen und anderen Aspekten des Scheiterns einer unabhängigen Betriebsbewegung: Bernd Gehrke: Aufbruch und Abbruch derInitiative für unabhängige Gewerkschaften in der " Wende" oder: Martin Janders Abwicklung der DDR-Opposition, unv. Manuskript
[62] Jürgen Kädtler/ Gisela Kottwitz: a. a. O., S. II
[63] Vgl. Renate Hürtgen: FrauenWende-WendeFrauen, a. a. O.
[64] Ein besonders eindruckvolles Beispiel für diese Ablehnung wird geschildert in Martin Jander: Die Gründung des Betriebsrates...a. a. O., "Eine erfolglose Reise zu Heinz Kluncker", ebenda, S. 34/ 35
[65] Selbst Gewerkschaftstheoretiker aus dem Westen kritisierten sehr früh diese Haltung. Vgl. Wende zum Ende, a. a. O.,S. 81ff
[66] Vgl. Renate Hürtgen: Über den notwendigen Wandel der Organisationsstrukturen und die Frage nach den Trägern der Organisationskultur. Gedanken anläßlich des Aufbaus der Gewerkschaften in den neuen Bundesländern, Vortrag auf der Konferenz des Bereichs Gewerkschaftspolitik der FU Berlin, "Transformationsprozesse in den neuen Bundesländern: Bremsklötze der Gewerkschaftsentwicklung in Deutschland?", 3. 2. 1995
LabourNet Germany Archiv: Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet: http://www.labournet.de/
LabourNet Germany: Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch The virtual meeting place of the left in the unions and in the workplace |
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