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Wer schützt wen bei öffentlichen Aufträgen?

Thomas Enke zur nicht nur deutschen Auseinandersetzung um soziale und ökologische Kriterien im Vergaberecht

»Unser Stoßseufzer: Gott schütze das Pflänzchen des wettbewerblichen Vergabewesens, wie es sich im Zuge der EU-Binnenmarktvollendung in den 90er Jahren entwickelt hat« – mit solchen Gebeten begleiteten die Vergaberechts-Experten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie ihre Mitglieder in ihrem internen Jahresausblick 2002. Nicht zu unrecht, meint Thomas Enke, der Ansatzpunkte für eine Beschränkung dieses Wettbewerbs durch neue Kriterien zur Vergabe öffentlicher Aufträge sieht, wie sie derzeit in der Bundesrepublik Deutschland und auf EU-Ebene formuliert werden. Enke analysiert den Stand der Auseinandersetzungen zum geplanten Vergabegesetz, dessen erste Lesung im Bundestag für den 25. Januar angesetzt ist, und die Vorschläge der EU-Kommission, die den Maßstab für ein künftiges bundesdeutsches Gesetz bilden werden.
Er geht dabei insbesondere auf das für die Gewerkschaften zentrale Kriterium der »Tariftreue« ein, das wegen seiner, so die KritikerInnen, protektionistischen Implikationen zugleich im Zentrum des Streits steht.

 

Die Härte der Auseinandersetzungen zwischen Industrie-Lobbyisten und Gewerkschafts-Vertretern um Kriterien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge kann nicht verwundern. Die öffentliche Hand ist schließlich ein entscheidender volkswirtschaftlicher Auftraggeber: Der Sachaufwand von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungsträgern beläuft sich jährlich auf 230 bis 240 Milliarden Euro, darunter 100 bis 110 Milliarden Euro Bauleistungen. 65 Prozent aller Aufträge werden derzeit hierzulande noch freihändig vergeben, nur 16 Prozent öffentlich ausgeschrieben. Insofern würde ein Mehr an Ausschreibung einerseits ein Mehr an Wettbewerb bedeuten; zugleich könnte dies bei Durchsetzung entsprechender Kriterien jedoch auch ein Mehr hinsichtlich der Angleichung von Sozialstandards und Löhnen zwischen West und Ost sowie eine Stabilisierung des Systems der Tarifverträge bedeuten.

Noch in den 90er Jahren enthielt das Vergaberecht in dreizehn von fünfzehn Bundesländern so genannte »vergabefremde«, also nicht allein Preis und Wirtschaftlichkeit eines Angebots berücksichtigende Kriterien – verankert allerdings zumeist nur auf dem Verordnungswege. Auf Bundesebene gab es unter der schwarz-gelben Regierung zumindest einen Kabinettsbeschluss, nach dem bei der Vergabe von Bundesaufträgen ein so genanntes Berufsbildungs-Kriterium und ein Präferenz-Kriterium für Firmen aus den neuen Bundesländern wirksam werden sollten.

Eine der letzten Hinterlassenschaften Kohls und Rexrodts war das zum Jahresanfang 1999 in Kraft getretene Vergaberechtsänderungsgesetz. Weitergehende Kriterien als die der Preisgünstigkeit bzw. »Wirtschaftlichkeit« können seitdem nicht mehr per Verordnung, sondern nur noch über ein Bundes- oder Landesgesetz verankert werden. Derzeit existieren nur in Bayern, Schleswig-Holstein, Saarland, Bremen und Berlin Vergabe-Gesetze. Gegen das Berliner Landesvergabegesetz, in dem die Kriterien der Tariftreue und eine Berufsausbildungs-Präferenz festgeschrieben sind, klagte das Bundeskartellamt. Dieser Klage wurde im Januar 2000 vom Bundesgerichtshof stattgegeben, das Verlangen nach Tariftreue-Erklärungen untersagt und das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt. Wann das Verfassungsgericht endgültig über das Berliner Gesetz urteilt, ist weiter offen.

