Arbeitsunfähigkeit

Ratgeber zum Umgang mit Krankenrückkehrgesprächen

Eine jetzt neu aufgelegte Broschüre zeigt Hintergründe, Erscheinungsformen und Möglichkeiten der Gegenwehr im Zusammenhang mit "Krankenrückkehrgesprächen" auf. Eine gründlichere Aktualisierung hätte dem leitfaden allerdings gut getan.

In vielen Betrieben, vor allem Großbetrieben, sind Krankenrückkehrgespräche inzwischen zu einem ganzen System von Kontroll -und Disziplinierungsmaßnahmen ausgebaut worden. Die Bochumer Industriesoziologin Mag Wompel hat sich in einem informativen Büchlein mehrfach mit dem Problem auseinandergesetzt. Es erschien erstmals 1996. 1998 wurde eine überarbeitete und aktualisierte Neuauflage veröffentlicht (vgl. Arbeit & Ökologie-Briefe 25-26/1998, Seite 15). Seit Oktober dieses Jahres liegt nun die dritte Auflage vor. Es wäre allerdings sinnvoller gewesen, diese als einfachen Nachdruck zu kennzeichnen. Denn für eine wirkliche Aktualisierung wären sehr viele neue Informationen und Hinweise erforderlich gewesen.

Die Broschüre richtet sich in erster Linie an Beschäftigte und ihre Vertretungen in Betriebs- und Personalräten, die in ihrer Alltagsarbeit mit dem sich immer weiter ausbreitenden Phänomen der Krankenrückkehrgespräche konfrontiert sind. Die Autorin will diesem Personenkreis vor allem Argumentationshilfen und Verhaltenstipps für die betriebliche und gesellschaftspolitische Diskussion über krankheitsbedingte Fehlzeiten, die Lohn- und Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall sowie Krankenrückkehrgespräche im Betrieb geben (zu den Handlungsmöglichkeiten von Betriebsräten siehe auch: Arbeit & Ökologie-Briefe 13-14/1999, Seite 17).

Betriebsnahe Problembeschreibung

Im Mittelpunkt steht die sehr betriebsnahe Schilderung von - insbesondere in Großbetrieben der Automobilindustrie verbreiteten - Praktiken der Reduzierung krankheitsbedingter Abwesenheit von Arbeitnehmern. Am Beispiel der Automobilbauer Opel, Mercedes und Volkswagen werden die diversen Verfahren zur Krankenstandssenkung und "Anwesenheitsverbesserung" einer kritischen Würdigung unterzogen. Deren Ergebnis fällt durchweg distanzierend bis negativ aus.

Dies ist angesichts der von den Geschäfts- und Personalleitungen beabsichtigten Wirkung im Betriebsalltag auch gerechtfertigt. Vernachlässigt wird dabei jedoch die Tatsache, dass derartige Maßnahmen in zumindest einzelnen Fällen, wie etwa bei Volkswagen, parallel zu Programmen der betrieblichen Gesundheitsförderung (die diesen Namen auch tatsächlich verdienen) praktiziert werden. Dieser Aspekt kommt in dem vorliegenden Leitfaden zu kurz.

Natürlich liegt die Autorin richtig mit ihrem Ansatz, den betrieblichen Umgang mit arbeitsunfähig kranken Beschäftigten "im Lichte" neuer Produktions- und Managementkonzepte zu betrachten. Aber zu fragen ist doch, ob auch die in den letzten Jahren umgesetzten Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung durchgängig und ausschließlich der Durchsetzung derartiger produktionspolitischer Zielsetzungen gedient haben. Wäre dies so, dann wären alle Bemühungen von Gewerkschaften und Betriebsräten um Programme betrieblicher Gesundheitsförderung mit arbeitnehmerorientierter Perspektive überflüssig (gewesen).

Gesundheitsförderung plus Kontrolle?

Interessant - und für Betriebsräte besonders schwierig - wird es dann, wenn betriebliche Gesundheitsförderung und Maßnahmen der "Anwesenheitsverbesserung" gleichzeitig stattfinden. Es spricht einiges für die Schlussfolgerung, hier sollten Feuer und Wasser miteinander verbunden werden. Aber die ganze Widersprüchlichkeit derartiger Verknüpfungen müsste konkret gezeigt werden. Anders dürfte es nicht gelingen, die (nicht wenigen) Betriebs- und Personalräte zu überzeugen, die bisher bei den von den Arbeitgebern gewünschten "Anwesenheitsverbesserungs"-Betriebsvereinbarungen mitgespielt oder diese sogar aktiv vertreten haben.

Abgesehen von dieser Schwäche bietet Mag Wompels Broschüre reichhaltiges Anschauungsmaterial über die praktischen Auswirkungen des Drucks auf Kranke in deutschen (Groß-)Betrieben. Sie zeigt darüber hinaus Möglichkeiten des Umgangs von Arbeitnehmern und Betriebsräten mit der gesamten Krankenstandsproblematik im Betrieb auf. Ein ausführlicher dokumentarischer Anhang enthält Argumentationshilfen und Leitfäden für betroffene Arbeitnehmer und Betriebsräte.

Die dritte Auflage berücksichtigt auch noch nicht die Neuregelungen des Gesetzes zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, die seit Januar 1999 in Kraft sind. Damit können die Leserinnen und Leser leben, wenn sie es wissen. Ein entsprechender Hinweis in einer Vorbemerkung wäre aber sinnvoll gewesen, wenn schon nicht die gesamte Broschüre überarbeitet werden sollte.

Weitere Informationen: Mag Wompel: "Jagd auf Kranke". Rückkehrgespräche auf dem Vormarsch, Offenbach 1999, 3. Auflage, 123 Seiten, 10 Mark. – Die Broschüre ist erhältlich bei AFP e.V., Bleichstraße 9, 63065 Offenbach, Tel.: 069/88 50 06, Fax: 82 11 16, e-mail: express-afp@t-online.de.

Quelle: ARBEIT & ÖKOLOGIE-BRIEFE Heft 24/1999, 1. Dezember 1999
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