letzte Änderung am 24. Juli 2003

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Kooperation Wissenschaft Arbeitswelt. Geschichte, Theorie und Praxis von Kooperationen. Hrsg. von Christiane Färber/Klaus Kock/Frank Mußmann/Irmtraud Schlosser (2003 - 196 S. - € 20,50 - SFR 35,50, ISBN 3-89692-543-6) im Verlag Westfälisches Dampboot.


Christiane Färber, Klaus Kock, Frank Mußmann, Irmtraud Schlosser

Einleitung

Eine systematische und gesellschaftspolitisch begründete Interaktion zwischen Wissenschaft und gewerkschaftlicher Arbeitswelt ist eine Errungenschaft, die im westdeutschen Diskurs der Sozialwissenschaft Mitte der 70er Jahre unter den Begriffen "Arbeitnehmerorientierte Wissenschaft" bzw. "wissenschaftlich reflektierte Gewerkschaftsarbeit" entstanden ist. Mit der Einrichtung von Kooperationsstellen als intermediäre Einrichtungen zwischen Wissenschaft und Arbeitswelt wurde der Erkenntnis Rechnung getragen, dass Wissenschaft eine gesellschaftliche Bringschuld gegenüber abhängig Arbeitenden hat und dass demzufolge arbeitnehmerbezogene Forschung ein eigenständiges wissenschaftliches Tätigkeitsfeld darstellt. Inzwischen gibt es Kooperationsstellen an 19 Hochschulorten der Bundesrepublik. Weitere sind konzipiert oder befinden sich in der Gründungsphase.

In den letzten Jahren haben sich die Rahmenbedingungen für Kooperationsarbeit deutlich verändert. Der Begriff "Arbeitnehmerorientierte Wissenschaft" ist nicht nur im sozialwissenschaftlichen Diskurs zunehmend aus dem Blick geraten. Auch bei den Gewerkschaften stand die Kooperation mit den Hochschulen im Zuge der Globalisierung der Arbeitsbeziehungen und der Auseinandersetzungen mit der Verbetrieblichung der Interessenvertretung nicht unbedingt an erster Stelle ihrer Agenda. Hinzu kommt, dass Universitäten zunehmend unter Privatisierungsdruck und Kooperationsstellen dadurch teilweise unter erheblichen Legitimationsdruck geraten sind. Angesichts dieser Herausforderungen stellt sich die Frage, wozu und warum gibt es heute noch und wieder Kooperationsstellen? Was ist ihre Aufgabe?

Kooperation ist mehr als bloße Vermittlung. Kooperationsstellen erweitern und entwickeln Denkweisen und Handlungsspielräume in Wissenschaft und Arbeitswelt. Dazu gehören Gewerkschaft, Betrieb und Verwaltung, Hochschulen und deren soziales und kulturelles Umfeld. Sie generieren Wissen, sie fördern die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Arbeitswelt, sie organisieren und moderieren den Wissens- und Erfahrungsaustausch, sie fördern den Diskurs über verschiedene Denkansätze, sie thematisieren neue Formen der Erwerbsarbeit und der Arbeitsorganisation.

Mit diesen Grundfragen hat sich die Bundesarbeitsgemeinschaft der Kooperationsstellen (BAG) anlässlich ihrer Jahrestagungen 2000 und 2001 auseinandergesetzt. Einverständnis herrschte darüber, dass sich Kooperationsstellen, wie unterschiedlich ihre Arbeitsweisen im Einzelnen auch sein mögen, mit den gesellschaftlichen Veränderungen auseinandersetzen müssen. Welches Selbstverständnis und welchen Arbeitsauftrag haben Kooperationsstellen heute und auf welches gesellschaftliche Umfeld können sie sich dabei stützen? Ein Ergebnis dieser gemeinsamen Diskussion ist die Idee zu diesem Buch. Die Beiträge beleuchten die vielfältigen Themenstellungen und Auseinandersetzungen in und mit der Kooperationsarbeit aus unterschiedlichen Blickwinkeln und zeigen, dass Kooperation zwischen Wissenschaft und Gewerkschaft auch heute noch und zunehmend wieder ein wichtiges und notwendiges Tätigkeitsfeld ist, wenngleich die ursprüngliche eindeutige Zielsetzung einer "arbeitnehmerorientierten" Wissenschaft oft nicht mehr so klar formuliert werden kann wie in den 70er Jahren.

MitSeit dem Auftreten der Arbeiterbewegung als eigenständige geschichtliche Kraft wurde auch die Notwendigkeit gesehen, gesellschaftliche Entwicklungen zu erklären, um daraus Schlussfolgerungen für eine Strategie zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen zu ziehen. Seit den Klassikern des 19. Jahrhunderts hat es immer wieder theoretische Anstrengungen zu einer solchen systematischen Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse gegeben. Zu Zeiten der Weimarer Republik wurden Abendschulen eingerichtet, Betriebsrätekurse an einzelnen Universitäten durchgeführt, 1920 erfolgte die Gründung der Frankfurter Akademie der Arbeit. In die Nachkriegszeit fallen die Gründung der Sozialakademie in Dortmund, der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg, der Hans-Böckler-Stiftung und des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts des DGB, um nur einige von vielen Formen zur Institutionalisierung der Zusammenarbeit zu benennen.

