Gesundheitsförderung und Krankenrückkehrgespräche verhalten sich wie Feuer und Wasser - jedenfalls dann, wenn es sich um richtig verstandene Programme zur betrieblichen Gesundheitsförderung handelt.. Diese durch zahlreiche Praxiserfahrungen belegte Erkenntnis hat das Klinikum der Stadt Ludwigshafen allerdings nicht daran gehindert, eine Betriebsvereinbarung abzuschließen, die beides enthält.
Im zweitgrößten Krankenhaus des Landes Rheinland-Pfalz, dem Klinikum der Stadt Ludwigshafen, haben Betriebsrat und Geschäftsführung nach einjährigen Vorarbeiten in diesem Frühjahr eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, die zwiespältige Gefühle auslösen muss. In ihr wird versucht, relativ weit fortgeschrittene Ansätze betrieblicher Gesundheitsförderung mit der Durchsetzung eines betrieblichen "Anwesenheitsverbesserungs"-Programms zu verknüpfen. Nach Auffassung von Michael Ohlenschläger aus der Abteilung für Personal- und Sozialwesen des Klinikums setzt die Betriebsvereinbarung "auf eine angstfreie und offene Kommunikation" und soll die "Vision vom ‘Gesunden Krankenhaus’" unterstützen.
In der Präambel der Betriebsvereinbarung wird der hohe Stellenwert der betrieblichen Gesundheitsförderung für Gesundheit, Arbeitszufriedenheit und Wohlbefinden der Arbeitnehmer hervorgehoben. Die Vereinbarung will danach "gesundheitsgerechte Arbeitsbedingungen fördern, die Gesundheit – im Sinne von sozialem, psychischem und körperlichem Wohlbefinden – der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen fördern und die Arbeitszufriedenheit verbessern". Aufgabe von Führungskräften aller Ebenen sei es, "betrieblichen Ursachen von Gesundheitsstörungen nachzugehen und auf deren Beseitigung hinzuwirken". Im Mittelpunkt stehe dabei "eine kooperative und partizipative Mitarbeiterführung sowie eine Führungspraxis, die dem Wohlbefinden der MitarbeiterInnen einen hohen Stellenwert einräumt".
Als Instrumente der betrieblichen Gesundheitsförderung werden in der Betriebsvereinbarung neben dem – inzwischen eingerichteten – Gesundheitsarbeitskreis (ihm gehören Vertreter der Personalabteilung, des Betriebsrats, des betriebsärztlichen Dienstes, der Schwerbehinderten sowie der Arbeitssicherheit an) insbesondere Gesundheitszirkel genannt. "Jeder Mitarbeiter kann die Arbeit des Arbeitskreises in sogenannten Gesundheitszirkeln unterstützen. Diese Gesundheitszirkel können in jeder Abteilung in unterschiedlicher Form entstehen. Sie geben den Mitarbeitern vor Ort die Möglichkeit, über alle betriebsbedingten Probleme in ihrem Arbeitsfeld zu beraten und gemeinsam mit dem Vorgesetzen und Vertretern aus anderen Gremien Lösungsvorschläge zu erarbeiten", schreibt Ohlenschläger im Informationsblatt der Personalabteilung des Klinikums, "akzente Personal".
Weiterhin — und für das Unternehmen offenbar nicht minder wichtig – benennt die Betriebsvereinbarung "Maßnahmen zur Verbesserung der Anwesenheit" der Mitarbeiter. Hierbei geht es um "Gespräche nach krankheitsbedingter Abwesenheit", wie es die Betriebsvereinbarung zunächst wertneutral ausdrückt. Gemeint ist damit ein abgestuftes Instrumentarium kommunikativer Aktivitäten, das folgende Elemente enthält:
Wie ersichtlich zielen die "Abwesenheitsgespräche", deren letzte Absicht die krankheitsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber ist – was im bringen mit keiner Silbe in der Betriebsvereinbarung erwähnt wird –, sowohl auf mehrfach Kurzzeit- als auch Langzeiterkrankte. Aus den hier komplett wiedergegebenen zeitlichen Rahmendaten läßt sich leicht errechnen, dass Beschäftigte bereits nach fünf Einzelfehltagen vor oder nach arbeitsfreien Tagen oder nach sechs Kurzerkrankungen von bis zu drei Tagen, aber ebenso nach mehrfachen längeren Erkrankungen von ca. siebenwöchiger Gesamtdauer das Ende der Fahnenstange erreicht haben.
Wohl um sich – gerade als Institution des Gesundheitswesens, deren Hauptaufgabe die Versorgung kranker Menschen ist – nicht dem Vorwurf auszusetzen, Langzeit- und chronisch Kranke zu diskriminieren, benennt die Betriebsvereinbarung eine Reihe von Ausnahmefällen, in denen die genannten Regelungen nicht angewandt werden sollen, so etwa nach Kuren, Krankheiten während der Schwangerschaft, nach Arbeitsunfall usw. Bei Rückkehr aus einer mehr als sechs Wochen dauernden Arbeitsunfähigkeit "mit vorübergehenden oder bleibenden gesundheitlichen Einschränkungen infolge der Erkrankung" sollen zwischen Vorgesetzen und betroffenen Mitarbeitern die "Möglichkeiten zum Wiedereinstieg" abgeklärt werden.