 

Rot und Grün sind einander nicht mehr selbiges

Noch bis Februar 2001 mauerte die rot-grüne Bundesregierung massiv. Sie wollte frühestens nach einem Bundesverfassungsgerichts-Urteil aktiv werden. Bayern hatte jedoch bereits im Juli 2000 eine Novelle des Tarifvertragsgesetzes in den Bundesrat eingebracht, wonach der Landesgesetzgeber zur Tariftreue im Bau ermächtigt werden sollte. Dieser Gesetzentwurf wurde im Februar 2001 an den Bundestag überwiesen, dort aber bisher nicht behandelt. Die Regierung hatte gegen den Entwurf Stellung bezogen: Wegen der Mindestlohn-Bestimmungen in der Entsende-Richtlinie läge »kein Handlungsbedarf« auf dem Bau vor. Durch den Druck seitens der Gewerkschaften ÖTV/ver.di und IG BAU und vor dem Hintergrund der näher rückenden EU-Osterweiterung bröckelte die SPD-Front jedoch im Frühjahr, beginnend mit Nordrhein-Westfalen. Ende April 2001 brachte das Land ein spezielles, nicht mehr an das Tarifvertragsrecht gekoppeltes Gesetz in den Bundesrat ein, wonach alle Auftraggeber im Baugewerbe und im öffentlichen Personenverkehr zur Durchsetzung der Tariftreue verpflichtet werden sollen.

Im Bundesrat wurde dieser Entwurf noch ergänzt um die Möglichkeit, »schwarze Schafe« – befristet auf maximal drei Jahre – von Vergabeverfahren ausschließen zu können. Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern gaben abweichend zu Protokoll, statt des am Erfüllungsort des Auftrags geltenden Tarifs solle der am Firmensitz des Auftragnehmers übliche Tarif gelten.

Diesen Gesetzentwurf überwies der Bundesrat Ende Juli an den Bundestag. Bereits Mitte Juli hatten sich die Bundestagsfraktionen der SPD und der Bündnisgrünen für das NRW-Projekt ausgesprochen, Ende September brachten sie einen entsprechenden Antrag im Parlament ein. Behandelt wurde dort aber bisher keine dieser Vorlagen.

Gegen eine Neuregelung sind der BDI, der BDA und die DIHK sowie regionale, insbesondere ostdeutsche Kammern – letztere, weil sie schwindende Wettbewerbsvorteile ihrer Unternehmen bei Ausschreibungen im Westen fürchten. Dafür sprechen sich – neben den Gewerkschaften – auch das Bauhandwerk und der Zentralverband des deutschen Baugewerbes aus.

Nach Zusagen des Bundeskanzlers gegenüber den Gewerkschaften – offensichtlich mit Blick auf die nächsten Bundestagswahlen – raffte sich das federführende, aber bis dato grundsätzlich ablehnend eingestellte Wirtschaftsministerium schließlich doch zu einem Regierungsentwurf auf, der den Zielen des Bundesrates entspricht und eigentlich am 1. April 2002 in Kraft treten sollte. Jedoch legte am 11. Dezember plötzlich die bündnisgrüne Fraktion ihr Veto ein – maßgebliche Fraktionsspitzen waren zu diesem Punkt bereits aus der Sitzung entschwunden, so dass Oswald Metzger, dem das Ganze zu bürokratisch und teuer ist, unerwartet eine Mehrheit erhielt. Das Bundeskabinett beschloss den Entwurf zwar am 12. Dezember unverändert, auch wurden die Grünen in einer Sondersitzung am selben Abend mehrheitlich wieder »auf Linie gebracht«. Doch die Fristen, um den Entwurf noch 2001 offiziell ins Parlament bringen zu können, waren überschritten, so dass ein Inkrafttreten zum April 2002 kaum noch zu schaffen ist.

