letzte Änderung am 12. März 2004

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Which way?

Gewerkschaftliche Bildung mit knappen Mitteln

Wenn heute über Bildung diskutiert wird, dann fallen Stichworte wie »Pisa« oder »Eliten«, und es wird über die Schulen und die Hochschulen gesprochen. An gewerkschaftliche Bildung(sarbeit) oder gar an Arbeiterbildung denkt – zumindest in der öffentlichen Debatte – kaum jemand. Das heißt aber nicht, dass die gewerkschaftliche Bildung von den politischen und sozialen Verhältnissen unberührt bliebe. Im Gegenteil. Im Stillen streichen und kürzen die Gewerkschaften ihre Bildungsangebote immer weiter und in der Regel mit betriebswirtschaftlichen Argumenten: »Was bringt es uns?« ist die Scheinfrage. Und weil Bildung, wenn sie unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet wird, nun mal notwendig mehr kostet, als sie einbringt – denn wie wollte man die Ergebnisse von Bildungsprozessen messen und monetär bewerten? –, wird an die »ökonomische Vernunft« appelliert... Dass selbstorganisierte Bildung für die Arbeiterbewegung einmal wesentliches Moment einer Emanzipationsbewegung war, daran wurde genau in solchen Seminaren ab und an noch erinnert, die jetzt gestrichen werden.
Aus gegebenem Anlass dokumentieren wir hier ein Schreiben des Kollegen Bernd Wittich, langjähriger Mitarbeiter verschiedener gewerkschaftlicher Bildungsträger, und einen Aufruf des DGB-Bildungswerks Hattingen, sich an der Diskussion über die Gründe der Krise und über die zukünftige Finanzierung gewerkschaftlicher Bildungsarbeit zu beteiligen.
Dass dies dringend notwendig ist, belegen die jüngst im »Managermagazin« veröffentlichten Zahlen, nach denen ver.di 800000 Euro im Jahr bei der Bildung sparen will.


»Kerngeschäft« Bildungsarbeit?

Bildungsurlaub: tolle Angebote, aber nicht für alle

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

die finanzielle Beteiligung an und die Finanzierung von Bildungsurlaubsangeboten wird quer durch die Republik bei den verschiedenen Gewerkschaften unterschiedlich gehandhabt. Das DGB-Bildungswerk Bildungszentrum Hattingen, einer der großen Anbieter gewerkschaftlicher Bildungsarbeit, hat sich angesichts der Finanzkrise der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit dazu entschlossen, die Frage der künftigen Finanzierung öffentlich zu diskutieren und eigene Vorschläge dazu zu präsentieren. Uns ist klar: Die Gründe für Finanzierungsschwächen sind vielfältig und können politisch sehr konträr beurteilt werden. Wir möchten zumindest ein Entscheidungsproblem für alle Nutzer von Bildungsangeboten sichtbar machen und zur Diskussion stellen.

Zum Vergleich: Im Gegensatz zum DGB-Bildungswerk geht ver.di bei der gewerkschaftlichen Bildung einen anderen Weg. ver.di sichert die kostenfreie Seminarbeteiligung plus Fahrtkostenerstattung. Während die Finanzierungskonditionen also gleich bleiben, streicht ver.di, auch im bereits veröffentlichten Programm, Angebote. Wir haben heute in ver.di noch etwa 50 Prozent der Angebote im Vergleich zur Angebotssituation vor dem ver.di-Zusammenschluss. Heute wendet ver.di in der zentralen Bildungsarbeit weniger als 40 Prozent der in den Vorläuferorganisationen dafür verausgabten Mitteln auf. Ist es dann noch berechtigt, von gewerkschaftlicher Bildung als einer »Kernaufgabe« in ver.di zu sprechen?
Objektiv bedeutet diese Politik: ver.di macht zwar weiter tolle Angebote, aber die Chancen, einen Platz für Bildungsurlaub zu bekommen, sinken. Denn insgesamt gibt es weniger Angebote und – als neuesten Trend: eine Beschränkung der TeilnehmerInnenzahl pro Seminar. Die Mitglieder wer-den also getäuscht.

