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Updated: 18.12.2012 15:51
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Rollback bei Daimler

Autokonzern will letzten Rest moderner Arbeitsorganisation beseitigen. Statt gewählter Gruppensprecher sollen ernannte »Teamleader« geschaffen werden.

Artikel von Daniel Behruzi, zuerst erschienen in 16.12.2008.In diesem Beitrag auch enthalten: a) Unterschriftenaktion des Betriebsrats zur Arbeitspolitik, b) die offizielle Meldung seitens des GBR's, dass insgesamt 20.000 Unterschriften übergeben wurden und c) ein Artikel zum Hintergrund aus Brennpunkt, die BR-Zeitung bei Daimler Sindelfingen Ausgabe Nr. 95 / Dezember 08, S. 4 und 5

Die Atmosphäre beim Autobauer Daimler ist angespannt. Dafür sorgen nicht nur die Auseinandersetzungen zwischen Beschäftigtenvertretung und Konzernspitze über die Folgen der drastischen Produktionsreduzierungen, die zuletzt in Vereinbarungen über Kurzarbeit mündeten. Noch ein weiteres Thema führt in der Belegschaft zu Verunsicherung und Empörung: die Pläne des Unternehmens zur stärkeren Hierarchisierung der Produktionsorganisation. Die mit der Gruppenarbeit in den 1990er Jahren eingeführten Methoden, die auf mehr Autonomie und ganzheitliche Arbeit setzten, sind offenbar endgültig passé. Jetzt soll auch der letzte Rest an Einflußmöglichkeiten der Beschäftigten beseitigt werden, nämlich die Wahl der Gruppensprecher.

Bislang werden die Sprecher der »teilautonomen Arbeitsgruppen« in der Produktion von den Beschäftigten aus ihrem Kreis gewählt. Nach Vorstellung der Daimler-Spitze soll es das künftig nicht mehr geben. Statt dessen will das Management eine neue Hierarchieebene einführen: den »Teamleader«, der den gewählten Gruppensprecher ersetzen und von den Vorgesetzten ernannt werden soll. »Als fachliche Führungskraft soll er die Aufgabe bekommen, die Rationalisierung voranzutreiben und wertprägende Umfeldaufgaben aus der Gruppe zu übernehmen«, heißt es in einer Mitteilung des Gesamtbetriebsrats (GBR). Die Folge sei, »daß damit der letzte Rest von direkter Beteiligung der Beschäftigten in der Produktion abgeschafft wird«. Zudem würden die Löhne der Bandarbeiter durch die geplante Neuerung unter Druck gesetzt, glaubt der GBR. Da alle Tätigkeiten, die nicht direkt mit der Fertigung zu tun haben, vom »Teamleader« übernommen werden sollen, würden die restlichen Beschäftigten im Entgeltrahmenabkommen (ERA) schlechter eingruppiert. Zudem würde die gesundheitliche Belastung durch die wegfallende Rotation zwischen verschiedenen Tätigkeiten zunehmen.

Nach mehr als zweijährigen Verhandlungen über diese Pläne hat der Betriebsrat die Gespräche mit dem Unternehmen kürzlich abgebrochen. Innerhalb weniger Tage unterzeichneten fast 20000 Mitarbeiter eine Petition, in der die Wahl der Gruppensprecher durch die Beschäftigten, der Verbleib von Umfeldaufgaben und die Rotation von Tätigkeiten sowie dauerhafte Einkommenssicherung gefordert werden. Der GBR argumentiert, daß mit der bisherigen Arbeitsorganisation ein hohes Maß an Effizienz und Qualität erreicht werde, das bei Umsetzung der Pläne gefährdet sei. Empört zeigt sich die Beschäftigtenvertretung darüber, daß das Unternehmen versucht, »einen Keil zwischen Führungskräfte und Belegschaft« zu treiben, indem die Meister aufgefordert werden, ein schriftliches Bekenntnis zu den Konzernplänen abzulegen. Dies sei »ein völlig neues und provokantes Vorgehen im Unternehmen«.

