(Berufliche) Schulen als Unternehmen
oder: Was heißt »Outputsteuerung«
in der Bildung?, Teil II
Von Herbert Storn*
Nachdem Herbert Storn im ersten Teil die rasante
Entwicklung von Modellprojekten – vor allem für Berufsschulen
–, die die Umstellung von Input- auf Outputsteuerung versuchen sollen,
geschildert hat, geht es im Teil II nun darum, wie sich das auf die Situation
an den Schulen auswirkt und wie die Kollegien und die GEW damit umgehen.
Der hessische Kultus-Staatssekretär Joachim Jacobi
hat in einer Rede zum Modellprojekt »Selbstverantwortung plus«
(SVP) im September 2003 ausdrücklich Bezug genommen auf die Vereinbarung
von Lissabon im Jahr 2000, »die europäische Union zum wettbewerbsfähigsten
und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen«.
Der EU-Referenzrahmen und die GATS-Verhandlungen stellen einen der entscheidenden
Auslöser für SVP dar. Hessen reiht sich damit ein in die Versuche
von Niedersachsen, NRW, Schleswig-Holstein, Bremen und Hamburg, die Beruflichen
– und zum Teil auch die allgemeinbildenden – Schulen näher
an Markt und Wettbewerb heranzuführen und so privatwirtschaftliche
Strukturen im staatlichen Bildungssystem einzuführen.
Die Sozialwissenschaftler Thomas Fritz und Christoph Scherrer
warnen vor den Konsequenzen dieser Entwicklung: »Bei den derzeit
laufenden Verhandlungen steht der Entscheidungs- und Handlungsspielraum
der öffentlichen Hand im Bereich der Bildung auf dem Spiel. Selbst
wenn die bisherige Ausnahme der EU von den Subventionsdisziplinen des
GATS Bestand haben sollte, könnten scheinbar kleine Liberalisierungsschritte
den öffentlichen Bildungssektor erheblich verändern. Beispielsweise
könnte die von den USA geforderte Freigabe von bildungsbezogenen
Testverfahren dazu beitragen, dass die Entscheidungsgewalt über Qualitätskriterien
vom Staat auf den Markt übertragen wird.« [1]
Die Position des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung (BMBF) bestätigt diese Einschätzung: »In der
bis zum 1. Januar 2005 abzuschließenden Verhandlungsrunde der WTO
steht die weitgehende Deregulierung und Öffnung der Bildungsmärkte
auf einer Agenda, der Deutschland bereits ... zugestimmt hat. Es geht
also nicht mehr darum, ob hier noch ›Handelshemmnisse‹ aufrechterhalten
werden sollen oder können (...) Es geht nur noch darum, ob die Freiräume
... von deutschen Trägern auch ausgefüllt werden, oder ob sie
fast nur von amerikanischen Universitäten, niederländischen
Zeitarbeitsunternehmen und britischen eLearning-Produzenten genutzt werden.«
[2] Erklärtes Ziel des
BMBF ist es, »berufliche Aus- und Weiterbildung ›Made in Germany‹
weltweit besser zu vermarkten«, da der »globale Bildungsmarkt
einen Wert von rund zwei Billionen Euro hat«. [3]
Soweit zu den langfristigen Zielsetzungen von SVP. Eine weitere Zielsetzung
besteht darin, im Binnenverhältnis der Schule Kosten zu senken und
zugleich Leistung zu steigern. Darauf soll im Folgenden näher eingegangen
werden.
Hierzu stellt man sich vor, die Rolle des Lehrenden verändern
zu können in Richtung »Gestalter für die Lernprozesse«.
»Selbstreguliertes Lernen« und »von Schülern auszufüllende
Lernkorridore« werden auffallend stark betont. Offensichtlich verspricht
man sich hier noch erhebliche Einsparungsreserven in Bezug auf Vertretungen,
Aufsicht etc.