Mit dem Projekt "Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeitnehmer als Gegenstand der Hochschulforschung", das mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft von 1977 bis 1980 an der Universität Bielefeld durchgeführt wurde, erhielt die Diskussion um theoretische Bestimmung und praktische Organisation der Kooperation von Wissenschaft und Gewerkschaften einen neuen Anstoß. Es wurden wichtige konzeptionelle Arbeiten geleistet, um bestehende Kooperationsprojekte zu stützten und die Einrichtung neuer Kooperationsstellen zu fördern (Katterle/Krahn 1980 und 1981). Mit der Einrichtung von Kooperationsstellen wurden erstmals organisatorische, finanzielle und personelle Voraussetzungen geschaffen, um die Kooperation von Einzelpersonen und Projekten zu koordinieren und langfristig zu stabilisieren. Dass heute fast 20 Kooperationsstellen existieren, ist nicht zuletzt den Arbeiten der Kolleginnen und Kollegen im "Bielefelder Projekt" unter der Leitung von Siegfried Katterle und Karl Krahn und zu verdanken.

Welche Aufregung diese Versuche der Stiftung von Kooperation damals in der politischen Öffentlichkeit hervorriefen, ist heute kaum noch nachzuvollziehen. Konservative Kräfte mutmaßten nichts Geringeres als eine Bedrohung der Freiheit der Wissenschaft, allein weil die ForscherInnen einen Interessenbezug von Wissenschaft behaupteten (vgl. dazu den Beitrag von Bodo Zeuner in diesem Band). In einer Zwischenbilanz stellten Joke Frerichs und Karl Krahn Mitte der 80er Jahre dagegen heraus, dass es wie erwartet immer dann zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit kam, wenn praktische Interessen an einer Emanzipation der abhängig Beschäftigten mit theoretischen Interessen an einer authentischen Erkenntnis der Arbeitswelt verbunden werden konnten. Zwischen den Handlungssystemen Wissenschaft und Arbeitswelt "... können Rückkopplungs- und Lernprozesse installiert werden. Eine Chance des Gelingens solcher Lernprozesse besteht in dem Maße, wie sie für die Wissenschaft mit einer Erweiterung des Erkenntnishorizonts verbunden sind und für Gewerkschaften eine Chance bieten, die eigene Praxis zu reflektieren." (Frerichs/Krahn 1985: 66)

Inzwischen wird die Diskussion längst nicht mehr so hitzig geführt wie noch Anfang der 80er Jahre. Zum einen ist die wissenschaftstheoretische und wissenssoziologische Debatte weiter vorangeschritten - die naive Version der Freiheit von Wissenschaft vertritt heute kaum noch jemand (vgl. dazu die Beiträge von Klaus Kock und Werner Fricke in diesem Band). Zum anderen hat sich in der täglichen Praxis von Betriebsräten und Gewerkschaften der Umgang mit Wissenschaft als unabdingbar erwiesen, so dass auch von dieser Seite nach gangbaren Wegen der Kooperation gesucht wird (vgl. dazu den Beitrag von Bernd Kaßebaum in diesem Band). Dass dennoch erhebliche Anstrengungen notwendig sind, um die Zusammenarbeit solch nach wie vor verschiedener und nach verschiedenen Regeln funktionierender Teilbereiche der Gesellschaft zu organisieren, zeigen die Analysen einzelner Kooperationsansätze in diesem Band.

Zur Geschichte der Kooperationsstellen gehört nicht zuletzt auch die Geschichte der Bundesarbeitsgemeinschaft der Kooperationsstellen (BAG). Die jährlichen Tagungen der BAG bilden seit etwa 15 Jahren die Klammer und bieten den Rahmen für die Vernetzung, den Erfahrungsaustausch und in jüngerer Zeit auch für Diskussionen über ein gemeinsames Leitbild unter der Fragestellung: "Was sind die gemeinsamen Kernpunkte der Arbeit?" Nach und nach entstanden neue Einrichtungen, die mehrspurige Brücken zwischen Wissenschaft und Arbeitswelt aufbauen – zunehmend auch in den neuen Bundesländern.

Aber die Grundfrage bleibt: Welchen gesellschaftspolitischen Auftrag haben Kooperationsstellen heute und wie können sie ihn realisieren? Die folgenden Beiträge geben im Einzelnen darüber Auskunft. Die hier gebotene Mischung aus Geschichte, Theorie und praktischen Erfahrungen beleuchtet einerseits die Verortung der Kooperationsstellen im Spannungsfeld verschiedener Interessen und zeigt - von den Wurzeln bis zu neuen Ablegern - ein lebendiges Kaleidoskop von Kooperationskultur(en).

