letzte Änderung am 10. Okt. 2002 | |
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»There is an obvious conflict between the logic of capital accumulation which drives the global economy, and the logic of legitimation, which drives politics in all states with free elections.« (Colin Leys, 2001:26)
Im Anschluss an Colin Leys (s. Zitat) geht der folgende Beitrag davon aus, dass alle Institutionen in zugleich kapitalistisch und demokratisch verfassten Gesellschaften bestimmt sind vom Widerspruch zwischen den Notwendigkeiten ihres Beitrags zur Kapitalakkumulation einerseits und den Ansprüchen und Legitimationsmustern demokratischer Gesellschaften andererseits. Für den Bildungsbereich heißt das, dass die in ihm tätigen Institutionen in ihrer konkreten Arbeit bestimmt sind von ihrer unterschiedlichen Funktion zur Vermittlung von Qualifikationen, Selektion im Hinblick auf das Beschäftigungssystem und der Legitimation dieser gesellschaftlichen Aufgaben. Auf der anderen Seite unterliegen zumindest seit der französischen Revolution diese Prozesse den Ansprüchen der bürgerlichen Gesellschaft, Gleichheit und Solidarität für alle ihre Mitglieder sicher zu stellen. Das bedeutet, dass Bildung sich an der Entfaltung aller Potentiale der in ihrer Obhut sich befindenden Personen und an der Vermittlung von Selbst- und Weltverständnis zu orientieren hätte. Traditionelles Verständnis dieser Aufgabe ist es, dass die Bildungsinstitutionen dieser Aufgabe in relativer Eigenständigkeit nachzugehen hätten. Das Ausmaß dieser vermeintlichen Eigenständigkeit unterliegt Wandlungen und Strukturveränderungen, die von historischen und politischen Bedingungen abhängig sind. In der gegenwärtigen Phase lässt sich eine zunehmende Unmittelbarkeit des Zugriffs der Ökonomie auf Institutionen des Bildungswesens z.B. in Form der Organisierung von Wettbewerb und der Privatisierung feststellen. Es stellt sich daher die Frage: Wie ist dieser unmittelbarer werdende Zugriff der Ökonomie zu verstehen?
Die Finanzkrise des Staates und die Versuche umfassender Rationalisierung staatlicher Tätigkeit erscheinen auf nationaler Ebene als Verwaltungsreform öffentlicher Dienste, auch des Bildungssystems, und im internationalen Kontext als die Institutionalisierung eines Benchmarking-Systems, deren zentrale Indikatoren von einzelwirtschaftlichen Effizienzerwägungen geprägt sind. Eine Klärung dieser Zusammenhänge ist Voraussetzung dafür, Reichweite und Möglichkeiten bildungspolitischen Handelns angemessen beurteilen zu können.
In den 70er Jahren wurden der Zugang zu weiterführenden Schulen und eine größere Durchlässigkeit des dreigliedrigen Schulwesens als notwendige Voraussetzungen für eine optimalere Begabungsausschöpfung und ein verbessertes Wirtschaftswachstum erachtet und mit Hilfe entsprechender Maßnahmen umgesetzt. Allerdings gelang es in Deutschland im Gegensatz zu den meisten anderen OECD-Staaten nicht, in der Sekundarstufe ein integriertes Schulwesen zu institutionalisieren und das traditionelle dreigliedrige Schulwesen abzulösen. Damit wurde der Modernitätsrückstand des deutschen Schulwesens für die nächsten Dekaden festgeschrieben.[1] Diese Bildungsexpansion wurde Mitte bis Ende der 70er Jahre in Folge der Finanzkrise des Staates und der knapper werdenden Ressourcen beendet. In den 80er Jahren stand nach der Expansion die Rückführung der Kosten auf der Tagesordnung.[2] Begleitet wurde dieser Prozess in der zweiten Hälfte der 80er Jahre durch einen öffentlichen Diskurs der Delegitimation des staatsbürokratischen Bildungswesens und des in ihr zentral agierenden pädagogischen Personals, der LehrerInnen in den angelsächsischen Ländern benannt als »blaming the teachers«.. Die Bewertung des Bildungswesens in der Öffentlichkeit verschob sich unterstützt nicht zuletzt von Öffentlichkeit und Institutionen wie der Bertelsmann-Stiftung von der eines zentralen Motors der Gesellschaftsreform hin zu einer sich gegen Innovation widersetzenden, von »Besitzstandswahrung« geprägten Institution. Die Defizite des staatsbürokratischen Schulwesens im Anschluss an Weltbank und OECD auch »Blockaden« genannt wurden kritisch beschrieben im Hinblick auf Innovation, Flexibilität, Effizienz und Effektivität, Qualität, Vielfalt, Rechenschaftspflicht, bürokratischen Zentralismus und Eigeninteressen von Pädagogen und Verwaltungsbeamten. Zur Beseitigung der Defizite bzw. Blockaden wurden in den 90er Jahren zunehmend Rezepte diskutiert, die der privatwirtschaftlich verfassten Ökonomie entlehnt waren: Dezentralisierung (»Autonomie und Eigenverantwortung«), Wettbewerb, Vielfalt, Einsatz von Managern und betriebswirtschaftlicher Rechnungslegung (Neue Verwaltungssteuerung) sowie Privatisierung.