Gut` Ding will Weile haben?

Über Tendenzen zu "Projektarbeit" und "Produktlöhnen" auch in der Industrie

 

Der Traum eines jeden Unternehmens ist es, über seine Mitarbeiter zeitlich möglichst umfassend zu verfügen und möglichst wenig dafür zu bezahlen. Kann er den Mitarbeiter immer dann zur Arbeit bestellen, wenn gerade viel zu tun ist, und ihn nach Hause schicken, wenn nichts oder weniger zu tun ist, spart er Lohnkosten. Er braucht die Zeit nicht zu bezahlen, in der wir nicht ausgelastet sind oder auf Aufträge warten. Für dieses Ziel hat er sich eine Menge einfallen lassen.
Gleitzeit bzw. flexible Arbeitszeit 'überhaupt ist ein solches Instrument. Kaum einer von uns geht, wenn er gerade an einer "wichtigen" Arbeit ist, sondern nimmt seine variable Arbeitszeit wahr - ohne Überstundenprozente. Dafür nimmt man seine Freischicht oft erst dann, wenn nicht so viel los ist.

Dieses System hat in vielen Fällen auch Vorteile für uns. Wir können zu einem gewissen Teil über unsere Arbeitszeit selbst verfügen. Wird aber der flexible oder variable Anteil an der Arbeitszeit größer und steigt der Druck durch Unterbesetzung in der Abteilung, wird der Teil der Zeit, über den wir selbst verfügen können, immer geringer. So ist es bei der Gleitzeit und auch bei der etwas starreren Freischichtkontenregelung. In vielen Fällen erklärt einem der Meister bzw. Vorgesetzte gerade dann, wenn man seine angearbeitete Zeit frei nehmen will, dass das leider momentan absolut unmöglich sei, weil die Aufträge bzw. Stückzahlanforderungen es nicht zuließen. Meist hat der Meister auch noch ein paar andere schwerwiegende Gründe parat.

So beugt man sich also den Sachzwängen der Firma. Uns ist dabei viel weniger bewusst als der Firma, dass wir ihr ein zinsloses Darlehen gewähren, über das wir nicht mal mehr selbst bestimmen können. Dies hat aber System!

Sieht man sich z.B. die Arbeitszeitregelung bei uns im Bereich Vorderachse an, wird klar, wohin die Reise geht. Der Meister bestimmt je nach Auftragslage die Arbeitszeiten, die bis zu 42,5 Std. wöchentlich betragen können. Noch wird versucht, die Arbeitszeit der Kollegen dem Anfall der Arbeit anzupassen. Doch gibt es auch schon andere Modelle, so z.B. im Pflegebereich, besonders in der ambulanten Pflege. Dort wird den KollegInnen für eine bestimmte Tätigkeit eine feste Zeit vorgegeben, in der die Arbeit erledigt werden soll. Sonderaufwendungen interessieren nicht. Kommt man mit dieser Zeit nicht aus, kann man entscheiden, ob man einen kranken Menschen in seiner "Sch..." liegen lässt oder Zeit dran hängt. Dieses geniale Konzept, die Zeit an das Ergebnis der Arbeit zu knöpfen, will man sich natürlich auch in der Industrie zunutze machen. Noch gibt es Vereinbarungen, die dies verhindern. Ein Versuch, diese Vereinbarungen auszuhebeln, liegt in den Konzepten zu neuen Arbeits- und Entlohnungsbedingungen. Die Leistung, die erbracht werden soll, soll künftig nicht mehr durch die Arbeitswirtschaft ermittelt, sondern durch eine Zielvereinbarung mit den Kollegen festgelegt werden. Der VDI hat darüberhinaus eine Richtlinie, genannt "VDI 3000", herausgebracht, in der die Verausgabung von Arbeitskraft (bzw. -zeit) an das Produkt gekoppelt wird. Gegen diese Richtlinie haben die Gewerkschaften Einspruch erhoben. Doch bei uns gibt es - im Kleinen - schon solch eine Fertigung. So erfolgt an bestimmten Arbeitsplätzen erst dann eine Zeitgutschrift, wenn die Teile mehrere, getrennte Bearbeitungsgänge durchlaufen haben, das Produkt also "fertig" ist.

Aus: "alternative" , Zeitung deutsch-ausländischer MetallerInnen bei Daimler Benz, Hamburg-Harburg, September 1999, erschienen in: express 1/2000, Betriebsspiegel


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