Nicht überrascht ist hingegen Jürgen Butschler, Betriebsrat der Gruppe »Alternative« im Daimler-Werk Untertürkheim. »Dieser Roll-back in der Arbeitsorganisation läuft schon seit fast zehn Jahren. Jetzt will das Unternehmen auch das letzte demokratische Element der Gruppenarbeit kassieren«, erklärt er gegenüber junge Welt. Zwar begrüßt die mit zehn Mandaten im Untertürkheimer Betriebsrat vertretene »Alternative«, daß der GBR die Gespräche abgebrochen hat. Dieser Schritt komme allerdings sehr spät, so die Kritik. »Jahrelang hat der GBR das Spiel mitgespielt, die Arbeitsorganisation bei Daimler nach außen als besonders modern zu verkaufen, nach innen aber die Augen zuzumachen, als die Errungenschaften nach und nach wieder beseitigt wurden«, so Butschler. Vielfach stehe die »teilautonome Gruppenarbeit« inzwischen nur noch auf dem Papier, sei in der Praxis aber kaum noch wirksam. »Leider ist die Betriebsratsspitze dem Konflikt um den vom Unternehmen betriebenen arbeitspolitischen Roll-back in den vergangenen Jahren ausgewichen – jetzt ist es umso dringender, ernsthaft dagegen zu mobilisieren«, meint Butschler.


Unterschriftenaktion des Betriebsrats zur Arbeitspolitik

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

seit über zwei Jahren führen Unternehmen und Gesamtbetriebsrat schwierige Gespräche über die zukünftige Arbeitsorganisation in der Produktion. Im Kern geht es dem Unternehmen um die Einführung einer neuen Hierarchieebene in der Produktion, den so genannten "Teamleader". Er soll den gewählten Gruppensprecher ersetzen. Als fachliche Führungskraft soll er die Aufgabe bekommen, die Rationalisierung voranzutreiben und wertigkeitsprägenden Umfeldaufgaben aus der Gruppe zu übernehmen. Die Funktion des Meister-Stellvertreters soll abgeschafft werden.

In den Gesprächen konnte keine Einigung erzielt werden, weil aus Sicht des Betriebsrats - damit der letzte Rest von direkter Beteiligung der Beschäftigten in der Produktion abgeschafft wird - das Entgelt der Beschäftigten dadurch unter erheblichen Druck gerät, weil die "Wertigkeit" der Arbeit abnimmt und - durch die Bevormundung von Beschäftigten Effizienz und Qualität nicht verbessert, sondern gefährdet wird.

Deshalb haben wir die Gespräche mit dem Unternehmen abgebrochen. Mit unserer heutigen Arbeitsorganisation ist unser Werk hocheffizient und hat den J.D. Power Award in Platin gewonnen. Das heißt, wir sind das Werk, das weltweit die höchste Qualität erzeugt. Das spricht für unsere Position, die bisherige Arbeitsorganisation, die von den Betriebsvereinbarungen zur Gruppenarbeit, REZEI und KVP geregelt wird, zu erhalten. Auch die Funktion des Meister-Stellvertreters halten wir weiterhin für sinnvoll.

Das Unternehmen fordert derzeit die Führungskräfte in der Produktion auf, ein schriftliches Bekenntnis zu den Vorstellungen des Unternehmens abzulegen. Das empfinden viele Führungskräfte als eine unangemessene Bevormundung. Außerdem treibt ein solches Vorgehen einen Keil zwischen Führungskräfte und Belegschaft.

Das ist ein völlig neues und provokantes Vorgehen im Unternehmen.