[3] Diese Verbetriebswirtschaftlichung oder »Ökonomisierung der Binnenstruktur« von Bildungsinstitutionen (Thomas Bultmann) erfolgt im Zusammenhang der vor allem von Weltbank und OECD verfolgten mikro-ökonomisch orientierten Humankapitaltheorie, die nun in variierter Form die zielgenaue Identifizierung von profitablen Bildungsinvestitionen ermöglichen soll. Hier ist auch das PISA-Projekt als Teil des Indikatoren-Projekts der OECD zu verorten. Für die erste Dekade des dritten Milleniums zeichnet sich parallel zur Rationalisierung qua Markt und Management die Privatisierung von Institutionen und Kosten ab z.B. über Studiengebühren, Bildungsgutscheine etc. Die gegenwärtigen Verhandlungen im Rahmen der WTO über die Liberalisierung von Dienstleistungen auch im Bildungsbereich sind Ausdruck einer zunehmenden Internationalisierung von Entscheidungen über Entwicklungen von Bildungssystemen, z.B. in Form von Standardisierung und Harmonisierung.[4] Als langfristige Perspektive dieser Restrukturierung scheint sich im Anschluss an Rationalisierung und Privatisierung eine weitergehende Veränderung des Verhältnisses von Bildungsinstitutionen und Beschäftigungssystem abzuzeichnen[5], die im Kern auf eine Neubestimmung von Bildung als Grundbildung, die in einer »Wissensgesellschaft« erforderlichen Kompetenzen und auf Inhalt und Formen lebenslangen Lernens sowie die individuelle Verantwortung abzielt.
Wer sind diese globalen Agenturen oder Institutionen? Zum einen sind es in den entwickelten Industrieländern, die eben schon erwähnten Institutionen der Welthandelsorganisation WTO und die Organisation für wirtschaftliche Kooperation und Entwicklung (OECD), in der 29 Industriestaaten zusammengeschlossen sind. In den Entwicklungsländern sind es auch die WTO, aber vor allem die Weltbank und der IWF, die über Strukturanpassungsprogramme eine Politik der Liberalisierung und Privatisierung durchsetzen. Diesem Zweck dienen auch die regionalen Wirtschaftszusammenschlüsse wie z.B. Asean oder die EU und NAFTA. An der Durchsetzung dieser Politik sind wesentlich auch Organisationen der Privatwirtschaft beteiligt, die im Kontext der Internationalisierung von Entscheidungsprozessen ihren Einfluss hinter dem Rücken demokratisch legitimierter Strukturen massiv geltend machen wie z. B. die European Round Table of Industrialists (ERT) und der Transatlantic Business Dialogue (TABD).[6]
Im Kontext zunehmender Internationalisierung der Produktion, des Handels mit Finanztiteln, Gütern und Dienstleistungen organisieren diese supra- und internationalen Netzwerke aus formellen und informellen Institutionen eine Politik verstärkter Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung eine Politik, die meist als neoliberal, post-keynesianisch oder auch als »Washington Consensus«[7] bezeichnet wird wegen der zentralen Rolle der in Washington ansässigen Institutionen der Weltbank, des IWF und des US-amerika-nischen Finanzministeriums.
Zentraler Bestandteil des »Washington Consensus« und seiner Politik der Strukturanpassung ist neben Strategien der Verbilligung der Arbeitskraft eine Veränderung staatlicher Aufgaben und Tätigkeiten im Sinne einer kostenmindernden Rationalisierung zur Senkung der Staatsquote (prozentualer Anteil der Staatsausgaben am Brutto-Inlandsprodukt), um Ressourcen freizumachen für die Subventionierung potentiell wachstumsfördernder Branchen wie z.B. IKT und Genforschung. Diesem Ziel dient auch die Restrukturierung des öffentlichen Dienstes sofern er nicht privatisiert wird entsprechend des neuen Paradigmas von Markt und Management, deren sichtbarer Ausdruck die Neue Verwaltungssteuerung (NVS) ist. Die OECD beschreibt im Detail die zentralen Charakteristika dieses neuen Paradigmas öffentlicher Verwaltung und damit auch der Bildungsverwaltung:
Das Ziel dieser Umstrukturierung ist der Gewinn an Produktivität und Effizienz durch Flexibilisierung und Ökonomisierung der Binnenstruktur der Institutionen.
