Stellungnahme des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten (AdB) zur geplanten Novellierung des Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes Nordrhein-Westfalen

Der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten ist ein pluralistischer Bundesverband, dem fast 200 Bildungsstätten, Bildungswerke und Verbände angehören, deren Profil maßgeblich durch außerschulische politische Jugend- und Erwachsenenbildung geprägt ist. Der AdB umfaßt Politische Akademien, Europahäuser, Jugendhöfe und Jugendbildungsstätten, Heimvolkshochschulen, Fortbildungswerke, internationale Begegnungsstätten und die Bildungseinrichtungen der parteinahen Stiftungen.

Viele dieser Mitgliedseinrichtungen haben ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen und engagieren sich nachhaltig auf dem Gebiet der Arbeitnehmerweiterbildung und des Bildungsurlaubs.

Eine Änderung des geltenden AMG wird wegen der in vielen Rechtsstreitigkeiten zutage getretenen Unklarheiten gefordert. Auch wir halten die Reduzierung von Rechtsunsicherheiten für sinnvoll. Der vorgelegte Gesetzentwurf enthält allerdings eine Reihe von Regelungen, die aus unserer Sicht zum Teil überflüssig, zum Teil schädlich für die Konsolidierung und den Ausbau politischer und beruflicher Arbeitnehmerweiterbildung sind. Unser Maßstab Ist dabei der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts von 1987, der vom Bildungsurlaub einen Nutzen gleichermaßen für Individuen, Demokratie und Wirtschaft forderte.

Im Einzelnen nehmen wir wie folgt Stellung:

• Der Entwurf folgt bei der Regelung des Freistellungsverfahrens (§§ 4 und 5) partiell dem seit 1996 vorliegenden Rechtsgutachten von Prof. Sendler. Dies begrüßen wir als Schritt in die richtige Richtung, weil damit der Ausnutzung von Regelungslücken des alten Gesetzes durch Arbeitgeber entgegengetreten wird und arbeitsrechtliche Risiken der Bildungsurlaubswilligen vermindert werden.

• Die neu eingeführten Definitionen politischer und beruflicher Arbeitnehmerweiterbildung (§ 1) fassen den Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung in akzeptabler Weise zusammen. Wir halten es allerdings für eine unnötige und gefährliche Einengung der zulässigen Bildungsziele und Lerninhalte, wenn auf die seit 1985 bewährte Integrationsformell des § 1 Abs. 2 Satz 2 verzichtet wird. Die in ihr enthalte Klarstellung, daß auch Elemente anderer Bildungsbereiche Zielen politischer Bildung dienen können, sollte erhalten werden - zumal sich an dieser Formulierung keine juristischen Konflikte entzündet haben.

Ein neu eingeführter Negativkatalog soll den Mißbrauch von Bildungsfreistellung verhindern helfen. Teilweise sind hier Kriterien professioneller Bildungsarbeit aufgeführt; die sich aus unserer Sicht von selbst verstehen. Es werden aber auch Einschränkungen formuliert, die überflüssig, bildungsfeindlich und zum Teil sogar absurd sind. Daß die Teilnahme an Studienreisen bzw. Veranstaltungen mit wechselnden Lernorten eingeschränkt bzw. ausgeschlossen worden soll, denn aber durch Ausnahmeregelungen wieder legitimiert wird, ist kompliziert und entbehrt der Klarheit und Logik.

Was beispielsweise Gedenkstätten und Gedächtnisorte sind, wird wohl Legionen von Geeichten beschäftigen. Wir halten es, abgesehen von der Definitionsproblematik aber auch für pädagogisch und politisch höchst fragwürdig, eine solche Privilegierung dieser Stätten vorzunehmen. Bildungsveranstaltungen an Orten des Gedankens haben ihren hohen Wert und ihr Gewicht. Dies sollte aber nicht dazu führen, aktuelle politische Fragen und solche der Beziehungen zwischen Gesellschaften und Staaten als Themen von Bildungsveranstaltungen geringer zu schätzen und zu verhindern, daß sie an geeigneten Orten diskutiert werden können.

