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Updated: 18.12.2012 15:51
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Bildungsnomaden am Markt oder politische BildnerInnen, eine Betrachtung zu Trends im DGB-Bildungswerk (Bund)

Wenn man mancher Nachwuchsführungskraft im Reich des Dr. Eich Glauben schenken darf, so sind wir doch alle mit nur einem Mausklick dank der weiten Internetcommunity ersetzbar.

Nicht nur die "Alten" im Team suchen nach solidarischen und sozial vertretbaren Modi der Zusammenarbeit. Aber - sie erscheinen den im neoliberalen Zeitalter Sozialisierten als Teil einer verzichtbaren Vergangenheit, die keine Fortschreibung in die flexiblen Zukunftsräume erfahren dürfe. So grassiert auch am Standort Hattingen eine Gegenwart, von der man hoffen sollte, dass sie keine Zukunft hat.

Auch DGB-Bildungshäuser können sich in leere Orte verwandeln, entkernt vom Stammpersonal der ErwachsenenbildnerInnen, bespielt von Bildungsnomaden, die, verzichten sie nicht auf ihre altmodischen kollektiven und sozialen Ideale, eher früher als später durch das virtuelle Rauschen der Beliebigkeit ersetzt werden sollten.

Wer erinnert sich schon noch an das politische Gesicht und Gewicht des Hattinger Kreises, ein Bildungshaus mit Personal, das für gewerkschaftspolitisch geprägte Konsistenz und Impulse angetreten war und letztlich der im Lande grassierenden Projektitis, Aufträge und Aufgaben nach Mode und Stimmungslage, gewichen ist.

Was die neuen Manager des Unternehmens DGB-Bildungswerk übersehen ist, dass nur die virtuelle Existenz der Macht des Geldes, von welcher sich der Traum von der unendlichen Erweiterung der Flexibilität und Folgsamkeit der gemieteten Arbeit speist, ihnen ihre Handlungsräume ermöglicht. Es ist das Geld von ArbeitnehmerInnen und Steuerzahlern, die Modi für die Bestückung der Kassen sind allemal politische, ob es nun "Projektmittel" , gewerkschaftliche Zuwendungen oder TeilnehmerInnenbeiträge sind. Über allen liegt die reale Drohung: Mit der Verfügung über eine gefüllte Kasse ist der nächste Bildungsnomade nur eine Twitter-Millisekunde entfernt. Nun braucht es noch die Freiheit von jeglicher Bindung an die gewerkschaftliche Trägerschaft die nötige Kundschaft mit dem passenden Hype anzulocken. Aufklärerische Ziele werden so - ganz im Geist der Zeit - zu Grabe getragen, denn schließlich hat jedes Individuum die Aufgabe in "Eigenverantwortung" seine Passfähigkeit für den Markt zu stylen.

Aber - einen "Markt" für politische Bildung gibt es nur in der Fantasie der Marktgläubigen. Manches Angebot der politischen Bildung segelt eher unter fremder Flagge und bietet eher Kompetenztrainings fürs berufliche Überleben, garniert mit politischem Stuck im Programm. Es sind die konkrete Interessenslagen, kulturelle und soziale Bedürfnisse, die Kaufkraft der TeilnehmerInnen, die die Nachfrage nach Bildung und es sind die Interessen der Geldgeber die letztlich mittelfristig das finanzierbare Angebot bestimmen.

Die "starken jungen Männer" leben von den Kassen und der Befriedigung der Bedürfnisse derjenigen, die die Angebote nachfragen und von jenen, die diese Angebote für notwendig oder zumindest tolerabel halten. Gemeinsam mit den Teamenden hängt die Existenz des Managements und des minimalen Stammpersonals letztlich davon ab, ob es gelingt passende, stimmige, attraktive Angebote zu machen und diese auch qualifiziert und engagiert zu realisieren.

Viele, nicht nur junge, Intellektuelle befinden sich objektiv in prekären Lebenslagen, wer zahlt ist auf der starken Seite. Die Bildungsnomaden sind es nicht! Sie wissen es, aber darüber sprechen sollten sie lieber nicht. (Immer noch gilt das erzielte Einkommen als "Leistungsnachweis".)

Was kann am "Markt" der sich gegenseitig unterbietenden "externen Qualifizierungskräfte", im DGB-Bildungswerk (Bund) "Lieferanten" genannt, an Bildungsarbeit ad hoc und beliebig eingekauft werden?