Auch das Personal selbst könnte billiger werden. Der Schulleiter
soll das Personal aussuchen, mehr Personalverantwortung übernehmen
und über das Schulbudget verfügen können. Gedacht ist zum
einen an verschiedene Formen der Deregulierung von Vertragsverhältnissen,
wie es das Land Hessen mit befristeten Verträgen für die reguläre
Unterrichtsabdeckung bereits vorgemacht hat. Zum andern wird die Hereinnahme
neuer Lehrpersonen vorgesehen: So wird die »Integration betrieblicher
Ausbilderinnen und Ausbilder sowie anderer schulfremder Personen in Lernsituationen«
ebenso gefordert wie die »Erprobung, welche in den Schulen anfallenden
Arbeiten nicht von Lehrkräften wahrgenommen werden müssen (Verwaltungskraft,
Assistenzkräfte im unterrichtlichen Bereich, Schule als Ausbildungsbetrieb)«.
All dies läuft dem proklamierten Ziel der Qualitätsverbesserung
völlig zuwider, wenn Qualitätsstandards für den Lehrerberuf
und dessen Bezahlung aufgegeben werden.
Wie werden diese Strategien von den KollegInnen aufgenommen?
Was ist zu tun?
Die GEWerkschaftsinterne Diskussion in Hessen um das Modellprojekt
SVP war überschattet von der alten GEW-Forderung nach »Weiterentwicklung
der beruflichen Schulen zu regionalen Zentren für Aus- und Weiterbildung«.
Die Beruflichen Schulen sollten an regionalen Ausbildungsrunden beteiligt
werden und damit an der Entwicklung und Umsetzung von Förderprogrammen
und an Modellen der Verbundausbildung. Die Beruflichen Schulen sollten
in den regionalen Weiterbildungsbereich einbezogen werden, wobei auch
die schulischen personellen Kompetenzen und sachlichen Ausstattungen genutzt
werden sollten.
Die GEW versprach sich davon eine sinnvolle Regulierung des Weiterbildungsbereichs
mit seinen prekären Arbeitsverhältnissen.
Die mit dem Modellprojekt SVP beabsichtigte weitgehende Kommerzialisierung
und Deregulierung von Schule stand allerdings den GEW-Vorstellungen diametral
entgegen. Von daher war man sich in der Ablehnung dieses Modells weitgehend
einig. Der hessische GEW-Landesvorstand fasste Ende Mai 2004 nach Vordiskussionen
in der Fachgruppe einen dementsprechend eindeutigen Beschluss, der SVP
auf der Grundlage von Leitkriterien klar ablehnte.
Etwas anders sieht es auf der GEW-Bundesebene aus. Dort
beschloss der Hauptvorstand auf Vorschlag der zuständigen Referatsleiterin
im März 2002 ein Diskussionspapier, in dem die »Weiterentwicklung
der beruflichen Schulen zu Regionalen Berufsbildungszentren, RBZ«
vorgeschlagen wird. Zwar werden in dem – breit verteilten –
Heftchen neben »Notwendigen Veränderungen und Chancen«
auch »Gefahren/Risiken« und »Bedingungen/Essentials«
formuliert. [4]
Der Tenor ist aber klar: Die GEW müsse »quasi den Spagat vollbringen,
einerseits die Reform und Weiterentwicklung der beruflichen Schulen zu
RBZ zu unterstützen, andererseits die Risiken und Gefahren beachten,
die mit bestimmten neuen Elementen verbunden sind und die sich unter den
Begriffen Sparmaßnahmen und Verschlechterung der Beschäftigungsbedingungen
zusammenfassen lassen. Trotzdem sollte sich die GEW auf die Veränderungen
einlassen, weil der Reformbedarf unabdingbar ist, ein Festhalten an den
jetzigen Strukturen kontraproduktiv wäre und den beruflichen Schulen
schaden würde.« (GEW-Diskussionspa-pier 2002, Hervorhebungen
H.S.)
Damit und mit der praktizierten GEW-Politik befindet sich die GEW-Spitze
mehr in Übereinstimmung mit der Politik der Regierungen in den Ländern
und im Bund als mit der GEW-Basis.