Auch bleibt abzuwarten, inwieweit die Tariftreue-Forderung nicht in den bevorstehenden Bundestags-Bera-tungen doch noch erheblich aufgeweicht wird. Koalitionsinterne Kritiker wollen das Gesetz befristen (vier bis fünf Jahre), seine Geltung auf Auftragsvolumen ab 500000 Euro beschränken (bisher ab 50000 Euro vorgesehen) und in Ostdeutschland Abschläge zulassen, soweit dort schon West-Tarife gelten. Da CDU/CSU und F.D.P. das ganze Projekt gegen den Strich geht, kommt es aber in der Koalition auf jede Stimme an.

 

»Chancengerechtigkeit« für Kleinunternehmen und den Osten oder Tarifverträge retten?

Die rot-grünen Auseinandersetzungen sind maßgeblich der Lage in Ostdeutschland mit seinen vergleichsweise kleinen Unternehmen, geringer Tarifvertragsbindung und klammen Kommunal- und Landes-Kassen geschuldet. Natürlich investiert der Bund dort relativ viel – aber in Projekte, die ob ihrer Größe die Kapazitäten von Ostunternehmen sprengen und nach EU-Recht ohnehin europaweit ausgeschrieben werden müssen.

Die einzige Chance, Aufträge gezielt an lokale Anbieter vergeben zu können, bestünde darin, sie durch Zerlegung in Teil- und Fach-Lose so klein zu machen, dass eine beschränkte Ausschreibung (die Behörde lädt nur einige, von ihr benannte potentielle Bieter zum Wettbewerb ein) oder gar eine freihändige Vergabe (der Auftrag geht ohne jede Ausschreibung an ein Unternehmen) gesetzlich möglich ist. Das setzt aber entsprechendes Personal für aufwändigere Projektplanung in den Ämtern voraus (in Mecklenburg-Vorpommern bei-spielsweise darf seit Jahresanfang bei einem Auftragswert bis 20000 Euro freihändig vergeben werden, bei Bauleistungen bis 200000 Euro sind beschränkte Ausschreibungen möglich) und treibt die Vorlaufkosten in die Höhe. Länder und Kommunen haben aber regelmäßig weder das Personal noch das Geld dafür. So bleibt den dortigen Unternehmen bisher häufig nur die Möglichkeit, Aufträge in Westdeutschland zu akquirieren – also für Ostlöhne auf Westbaustellen arbeiten zu lassen – oder sich als Subunternehmer zu Dumpingpreisen den Auftragnehmern von Großprojekten anzudienen.

Das jetzt diskutierte Tariftreue-Gesetz wäre so gesehen tatsächlich ein kräftiger Schlag ins Kontor – deshalb wehren sich bisher auch alle ostdeutschen Landesregierungen, unabhängig von ihrer parteipolitischen Färbung, mehr oder weniger lautstark dagegen. Dieser Protest bleibt aber politisch kurzsichtig – führt doch gerade der nun schon jahrelange Preisunterbietungs-Kampf in den Ruin der beteiligten Unternehmen (und damit zu mehr Arbeitslosen) wie er auch die kurzfristigen öffentlichen Kosten-Einsparungen langfristig durch die Folgekosten von zwangsläufig vermehrtem Pfusch bei der Auftragsabarbeitung mehr als auffrisst.

Entscheidend wird es sein, ob es gelingt, die Tariftreue am Auftragsort festzuschreiben. Eine solche Regelung wäre dann EU-fest, wenn zum einen eine verbindliche, sanktionsbewehrte nationale Rechtsgrundlage vorläge. Die wäre mit den vorliegenden Gesetzentwürfen gegeben. Zum anderen müsste das Kriterium bereits in den Ausschreibungsunterlagen ausdrücklich benannt, nicht erst bei der Entscheidung über den Zuschlag herangezogen werden. So wäre kein EU-Unternehmer ausgeschlossen und auch allen Verfassungs-Bedenken der Boden entzogen: Betriebe brauchten keinem Tarifvertrag zu unterliegen und müssten dennoch dem für den konkreten Auftrag beschäftigtem Personal den ortsüblichen Tarif bezahlen.

