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Zuspitzung? Aber gerne!

Ohne schlüssiges arbeitszeitpolitisches Konzept einschließlich weiterer Arbeitszeitverkürzung verliert die IG Metall ein großes Stück ihres Profils und ihrer Gestaltungskraft!

 

DIE AUSGANGSLAGE

  1. "Eine weitere generelle Arbeitzeitverkürzung ist derzeit nicht populär. Einige sind ausdrücklich dagegen." Dieses Ergebnis der Befragungen und Erhebungen ist realistisch und entspricht unseren Erfahrungen.
  2. Diese Situation ist allerdings dramatisch für die Organisation. Die 35-Stunden-Woche war der tarifpolitische Erfolg der IG Metall der letzten zwanzig Jahre. Es war die Aktion, mit der die IG Metall wirkliche Gestaltungskraft in der Gesellschaft bewiesen hat – im Unterschied zu vielen anderen Gewerkschaften im In- und Ausland. Es war im Gegensatz zu allem, was Bundesregierungen in den letzten zwanzig Jahren getan haben, die einzige wirklich beschäftigungspolitisch wirksame Maßnahme. Dass sich Medien und Politik (§116 AfG bzw. §146 SGB) auf das Feindbild IG Metall als "Betonköpfe" eingeschossen haben, hat viel mit der 35-Stunden-Woche zu tun. Dieser historische Erfolg ist heute im Bewusstsein großer Teile der Organisation offensichtlich verschüttet oder überlagert.
  3. Natürlich war die 35-Stunden-Woche keine reine Erfolgsstory. Wie nicht anders zu erwarten haben die Arbeitgeber unmittelbar nach der Durchsetzung der 35-Stunden-Woche alle groben und feinen Hebel in Bewegung gesetzt, um diesen Erfolg der IGM zu unterminieren, auszuhöhlen und letztendlich wieder zurückzudrehen. Es gab Probleme bei der Realisierung und es gibt Probleme in der heutigen Realität. Leistungsverdichtung bei Zeitlöhnern und Angestellten, übermäßige Flexibilisierung und Entgrenzung der Arbeitszeit, unbezahlte Arbeitszeiten, abweichende Arbeitszeiten, z.B. von der 18% Regel in Baden-Württemberg (siehe konkretes Beispiel). Dennoch ist die Bilanz der 35-Stunden-Woche im Vergleich zu den wichtigsten Projekten der 90er Jahre eindeutig positiv.

 

DIE KONFLIKTLINIEN

  1. Das Thema Arbeitszeitpolitik steht wie kein anderes für die Zukunft der IG Metall. Es wird immer eine große Mehrheit der Mitglieder geben, die nicht Arbeitszeitverkürzung sondern Lohn und Gehalt als zentrales Thema ansehen. Es wird immer Themen geben, die während einer gewissen Phase die Menschen bewegen.
  2. Die Arbeitszeitfrage ist aber sowohl mit der Beschäftigung/Arbeitslosigkeit verbunden, als auch mit dem Thema Einkommen. Denn bei jedem Euro Entgelt ist entscheidend, für welchen Zeitraum er bezahlt wird. Je weniger die Arbeit getaktet ist, desto wichtiger ist die Frage der Leistungskontrolle.
  3. Die gewerkschaftspolitische Zukunftsfrage ist, wie wir auf den Druck der Unternehmer reagieren, der sich in den Zeiten des europäischen Binnenmarktes, der einheitlichen Währung und der sogenannten Globalisierung seit 1984 deutlich verstärkt hat. Nehmen wir die Prognosen, in welche Richtung sich die Bedürfnisse der einzelnen Teilbranchen entwickeln, als gegeben hin? Oder wollen wir unsere Zukunft auch weiterhin mitgestalten?
  4. Die von vielen erwarteten und befürchteten Erscheinungen, wie Zunahme der Leiharbeit, Billiglohnarbeitsplätze, mehrere Jobs gleichzeitig, unbezahlte Überstunden, sind alle Ausfluss der gleichen Unternehmerstrategie.

 

EIN KONKRETES BEISPIEL

Die Bezirksleitung der IG Metall Baden-Württemberg hat einen Ergänzungstarifvertrag für die Bosch Entwicklungszentren in Schwieberdingen und Abstatt abgeschlossen. Er sieht für diesen Bereich die Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche vor, wobei 37,5 Stunden bezahlt werden und 2,5 Stunden auf ein Langzeitkonto eingebracht werden müssen. Dies soll die Beschäftigten in den oberen Gehaltsgruppen, sowie Beschäftigte mit Spezialkenntnissen betreffen. Diese Verhandlungen fanden nur für einen Betrieb statt, die Öffnung für weitere F+E-Betriebe ist aber vorgesehen.

Dazu schrieben wir seinerzeit in einer Erklärung, die über 100 VL, VKL-Mitglieder und BR aus der Region unterzeichneten:

1. Wir lehnen die Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche ab. Die Ausweitung der 40-Stundenverträge über die tariflich festgelegte Grenze von 18% kann nicht durch zusätzliches Ausweiten eingefangen werden. Statt dessen muss beim Auslaufen des Mantel-Tarifvertrags in 2003 die 18% Klausel völlig gestrichen werden.

Wir lehnen das vorliegende Eckpunktepapier ab, weil ein darauf basierender Tarifvertrag nicht eine betriebs- und branchenspezifische Sonderregelung bleiben wird. Es ist das Bestreben der Arbeitgeber, generell die Arbeitszeiten wieder zu erhöhen. Sollte so etwas bei Bosch-Schwieberdingen exemplarisch vereinbart werden, so werden morgen andere Bosch-Betriebe und andere F+E-Betriebe das gleiche einfordern. Diese Vereinbarung wäre ein Schlag ins Gesicht all derer, die die 35 Stunden-Woche erkämpft und die sie in ihren Betrieben auch bisher verteidigt haben.

