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Updated: 18.12.2012 15:51
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(Berufliche) Schulen als Unternehmen

Herbert Storn* über »Outputsteuerung« in der Bildung, Teil I

»Bildung ist keine Ware«, so der Kontrapunkt zur gegenwärtigen Ökonomisierung der Bildungsinstitutionen. Doch inwieweit handelt es sich hierbei weniger um einen Kontrapunkt als um eine kontrafaktische Aussage? Wie weit ist die Restrukturierung des Bildungswesens bereits voran geschritten – und wo liegen die Grenzen der Ökonomisierung? Mit dem Artikel von Torsten Bultmann über den Umbau der Hochschulen »Wettbewerb von der Wiege an« (express 8/04) hatten wir begonnen, Beiträge einer Bildungstagung vom Februar dieses Jahres zu dokumentieren, die solchen Fragen anhand verschiedener Bildungsbereiche nachgehen. Herbert Storn analysiert im Folgenden ein Modellprojekt der hessischen Landesregierung, das derzeit an Berufsschulen erprobt wird. Der Beitrag ist für den express leicht gekürzt. Die Langfassung wird in Kürze mit den anderen Referaten in einem Tagungsband erscheinen.

Mit atemberaubender Geschwindigkeit sprießen derzeit im öffentlichen Schulwesen Deutschlands »Modellprojekte« aus dem Boden. Federführend ist dabei die Bertelsmann-Stiftung, aber auch andere private Unternehmen engagieren sich bei der systematischen Umwandlung von Schulen in Richtung Kommerzialisierung.

In vorderster Reihe stehen dabei die Beruflichen Schulen. Das ist insofern nicht verwunderlich, als diese sich – aufgrund des dualen Systems der Berufsausbildung und in Form der Teilzeit-Berufsschule – ohnehin an der Nahtstelle von Schule und Unternehmen befinden.
Im Vordergrund steht bei diesen Modellprojekten die Umstellung von der »Inputsteuerung« des Bildungswesens – beispielsweise durch bestimmte Zuweisungsrelationen – hin zur »Outputsteuerung«. Dazu gehört: die Normierung von Standards, die Entwicklung eines Kennziffersystems zur Messung des »Outputs« von Schule, die Erfassung der Kosten verschiedener Schul«produkte« und deren Steuerung über Budgetzuweisungen, die sich an Kostenvergleichen (»benchmarks«) orientieren.

Dies gilt im Prinzip für alle Schulformen, ja – im Rahmen der von 1998 bis 2008 projektierten »Neuen Verwaltungssteuerung« (NVS) in Hessen – sogar für (fast) alle staatlichen Leistungen. (Ausgenommen sind in Hessen beispielsweise die Richter.)

Darüber hinaus oder auch als logische Konsequenz werden staatliche Schulen in ihrer Organisation und Ausrichtung sehr weit an private Unternehmensformen herangeführt.
Dies gilt insbesondere wiederum für die Beruflichen Schulen. Das bisher am weitesten gehende Beispiel ist der Hamburger Versuch, die Berufsschulen in eine Stiftung zu überführen, in der das Land Hamburg nicht mehr die alleinige Verfügungsgewalt hätte. Ein im Auftrag der GEW verfasstes Gutachten von Prof. Sterzel (Uni Oldenburg) kommt denn auch zu dem Ergebnis, dass ein solches Modell nicht mehr mit der Verfassung vereinbar wäre. [1]

Inzwischen gibt es in der Mehrzahl der Bundesländer Modelle, die die Beruflichen Schulen zu einer Art von mehr oder weniger selbständigen Unternehmen umformen sollen. In vielen Fällen ist die Übertragung von Ergebnissen aus Modellprojekten auch auf allgemeinbildende Schulen vorgesehen. So auch im Hessischen »Modellprojekt Selbstverantwortung plus« (im Folgenden SVP) für 10 von 110 hessischen Beruflichen Schulen, das von 2005 bis 2009 laufen soll und dessen Zwischenergebnisse, falls sie für die Landesregierung interessant sind, noch während der Projektlaufzeit auf andere Schulen übertragen werden sollen.

