Home > Diskussion > Aus-Um-Weiter-BILDUNG > Ausbildung > storn2
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

(Berufliche) Schulen als Unternehmen

oder: Was heißt »Outputsteuerung« in der Bildung?, Teil II

Von Herbert Storn*

Nachdem Herbert Storn im ersten Teil die rasante Entwicklung von Modellprojekten – vor allem für Berufsschulen –, die die Umstellung von Input- auf Outputsteuerung versuchen sollen, geschildert hat, geht es im Teil II nun darum, wie sich das auf die Situation an den Schulen auswirkt und wie die Kollegien und die GEW damit umgehen.

Der hessische Kultus-Staatssekretär Joachim Jacobi hat in einer Rede zum Modellprojekt »Selbstverantwortung plus« (SVP) im September 2003 ausdrücklich Bezug genommen auf die Vereinbarung von Lissabon im Jahr 2000, »die europäische Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen«.
Der EU-Referenzrahmen und die GATS-Verhandlungen stellen einen der entscheidenden Auslöser für SVP dar. Hessen reiht sich damit ein in die Versuche von Niedersachsen, NRW, Schleswig-Holstein, Bremen und Hamburg, die Beruflichen – und zum Teil auch die allgemeinbildenden – Schulen näher an Markt und Wettbewerb heranzuführen und so privatwirtschaftliche Strukturen im staatlichen Bildungssystem einzuführen.

Die Sozialwissenschaftler Thomas Fritz und Christoph Scherrer warnen vor den Konsequenzen dieser Entwicklung: »Bei den derzeit laufenden Verhandlungen steht der Entscheidungs- und Handlungsspielraum der öffentlichen Hand im Bereich der Bildung auf dem Spiel. Selbst wenn die bisherige Ausnahme der EU von den Subventionsdisziplinen des GATS Bestand haben sollte, könnten scheinbar kleine Liberalisierungsschritte den öffentlichen Bildungssektor erheblich verändern. Beispielsweise könnte die von den USA geforderte Freigabe von bildungsbezogenen Testverfahren dazu beitragen, dass die Entscheidungsgewalt über Qualitätskriterien vom Staat auf den Markt übertragen wird.« [1]

Die Position des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) bestätigt diese Einschätzung: »In der bis zum 1. Januar 2005 abzuschließenden Verhandlungsrunde der WTO steht die weitgehende Deregulierung und Öffnung der Bildungsmärkte auf einer Agenda, der Deutschland bereits ... zugestimmt hat. Es geht also nicht mehr darum, ob hier noch ›Handelshemmnisse‹ aufrechterhalten werden sollen oder können (...) Es geht nur noch darum, ob die Freiräume ... von deutschen Trägern auch ausgefüllt werden, oder ob sie fast nur von amerikanischen Universitäten, niederländischen Zeitarbeitsunternehmen und britischen eLearning-Produzenten genutzt werden.« [2] Erklärtes Ziel des BMBF ist es, »berufliche Aus- und Weiterbildung ›Made in Germany‹ weltweit besser zu vermarkten«, da der »globale Bildungsmarkt einen Wert von rund zwei Billionen Euro hat«. [3]
Soweit zu den langfristigen Zielsetzungen von SVP. Eine weitere Zielsetzung besteht darin, im Binnenverhältnis der Schule Kosten zu senken und zugleich Leistung zu steigern. Darauf soll im Folgenden näher eingegangen werden.