Dies zeigte sich auf einer GEW-Veranstaltung zur Entwicklung an den Beruflichen
Schulen im Juni 2004 in Hamburg, wo sich die GEW-Spitze »schockiert«
zeigte über die geäußerte Kritik an Reformvorhaben in
Hessen, Niedersachsen (ProReKo) [5]
und Schleswig-Holstein und für die vorgetragenen Argumente der Reformgegner
keinerlei Verständnis aufbrachte.
Wieder etwas anders stellt sich die Lage an den einzelnen
Schulen dar.
Für eine Bewerbung um die Teilnahme am Modellprojekt SVP in Hessen
muss ein Beschluss der Schul- und Gesamtkonferenz eingeholt werden. Dort,
wo die GEW stark ist und über SVP eine umfassende Aufklärung
und Diskussion in Gang gesetzt hatte, stimmten die Gesamtkonferenzen eindeutig
gegen eine Beteiligung.
Ausschlaggebend waren dafür die »Scheinfreiheiten« für
die Schulen, bei denen jede proklamierte Freiheit mit der Ausweitung der
internen und externen Kontrolle einhergeht, sowie die Kommerzialisierung
von Schule und Bildung und die Mehrarbeit, die ein Kollegium für
das Ministerium bei der Entwicklung neuer »Standards«, »Kennziffern«
etc. leisten soll.
Allerdings warben Schulleiter für SVP mit dem Argument, drohenden
Schließungen einzelner Abteilungen ihrer Schulen entgehen bzw. Problembereiche
intern abfedern zu können. Teilweise war auch der Wunsch, selbständig
unternehmerisch tätig werden zu können, ein Motiv für Schulleiter.
In Hessen konnte bei der Bewertung von SVP auf eine langjährige
Auseinandersetzung mit der »Neuen Verwaltungssteuerung« (NVS)
zurückgegriffen werden. Über diese wurde mehrfach auf Tagungen
der GEW und Personalräteschulungen berichtet und diskutiert. Mit
der NVS werden, wie eingangs bereits geschildert, ähnliche Zielsetzungen
wie bei SVP verfolgt.
Waren die Hauptpersonalräte vieler Ministerien bei Einführung
der NVS noch skeptisch zustimmend, so hat sich dies mittlerweile fast
komplett geändert. Die Ablehnung der NVS ist inzwischen flächendeckend,
weil durch die Politik der Landesregierung allen Landesbeschäftigten
klar gemacht wurde, dass die NVS nicht der Qualitätsverbesserung,
sondern dem Personalabbau und zentralisierter Kontrolle und insbesondere
der Privatisierung staatlicher Aufgaben dient.
Sofern also von gewerkschaftlicher Seite Aufklärung
über die mit »Reformen« verbundenen Absichten erfolgt
und sofern die GEW diese Aufklärung auch zu den Betroffenen transportieren
kann, können diese einigermaßen erfolgreich Widerstand leisten.
Dabei kommt den KollegInnen zugute, dass es zahlreiche Widersprüche
zwischen den Ansprüchen der »Neuen Steuerungsmodelle«
und deren praktischer Umsetzung gibt. Beispielsweise werden Kennziffern
aufgestellt, die die angestrebten Ziele gar nicht erfassen können
oder deren Erfassung praktisch nicht leistbar ist.
Auch ist der Staat auf die Motivation seiner Lehrkräfte angewiesen,
bringt diese dem Arbeitgeber doch zu einem nennenswerten Teil Mehrarbeit,
die nicht bezahlt zu werden braucht.
Allerdings geraten die Bildungseinrichtungen gegenwärtig von so vielen
Seiten unter Druck, dass die Lage unübersichtlich zu werden beginnt.
So werden in Hessen die Schulleitungen angehalten, mit ihrem Kollegium
»Mitarbeitergespräche« zu führen, die wiederum zu
»Zielvereinbarungen« führen sollen. »Kontrakte«
sollen die Beschäftigten zu »Effizienzsteigerungen« veranlassen.