Das neue Steuerungsmodell »Selbstverantwortung plus«

Die Grundlage dafür legte ein Allparteien-Landtagsbeschluss (CDU-SPD-FDP-Grüne) vom 18. September 2003, der folgende Punkte beinhaltete:

  • mehr Selbständigkeit für die Schulen hinsichtlich des Budgetrechtes, der Personalentwicklung und -gewinnung, der Weiterbildung von Lehrkräften, der Bildungsangebote
  • Einrichtung eines Ferienkontingentspielraumes, um Bildungsangebote unabhängig von den Schulzeiten zu ermöglichen
  • Überprüfung der derzeitigen Rechtsform der beruflichen Schule als nichtrechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts
  • Stärkere Einbindung der beruflichen Schulen in das Weiterbildungsgesetz.
  • Konzeptionelle Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Berufsschulen und Weiterbildungsträgern.

Der erste Entwurf von SVP sah denn auch vor:

  • Autonomie der Schulen als staatliche Bildungseinrichtungen und ihre selbständigere Verwaltung
  • Eine möglichst rentable Auslastung der Schulen für die Weiterentwicklung der beruflichen Schulen zu Kompetenzzentren
  • Nachhaltige Qualitätsverbesserung durch erweiterte Gestaltungsfreiräume und die damit verbundene Wettbewerbssituation
  • Einbindung der beruflichen Schulen in die regionalen beruflichen Netzwerke, um den Einsatz öffentlicher Mittel zu optimieren und Synergien zu erschließen.
    (...)

Inzwischen wurde die Zielrichtung – vermutlich auf Druck der Unternehmerverbände – um 180 Grad gedreht:
Sollten die beruflichen Schulen laut Landtagsbeschluss noch »als Kompetenzzentren in Verbindung mit den Ausbildungszentren der Wirtschaft und freien Trägern in regionalen Bildungsnetzwerken der Aus- und Weiterbildung eigenverantwortlich handeln können«, und war dieses »Handlungsfeld« im ersten Entwurf von SVP noch an erster Stelle genannt, so ist es nun ans Ende gesetzt und hat einen »optionalen« Status erhalten. Der Aus- und Umbau von Berufsschulen zu »autonomen Kompetenzzentren« soll nur noch »subsidiär« und »in enger Abstimmung mit der Wirtschaft, den Kammern« usw. erfolgen. »Wettbewerbsverzerrungen durch Quersubventionierung sind auszuschließen.«

Der Grundtenor bleibt jedoch erhalten: »Die Prinzipien Selbstverantwortung und Deregulierung durchziehen alle Systemebenen von Schule«, wird in dem überarbeiteten Entwurf postuliert. »An die Stelle der Detail- und Inputsteuerung tritt die ergebnisorientierte Steuerung«.

Die GEW-Kritik, dass das Projekt dazu dient, die Kosten für Schulprodukte zu senken, wird damit nachträglich bestätigt: »Von den Beschäftigten werden Befähigungen erwartet, die nur über eine Steigerung der Leistungsfähigkeit aller Bildungs- und Qualifizierungsbereiche zu erbringen sind.« Unter einer »Steigerung der Leistungsfähigkeit« versteht das hessische Kultusministerium nämlich auch die Erbringung der gleichen Leistung mit geringeren Kosten. Schließlich ist das Ziel der »Neuen Verwaltungssteuerung«, zu der das »Modellprojekt SVP« ebenfalls zählt, die Entlastung des Staatshaushalts (dazu später mehr).

Des Weiteren finden sich in dem überarbeiteten Entwurf folgende Forderungen:
»Durch aktives Personalmanagement sollen Schulen die personellen Ressourcen stärker an den Zielen und Bedürfnissen der Schule ausrichten und damit zu einer ›Qualitätsverbesserung‹ beitragen. (...) Die weitgehende Selbstverantwortung und Gestaltungsfreiheit der Projektschule vollzieht sich im Rahmen staatlicher Qualitäts- und Evaluationsvorgaben sowie regelmäßiger interner und externer Evaluation. (...) Diese externe Evaluation könnte durch eine schulamtsübergreifende Qualitätsagentur erfolgen. In dieser Qualitätsagentur könnten VertreterInnen von Schulaufsicht, von Schulen, von Studienseminaren, vom Institut für Qualitätsentwicklung und eventuell Personen von außerhalb der Bildungsverwaltung im Team zusammenarbeiten. Eine Ausweitung der Rechte der SchulleiterInnen als Dienstvorgesetzte sollte der Forderung nach mehr Partizipation und Delegation von Verantwortung nicht entgegenwirken«, wird in der Projektbeschreibung postuliert. [2]