Wissen, Kompetenzen, Haltungen, sozio-kulturelle und politische Verbundenheit mit den das Bildungswerk tragenden Gewerkschaften, Kreativität und stete Aktualität an Wissen und bei allem die notwendige menschliche Reife und pädagogische Erfahrung?

Was ermöglicht es diesen Bildungsnomaden ein - ihr - Leben lang ihre Arbeitskraft, ihre Lebensenergien zu reproduzieren, sich ständig weiterzubilden, inneren Reichtum aus dem Reichtum ihrer sozialen Beziehungen zu gewinnen und Sinnerfüllung durch die Spürbarkeit ihrer Arbeit zu erfahren? Woher nehmen diese zur billigen und jederzeit verfügbaren Dienstleistung verpflichteten Individuen auf Dauer die Kraft und die Fähigkeit zur menschlichen Begegnung, die unabhängig von den Inhalten, eine wesentliche Voraussetzung für nachhaltig wirkende Bildungserlebnisse sind. Wie soll Respekt und Wertschätzung vorgelebt werden, wenn die neuen und nur temporär nachgefragten Menschen, denen man die Bedingungen ihrer Arbeit diktiert, selbst weder ausreichend Respekt noch Wertschätzung erfahren?

DGB-Tagungshäuser können auch "leere Räume" werden, wenn sie nicht Orte der Profilierung von Interessensvertretung, von Ermutigung und Befähigung zur Emanzipation, wenn sie nicht "Hausnummern", nicht "Marken" im gesellschafts- und gewerkschaftspolitischen Leben sein können. So wie die Türen schlagen, wechselt - so die Zukunftsträume - das am virtuellen Markt zufällig gefischte Personal. "Hattingen" der Zukunft verkörperte so keine "Teamkultur", keinen gemeinsam kreativ erarbeiteten Geist.

Bildung und Politik werden entkoppelt, TeamerInnen und TeilnehmerInnen bleiben darauf verwiesen, sich allein auf die vermittelten Datenströme und Informationen ihren "Reim" zu machen, Wissen muss letztlich allein individuell erzeugt werden.

So sind unsere verbliebenen Tagungshäuser rasant auf dem Wege, keine Stätten für Impulse und die Erprobung neuer Solidaritäten zu sein. In der Ortslosigkeit versinkt die Chance zur Erneuerung, erlöschen die Potenziale zur Suche nach Alternativen. Was bleibt, ist die Kulisse technisch-technologischer Modernität, das Allerwelts-Hotel-Feeling und der Methodenzauber des Edutainment.

Mir scheint, Teile des Managements des DGB-Bildungswerkes leben in einer inneren und virtuellen Welt, in der sie in der Lage sind, von solidarischen und gesellschaftlichen Leistungen und Bedürfnissen zu leben, ohne sich ihrer eigenen, realen und höchst materialen Bindung und Abhängigkeiten von eben diesen gesellschaftlichen Verhältnissen bewusst zu sein. Sie gehören zu jener neuen Spezies, die reichlich von ihrer Einbettung in der Gesellschaft lebt, ohne das zu bemerken. Individuen, die den Kontakt zu den Bedingungen, den Voraussetzungen ihrer Freiheit verloren haben. Eine gravierende Folge: Management und Teamende finden immer weniger zueinander in kreativer und solidarischer Kooperation.

So ist letztlich die Schließung der Tagungshäuser nur ein "ehrlicher" Schnitt, dass Ende der Illusion, dass das Bildungswerk eine Einrichtung kämpferischer Interessensorganisationen der abhängig Beschäftigten zu sein habe. Mit der Abstreifung des technischen und menschlichen Ballastes der Tagungshäuser wird jetzt nur vollendet, was mehrheitlich für die BildungsarbeiterInnen bereits länger prekäre berufliche, soziale und politische Realität ist - die Ortslosigkeit. Die phantasierte Zukunft heißt: Bildungsarbeit ist dort, wo ein Zugang zum Internet erreichbar ist.

Erst haben wir uns tendenziell vom Bildungsmitarbeiterstamm verabschiedet und nun von unseren Häusern.

Bernd Wittich, Ludwigshafen, 30. Juni 2011

Zum Hintergrund siehe Branchen > Dienstleistungen Allgemein > Gewerkschaften als Arbeitgeber > Schließung der DGB- Tagungsstätte Hamburg-Sasel


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