Ferner enthält die Betriebsvereinbarung eine Art Generalklausel zu "abweichenden Regelungen". Danach kann "in begründeten Einzel- und Ausnahmefällen", wie zum Beispiel nach stationärem Krankenhausaufenthalt, bei chronisch fortschreitenden oder wiederkehrenden Erkrankungen sowie bei Erkrankungen von Schwerbehinderten "im Einvernehmen" zwischen Betriebsrat und Personaldirektion vom Einsatz der abgestuften "Gesprächsregelungen" abgesehen werden. Mit solchen Klauseln ist die Praktizierung "Ludwigshafener Landrechts" nach Art des Klinikums programmiert. Denn entweder ist jeder einzelne Krankheitsfall unabhängig von seiner Dauer individuell zu bewerten, dann bedarf es keines Stufenplans, oder es wird Mitarbeitern generell "Mißbrauch" der Lohn- und Gehaltsfortzahlung unterstellt, dann wären konsequenterweise alle arbeitsunfähig kranken Mitarbeiter der Stufenprozedur zu unterwerfen. In arbeits- und sozialmedizinischer Sicht ist ein solches Vorgehen völlig unsinnig, ein messbarer betriebswirtschaftlicher Nutzen dürfte sich allenfalls kurz-, aber sicher nicht mittel- und langfristig einstellen.
Wie aus dem Umfeld des Betriebsrats verlautet, sei der erste Teil der Betriebsvereinbarung, also die Regelung über die Einrichtung der betrieblichen Gesundheitsförderungsinfrastruktur, nicht ohne den zweiten Teil, die "Anwesenheitsverbesserungs"-Gespräche, zu haben gewesen. Dies spricht nicht für eine entwickelte Betriebskultur, deren sich das auf dem Gebiet des Total-Quality-Managements projekterfahrene Ludwigshafener Klinikum gerne und zu Recht rühmt und als deren Ausdruck insbesondere die Geschäftsleitung ihre Betriebsvereinbarung bezeichnet. Schon gar nicht lässt sich mit den "Gesprächen" ein "angstfreies Klima" im Unternehmen erzeugen. Ganz im Gegenteil: Selbst wenn es gelingen sollte, im Rahmen von (inzwischen angebotenen) "Vorgesetztenschulungen" durch die Vermittlung entsprechender Gesprächsführungstechniken zu gewährleisten, dass angemessenere Kommunikationsformen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern praktiziert werden, als sie offenbar bislang im Klinikum Ludwigshafen an der Tagesordnung sind, werden die "Gespräche" ihren grundsätzlichen Charakter als Droh- und Druckmittel behalten.
Über den konkreten Einzelfall hinaus zeigt dieses Beispiel, in welche Richtung selbst im Grundsatz positiv zu bewertende Ansätze betrieblicher Gesundheitsförderung zumindest Gefahr laufen sich zu entwickeln, wenn sie wenig sachgerecht mit eindeutig disziplinierend wirkenden Maßnahmen der betrieblichen Personalpolitik verbunden werden. Dies wiegt um so schwerer, als der Gesundheitsförderungs-Teil der Ludwigshafener Betriebsvereinbarung zu den nicht gerade häufigen Beispielen zählt, in denen ein umfassendes, auf Systematik und Kontinuität angelegtes Vorgehen zumindest auf dem Papier konzipiert worden ist. Die Gefahr, dass durch solche Betriebsvereinbarungen die Idee der betrieblichen Gesundheitsförderung im Bewusstsein der Beschäftigten und einer breiteren Öffentlichkeit gründlich diskreditiert wird, ist sehr groß. Die Verfechter von "Krankenrückkehrgesprächen" als Instrument der betrieblichen Gesundheitsförderung haben nach dieser Betriebsvereinbarung ein Argument weniger auf ihrer Seite, um Skeptiker zu überzeugen. Es bleibt zu hoffen, dass derartige Beispiele nicht Schule machen. Und: Der Betriebsrat wäre gut beraten, die Betriebsvereinbarung zum erstmöglichen Zeitpunkt, in diesem Fall Ende 2000, zu kündigen und neu zu verhandeln.
Weitere Informationen: Klinikum der Stadt Ludwigshafen gGmbH, Dr. Volker Graf (Geschäftsführer), Jürgen Matschke (Personaldirektor), Christoph Schwarz (Betriebsratsvorsitzender), Bremserstraße 79, 67063 Ludwigshafen am Rhein, Tel.: 0621/503-0.
Quelle: ARBEIT & ÖKOLOGIE-BRIEFE Heft 25/1999
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