2. Wir lehnen die Einführung von Langzeitkonten in Rahmen des Ergänzungstarifvertrags ab. Es bleibt eine tarifpolitische Aufgabe (2003), endlich die Zeitkonten (Gleitzeit, Freischicht usw.) so zu regeln, dass sie den Beschäftigten eine Kontrolle über ihre Zeitguthaben erlauben und Mechanismen für Neueinstellungen vorsehen. Millionen verfallener Stunden zeigen, wie groß der Handlungsbedarf ist. Langzeitkonten werden die existierenden Probleme noch verschärfen. Eine weitere Ausdehnung der Arbeitszeit führt zu weiterer Leistungsüberforderung (siehe laufende Tarifverhandlungen). Als Mittel zum Vorruhestand sind sie völlig ungeeignet (Firmenwechsel, Lebenszeit, Insolvenz). Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind sie kontraproduktiv.

3. Wir halten die Taktik, Tarifbindung durch die Verschlechterung der Tarifverträge zu erhalten für völlig ungeeignet. Der Drohung der Robert Bosch GmbH, mit dem neuen Werk Abstatt nicht in den Arbeitgeberverband einzutreten, können wir nur mit gewerkschaftlicher Organisierung entgegentreten, um die Anerkennung bestehender Tarifverträge durchzusetzen. Dazu wäre eine Kampagne (Mitgliedergewinnung, Stärkung der gewerkschaftlichen Organisation) in allen F+E-Betrieben ein geeigneter Schritt.

4. Wir dürfen uns als Gewerkschaft keine Ausdehnung der Arbeitszeit unter dem Stichwort "Fachkräftemangel" aufzwingen lassen. Rechtzeitige und ausreichende Qualifizierung ist die Verantwortung der Arbeitgeber. Als Sofortmaßnahmen fordern wir betriebliche und überbetriebliche Programme zu Qualifizierung von FacharbeiterInnen, TechnikerInnen und von arbeitslosen und älteren Fachkräften.

 

DIESE DEBATTE WIRD WEITERGEHEN

Wir fühlen uns in unserer Position bestätigt in der Aussage der Befragung der IGM, die feststellt,

Den gewerkschaftlichen GegnerInnen einer immer weitergehenden Liberalisierung der Arbeitszeit wird vorgehalten, sie seien nicht bereit, auf Bedürfnisse hochqualifizierter technischer Angestellter einzugehen. Dass und wie es für GewerkschafterInnen möglich ist, gezielt diesen Personenkreis und sein Arbeitszeitverhalten anzusprechen, haben die IBM-KollegInnen unter dem Stichwort "Meine Zeit ist mein Leben" in einer Reihe von Veröffentlichungen und Veranstaltungen gezeigt. Diese brachten noch keine durchschlagenden Erfolge, aber einiges an Aufmerksamkeit und Sympathie im gewerkschaftsfernsten Umfeld.

In der Umfrage sind die Fragen nach mehr Konflikt- bzw. Kompromissbereitschaft sehr vage, da sie nicht direkt mit bestimmten Zielen verbunden sind. Aber es ergibt sich eindeutig der Wunsch der Mitgliedschaft und der Funktionäre nach einer stärkeren Mobilisierung der eigenen Kampfkraft.

Wenn wir das tun, und die Zukunftsdebatte nicht mit Fensterreden von Arbeitgebern und Politikern vergeuden, sondern nutzen um zu fragen, wie sich die zentralen Aufgaben der Gewerkschaft unter den heutigen Rahmenbedingungen darstellen, dann werden wir als Gewerkschaft für die Aufgaben der Zukunft gut gerüstet sein.

 

Unterschreibende bis zum Abgabetermin Ostern 2002:

Ulrike Hagenlocher, BR Alcatel-SEL; Christa Hourani, BR DaimlerChrysler Zentrale; Helmut Woda, BR Bosch-Schwieberdingen; Gertrud Moll, BR Bosch Feuerbach, Matthias Fritz, BR Mahle, VK-Leiter; Tom Adler, BR DaimlerChrysler Uth; Klaus-Peter Löwen, BR Alcatel-SEL ZB

Phillip Vollrath, BR; Heiner Hopfmüller, VM; Andreas Moench, VM und SB-VM; Ursula Seyffert, BR; Kuno Rogall; Manfred Teubner, Ersatz-BR; Gerhard Sonak; Rudi Bass, VM; Oliver Carski; Dieter Siegmund, VM; alle Alcatel-SEL

Wolfgang Zeleny, BR und VK-Leiter, Sybille Arleth, Mitg VKL und BR; Dieter Stumpf, stellv VK-Leiter und BR; Thomas Wörner, BR und Mitg VKL; Jürgen Kohler BR; alle Behr

Siegfried Deuschle, BR DaimlerChrysler Sifi; Martin Bott, VKL DaimlerChrysler Uth; Reinhard Eppler, VKLK DaimlerChrysler Zentrale; Angela Hidding, BR, DaimlerChrysler Mannheim/EVO Bus; Peter Karcher, BR, Knorr-Bremse; Francesco Vitale, Mitg. VKL Mahle; Selahaddin Sari, VM; Roto Frank; Hüseyin Besli, BR; Hüseyin Öncü, VM, WMF; Celal sari; VM Bosch Feuerbach; Ali Nakis, VM; Bosch Reutlingen; Zeki Yalcinkaya; VM Märklin


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