Gleichzeitig sollen Lehrkräfte keine allzu starke Beziehung zu »ihrer«
Schule aufbauen, sondern vielmehr bereit sein, bei Bedarf (d.h. bei ungenügender
Lehrerzuweisung) sich auch an andere Schulen abordnen oder versetzen zu
lassen. Eine »Mobilitätsrichtlinie« sieht einen häufigen
Dienststellenwechsel der Landesbeschäftigten vor.
Zunehmend werden pädagogische und didaktische Grundsätze auf
der Grundlage von zentral vorgegebenen Vergleichsarbeiten, die zu einem
veröffentlichten Ranking benutzt werden, eingeschränkt.
Die Konzeption von Bildungsstandards hat sich inzwischen ebenfalls zu
einem neuen Kontrollinstrument verengt.
Gleichzeitig werden in Hessen das Zentralabitur und die Verkürzung
der gymnasialen Schulzeit in der Mittelstufe vorbereitet.
Die Klassengrößen sollen heraufgesetzt und Schulen und Schulformen
geschlossen werden, wenn sie definierte Richtwerte nicht erreichen.
Die Härte dieser bildungspolitischen Maßnahmen lässt sich
u.a. daran ablesen, dass es erstmals in Hessen ein Bündnis zwischen
dem GEW-dominierten Hauptpersonalrat der LehrerInnen, der Landesschülervertretung
und dem eher konservativen Landeselternbeirat gibt mit dem erklärten
Ziel, die letztgenannten Maßnahmen durch eine Kampagne zu verhindern.
Was die Annäherung des Bildungssektors an Prinzipien
privateigenmarktwirtschaftlicher Unternehmensführung private Unternehmen
und die Vorbereitung der staatlichen Schulen auf privatwirtschaftliche
Bewirtschaftung betrifft, so ist diese Dimension noch nicht so stark im
Bewusstsein der Betroffenen, wie es wünschenswert wäre.
Dies hängt damit zusammen, dass der gesamte Bereich der GATS-Verhandlungen
öffentlicher Diskussion und Kontrolle mehr als andere Bereiche entzogen
ist. Hinzu kommt, dass diese Politik-Ebene »sehr weit weg«
zu sein scheint.
Von daher ist es ein Erkenntnisgewinn, wenn die KollegInnen aus dem überwiegend
privatisierten Weiterbildungsbereich von ihren Erfahrungen berichten.
Dort gibt es – leider – nicht nur prekäre Arbeit als
Regelform und gegenwärtig Massenentlassungen, sondern auch »Bildungsgutscheine«,
»Zertifizierungsagenturen« in Lauerstellung und »Outputsteuerung«.
Es zeigt sich, dass kritische Informationen und ihre Nutzung
durch die Mitbestimmungsorgane, wie sie in Hessen mit Gesamtkonferenzen,
Personalversammlungen, Personalräteschulungen und gewerkschaftlichen
Bündnissen gegeben sind, immerhin dazu führen, dass in vielen
Kollegien ein kritisches Potential vorhanden ist, welches dazu führt,
dass »Reformen« durchleuchtet und relativ schnell in ihrem
Wesen erkannt werden können.
Wichtig ist aber auch, sich Errungenschaften bewusst und damit verteidigenswert
zu machen.
* Herbert Storn (GEW Bezirksverband Frankfurt
a.M.)
(1) Fritz, Th./Scherrer, Ch.: »GATS
2000, Handelspolitische Weichenstellungen für die Bildung«,
in Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-,
Gesundheits- und Sozialbereich, Heft 83/ 2002, S. 34
(2)»Deutsche Weiterbildungsanbieter auf internationalen
Märkten«, BMBF 2003
(3) Pressemitteilung BMBF 121/03
(4) «Die GEW informiert. Weiterentwicklung der
beruflichen Schulen zu Regionalen Berufsbildungszentren. Ein Diskussionspapier
der GEW», April 2002
(5) »ProReKo« = »Projekt Regionale
Kompetenzzentren« ist die niedersächsische Variante von SVP
in Hessen.
Erschienen im express,
Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit,
12/04
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