Hierzu stellt man sich vor, die Rolle des Lehrenden verändern zu können in Richtung »Gestalter für die Lernprozesse«. »Selbstreguliertes Lernen« und »von Schülern auszufüllende Lernkorridore« werden auffallend stark betont. Offensichtlich verspricht man sich hier noch erhebliche Einsparungsreserven in Bezug auf Vertretungen, Aufsicht etc.
Auch das Personal selbst könnte billiger werden. Der Schulleiter soll das Personal aussuchen, mehr Personalverantwortung übernehmen und über das Schulbudget verfügen können. Gedacht ist zum einen an verschiedene Formen der Deregulierung von Vertragsverhältnissen, wie es das Land Hessen mit befristeten Verträgen für die reguläre Unterrichtsabdeckung bereits vorgemacht hat. Zum andern wird die Hereinnahme neuer Lehrpersonen vorgesehen: So wird die »Integration betrieblicher Ausbilderinnen und Ausbilder sowie anderer schulfremder Personen in Lernsituationen« ebenso gefordert wie die »Erprobung, welche in den Schulen anfallenden Arbeiten nicht von Lehrkräften wahrgenommen werden müssen (Verwaltungskraft, Assistenzkräfte im unterrichtlichen Bereich, Schule als Ausbildungsbetrieb)«.
All dies läuft dem proklamierten Ziel der Qualitätsverbesserung völlig zuwider, wenn Qualitätsstandards für den Lehrerberuf und dessen Bezahlung aufgegeben werden.

Wie werden diese Strategien von den KollegInnen aufgenommen? Was ist zu tun?

Die GEWerkschaftsinterne Diskussion in Hessen um das Modellprojekt SVP war überschattet von der alten GEW-Forderung nach »Weiterentwicklung der beruflichen Schulen zu regionalen Zentren für Aus- und Weiterbildung«.
Die Beruflichen Schulen sollten an regionalen Ausbildungsrunden beteiligt werden und damit an der Entwicklung und Umsetzung von Förderprogrammen und an Modellen der Verbundausbildung. Die Beruflichen Schulen sollten in den regionalen Weiterbildungsbereich einbezogen werden, wobei auch die schulischen personellen Kompetenzen und sachlichen Ausstattungen genutzt werden sollten.
Die GEW versprach sich davon eine sinnvolle Regulierung des Weiterbildungsbereichs mit seinen prekären Arbeitsverhältnissen.
Die mit dem Modellprojekt SVP beabsichtigte weitgehende Kommerzialisierung und Deregulierung von Schule stand allerdings den GEW-Vorstellungen diametral entgegen. Von daher war man sich in der Ablehnung dieses Modells weitgehend einig. Der hessische GEW-Landesvorstand fasste Ende Mai 2004 nach Vordiskussionen in der Fachgruppe einen dementsprechend eindeutigen Beschluss, der SVP auf der Grundlage von Leitkriterien klar ablehnte.

Etwas anders sieht es auf der GEW-Bundesebene aus. Dort beschloss der Hauptvorstand auf Vorschlag der zuständigen Referatsleiterin im März 2002 ein Diskussionspapier, in dem die »Weiterentwicklung der beruflichen Schulen zu Regionalen Berufsbildungszentren, RBZ« vorgeschlagen wird. Zwar werden in dem – breit verteilten – Heftchen neben »Notwendigen Veränderungen und Chancen« auch »Gefahren/Risiken« und »Bedingungen/Essentials« formuliert. [4]
Der Tenor ist aber klar: Die GEW müsse »quasi den Spagat vollbringen, einerseits die Reform und Weiterentwicklung der beruflichen Schulen zu RBZ zu unterstützen, andererseits die Risiken und Gefahren beachten, die mit bestimmten neuen Elementen verbunden sind und die sich unter den Begriffen Sparmaßnahmen und Verschlechterung der Beschäftigungsbedingungen zusammenfassen lassen. Trotzdem sollte sich die GEW auf die Veränderungen einlassen, weil der Reformbedarf unabdingbar ist, ein Festhalten an den jetzigen Strukturen kontraproduktiv wäre und den beruflichen Schulen schaden würde.« (GEW-Diskussionspa-pier 2002, Hervorhebungen H.S.)
Damit und mit der praktizierten GEW-Politik befindet sich die GEW-Spitze mehr in Übereinstimmung mit der Politik der Regierungen in den Ländern und im Bund als mit der GEW-Basis.
Dies zeigte sich auf einer GEW-Veranstaltung zur Entwicklung an den Beruflichen Schulen im Juni 2004 in Hamburg, wo sich die GEW-Spitze »schockiert« zeigte über die geäußerte Kritik an Reformvorhaben in Hessen, Niedersachsen (ProReKo) [5] und Schleswig-Holstein und für die vorgetragenen Argumente der Reformgegner keinerlei Verständnis aufbrachte.