Diese Politik der Rationalisierung durch Wettbewerb und Effizienzsteigerung wird auf nationaler Ebene in Deutschland getragen und öffentlich offensiv vertreten von Institutionen der Privatwirtschaft wie z.B. dem BDI und der IHK, von Stiftungen wie der Bertelsmannstiftung und ihrem »Centrum für Hochschulentwicklung« (CHE), der Heinrich-Böll-Stiftung nicht zuletzt mehr oder weniger unisono begleitet von den Medien.[9]
Im Wesentlichen sind es zwei zentrale Instrumente, von denen man sich Effizienzgewinne verspricht:
Unter den Parolen von Dezentralisierung, von Autonomie und Eigenverantwortung, Qualitätssicherung und Rechenschaftspflicht werden Bildungsinstitutionen dazu angehalten, im Wettbewerb um knapper zugeteilte Ressourcen und Kunden ihre Qualität und Effizienz zu verbessern. Dabei geht man davon aus, dass Entscheidungen auf operativer Ebene vor Ort angemessener zu treffen sind als in zentralen Bürokratien.
Der Effizienzsteigerung der Einzelinstitution soll auch die Ablösung der Kameralistik (traditionelle Systematik öffentlicher Haushaltführung) und die Einführung von betriebswirtschaftlicher Rechnungslegung, die Neue Verwaltungsteuerung (NVS), dienen. Damit wird die bisher geltende Input-orientierte Steuerung der Bildungsverwaltung abgelöst durch eine Ergebnis-orientierte Steuerung. Dazu ist es notwendig, Ergebnisse und entsprechende Indikatoren bzw. Kennziffern für zu erbringende Leistungen zu definieren. Diese Indikatoren, die nicht von den teil-autonomen Einzelinstitutionen, sondern von strategischen Zentralstellen (Bildungsministerium und/oder einer speziellen Agentur) definiert werden, sind von Bedeutung für die Evaluation der erbrachten Leistungen, für das Kontrakt-Management zwischen Zentrale und Einzelinstitution und nicht zuletzt auf internationaler Ebene für ein internationales Benchmarkingsystem sei es der OECD oder der EU.
Strategien der Privatisierung können neben dem Verkauf vormals staatlicher Institutionen an privatwirtschaftliche Träger auch folgende Formen annehmen:
Jenseits der verschiedenen institutionellen Formen der Privatisierung ist auch die zunehmende Privatisierung von Kosten (entsprechend dem von der Weltbank so benannten »cost-sharing«-Prinzip) von Bedeutung. Dabei werden (umfassendere und erhöhte) Beiträge privater Haushalte in Form etwa von Studiengebühren oder Bildungskonten zur Finanzierung von Bildungsausgaben erhoben. Begründet werden sie mit der in der Tat nicht zu übersehenden Ungleichheit von Chancen im Bildungswesen. Allerdings verschärfen diese Maßnahmen die benannten Probleme eher, als dass sie zu einer Lösung beitragen. Wer die Ungleich-heit von Bildungschancen korrigieren will, muss die ihr zu Grunde liegenden sozialen und institutionellen Ursachen beseitigen.
1) Vgl. dazu Levin, Henry, 1978, The Dilemma of Comprehensive Secondary School Reforms in Western Europe, in: Comparative Education Review, Vol. 22,
2) Vgl. dazu Block, Rainer und Klemm, Klaus, 1997, Lohnt sich Schule? Hamburg
3) Zur gegenwärtigen Situation der Restrukturierung vgl. ausführlicher: Klausenitzer, Jürgen, 2002, Altes und Neues Anmerkungen zur Diskussion über die gegenwärtige Restrukturierung des deutschen Bildungswesens, in: Widersprüche 1/02
4) Dale, Robert, 1999, Specifying globalization effects on national policy: a focus on the mechanisms, in: Journal for Education Policy, Vol. 14, No. 1, 1-17
5) OECD, 2001, Bildungspolitische Analysen, Paris
6) Vgl. dazu Balanyá, Belén, et al., 2000, Europe Inc. Regional and Global Restructuring and the Rise of Corporate Power, London
7) Vgl. dazu Williamson, John, 1993, Democracy and the Washington Consensus, in: World Development 21 (1993), 8, S. 1332f.
8) Vgl. dazu OECD, 1995, Governance in Transition, Paris
9) Zur gegenwärtigen Situation der Restrukturierung vgl. FN 3; Bennhold, Martin, Die Bertelsmann-Stiftung, das CHE und die Hochschulreform, in: Lohmann, Ingrid, Rainer Rilling (Hrsg.), 2002, Die verkaufte Bildung, Opladen
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