Die vorliegenden Gesetzentwürfe müssten jedoch um Sanktionen gegen Auftraggeber erweitert werden, die sich nicht an das dann geltende Recht und den ihm innewohnenden Prüfauftrag während der Auftragsausführung halten. Ansonsten bliebe der Vollzug der Tariftreue letztlich dem Zufall überlassen.

Dagegen sind die Vorschläge (z.B. aus Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern), Tariftreue am Unternehmenssitz zu verlangen, europarechtlich unhaltbar, weil sie einen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit darstellen. Demnach müsste ein Unternehmer ja tatsächlich irgendeinen Tarifvertrag unterschrieben haben, um sich überhaupt bewerben zu können. Die Vorschläge sind jedoch auch wirtschafts- und beschäftigungspolitisch kurzsichtig, da damit dem Tarifdumping Tür und Tor geöffnet wird: Der niedrigste Tarif irgendwo im EU-Bereich wäre letztlich derjenige, der zur Anwendung käme. Abgesehen davon wäre der Vorschlag auch nur wenig praktikabel. Denn wie sollte beispielsweise das Bauamt Demmin prüfen, ob eine Firma mit einem Briefkasten hinter Porto dort überhaupt sitzt, ob sie »tariftreu« ist und welche Tarife dort für die einzelnen Gewerke fällig werden? Die Tarife am Ort der Auftragserfüllung hingegen sind verfügbar, und auf ihrer Basis lassen sich auch Aufträge kalkulieren.

Auch der Einwand der »Chancengerechtigkeit für den Osten« zieht nicht: Das neue Recht würde, um im Beispiel zu bleiben, so zwar kurzfristig eine schlechtere Wettbewerbssituation für Demminer Firmen bei Aufträgen in Hamburg oder Nürnberg bedeuten, weil die dort üblichen, in der Regel höheren Löhne gezahlt werden müssten. Zugleich wären jedoch auch Firmen aus Sceczin oder Vilnius gezwungen, die in Demmin üblichen Löhne zu zahlen, wenn sie dort arbeiten lassen. Letztlich kann nur auf diesem Wege eine schrittweise Angleichung der Löhne und sonstigen Arbeitsstandards an das höhere Westniveau und nicht – wie von der derzeitigen Praxis ausgehend – an das niedrigere Ostniveau erreicht werden. Es handelt sich bei dem Problem, ob die Tariftreue am Sitz der Firma oder am Ort der Auftragserfüllung gelten soll, also keineswegs um eine akademische Frage.

Jedoch bleibt, und das sollte aus den bisherigen Ausführungen auch klar geworden sein, jedes Tariftreue-Gesetz beschäftigungs- und strukturpolitisch ein Placebo, so lange nicht gleichzeitig die Finanzausstattung, insbesondere der Kommunen, erheblich verbessert wird. Denn sonst hat sein ordnungsgemäßer Vollzug nur eine Folge – mit demselben Geld werden absolut weniger Aufträge ausgelöst, weniger Arbeitsplätze gesichert und weniger öffentliche Infrastruktur verbessert. Bei dieser zweiten Seite derselben Medaille gedenkt sich rot-grün aber bisher überhaupt nicht zu bewegen. Und selbst wenn sie es täten, so bliebe immer noch die politisch umkämpfte Frage, zu wessen Lasten die erforderlichen Gelder aufgebracht würden.