Wir wollen:

  • Umsetzung der gültigen Betriebsvereinbarungen zu Gruppenarbeit, REZEI und KVP
  • Wahl der Gruppensprecher durch die Gruppe
  • Verbleib der Umfeldaufgaben in der Gruppe
  • Rotation in vor- und nachgelagerte Bereiche
  • Dauerhafte Entgeltabsicherung
  • Berücksichtigung einer älter werdenden Belegschaft bei der Arbeitsplatzgestaltung

Erich Klemm (GBR - Vorsitzender ) / Karlheinz Fischer (Vorsitzender Kommission für Arbeitspolitik)


Die offizielle Meldung seitens des GBR's, dass insgesamt 20.000 Unterschriften übergeben wurden

20.000 KollegInnen sprechen sich gegen veränderte Arbeitsorganisation aus

Fast 20.000 Unterschriften der Belegschaft aus den PKW-Werken übergab Erich Klemm, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates, am 8. Dezember dem Personalvorstand, Günther Fleig. Hintergrund waren die Auseinandersetzungen um die Arbeitsorganisation in den PKW-Werken.

In diesem Zusammenhang forderte die Unternehmensleitung die Führungskräfte der Ebene 5 auf, ein schriftliches Bekenntnis zu den Vorstellungen des Unternehmens abzulegen. Damit sollte der Gesamtbetriebsrat nach dem Scheitern der Verhandlungen dazu bewegt werden, einem Kompromiss zuzustimmen. Zur Erinnerung: die seit zwei Jahren laufende Auseinandersetzung hatte seitens der Unternehmensleitung u.a. das Ziel, eine neue Hierarchieebene, den so genannten Teamleader einzuführen. Aus Sicht des Betriebsrates wäre damit der letzte Rest von direkter Beteiligung der Beschäftigten in der Produktion abgeschafft, die wertigkeitsprägenden Umfeldaufgaben aus der Gruppe genommen und das Entgelt durch die Abnahme der Wertigkeit der Arbeit unter erheblichen Druck geraten.

Der Gesamtbetriebsrat sieht die Unterschriftensammlung als vollen Erfolg. Sie übertraf um ein Vielfaches die gesammelten Unterschriften der Unternehmensleitung


Artikel zum Hintergrund aus Brennpunkt, die BR-Zeitung bei Daimler Sindelfingen Ausgabe Nr. 95 / Dezember 08, S. 4 und 5

Verhandlungen endgültig gescheitert

Nach drei langen Jahren sind die Verhandlungen über eine neue Arbeitsorganisation in der Produktion nun endgültig gescheitert. Der BRENNPUNKT nennt die Gründe dafür und beschreibt die höchst merkwürdige Reaktion des Vorstands.

  In einigen Punkten hatten sich Gesamtbetriebsrat und Unternehmen im Laufe der Verhandlungen angenähert. Doch bei den grundsätzlichen Themen lagen die Positionen beider Seiten auch nach drei Jahren noch zu weit auseinander, um zu einer Lösung zu kommen.

Vorstandskonzept: Gefährdung der Arbeitsbedingungen und des Entgelts

Im Kern geht es dem Unternehmen um einen Wechsel von der "selbst organisierten Gruppenarbeit" zur "geführten Teamarbeit".

Das Unternehmen will.

1. die Gruppen deutlich verkleinern,

2. den Gruppensprecher abschaffen und

3. alle wertigkeitsprägenden Umfeldaufgaben wie Q-Stopp, Nacharbeit oder Ablösetätigkeiten dem neuen vom Unternehmen gesetzten "Teamleader" zuordnen.

Für die Gruppenmitglieder wäre damit im Wesentlichen nur noch die reine Montagearbeit übrig geblieben. Genau das war der Knackpunkt in den Verhandlungen: Ohne Umfeldaufgaben würde für die Gruppenmitglieder fast jede Entlastungsmöglichkeit entfallen.

Mit diesen tiefen Einschnitten in die Arbeitsorganisation wäre auch das heutige Entgeltniveau langfristig nicht zu halten. Deshalb hat der Gesamtbetriebsrat eine Konzentration der Umfeldaufgaben auf den so genannten "Teamleader" von Beginn der Verhandlungen an abgelehnt. Zukunftsfähig ist eine Arbeitsorganisation aus Sicht des Betriebsrats nur dann, wenn sie auch eine immer älter werdende Belegschaft und eine zunehmende Zahl an Beschäftigten mit Einsatzeinschränkungen berücksichtigt. Ein solcher Ansatz ist im neuen arbeitspolitischen Konzept des Vorstands nicht erkennbar.