Bei dieser Ausweitung der Rechte der SchulleiterInnen handelt es sich im Wesentlichen um eine Verlagerung von Rechten, die bisher von der Bildungsverwaltung wahrgenommen wurden. In diesem Zusammenhang werden sich auch die Rechte der Personalvertretung von den zwölf Gesamtpersonalräten bzw. dem Hauptpersonalrat der LehrerInnen in Hessen auf die Schulpersonalräte verlagern. Was wie Basisnähe erscheint, ist aber in Wirklichkeit eine Schwächung der Personalvertretung, weil Schulpersonalräte i.d.R. nicht die Arbeitskapazität der anderen genannten Personalräte (Freistellung, Know-how, Überblick) und deren gewerkschaftliche Anbindung haben. Obwohl der Vergleich etwas hinkt, sei hier doch eine Parallele zu der insbesondere von Unternehmerverbänden propagierten Verlagerung der gewerkschaftlichen Tarifpolitik auf die Betriebsräte gezogen. (...)

Um den Ressourceneinsatz zu optimieren, Synergieeffekte zu erschließen und somit die Qualität der schulischen Arbeit zu verbessern, sollen laut SVP möglichst viele Entscheidungen am Ort der Leistungserstellung, also der Schule, getroffen werden.
An Stelle der bisherigen Detail- und Inputsteuerung wird eine ergebnisorientierte Steuerung eingeführt. Diese erfordere neue Formen der Erfolgskontrolle und die Sicherstellung der Qualitätsentwicklung. Grundsätzlich sollen für die Wirtschaftsführung der weitgehend selbstverantwortlichen Schule die kaufmännischen Grundsätze gelten. Den Projektschulen sollen dabei folgende Entscheidungsbefugnisse eingeräumt werden:

  1. Erwerb von Vermögen und Rechten durch unentgeltliche Rechtsgeschäfte,
  2. Durchführung von Lehrveranstaltungen, die nicht schulische Veranstaltungen im Rahmen des Hessischen Schulgesetzes sind,
  3. Durchführung von sonstigen nicht unter Nr. 2 fallenden Veranstaltungen, die mit der Aufgabe der betreffenden Schule vereinbar sind oder auch deren Organisation und Abwicklung für Dritte,
  4. Abschluss von Verträgen über die Erbringung von Leistungen, die mit der pädagogischen Aufgabe der betreffenden Schule vereinbar sind.

Die Kalkulation der angebotenen Dienstleistungen im beruflichen Weiterbildungssektor soll kostendeckend und »marktgerecht« sein.

Woher kommt der Reformdruck?

Ein »Modellprojekt« wie SVP lässt sich leicht einordnen und seiner teilweise mystifizierenden Sprache entkleiden, wenn man den Hintergrund beleuchtet, vor dem sich das Projekt in Hessen abspielt. Da sind zu nennen:

  • Im Gesetzgebungsverfahren befindliche Änderungen des Hessischen Lehrerbildungs- und des Hessischen Schul-Gesetzes mit Verkürzung der gymnasialen Schulzeit, der Anhebung der Klassengrößen, Schulschließungen bei zu geringer Auslastung, der bereits genannten Experimentierklausel, Auflösung der Hessischen Lehrerfortbildungseinrichtung einerseits und gleichzeitige Einführung eines »Fortbildungs-Portfolios« mit »Leistungspunkten« andererseits
  • Entwicklung von Bildungsstandards, Zentrale Abschlussprüfungen, Vergleichsarbeiten
  • Geplante Einführung von »Mitarbeitergesprächen«/»Jahresgesprächen«, »Zielvereinbarungen«, regelmäßige Beurteilungen durch Schulleiter, Prämien bzw. Sanktionen durch Schulleiter
  • Ausweitung von kurzfristigen BAT-Verträgen auch für die Abdeckung des Regelunterrichts
  • Honorarvertragswesen im Weiterbildungsbereich
  • Einführung der »Neuen Verwaltungssteuerung« auch im Schulbereich mit Kosten-/Leistungs-Rechnung, Outputsteuerung, Kennziffern und benchmarks
  • Schule als Betrieb mit »Produkten« und Kostensenkungsziel
  • Rückzug der Unternehmen aus der Ausbildungsverantwortung
  • die »Operation sichere Zukunft« (ab 2003) mit dem Abbau von über 9 000 Arbeitsplätzen, Gehaltskürzungen, Arbeitszeitverlängerungen und 33 Prozent Zuschusskürzungen für soziale Einrichtungen
  • Abbau der Mitbestimmung durch mehrfache Änderung des Hessischen Personalvertretungsgesetzes
  • Kündigung der Tarifverträge, 42-Stundenwoche für Beamte nebst Gehaltskürzungen
  • Privatisierungs-Ideologie und -strategien, sale-and-lease-back, Verpachtung von Schulen
  • genereller Abbau des Sozialstaats.