Die Aktualität einer "arbeitsorientierten Wissenschaft" beleuchtet Klaus Kock im ersten Aufsatz dieses Buches. Er geht der Frage nach, wie die Beteiligung von Arbeitnehmerinnen am Diskurs zwischen Wissenschaft und Anwendungspraxis organisiert werden kann. Werner Fricke setzt sich kritisch mit dem eindimensionalen Begriff des Wissenschaftstransfers auseinander und plädiert für eine reflexive Organisation der Wissensproduktion, denn "ein kontinuierlicher Dialog zwischen wissenschaftlichen Wissen und Alltagswissen wird die Akteure dazu befähigen, global zu denken und lokal zu handeln". Bodo Zeuner wendet sich den Problem- und Konfliktfeldern zu, in denen sich Kooperationsstellen bewegen. Die Ökonomisierung der öffentlichen Aufgaben kollidiert im Bildungsbereich mit dem Recht auf Bildung für alle, eine Repolitisierung scheint gefordert; dies ist auch eine Herausforderung für Gewerkschaften. Deren Bezug zu den Hochschulen nimmt Bernd Kaßebaum in den Blick und konzentriert sich im Hinblick auf die "schwierige Beziehung mit Zukunft" auf neue Anforderungen an Kooperationsstellen.

Wolfgang Neef wendet sich dem Ausbildungsbereich an den Hochschulen, speziell im Ingenieursbereich zu und zeigt Schwierigkeiten und Erfolge gewerkschaftlicher Studienreformarbeit auf. Birgit Roßmanith und Leo Krämer setzen sich mit dem Inhalt des Begriffs Wissensmanagement auseinander und fordern einen sozialinnovativen Übergang in die Wissensgesellschaft. Dies erfordert ein kooperatives Wissensmanagement, das sich auf die Umsetzung von vielseitigen Methoden des Wissenstransfers, der Wissensrecherche und der Wissensvernetzung konzentriert und die Hierarchisierung des Wissens beseitigt. Andrea Baukrowitz analysiert Stand und Entwicklung arbeitsorientierter Wissenschaft, um von dort aus den Beitrag einer Kooperation zwischen Hochschulen und Gewerkschaften sowie die Anforderungen an die Kooperationsstellen näher zu bestimmen. Die tiefgreifenden Veränderungen in der Arbeitswelt sind von der Wissenschaft noch nicht hinreichend erfasst. Irmtraud Schlosser beschreibt die Möglichkeiten einer an den Lebenslagen und am Erfahrungswissen von Gewerkschaftsmitgliedern orientierten "Kleinforschung", die durch Kooperationsstellen zum Nutzen von Wissenschaft und Gewerkschaft gefördert werden kann.

Im zweiten Teil des Buches steht mehr die praktische Arbeit der Kooperationsstellen im Vordergrund. Lothar Lißner, Annette Wagner und Katariina Röbbelen stellen verschiedene Drittmittelprojekte vor und zeigen auf, wie sie die Kooperationsarbeit positiv beeinflussen und sogar verbessern können. Frank Mußmann nimmt Studierende als gewerkschaftliche Zielgruppe in den Blick und Klaus Kock stellt ein Netzwerk Regionale Strukturpolitik vor. Was innovative Arbeitsgestaltung in der Region bedeuten kann, präsentiert Frank Mußmann in seinem zweiten Aufsatz. Erfahrungen mit der Vernetzung von Kooperationsstellen in Niedersachsen schildern Manfred Flore, Claudia Schünemann und Harald Büsing. Die letzten drei Artikel widmen sich der internationalen Kooperationsarbeit: Dirk Höhner bringt Aspekte der Kooperationsarbeit in Zusammenhang mit der EU-Erweiterung. Manfred Flore beschreibt Erfahrungen mit dem Thema "Europäische Integration", Christiane Färber stellt Inhalte und Ergebnisse eines Projektes zur interkulturellen Zusammenarbeit vor.

Mit dieser Auswahl haben wir versucht, eine breite Palette der Kooperationsarbeit darzustellen - ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Lebendige Systeme haben eine gewisse Eigendynamik, auf die wir auch in Zukunft neugierig sind. Die HerausgeberInnen hoffen, mit diesem Band nicht nur die Diskussion um eine intensive Kooperation von Wissenschaft und Arbeitswelt zu beleben, sondern auch den Beitrag von Kooperationsstellen zu diesem Prozess genauer zu skizzieren.

Zu danken ist allen Autorinnen und Autoren, die sich im hektischen Tagesgeschäft die Zeit genommen haben, ihre Arbeit zu beschreiben und zu analysieren, sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kooperationsstellen, die uns mit ihren Kompetenzen bei der Herausgabe dieses Buches unterstützt haben. Insbesondere danken wir Karl Krahn und Erich Werthebach, die 2002 nach langen Jahren in und für Kooperationsstellen in den (Un-)Ruhestand gegangen sind. Last but not least gilt der Dank der Hans-Böckler-Stiftung, die nicht nur dieses Buch finanziert hat und den Rahmen für den kontinuierlichen Diskussionsprozess zwischen den Kooperationsstellen gewährleistet, sondern auch durch ihre Forschungs- und Anschubfinanzierung viel zum Ausbau und Erhalt der Kooperationslandschaft beiträgt.

Literatur

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