Das haben die ver.di-SeniorInnen, die fast 30 Prozent aller Mitglieder ausmachen und von denen eine stattliche Minderheit von etwa fünf Prozent – das ist verglichen mit der Mitgliedschaft insgesamt sehr hoch – in der Regel gewerkschaftlich sehr engagiert und auch an lebenslanger Bildung stark interessiert ist, besonders schmerzhaft gespürt.

Gewerkschaftliche Bildungsangebote stehen zwar prinzipiell allen offen. Die im Berufsleben stehenden KollegInnen haben jedoch Vorrang bei der Vergabe. Für die starke Nachfrage in der Zeit nach der Entberuflichung (zum Beispiel freiwillige und unfreiwillige Vorruheständler!) gibt es keine angemessenen Chancen zur Teilnahme an gewerkschaftlicher Bildung.

Heute ist in diesem Bereich das spezielle Angebot für die Begleitung des Übergangs in die Nachberuflichkeit, die Befähigung zur aktiven gewerkschaftlichen Seniorenarbeit, die Bearbeitung von Projekten für ein aktives gewerkschaftliches und gesellschaftliches Engagement gegen Altersdiskriminierung geringer als früher allein bei der Deutschen Postgewerkschaft.

Die Reduktion finanzieller Mittel hat darüber hinaus jedoch auch Rückwirkungen auf a) die Honorare der Bildungsmitarbeiter, wobei die zahlreichen KollegInnen in prekären Beschäftigungslagen davon besonders betroffen sind; b) die Reduktion der »außer Haus«-Angebote, vor allem sind das Angebote in/zu den neuen Bundesländern und zur politischen Geschichte der SBZ/DDR.

Ich bitte Euch daher, das Schreiben des DGB-Bildunsgwerkes Bildungszentrum Hattingen an KollegInnen, die Bildungsurlaubsangebote nachfragen, weiter zu reichen.

Mit kollegialen Grüßen, Bernd Wittich


Gute Nachfrage, aber nicht finanzierbar?

DGB-Hattingen zur Krise gewerkschaftlicher Bildungsarbeit

Ist die politische Bildung in der Krise? Die Antwort lautet »nein«, wenn man die Zahl der Teilnehmenden an den »allgemein offenen Veranstaltungen der politischen Bildung« – besser bekannt als Bildungsurlaub – im DGB-Bildungszentrum Hattingen im vergangenen Jahr zugrunde legt. Während man von anderen Veranstaltern schon seit einiger Zeit über einen spürbaren Rückgang der Nachfrage und zunehmenden Ausfall von Kursen hört, ist die Resonanz auf unsere Angebote im Forum Politik & Medien auf hohem Niveau unverändert stabil. In 69 Seminaren, Workshops und Tagungen – Ausfälle gab es nur ganz vereinzelt – zu wirtschafts- und gesellschaftspolitischen, zeitgeschichtlichen, europäischen und internationalen Fragen sowie zu Problemstellungen rund ums Thema Computer, Internet und Multimedia hatten wir 2003 insgesamt 1350 TeilnehmerInnen. Bildungsurlaub ist also offensichtlich beliebt.

Zurück zur Ausgangsfrage nach der Krise der politischen Bildung: In anderer Hinsicht lässt sich durchaus von einer Krise reden, denn das dafür zur Verfügung gestellte Geld wird immer knapper: Schon seit Jahren muss das DGB-Bildungswerk mit sinkenden Zuwendungen des DGB auskommen, die öffentlichen Mittel der Bundeszentrale für politische Bildung und auch die Mittel aus der Förderung nach dem Weiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen werden vor dem Hintergrund der Ebbe in den öffentlichen Haushalten deutlich zurückgefahren. Spätestens ab 2005 besteht also Handlungsbedarf. Dabei können wir grundsätzlich nur zwischen der Alternative wählen, das Bildungsurlaubsangebot mengenmäßig herunterzufahren oder die Teilnehmenden stärker als bisher zur Kasse zu bitten. Wie wichtig diese – seit 1994 für einzelne Kurse und seit 1997 generell erhobenen – Kostenbeteiligungen für die Aufrechterhaltung des Bildungsurlaubsangebots sind, lässt sich daran ermessen, dass das DGB-Bildungswerk im vorletzten Jahr insgesamt 185000 Euro aus Kostenbeteiligungen eingenommen hat, davon allein 137000 Euro für Veranstaltungen des Bil-dungszentrums Hattingen. Mit diesen Einnahmen lassen sich die direkten Kosten (ohne Fixkostenanteile) von 15–20 Wochenveranstaltungen decken, die sonst nicht stattfinden könnten.