Die vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Anforderungen an die Konzeption und die Lernintensität von AWbG-Seminaren sind vollkommen ausreichend und weitaus präziser und lebensnäher, als der provinzielle Ausschluß von Auslandsveranstaltungen. Daß Seminare in der Bundeshauptstadt Berlin, in Brandenburg (soll hier eine neue Mauer errichtet werden, nachdem Jahre lang partnerschaftlich an der Entwicklung gearbeitet wurde?), in Nürnberg oder Flensburg verunmöglicht. solche in Straßburg, Brüssel und anderen Sitzen der EU aber erlaubt sein sollen, entbehrt nicht der unfreiwilligen Komik. Eine Bestimmung, nach der ein schlüssiger Zusammenhang zwischen Veranstaltungsort und Thema bestehen sollte, wäre adäquat und völlig ausreichend.

Abschließend sei der Hinweis erlaubt, daß hier ein Scheinproblem bearbeitet wird. Läßt man das Sprachenlernen außer Betracht, finden lediglich ca. 5 % der nordrhein-westfälischen Bildungsurlaubsveranstaltungen im Ausland statt.

Der Kern der bisherigen Bildungsfreistellungsregelungen war die individuelle Verfügung oder die bereitgestellte Zeit für Bildung, wobei aus wissenschaftlicher Sicht eine Woche immer als Untergrenze für das intendierte Impulslernen angesehen wurde. Die geplante mögliche Einschränkung der individuell verfügbaren Bildungszeit auf jährlich drei Tage durch die Anrechnungsmöglichkeit betrieblich veranlaßter Fortbildung (§ 4) wird in erster Linie die Beschäftigten größerer Betriebe mit eigenem Bildungswesen treffen. Freistellungsprobleine traten jedoch weniger hier als in Klein- und Mittelbetrieben auf. Daß nun ArbeitnehmerInnen in Betrieben bis zu 10 Beschäftigten überhaupt kein Recht auf Bildungsfreistellung mehr haben sollen, ist eine eklatante Ungleichbehandlung, die nicht zu rechtfertigen ist. Die bisher mögliche Ablehnung eines konkreten Bildungsurlaubsantrags aus betriebsbedingten Gründen war ausreichend, um tatsächliche Schwierigkeiten im Arbeitsablauf abzuwenden. Wir plädieren deshalb mit Nachdruck dafür, keine ArbeitnehmerInnen vom Recht auf Bildungsfreistellung auszuschließen.

Gemessen am Regierungsziel einer konfliktfreien Inanspruchnahme der Arbeitnehmererweiterbildung erscheint es kontraproduktiv, hier neue Konfliktfelder zu eröffnen. Genau dies tut der Entwurf, indem er die Verfahren der Anrechnung betrieblicher Bildungsmaßnahmen nicht einmal erwähnt.

Ein partielles Abrücken vorn bisher vorankerten Individualrecht auf Bildungsfreistellung mindert die pädagogischen Erfolgschancen für beide Teile des bisherigen Gesamtanspruchs. Die Einbeziehung betrieblicher Weiterbildung als vom Arbeitgeber präferierte Form wird die Rechtfertigungsprobleme derer, die an politischen Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen wollen, um sich in Gesellschaft und Staat zu engagieren, verschärfen, den Anteil dieser Veranstaltungen zusätzlich marginalisieren und zu weiterer Entfremdung zwischen Politik und BürgerInnen beitragen.

Einer schwachen Positionsverbesserung der bildungswilligen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus größeren Betrieben stehen im Entwurf unverhältnismäßig starke Einschränkungen des fachlich Sinnvollen und Gebotenen gegenüber.

Im Vorschlag, zwei der bisher fünf Tage für betriebliche Fortbildung zur Disposition zu steilen, sehen wir einen politischen Dammbruch, der Arbeitnehmerweiterbildung als selbstbestimmte Qualifizierung für bürgerschaftliche und berufliche Tätigkeitsfelder weiter verdrängt und mittelfristig ausschalten könnte. Wir haben die Sorge, daß das vorliegende Bündel von Änderungen im Ergebnis zu einer weiteren Schwächung der Bildungsfreistellung führt, bisherige Konfliktfelder kaum entschärft und weitere hinzufügt.

Daher appellieren wir an den nordrhein-westfälischen Landtag, den Entwurf im Sinne der obigen Kritik nachhaltig zu verbessern.

Der Vorstand des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten
Berlin. 26, November 1999

 


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