 

Auch in der EU kein Ende in Sicht

Wie alle Politik-Felder muss auch die deutsche Auftragsvergabe dem EU-Recht genügen. Von der Europäischen Kommission liegen seit Mai bzw. Juni 2000 drei Richtlinienentwürfe vor – zur »allgemeinen Auftragsvergabe«, zum »Personenverkehr auf Schiene, Straße und Binnenschiffen« und zur »Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung«. Sie zielen auf mehr Transparenz, Vereinfachung und Flexibilisierung öffentlicher Ausschreibungen sowie die Möglichkeit elektronischer Ausschreibungen. Alle drei Entwürfe werden in den Rats-Gremien derzeit hoffnungslos blockiert; die Regierungen der Mitgliedsstaaten schütten die Kommission mit Vorbehalten und Prüfaufträgen zu. Die ursprünglich für Oktober 2001 geplanten Ratsbeschlüsse wichen zuletzt der Hoffnung, wenigstens in Bezug auf die »allgemeine Richtlinie« eine »politische Einigung« (nicht zu verwechseln mit einem tatsächlichen Abschluss!) unter spanischer Präsidentschaft zu erreichen – die endet im Juni 2002.

Das Europaparlament wollte seine Beratungen ursprünglich bis September 2001 abschließen, doch lediglich der Entwurf der Personenverkehr-Richtlinie passierte im November das Parlament. Allerdings mit so gravierenden Änderungen, dass die zuständige Kommissarin de Palacio bereits ankündigte: Knapp 30 der Parlamentsbeschlüsse seien unannehmbar – falls nicht noch ein Kompromiss gefunden werde, so wolle die Kommission lieber das Rechtsetzungsverfahren abbrechen und auf die angestrebte Richtlinie verzichten. Der Streit entzündet sich insbesondere am Vorhaben der Kommissare, öffentliche Unternehmen beim Betrieb des öffentlichen Personenverkehrs nicht länger zu privilegieren, womit sich aber bisher eine Mehrheit der Abgeordneten nicht anzufreunden vermag.

Zur allgemeinen und zur Infrastruktur-Vergaberichtlinie hoffte der zuständige Kommissar Bolkestein beim Binnenmarktrat am 26. November zwar noch auf eine Politische Einigung bis März 2002. Hauptstreitpunkte auf Ebene der Regierungen sind die Einbeziehung von Umwelt- und Sozialstandards sowie die persönliche Situation des Bieters (Vorstrafen etc.) in den Ausschreibungskriterien selbst sowie das Ausmaß elektronischer Ausschreibungen – also faktisch der Versteigerung von Aufträgen via Internet.

Möglicherweise braucht sich der Rat auch gar nicht mehr zu einigen, weil schon das Europäische Parlament über dem Thema kollabiert: Mitte Oktober stimmte zwar der federführende Rechtsausschuss das Paket durch – über 600 Anträge in dreieinhalb Stunden. (Passend zum Thema: Das Chaos war so groß, dass am Ende die DolmetscherInnen wegen Überschreitung der tarifvertraglich zugesicherten Arbeitszeit streikten, so dass den Abgeordneten nur direkte Kommunikation in Englisch blieb. Dieser Versuch war offenkundig nicht von sonderlichem Erfolg gekrönt – unter den rund 260 angeblich beschlossenen Änderungsanträgen befinden sich zahlreiche einander ausschließende Beschlüsse.)

Der zuständige Berichterstatter legte zu Beginn der parlamentarischen Weihnachtspause so genannte vermittelnde Änderungsvorschläge (Compromise Amendments) vor – sollten diese jedoch von den übrigen an den Beratungen Beteiligten nicht akzeptiert werden, so gehen sie nicht ins Plenum. Ob es, wie nun vorgesehen, im Januar/Februar 2002 zu einer Plenar-Entscheidung kommen kann, steht in den Sternen. Die christdemokratisch-konservative EVP als größte Fraktion droht mittlerweile, den ganzen Bericht abzulehnen, wenn Sozial- und Umweltstandards über »technische Spezifikationen« hinaus als direkte Ausschreibungs- und Zuschlagkriterien verlangt werden sollen (wie offenbar im Ausschuss beschlossen). Sollten sich die Liberalen dieser Auffassung anschließen, müsste wegen der Mehrheitsverhältnisse die ganze, mittlerweile mehr als einjährige Parlaments-Lesung noch einmal wiederholt werden.