Umsetzung "durch die Hintertür"?

Die Verhandlungen sind also gescheitert. Es ist aber davon auszugehen, dass die Unternehmensleitung an den verschiedenen Mercedes-Benz Standorten versuchen wird, ihre Vorstellungen trotzdem in kleinen Schritten nach und nach umzusetzen. Die Betriebsräte werden deshalb in regelmäßigen Abständen vor Ort überprüfen, ob die bestehenden Betriebsvereinbarungen auch weiterhin in unserem Sinne umgesetzt werden.

"Resolution" des Vorstands

Offenbar ist dem Vorstand jedes Mittel recht, um seine Interessen auch gegen den Betriebsrat und gegen die Belegschaft durchzusetzen. Das zeigt sich in diesen Tagen, in denen die Führungsmannschaft in der Produktion in höchst ungewöhnlicher Form in Stellung gebracht werden soll:

Die Teamleiter und Meister werden seit rund zwei Wochen von ihren Vorgesetzten aufgefordert, eine Resolution zu unterzeichnen, mit der Druck auf den Gesamtbetriebsrat ausgeübt werden soll.

Die "Damen und Herren des Gesamtbetriebsrats" sollen in der Frage der Arbeitspolitik endlich klein beigeben.

"Betreutes Denken"

Nun ist allerdings fraglich, was eine Unterschrift wert ist, die unter solchen Umständen geleistet wird. Ist die Unterzeichnung eines solchen Bekenntnisses unter den Augen der nächst höheren Führungskraft ein Ausdruck von Loyalität dem Unternehmen und seinen Zielen gegenüber?

Diejenigen, die bisher nicht unterschreiben wollten, sind bedrängt worden, es doch zu tun. Die Meister der CKlasse, die zunächst nicht unterschrieben haben, wurden daraufhin von ihrem Centerleiter und allen Abteilungsleitern noch einmal persönlich angeschrieben. Da ist die Frage doch gestattet, welche Art von Führung hier praktiziert wird. Handelt es sich dabei nicht um eine Form "betreuten Denkens"? Zerstört das nicht Loyalität und Vertrauen?

Bislang wurden die Meister auch nicht gefragt, was sie von Entscheidungen des Managements halten. Jetzt aber sollen sie sich plötzlich zu Positionen bekennen, die sich gegen die Interessen ihrer Mannschaft richten. Da fragt sich manch einer laut, was das soll.

Interessiert an der Meinung der Meister

Sicherlich unterschreiben auch einige Meister die Resolution aus Überzeugung. Der REZEI-Prozess, in dem die Leistungsbedingungen mit der Gruppe ausgehandelt werden müssen, erscheint manch einer Führungskraft als zu aufwändig und schwierig. Es ist sicher bisweilen anstrengend, faire Leistungsbedingungen zu vereinbaren - dennoch wird der Betriebsrat im Interesse der Beschäftigten diese Form der Beteiligung vor Ort nicht aufgeben.

Selbstverständlich ist der Betriebsrat an der Meinung der Meister weiterhin stark interessiert und lädt sie zur Diskussion ein. Auch der Meisterkreis der IG Metall bietet Raum für z.T. kontroverse Diskussionen. Dem Vorstand wird es jedenfalls nicht gelingen, einen Keil zwischen Meister und Betriebsrat zu treiben.

Nachdem die Unternehmensleitung damit begonnen hatte, Betriebspolitik mittels Unterschriftensammlung zu betreiben, hat der Gesamtbetriebsrat entsprechend reagiert. An allen Mercedes-Benz Standorten baten die Betriebsräte die Produktionsbeschäftigten darum, ihrer Zustimmung zu den arbeitspoltischen Positionen des Gesamtbetriebsrats (Text s. Kasten) Ausdruck zu geben. Inzwischen haben allein in Sindelfingen über 10.000 Beschäftigte die GBR -Positionen unterzeichnet - und das völlig freiwillig!!

Und jetzt, Herr Schmückle??


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