Wieder etwas anders stellt sich die Lage an den einzelnen Schulen dar.
Für eine Bewerbung um die Teilnahme am Modellprojekt SVP in Hessen muss ein Beschluss der Schul- und Gesamtkonferenz eingeholt werden. Dort, wo die GEW stark ist und über SVP eine umfassende Aufklärung und Diskussion in Gang gesetzt hatte, stimmten die Gesamtkonferenzen eindeutig gegen eine Beteiligung.
Ausschlaggebend waren dafür die »Scheinfreiheiten« für die Schulen, bei denen jede proklamierte Freiheit mit der Ausweitung der internen und externen Kontrolle einhergeht, sowie die Kommerzialisierung von Schule und Bildung und die Mehrarbeit, die ein Kollegium für das Ministerium bei der Entwicklung neuer »Standards«, »Kennziffern« etc. leisten soll.
Allerdings warben Schulleiter für SVP mit dem Argument, drohenden Schließungen einzelner Abteilungen ihrer Schulen entgehen bzw. Problembereiche intern abfedern zu können. Teilweise war auch der Wunsch, selbständig unternehmerisch tätig werden zu können, ein Motiv für Schulleiter.

In Hessen konnte bei der Bewertung von SVP auf eine langjährige Auseinandersetzung mit der »Neuen Verwaltungssteuerung« (NVS) zurückgegriffen werden. Über diese wurde mehrfach auf Tagungen der GEW und Personalräteschulungen berichtet und diskutiert. Mit der NVS werden, wie eingangs bereits geschildert, ähnliche Zielsetzungen wie bei SVP verfolgt.
Waren die Hauptpersonalräte vieler Ministerien bei Einführung der NVS noch skeptisch zustimmend, so hat sich dies mittlerweile fast komplett geändert. Die Ablehnung der NVS ist inzwischen flächendeckend, weil durch die Politik der Landesregierung allen Landesbeschäftigten klar gemacht wurde, dass die NVS nicht der Qualitätsverbesserung, sondern dem Personalabbau und zentralisierter Kontrolle und insbesondere der Privatisierung staatlicher Aufgaben dient.