Die Wirtschaftsverbände konstatieren dennoch mit Entsetzen, dass »vergabefremde« Kriterien wie Tariftreue, Beschäftigung von Frauen usw. oder besonders geringe Umweltbelastung unter Regierungen und Parlamentariern zunehmend Anhänger gewinnen. Vielleicht wird auch dem grassierenden Generalunternehmertum der Garaus gemacht. Das Europäische Parlament will nämlich eine obligatorische Trennung der Auftragsvergabe für Bauplanung und Bauausführung durchsetzen.

Jedoch wird zugleich darüber verhandelt, den Geltungsbereich der Richtlinie einzuschränken. Ursprünglich sollte sie für Dienstleistungen/Lieferungen ab einem Auftragsvolumen von – je nach Auftragsart – 140000 bzw. 200000 Euro, bei Bauaufträgen ab 5,3 Millionen Euro gelten. Damit unterlägen ihr schätzungsweise 20 Prozent aller von öffentlichen Stellen in der EU vergebenen Aufträge. Bei einer angedachten Verdopplung dieser Schwellenwerte wären es nur noch vier bis fünf Prozent. Damit aber würden noch so ansehnliche Sozial- und Umweltkriterien zu Mustern ohne Wert (außer, die nationalen Vergabe-Gesetze werden entsprechend ausgestaltet).

In den von der Kommission eingebrachten Entwürfen für die Vergaberichtlinien spielte Tariftreue überhaupt keine Rolle. Lediglich die Einhaltung von Bestimmungen zum Arbeitsschutz und zu den Arbeitsbedingungen sowie beschäftigungspolitische Ziele sollten als Voraussetzung zur Wettbewerbsteilnahme um öffentliche Aufträge gemacht werden können – nicht als Kriterium der Zuschlagserteilung, sondern als Voraussetzung für die Teilnahme an einer Auftragsausschreibung. Jedoch ist mittlerweile eine Aufweichung der bisherigen Zuschlagskriterien – also niedrigster Preis oder wirtschaftlichstes Angebot (zu dessen Merkmal allerdings schon jetzt Umwelteigenschaften gehören) – nicht mehr ausgeschlossen: Insbesondere Frankreich und Belgien kämpfen für die Verankerung sozialer Kriterien und Dänemark für eine weitere Verstärkung der Umweltkriterien.

Die deutsche Bundesregierung äußerte sich auf EU-Ebene bislang eher gegen weitergehende Voraussetzungen für eine Auftragserteilung. Das zeigte sich auch im Bundestag. Im Dezember 2000 standen die EU-Richtlinienentwürfe erstmals auf der Tagesordnung des federführenden Wirtschaftsausschusses. Doch ihre Befassung wurde durch die Koalitionsfraktionen mehrfach vertagt, um seit Anfang März 2001 überhaupt nicht mehr aufgerufen zu werden. Auch der Versuch der PDS, im November endlich einmal über die anschwellende Zahl der einschlägigen EU-Dokumente zu diskutieren, wurde von rot-grün vereitelt: Die Koalition will über das europäische Vergaberecht erst im Zusammenhang mit nationalen Gesetzesprojekten im Ausschuss sprechen – und das dürfte (siehe oben) noch Wochen dauern.

 

Kommission rudert zurück

Bedingt durch die Auseinandersetzungen mit Mitgliedsstaaten und EU-Parlament sah sich die Europäische Kommission genötigt, im Juni bzw. Oktober 2001 ihre Interpretation der Berücksichtigung von sozialen und Umweltbelangen bei der Auftragsvergabe zu veröffentlichen. Grundsätzlich gilt demnach auch aus Sicht der Kommissare: Alle in den Ausschreibungsbedingungen eines Auftraggebers erwähnten Kriterien, die ein potentieller Auftragnehmer zu erfüllen habe, können bei Vertragsdurchführung gegenüber dem tatsächlichen Auftragnehmer auch durchgesetzt werden. Entscheidend sei, dass diese Bedingungen für alle Interessenten und Aufträge gelten müssen, also keine strukturellen Diskriminierungen oder Willkür in der Ausschreibung vorliegen. Hinsichtlich der Kriterien der Zuschlagerteilung – also dem Schritt zwischen Ausschreibung und Auftragsausführung – sind aus der Sicht der Europäischen Kommission die in der Richtlinie aufgeführten Kriterien eng auszulegen: Dies dürfte insofern auf wenig Widerstand stoßen, als diese sich ohnehin nur auf die unmittelbare Produktqualität beziehen und nicht auf die Produktionsbedingungen. Der Fortschritt liegt hier darin, dass die Europäische Kommission erstmals – infolge von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes – einräumen musste, dass »vergabefremden« Vorgaben den Ausschlag bei der Auftragserteilung geben dürfen, wenn Angebote bei Preis und Wirtschaftlichkeit absolut gleichwertig sind.

Während die Kommission z.B. bei der Förderung von Frauen, Behinderten und Langzeitarbeitslosen als vom öffentlichen Auftraggeber definierbare Voraussetzung für die Teilnahme an einer Ausschreibung keine Probleme macht, sperrt sie sich bisher hinsichtlich des Kriteriums »Tariftreue« weiter. Sie ist der Auffassung, dass der Ausschluss von Auftragnehmern aus der EU, die die beim Auftraggeber bzw. am Auftragsort geltenden Tarifverträge nicht unterzeichnet haben, einen Verstoß gegen die Dienstleistungs- und möglicherweise auch gegen die Niederlassungsfreiheit darstellen könnte. Dabei stützt sie sich auf einen Antrag des Generalanwalts – ein Urteil des Gerichtshofs liegt dazu allerdings bislang nicht vor. Der Europäische Gerichtshof geht vielmehr in seiner bisherigen Rechtsprechung davon aus, dass es den Mitgliedstaaten nicht verwehrt ist, ihre Rechtsvorschriften oder geltenden Tarifverträge auf alle Personen auszudehnen, die in ihrem Hoheitsgebiet – und sei es auch nur vorübergehend – eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausüben. Dies gilt unabhängig davon, in welchem Land deren Arbeitgeber ansässig ist. Auf die Richter können die Kommissare demnach eigentlich nicht hoffen. Und schon an anderer Stelle ihrer Stellungnahme, nämlich beim Vergleich von Vergaben nach nationalem und EU-Recht, musste die Kommission eine Dominanz des Arbeitnehmerschutzes einräumen – sofern das der nationale Gesetzgeber will: Wenn Bestimmungen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind, gelten immer jene, welche den Arbeitnehmern größere Vorteile bringen.

Abgesehen davon, dass vieles für ein demnächst nicht allein auf Preisgünstigkeit zielendes EU-Vergaberecht spricht, dürfte es sich daher auch bei den jüngsten Drohungen der Europäischen Kommission, das geplante deutsche Vergabegesetz zu prüfen, eher um Theaterdonner handeln: Höchstens über das Beihilfeverbot nach Artikel 87 (1) EG-Vertrag ließen sich so genannte vergabefremden Kriterien in Ausschreibungen verhindern. Doch die Tariftreue als möglicher Bestandteil eines deutschen Vergabegesetzes wäre vom Beihilfeverbot nicht betroffen, da sie nichts am Zuschlag für das preisgünstigste Angebot ändern, sondern nur dazu führen würde, dass der »objektiv« günstigste Preis höher als bisher läge.

 

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/02


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