Ob sich künftige Programmkürzungen angesichts der verschlechterten Finanzierungssituation generell vermeiden lassen, lässt sich heute noch nicht sagen. So oder so führt aber kein Weg daran vorbei, dass der Bildungsurlaub ab 2005 für die Teilnehmenden teurer werden muss, um die verminderten Zuschüsse jedenfalls teilweise auszugleichen. Dafür könnte neben einer schrittweisen Erhöhung der Mindestkostenbeteilung (seit drei Jahren stabil bei 100 Euro pro Woche) an folgenden weiteren Stellschrauben gedreht werden:

Die Fahrtkostenzuschüsse, für die das DGB Bildungswerk in 2002 insgesamt 38000 Euro (davon knapp 80 Prozent bei uns im Hause) ausgegeben hat, könnten abgeschafft werden. Dies würde zwar jene stärker belasten, die weiter vom Veranstaltungsort entfernt wohnen, aber wer dies für »ungerecht« hält, sollte auch die »Ungerechtigkeit« der jetzigen Regelung beklagen. Da entscheidet nämlich im Zweifelsfall ein einziger Kilometer darüber, ob überhaupt gezahlt wird oder Anspruch auf einen höheren Zuschuss besteht.

Seminare zu Themen, die eine bestimmte Ortsbindung nicht zwingend erforderlich machen, könnten künftig nur noch in Häusern des DGB Bildungswerks stattfinden. Dies würde zu nachhaltigen Haushaltsentlastungen führen, da die direkten Bildungskosten für solche Veranstaltungen wegen der externen Unterbringung und Verpflegung überdurchschnittlich hoch sind. Wo eine Durchführung aus inhaltlichen Gründen nur vor Ort möglich ist, müsste dann die Anhebung der Kostenbeteiligungen deutlich höher ausfallen.

Anlässlich der ab 2005 voll wirksam werdenden so genannten Hartz-Reformen müssen wir auch prüfen, ob das bisherige System der Befreiung bestimmter Personengruppen von Kostenbeteiligungen noch der sozialen Realität angemessen ist. Schon vor einigen Jahren wurden RentnerInnen und danach – nur formell arbeitslos gemeldete – Vorruheständler aus dieser Regelung heraus genommen. Künftig könnten z.B. nur noch Bezieher von Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld von Kostenbeteiligungen befreit bleiben, während Auszubildende, Studierende, Arbeitslose und EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld I dann eine Ermäßigung von 50 Prozent bekämen. Ob dies auch für gering verdienende Teilzeitbeschäftigte machbar ist, wäre ebenfalls zu überlegen.

Schließlich könnte der von Nichtmitgliedern in DGB-Gewerkschaften zu zahlende Zuschlag auf die Kostenbeteiligung (derzeit 75 Euro pro Woche) angehoben werden.

Über all diese Optionen zur besseren Absicherung eines attraktiven Bildungsurlaubsangebots und zur Herstellung von mehr »Gerechtigkeit« wird zu sprechen und im Laufe des Jahres 2004 zu entscheiden sein. Was sich im Einzelnen ändern wird, ist noch offen.

Sagen bzw. schreiben Sie uns Ihre Meinung dazu und machen Sie weitere Vorschläge. Im Ergebnis hoffen wir darauf, dass Ihnen der Bildungsurlaub, auch wenn er teurer wird, unverändert so lieb bleibt, wie die hohe Akzeptanz unseres Angebots in den vergangenen Jahren zeigt.

Helmuth Schütte

(Quelle: aktuell 1/04, in: www.hattingen.dgb-bildungswerk.de)

Antworten bitte an folgende Adresse richten: DGB-Bildungswerk e.V., Bildungszentrum Hattingen, Am Homberg 46-50, 45529 Hattingen, Tel. (2324) 508-0, Fax: (2324) 508-499, email: hattingen@dgb-bildungswerk.de oder an: Bernd.Wittich@t-online.de


erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 2/04

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