Ganz eindeutig gibt der hessische Staatsminister und Chef der Staatskanzlei Grüttner die strategische Linie vor: »Die Aufgabenkritik zur Konzentration der Landesverwaltung auf ihre Kernaufgaben durch Aufgabenabbau und Privatisierung wird stringent fortgeführt. (...) Das Gesamtkonzept sieht den Wegfall von Aufgaben, eine eingeschränkte Aufgabenwahrnehmung, die Privatisierung und Verlagerung mit Synergieeffekten für die Landesverwaltung sowie organisatorische Veränderungen vor.« [3] (...)

Damit ist eine Ursache für den Reformdruck benannt: Es ist die bekannte neoliberale Ideologie von dem Vorzug privater Unternehmen vor der Aufgabenerledigung durch den Staat, von dem Vorzug des deregulierten Marktes gegenüber staatlicher Regulierung, von dem Vorzug privater Vorsorge vor dem Sozialstaatsprinzip.

Dabei gerät der Staat durch seine Politik spiralförmig in den Sog seiner eigenen Beschwörungsformeln: Weil es darum geht, private Unternehmen zu schonen, wird dort auf Steuern verzichtet, was wiederum die staatliche Aufgabenerfüllung zunehmend erschwert.
Die oben erwähnte hessische »Operation Sichere Zukunft« beispielsweise erreicht das öffentlich proklamierte und der Rechtfertigung dienende Ziel »Schuldenabbau = sicheres Hessen« gar nicht; auf ihrer Homepage führte die hessische Landesregierung Berechnungen vor, die sogar zu einer weiteren Nettoneuverschuldung führen. Gleichzeitig verzichtet Hessen zusammen mit anderen Bundesländern auf die Wiedereinführung der Vermögensteuer, die dem Land nach DGB-Berechnungen bis zu drei Mrd. Euro bringen könnte.

Die Ideologie von der Überlegenheit privater Unternehmen kommt diesen natürlich entgegen. Zum einen verdienen verschiedene Firmen wie SAP, Accenture u.a. an der Einführung der NVS (nach Angaben aus dem hessischen Finanzministerium 250 bis 300 Mio. Euro bis 2004 – die Opposition von SPD und Grünen rechnet mit weiteren 250 Mio. bis 2008). [4] Zum anderen geht es um die Erschließung eines weltweiten Bildungsmarkts, der bislang lediglich im Weiterbildungssektor bereits weitgehend privatisiert ist. Der Bildungsmarkt insgesamt könnte ein riesiges neues Verwertungspotential für das Kapital darstellen, dessen Anlagemöglichkeiten zunehmend schrumpfen.

 

* Herbert Storn (GEW Bezirksverband Frankfurt a.M.)

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 10-11/04. Teil II im nächsten express.

Anmerkungen

1) Gegen die Ausgliederung der Beruflichen Schulen in Hamburg gab es unter dem Motto: »Bildung ist keine Ware« inzwischen ein erfolgreiches Volksbegehren, das von mehr als 100000 BürgerInnen unterstützt worden ist. Es spricht einiges dafür, dass der CDU-Senat nun eine Entwicklung anstrebt, wie sie in diesem Beitrag am Beispiel des Projekts »Selbstverantwortung plus« in Hessen beschrieben wird. Das Ziel, in den Beruflichen Schulen den institutionalisierten Einfluss der Wirtschaft zu stärken, wird der Senat wohl auch unter diesen veränderten Vorzeichen weiter verfolgen.

2) Amtsblatt des Hessischen Kultusministeriums 8/04, S. 572ff.

3) Aus: »reform@aktiv – Die neue Verwaltungssteuerung in Hessen«, Juni 2004

4) FAZ vom 29. Januar 2004, Frankfurter Rundschau vom 19. November 2002


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