Sofern also von gewerkschaftlicher Seite Aufklärung über die mit »Reformen« verbundenen Absichten erfolgt und sofern die GEW diese Aufklärung auch zu den Betroffenen transportieren kann, können diese einigermaßen erfolgreich Widerstand leisten.
Dabei kommt den KollegInnen zugute, dass es zahlreiche Widersprüche zwischen den Ansprüchen der »Neuen Steuerungsmodelle« und deren praktischer Umsetzung gibt. Beispielsweise werden Kennziffern aufgestellt, die die angestrebten Ziele gar nicht erfassen können oder deren Erfassung praktisch nicht leistbar ist.
Auch ist der Staat auf die Motivation seiner Lehrkräfte angewiesen, bringt diese dem Arbeitgeber doch zu einem nennenswerten Teil Mehrarbeit, die nicht bezahlt zu werden braucht.
Allerdings geraten die Bildungseinrichtungen gegenwärtig von so vielen Seiten unter Druck, dass die Lage unübersichtlich zu werden beginnt.
So werden in Hessen die Schulleitungen angehalten, mit ihrem Kollegium »Mitarbeitergespräche« zu führen, die wiederum zu »Zielvereinbarungen« führen sollen. »Kontrakte« sollen die Beschäftigten zu »Effizienzsteigerungen« veranlassen. Gleichzeitig sollen Lehrkräfte keine allzu starke Beziehung zu »ihrer« Schule aufbauen, sondern vielmehr bereit sein, bei Bedarf (d.h. bei ungenügender Lehrerzuweisung) sich auch an andere Schulen abordnen oder versetzen zu lassen. Eine »Mobilitätsrichtlinie« sieht einen häufigen Dienststellenwechsel der Landesbeschäftigten vor.
Zunehmend werden pädagogische und didaktische Grundsätze auf der Grundlage von zentral vorgegebenen Vergleichsarbeiten, die zu einem veröffentlichten Ranking benutzt werden, eingeschränkt.
Die Konzeption von Bildungsstandards hat sich inzwischen ebenfalls zu einem neuen Kontrollinstrument verengt.
Gleichzeitig werden in Hessen das Zentralabitur und die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit in der Mittelstufe vorbereitet.
Die Klassengrößen sollen heraufgesetzt und Schulen und Schulformen geschlossen werden, wenn sie definierte Richtwerte nicht erreichen.
Die Härte dieser bildungspolitischen Maßnahmen lässt sich u.a. daran ablesen, dass es erstmals in Hessen ein Bündnis zwischen dem GEW-dominierten Hauptpersonalrat der LehrerInnen, der Landesschülervertretung und dem eher konservativen Landeselternbeirat gibt mit dem erklärten Ziel, die letztgenannten Maßnahmen durch eine Kampagne zu verhindern.

Was die Annäherung des Bildungssektors an Prinzipien privateigenmarktwirtschaftlicher Unternehmensführung private Unternehmen und die Vorbereitung der staatlichen Schulen auf privatwirtschaftliche Bewirtschaftung betrifft, so ist diese Dimension noch nicht so stark im Bewusstsein der Betroffenen, wie es wünschenswert wäre.
Dies hängt damit zusammen, dass der gesamte Bereich der GATS-Verhandlungen öffentlicher Diskussion und Kontrolle mehr als andere Bereiche entzogen ist. Hinzu kommt, dass diese Politik-Ebene »sehr weit weg« zu sein scheint.
Von daher ist es ein Erkenntnisgewinn, wenn die KollegInnen aus dem überwiegend privatisierten Weiterbildungsbereich von ihren Erfahrungen berichten. Dort gibt es – leider – nicht nur prekäre Arbeit als Regelform und gegenwärtig Massenentlassungen, sondern auch »Bildungsgutscheine«, »Zertifizierungsagenturen« in Lauerstellung und »Outputsteuerung«.

Es zeigt sich, dass kritische Informationen und ihre Nutzung durch die Mitbestimmungsorgane, wie sie in Hessen mit Gesamtkonferenzen, Personalversammlungen, Personalräteschulungen und gewerkschaftlichen Bündnissen gegeben sind, immerhin dazu führen, dass in vielen Kollegien ein kritisches Potential vorhanden ist, welches dazu führt, dass »Reformen« durchleuchtet und relativ schnell in ihrem Wesen erkannt werden können.
Wichtig ist aber auch, sich Errungenschaften bewusst und damit verteidigenswert zu machen.

* Herbert Storn (GEW Bezirksverband Frankfurt a.M.)

(1) Fritz, Th./Scherrer, Ch.: »GATS 2000, Handelspolitische Weichenstellungen für die Bildung«, in Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, Heft 83/ 2002, S. 34
(2)»Deutsche Weiterbildungsanbieter auf internationalen Märkten«, BMBF 2003
(3) Pressemitteilung BMBF 121/03
(4) «Die GEW informiert. Weiterentwicklung der beruflichen Schulen zu Regionalen Berufsbildungszentren. Ein Diskussionspapier der GEW», April 2002
(5) »ProReKo« = »Projekt Regionale Kompetenzzentren« ist die niedersächsische Variante von SVP in Hessen.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 12/04


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang